Politik

Universität Aachen erklärt Studie: Es gab keine Abgas-Tests mit Menschen

Die Universität Aachen erklärt ihre Stickoxid-Studie: Es zeigt sich, dass die berüchtigten „Abgas-Tests mit Menschen“ nie stattgefunden haben. Es handelt sich um die Untersuchung der Wirkung von veränderten gesetzlichen Grenzwerten.
30.01.2018 22:41
Lesezeit: 4 min

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Die Universität Aaachen erklärt ihre Stickoxid-Studie: Es zeigt sich, dass die berüchtigten „Abgas-Tests mit Menschen“ nie stattgefunden haben. Es handelt sich um Tests im Zusammenhang einer Veränderung gesetzlicher Grenzwerte.

Die angeblichen „Abgastests mit Menschen“ hatten in Politik, Autoindustrie und Öffentlichkeit für Erregung gesorgt. Zunächst ging es um Abgastests mit Affen, schließlich wurde sogar behauptet, es habe solche Tests mit Menschen gegeben. Die dpa schreibt: „Affen mussten Dieselabgase einatmen, dazu der Verdacht auf Versuche an Menschen: Mit umstrittenen Schadstofftests haben sich Deutschlands Autobauer wieder mitten in den Abgasskandal katapultiert. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) verurteilte die Diesel-Schadstoffversuche an Affen scharf und forderte Aufklärung. ,Diese Tests an Affen oder sogar Menschen sind ethisch in keiner Weise zu rechtfertigen‘, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag.“

Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) sagte der Passauer Neuen Presse: "Was da berichtet wird, ist einfach schockierend. Wer solche Tests in Auftrag gibt, scheint jeglichen Maßstab verloren zu haben." Menschen und Tiere für die eigenen Zwecke zu missbrauchen, sei "einfach entsetzlich".

Auch die Autobauer und die sie beaufsichtigenden Politiker verfielen in eine gewisse Hysterie: VW-Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch teilte mit: "Im Namen des gesamten Aufsichtsrates distanziere ich mich mit allem Nachdruck von derlei Praktiken." Die Vorgänge müssten "vorbehaltlos und vollständig aufgeklärt werden". Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil forderte umfassende Aufklärung, Betriebsratschef Bernd Osterloh verlangte personelle Konsequenzen.

Der geschäftsführende Bundesverkehrsminister Christian Schmidt sagte, er nicht bereit, solche Verhaltensweisen hinzunehmen. Die Hersteller seien zu einer Sondersitzung der Untersuchungskommission des Ministeriums zum Abgasskandal gebeten worden.

Auch die Auto-Lobby, wegen der der Wirbel entstanden war, zeigte sich empört: Der Verband der Automobilindustrie (VDA) verurteilte die Tests: "Hier zeigt sich einmal mehr: Technik und Wissenschaft müssen sich grundsätzlich im Rahmen des gesellschaftlich und ethisch Verantwortbaren bewegen", sagte VDA-Präsident Matthias Wissmann.

Der Kölner Stadtanzeiger kommentierte fassungslos: „Es bleibt im wahren Wortsinn unfassbar, dass diese Tests von einer Branche veranlasst wurden, die seit Jahren systematisch und mit teils betrügerischen Methoden die NO2-Belastung durch ihre Erzeugnisse heruntermanipulierte. Ebenso, dass dies in einem Land geschieht, in dem die Begriffe ,Menschenversuch‘ und ,Gas‘ ein ewiges Tabu markieren sollten, dies aber offenbar nicht mehr tun. Dabei ist es unerheblich, ob die Versuche im Zusammenhang mit dem Diesel-Skandal oder ob sie, wie die Uni Aachen nun behauptet, im Zusammenhang mit NO2-Grenzwerten am Arbeitsplatz standen.“

Die Erregung machte auch nicht an Deutschlands Grenzen halt. So kommentierte die italienische Repubblica: Für das Bewusstsein des heutigen Deutschlands ist die Vorstellung, Affen und vielleicht sogar Menschen als Versuchskaninchen für sogenannte wissenschaftliche Experimente zu benutzen, einfach unerträglich: Aus historischen Gründen – zusammengefasst in Hannah Arendts ,Banalität des Bösen‘ – und aus kulturellen Gründen. Keine andere moderne Nation hat wie Deutschland mit dem schmerzhaften Widerspruch zwischen der Begeisterung für (...) Technik und dem romantischen Traum von einer Kultur der totalen Opposition gegen den technischen Fortschritt experimentiert und dafür bezahlt. Deshalb ist Angela Merkels Entsetzen über die Annahme, dass deutsche Automobilunternehmen Experimente durchgeführt haben, um die Giftigkeit von Abgasen zu testen, ein Ausdruck des Bewusstseins über die Vergangenheit der deutschen Geschichte, die nicht vergeht – und nicht vergehen kann und darf.“

Offenbar hat sich keiner der Erregten die Mühe gemacht, sich die unaufgeregte Stellungnahme von Univ.-Prof. Dr. med. Thomas Kraus, Direktor des Instituts für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin an der Uniklinik RWTH Aachen, anzuhören.

Kraus erklärt in einem Interview auf der Website der Universität, was die Uni mit den Probanden angestellt hat: Sie hat sie in mehrere Kontrollgruppen eingeteilt: Die „Belastungen“, der die Probanden demnach ausgesetzt waren: Einmal ganz saubere Luft, einmal ein normaler Arbeitsplatz, einmal ein Arbeitsplatz mit dem damals neu eingeführten Grenzwert und einmal ein Arbeitsplatz mit einem Drittel des alten Grenzwertes. Wenn diese Aussagen zutreffen, kann im Fall der Aachener Studie nicht einmal ansatzweise von einer Gesundheitsgefährdung der menschlichen „Versuchskaninchen“ gesprochen werden.

Die entsprechende Passage des Interviews im Wortlaut:

Professor Thomas Kraus: Die Studie wurde Im Jahr 2012 konzipiert – mit der Fragestellung, ob es gesundheitliche Wirkung von Stickoxiden am Arbeitsplatz für den Menschen gibt. Hintergrund war, dass der arbeitsmedizinsche Grenzwert gesenkt wurde.

Was ist das Ziel der NO2 Studie?

Professor Thomas Kraus: Wir haben in der Arbeitsmedizin immer das Ziel, dass Menschen unter gesundheitsförderlichen Bedingungen arbeiten können und nach einem langen Arbeitsleben gesund in den Ruhestand gehen. Dafür gibt es für Gefahrstoffe Arbeitsplatz-Grenzwerte Wir versuchen immer, optimale Arbeitsplatz-Grenzwerte für die Arbeitsplätze zu finden, damit die Menschen auch nach 40-jährige Belastung gesund bleiben.

Wie sah die Studie konkret aus, wie wurde sie durchgeführt?

Professor Thomas Kraus: Arbeitsplatz-Grenzwerte sind definiert, dass gesunde Menschen 8 Stunden täglich, 40 Stunden pro Woche und ein Arbeitsleben lang, nämlich 40 Jahre, geschützt werden sollen. Wir haben 25 gesunde Menschen einer kurzzeitigen Stickoxidbelastung ausgesetzt mit der Frage, ob bei diesen Bedingungen bei gesunden Personen biologische Effekte nachweisbar sind.

Wenn Sie unterhalb der Grenzwerte gemessen haben: Was hatten Sie für Erwartungen von der Studie?

Professor Thomas Kraus: Wir haben diese Studie durchgeführt, um mit ganz modernen und extrem empfindliche Methoden zu prüfen, ob eventuell auch unterhalb früherer oder existierender Grenzwerte – zum Beispiel ob auch bei NO2 Belastungen aus dem Umwelt-Bereich – schon Effekte nachweisbar sind, die früher mit gröberen Methoden vielleicht nicht verstehbar waren.

Welchen Einfluss hatten BMW, Daimler und Volkswagen auf die Studie? Hat das etwas mit dem Dieselskandal zu tun?

Professor Thomas Kraus: Mit dem Diesel-Skandal hat das überhaupt nichts zu tun. Der Diesel-Skandal wurde erst viel später offenkundig. Wir haben ja auch keine Belastung mit Diesel-Motoremissionen gemacht, sondern nur mit NO2, d.h. unsere Ergebnisse sind auch überhaupt nicht übertragbar auf Diesel-Belastungen. Und sie beantworten auch überhaupt nicht die Frage, ob Dieselemissionen gefährlich oder ungefährlich sind.

Wie hoch haben Sie die Probanden belastet bei der Studie?

Professor Thomas Kraus: Wir haben eine Kontrollbelastung gemacht, wo eine Stickstoffdioxid-freie Luft gegeben wurde. Wir haben eine Konzentration exponiert, die ungefähr der Hintergrund-Belastung in der Umwelt entspricht, haben eine Konzentrationsstufe genommen, die dem jetzigen Arbeitsplatz-Grenzwert entspricht, und eine Konzentrationsstufe, die etwa bei einem Drittel des alten Arbeitsplatz-Grenzwerts lag. Und wir haben unter diesen Bedingungen keine akuten gesundheitlichen Effekt testen können.

Welche Rolle spielte die Ethikkommission bei dieser Studie?

Professor Thomas Kraus: Wenn man solche sehr aufwendige und komplizierte Untersuchungen macht, muss selbstverständlich immer die Ethikkommission mit eingebunden werden. Diese prüft, ob der Versuchsplan und die Durchführung ethisch vertretbar sind. Und das hat selbstverständlich in diesem Fall auch stattgefunden und die Ethikkommission hat diese Studie befürwortet.

Und welche Arbeitsplätze konkret handelt es sich?

Professor Thomas Kraus: Es gibt zahlreiche Arbeitsplätze in Deutschland, wo Stickoxid-Konzentrationen auftreten, die wesentlich höher sind als diejenigen, die In der Umwelt finden. Beispielhaft seien genannt Schweiß-Arbeitsplätze. Bei bestimmten Schweißverfahren können hohe Stickoxidkonzentrationen auftreten.

Tatsächlich zeigt die Studie genau dieses Studiendesign.

Die Hysterie dürfte durch eine Aktion der Auto-Lobby EUGT ("Europäische Forschungsvereinigung für Umwelt und Gesundheit im Transportsektor") ausgelöst worden sein. Diese hatte die Aachener Ergebnisse in ihre Lobbyarbeit einfließen lassen, um behaupten zu können, dass der Diesel absolut unschädlich sei. Die dpa schrieb dazu vage: „In dem Zusammenhang kam zudem der Verdacht auf, dass es Schadstofftests auch mit Menschen gegeben haben soll.“ Ob es andere derartige Tests gegeben hat, ist unbekannt. Zweifelsfrei zeigt jedoch die Erklärung der Universität Aachen, dass sich zumindest die wissenschaftliche Abteilung der Universität nichts zuschulden hat kommen lassen.

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