Politik

Erdogan holt McKinsey für Reformen in die Türkei

Das türkische Finanzministerium hat McKinsey verpflichtet. Beobachter sehen darin einen ersten Schritt in Richtung einer IWF-Reform.
01.10.2018 23:05
Lesezeit: 4 min

Das türkische Finanzministerium teilt mit, dass die Unternehmensberatung McKinsey künftig das Ministerium beraten werde. Das Unternehmen sei "weltweit für die besten Analysen" bekannt . Deshalb habe das Finanzministerium beschlossen, die Beratung von McKinsey in Anspruch zu nehmen. Vorwürfe, wonach die Kontrolle über die türkische Wirtschaft in die Hände von McKinsey gelegt werde, würden nicht der Wahrheit entsprechen. "Die angesprochene Beratungsfirma wird keine vollziehenden Aufgaben oder Kompetenzen übernehmen", zitiert CNN Türk das Finanzministerium.

Auf Nachfrage, wie die Zusammenarbeit zwischen McKinsey und der türkischen Regierung aussehen wird, sagte eine Sprecherin von McKinsey den Deutschen Wirtschaftsnachrichten, dass sich das Unternehmen "grundsätzlich nicht zu unserer Klientenarbeit oder geschäftlichen Vereinbarungen" äußere un verwies auf die Erklärung der türkischen Regierung.

Der türkische Ökonom Murat Muratoğlu sagte im Gespräch mit dem Radioprogramm "Niye?", dass die Einigung zwischen dem türkischen Finanzministerium und McKinsey eine Art "Trailer" für den eigentlichen Film sei, der "IWF" heiße.

Muratoğlu wörtlich: "Wenn sie verlangen, dass die Staatsausgaben für die Religionsbehörde zu hoch sind und deshalb reduziert werden sollen, einschließlich des Personals, bin ich gespannt, ob die das durchziehen. Oder vielleicht wird McKinsey sagen: ,Das ist zu viel Luxus'. Was werden die AKP-Mitglieder machen, wenn sie ihr luxuriöses Leben aufgeben müssen? Das würde nämlich ihre partikularen Interessen betreffen. Die Reduzierung des Staatspersonals wäre ebenfalls nicht im Interesse der AKP, denn die Geschichte der AKP begründet sich auf reiner Vetternwirtschaft. Wenn die AKP all diese Sparmaßnahmen durchziehen würde, würde sie ihre Wählerschaft verlieren. McKinsey wird Geld verdienen und der Türkei nichts bringen."

Zur Frage, warum die türkische Regierung nun ausgerechnet auf die Dienste von McKinsey zurückgreift, sagte der Ökonom: "Sie haben verstanden, dass sie mit diesen Verhaltensweisen und Praktiken keine Kredite im Ausland aufnehmen können. Deshalb heuern sie eine ausländische Beratungsfirma an, um einen Weg für ausländische Kredite zu finden. Ich sage, dass dies die letzte Handlung vor der Kreditaufnahme beim IWF ist (...) Ich glaube übrigens nicht, dass ,ausländische Mächte' uns McKinsey empfohlen haben. Die Powerpoint-Präsentation von Berat Albayrak, die im Zusammenhang mit dem neuen Wirtschaftsprogramm steht, soll angeblich auf McKinsey erarbeitet haben. Derzeit braucht die Türkei ganz dringend 80 Milliarden US-Dollar. Es gibt keine einzige Institution, die diese Kreditlinie ermöglichen kann - außer eben der IWF (...) Es ist völlig normal, dass Erdoğan in Deutschland und in den USA nach Geldquellen sucht. Doch mit drei bis fünf Milliarden US-Dollar, die aus dem Ausland kommen, kann man das Problem nicht lösen. Wie wir aus den Medien erfahren, bietet sich Siemens für das Eisenbahnprojekt im Wert von 34 Milliarden Euro an. Das letzte Mal, als wir (Erdoğan und seine Delegation, Anm. d. Red.) in Washington waren, haben wir elf Flugzeuge gekauft. Jedes Mal, wenn wir ins Ausland gehen, um nach Geldquellen zu suchen, jubeln die uns etwas unter - das ist jedenfalls mein Gefühl. Wäre es vielleicht nicht besser, wenn wir diese Auslandsreisen komplett einstellen?"

Erdoğan über Deutschland

Am 30. September teilte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan über den Kurznachrichtendienst Twitter mit: "Die problematischen Beziehungen mit Deutschland werden von nun an Vergangenheit sein. Wir haben uns mit der ehrenwerten Kanzlerin Merkel darauf verständigt, die Mechanismen der Zusammenarbeit, die zum Erliegen gekommen waren, wieder aufzunehmen. Wir werden die EU-Reformen fortführen (...) Der EU-Beitrittsprozess der Türkei darf nicht den Launen und politischen Behinderungen einiger Kreise überlassen werden. Wir schätzen Deutschlands Unterstützung in dieser Frage. Wir haben gesehen, dass wir in der Syrien-Frage dieselbe Sichtweise wie Deutschland haben."

Auf seinem Rückflug in die Türkei äußerte sich Erdoğan nach Angaben der Zeitung Sözcü zur Vergabe der Ausrichtung der EM 2024 an Deutschland: "Ich will ehrlich sein. Es war mir relativ egal. Das läuft immer so. Du vergibst zwei WM und eine EM an ein und dasselbe Land. Aber wenn es um die Türkei geht, werden Einwände vorgebracht. Was die Sportanlagen angeht, stehen wir Deutschland in nichts nach. Wir verfügen über sehr moderne und große Anlagen. Was solls, viel Glück. Am Ende sparen wir eine Menge  Kosten ein."

Im Zusammenhang mit der Namensliste von terror-verdächtigen türkischen Staatsbürgern, die der türkische Präsident der Kanzlerin übergeben hat, sagte er: "Was die FETÖ (Terrororganisation der Gülen-Bewegung, Anm. d. Red.) angeht, haben wir unterschiedliche Herangehensweisen. Das haben wir auch auf der Pressekonferenz, die wir mit Merkel veranstaltet haben, gesehen. Sie meinen, dass es nicht genügend Beweise geben würde. Es ist mir völlig unverständlich, wie dies behauptet werden kann, wenn wir ihnen doch alle Beweise und Urteilssprüche überreicht haben."

Zur Lage in Syrien sagte er: "Sie (die deutsche Seite, Anm. d. Red.) loben unsere Bestrebungen in Idlib. Diesbezüglich wollten sie einige Details von uns haben. Darüber haben wir sie aufgeklärt. Wenn nicht etwas Außergewöhnliches passiert, werden Russland, Deutschland, Frankreich und die Türkei noch im aktuellen Monat einen Vierer-Gipfel durchführen. Ich habe mich mit Macron unterhalten. Er sieht das positiv. Doch Merkel meinte: ,Am 14. Oktober finden in Bayern die Landtagswahlen statt. Es wäre besser, wenn das nach den Wahlen stattfindet'. Wir werden an diesem Prozess dran bleiben. Wenn das Datum feststeht, planen wir, den Gipfel durchzuführen. Ich lege sehr viel Wert auf diesen Vierer-Gipfel. Das wird ein wichtiger Schritt werden."

Peter Altmaier bald in der Türkei

Am 1. Oktober 2018 verkündete Erdoğan, dass eine Delegation, bestehend aus dem deutschen Wirtschaftsminister Peter Altmaier und deutscher Geschäftsleute, am 25. Oktober 2018 in die Türkei kommen wird. Das Treffen zwischen der türkischen Delegation und deutschen Geschäftsleuten in Berlin soll nach Angaben des Präsidenten sehr positiv verlaufen sein. Er habe sich mit dem Siemens-Chef getroffen, um über die Schaffung von Produktionsstätten in der Türkei zu sprechen. Genaue Details über deutsche Investitionsmöglichkeiten in der Türkei sollen jedoch am 25. Oktober besprochen werden. "Das Interesse der Geschäftskreise an der Türkei im Verlauf des Besuchs (in Berlin, Anm. d. Red.) war sehr erfreulich", zitiert die regierungsnahe Zeitung Takvim Erdoğan.

Die staatliche türkische Agentur "Invest in Turkey" berichtet auf ihrer Webseite: "Die Zusammenarbeit zwischen der Türkei und Siemens begann Mitte des 19. Jahrhunderts mit derEntscheidung des Osmanischen Reichs, ein Telegraphensystem im Land aufzubauen. Siemens Halske führte das erste Siemens-Projekt in der Türkei durch und gründete dasTelegraphenzentrum in Istanbul. Im Rahmen des Projekts wurden bis 1881 die ersten Telefonleitungen in Istanbul verlegt. (…) Die Zusammenarbeit zwischen der Türkei und Siemens begann Mitte des 19. Jahrhunderts mit der Entscheidung des Osmanischen Reichs, ein Telegraphensystem im Land aufzubauen. Siemens Halske führte das erste Siemens-Projekt in der Türkei durch und gründete das Telegraphenzentrum in Istanbul. Im Rahmen des Projekts wurden bis 1881 die ersten Telefonleitungen in Istanbul verleg (…) 1986 verlegt Siemens Fiberglaskabel auf der Bosporusbrücke. 1990 wurde das Unternehmen zu einem der stärksten Infrastrukturanbieter für die türkische GSM-Branche. Im gleichen Jahr erhielt Siemens das erste ISO-9001-Zertifikatfür Qualitätssysteme in der Türkei (…) 2011 eröffnete Siemens zudem sein weltweit 14. FuE-Zentrum in der Organisierten Industriezone von Gebze. Zu den Forschungsbereichen desZentrums gehören automatische Systeme der Energieübertragung, Verwaltungssysteme zur Stromerzeugung, Industrieschaltgeräte und Gebäudeautomationssysteme."

In der Türkei sind  6.846 Firmen vertreten. In der Liste der größten ausländischen Investoren erzielte Deutschland unter Berücksichtigung der Investitionen zwischen 2006 und 2015 mit etwa 7,8 Milliarden Dollar auf dem sechsten Platz, berichtet Haberturk. Damit hatte Deutschland einen Anteil von 6,4 Prozent an den Gesamtinvestitionen. Spitzenreiter waren die Niederlande mit etwa 20 Milliarden Dollar und einem Anteil von 16,7 Prozent an den Gesamtinvestitionen. Darauf folgten die USA mit 10,6 Milliarden Dollar (Anteil von 8,7 Prozent), Österreich mit 9,3 Milliarden Dollar (Anteil von 7,7 Prozent), Luxemburg mit 8,6 Milliarden (Anteil von 7,1 Prozent) und Großbritannien mit 8,2 Milliarden Dollar (Anteil von 6,7 Prozent).

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