Deutschland

Deutschland in der Zeitenwende: Ein Rückblick auf die jüngste Vergangenheit und ein Ausblick auf die Zwanziger Jahre

Lesezeit: 36 min
31.12.2019 13:00
Reflektion und Ausblick: Hinter Deutschland liegen zehn Jahre mit einer Vielzahl von Problemen und einer Verschiebung der politischen Kräfteverhältnisse. Das Land hat sich einiges aufgebürdet, mit dem es in seine 2020er Jahre startet und die Frage steht im Raum, ob es den Herausforderungen der nächsten Jahre gewachsen ist, schreibt Bernd Liske.
Deutschland in der Zeitenwende: Ein Rückblick auf die jüngste Vergangenheit und ein Ausblick auf die Zwanziger Jahre
An der vom Volksmund als Goldelse bezeichneten Siegesgöttin Viktoria auf der Siegessäule am Großen Stern in Berlin werden Wartungsarbeiten durchgeführt. (Foto: dpa)
Foto: Rainer Jensen

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Das zweite Jahrzehnt dieses Jahrtausends ist Geschichte geworden: So stand es schon seit einigen Tagen als erster Satz in diesem Text. Doch, zunächst bei einem Saunabesuch zwischen den Feiertagen aufgeschnappt und von Wikipedia bestätigt: Das ist falsch- selbst wenn auch der Deutschlandfunk das neue Jahrzehnt besingt. Das neue Jahrzehnt beginnt am 01.01.2021. Wenn im Weiteren von ´Jahrzehnt´ geschrieben wird, so ist der Zeitraum von 10 Jahren zwischen 2010 und 2019 gemeint. Richtig ist: Es beginnen die 20er Jahre. Dieses Jahrhunderts. Was zu reflektieren, schon mal wieder sehr attraktiv erscheint.

Warum tut sich der Verfasser an, all dieses zu reflektieren, um daraus seinen grauen Zellen den einen oder anderen Gedanken abzuringen, wie den identifizierten Problemen begegnet werden kann? Wenn er doch weiß, wie in den Hinterzimmern gelästert wird und Intrigen gesponnen werden, um ihn noch wirksamer bekämpfen zu können?

Nun, zunächst einmal: Er kann nicht anders. Er ist ein ziemlich einfach gestrickter Mensch ohne jegliches Arg. Und für diese Welt voller Intrigen und Schein ziemlich ungeeignet, weil sie eine Intelligenz erfordert, die ihm nicht eigen ist.

Hinzu kommt aber: Er hat den Eindruck, dass es ihm nicht allein so geht- den Eindruck, dass es da draußen einige, vielleicht Viele, gibt, deren Natur natürlich ist. Die noch dazu, wie in X-Men, über Fähigkeiten verfügen, derer unser Land bedarf, um seine Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten.

Mag sein, dass sich nicht wenige als Egoisten, Ignoranten, Claqueure und Scharfmacher der dunklen Seite der Macht angedient haben und ihr Leben, oft auskömmlich, damit fristen, entlang der vorgegebenen Linien zu kriechen oder gehorsam Dinge tun, die wider ihrer Natur sind. Aber wie bei Ben Solo in Star Wars: Der Aufstieg Skywalkers gibt es auch in ihnen die helle Seite und die gilt es, zu aktivieren (Man muss dabei ja nicht zwangsläufig sterben). Deutschland wie auch Europa benötigen diese Kräfte als Idealisten, Analysten, Visionäre und Konzeptionäre, wenn sie eine menschliche Zukunft haben wollen.

Welche Geschichte kann also von diesem Jahrzehnt geschrieben werden, das dem folgte, bei dem sich der Verfasser insbesondere an den 11. September 2001 und die Finanzkrise ab 2007 erinnert? Worauf muss die Aufmerksamkeit in den 20er Jahren gerichtet werden, damit sich Geschichte nicht wiederholt?

Je mehr das Jahrzehnt in die Jahre kam, geriet die Welt in Unruhe. Ausdruck dessen waren zunächst einmal wieder viele Kriege: Der Kampf gegen den Islamischen Staat, die Kriege in Syrien, Jemen, der Ostukraine, Bürgerkriege in Libyen, Mali, in der Elfenbeinküste, im Südsudan- um nur einige zu nennen. Hinzu kommen Konflikte in Südamerika: Auch Bolivien, Venezuela, Brasilien, Chile, Ecuador & Co. leiden unter ihrem Reichtum an Bodenschätzen, der die Armut eher vergößert, aber mit Sicherheit die Korruption und die Länder zum Spielball der USA und Chinas macht, wobei insbesondere Erstere vielfach bewährte Methoden anwendet, um dem schwindenden Einfluss zu begegnen.

Ohne Zweifel hat die Europäische Zentralbank dem Jahrzehnt ihren Stempel aufgedrückt. Oder besser ausgedrückt: Mario Draghi. Er erbrachte den Nachweis, dass ein einzelner Mensch schaffen kann, wozu ganze Armeen nicht in der Lage sind. Ehemals bei Goldman Sachs angestellt, machte er die EZB zum Privatfinanzier der Kapitalmärkte und Drogenlieferanten für die europäischen Staaten. Inzwischen sind die Kapitalmärkte und die Staaten in einem Maß von immer wieder neuen Spritzen so abhängig, dass jedes Absetzen derselben den Kollaps beider nach sich ziehen würde. Die Erwartungshaltung an seine Nachfolgerin, Christine Lagarde, ist sicher, zukünftige Spritzen möglichst elegant zu verpacken. Dafür gibt es erste Ideen: Grüne Geldpolitik heisst das Zauberwort und wenn kürzlich Ursula von der Leyen wenige Tage nach ihrer Amtseinführung den Green Deal aus der Taufe hob, so erscheint die Frage, wer ihr dafür die Feder hielt, in gleicher Weise legitim, wie das schon bei Mario Draghi der Fall war.

Nötig wird das elegante Verpacken ohne Zweifel sein, denn es gibt inzwischen viele Opfer dieser ultralockeren Geldpolitik. Die Schere zwischen arm und reich vergrößert sich dabei immer weiter und die Kapitalmärkte haben sich von der Realwirtschaft endgültig abgekoppelt.

Ein nicht kleiner Aufwand wird betrieben, die Segnungen dessen zu diskutieren, was die EZB betreibt. Dem Argument des Präsidenten des Deutschen Instituts der Wirtschaft, Prof. Fratzscher, dass „40 Prozent der erwachsenen Deutschen gar kein nennenswertes Vermögen haben“ muss damit begegnet werden, dass es gerade auch diese Menschen sein dürften, die von den Problemen der Renten- und Krankenkassen bei der Anlage der von ihnen verwalteten Gelder betroffen sein werden, was in der Folge auf die Altersrückstellungen und die Altersarmut wirken dürfte. Dem Argument, „das Unternehmen expandieren und dadurch Menschen einstellen und beschäftigen können“, steht entgegen, dass damit viele Zombi-Unternehmen am Leben gehalten werden und insofern die bestehenden Probleme nur- mit exponentieller Dramatik-, in die Zukunft verlagert werden. Nicht zuletzt ist Ostdeutschland in besonderem Maß Opfer dieser Geldpolitik.

Bei all dem ist nicht nachvollziehbar, warum gerade auch von Deutschland gefordert wird, seine restriktive Finanzpolitik zu ändern und Schulden zu machen. Denn damit würde der toxische Cocktail aus schon eingegangenen Verpflichtungen noch giftiger und Deutschlands Stabilität noch angreifbarer. Deutschland hat auch so schon einen sehr großen Teil der aufgebauten Last zu tragen und nimmt ihn mit als Bürde in seine 20er Jahre. Für die Unruhe in Deutschland sind aber spezifische Gründe verantwortlich.

Da ist zu Einen die nicht vollzogene deutschen Einheit, die den Ostdeutschen schon zum Ende des vorherigen Jahrzehnt nicht unbedingt gelungen vorkam. Dieses Jahrzehnt war insbesondere von dem weiteren Erwachen geprägt, dass da etwas abseits dessen gelaufen ist, wie man sich den Garten Eden ursprünglich so vorgestellt hatte und das es Dinge gibt, über die man sich Gedanken hätten machen müssen, aber nicht gemacht hat.

Denn nachdem sich die Ostdeutschen ein wenig die Welt erobert hatten, stellten sie nach ihrer Rückkehr fest, dass der Westen inzwischen den Osten erobert hatte. Für die Ossis gab es statt Glasperlen die Freiheit- für die Wessis zwar keinen Kontinent, aber doch zumindest eine nicht geringe Ausdehnung in Richtung Osten. So kam dann mehr und mehr die Frage auf: Wem gehört der Osten? Und man musste erkennen, dass es mit der angewandten Methodik nie eine Angleichung der Lebensverhältnisse von Ost und West geben wird. In einem Billiglohngebiet, das noch dazu als Arbeitskräftereservoir für die Wirtschaft im Westen dient- seit der Wende gingen über dreieinhalb Millionen Ostdeutsche in den Westen-, ist das auch nicht möglich. Hinzukommt die zunehmende Überalterung.

Spätestens mit den sich nun über mehrere Jahre stabilisierenden und inzwischen auf das ganze Land ausgedehnten Wahlergebnissen verkommen all die Bemühungen, die Wende als friedliche Revolution und deutsche Einheit zu verklären, zu einem Schein, der für das Sein keine Substanz liefert, aus der das Land Kraft schöpft, um den vor ihm liegenden Herausforderungen gewachsen zu sein. Es bedarf anderer Modelle, aus denen heraus die anwachsenden Probleme bewältigt werden können.

Hinzu kommt, dass Deutschland als einem in vielerlei Hinsicht entwickeltsten Länder der Welt immer mehr von der vollkommen neuen Qualität gesellschaftlicher Probleme erfasst wird, die zunehmend ihre Wirkungen entfalten. Der Mensch hat eine technisch- technologische Entwicklung provoziert, die es ihm ermöglicht, die schon länger bestehende Möglichkeit, die Menschheit zu vernichten, durch ein noch sehr viel größeres Problem zu ergänzen: Sich ersetzbar zu machen. Wachsende Probleme, wirtschaftliche Dynamik zu erhalten, die Verschuldung der Staaten, Arbeitslosigkeit und Altersarmut sind immer mehr auch daran gebunden.

Und dann gibt es etwas, dass einem Artikel in einer sächsischen Zeitung mal als Überschrift diente: Es geht uns gut- es kann nur schlechter werden. Dieses Gefühl breitet sich in einem Land aus, dessen wirtschaftlicher und sozialer Wohlstand auch im Vergleich zu anderen Ländern gut ist. Es ist gebunden an die absehbare Ausbreitung der Altersarmut, dem Raubbau an den Vermögen durch die Zinsentwicklung wie generell die wachsende Kluft zwischen arm und reich.

Der Verfasser ist mit seinen seit 2006 versandten Neujahrswünschen jedes Jahr bemüht, den Zeitgeist des zurückliegenden Jahres zu reflektieren, um daraus Anregungen für eigene Anregungen zu gewinnen. Und so soll nachfolgend ganz kurz dem Inhalt der einzelnen Jahre mit dem Ziel der Klärung gedacht werden, ob darin verfolgtes in der Gegenwart keine Aufmerksamkeit mehr verdient, weil es angegangen wurde oder die Anforderungen der Zeit eine Auseinandersetzung damit nicht mehr erfordern. Zugegebenermaßen ist der Eindruck, dass gerade auch viele der darin damals verwendeten Aphorismen es wert wären, hier auch recycelt zu werden (Wobei der Umfang dessen nun in einem Maß angewachsen ist, der so ursprünglich nicht beabsichtigt war.) Da das nicht geht, wird angeregt, aus den hier verwendeten Aphorismen evtl. den Impuls abzuleiten, sich den einzelnen Texten komplett zuzuwenden.

2009

Der Blick auf die Wende und die Gestaltung der deutschen Einheit waren von Anfang an einseitig. Sie waren und sind ein westdeutsche Blick, der sich aus dem Verständnis von Siegern entwickelte, die nicht zuletzt bemüht waren und bis heute sind, eigenständige Denkansätze außerhalb vorgegebener Linien zu ignorieren, zu isolieren und zu bekämpfen: „Medial wurde sicher einiges professionell in Szene gesetzt, … . Aber man blieb in der Regel unter seinesgleichen, die Show wurde konsumiert und der nächste Tag war wieder der Alltag. Sich seiner Geschichte bewusst zu sein, heißt aber auch, Gegenwart zu gestalten, damit Zukunft gestaltbar bleibt.“ Die Web-Fehler der deutschen Einheit und der Substanzverlust waren auch damals schon greifbar.

Wie sich der Blick auf die Ostdeutschen in als normal betrachteten Blickwinkeln entfaltet, wird sich neun Jahre später in bemerkenswerter Weise zeigen, wenn der vom Verfasser überaus geschätzte Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble am 28.12.19 zum Ausdruck bringen wird: „Mancher pflegt geradezu den eigenen Opferstatus, statt selbstbewusst darauf zu verweisen, den Menschen im Westen eine wertvolle Erfahrung vorauszuhaben: die Anpassung an massive gesellschaftliche Umwälzungen“. So haben in alten Zeiten Herrscher wie selbstverständlich auf ihre Untertanen geschaut und sich denen gegenüber als sehr freundlich betrachtet. Anders ausgedrückt, haben sich die Ostdeutschen also in ihrer Demutshaltung- und ein Teil davon als Kollaborateure der Sieger-, eigentlich gutgemacht. Sie haben sich de facto wirklich gut angepasst, sind problemlos und ohne renitent zu werden an den Westen angeschlossen worden, lassen oft auch schon ganz gut den Wessi raushängen und sollten das zu schätzen wissen, statt sich in irgendeiner Opferrolle zu verlieren.

Das in der Folge der Deutschen Einheit für einen großen Teil der deutschen Bevölkerung die über Jahrzehnte gewachsen Identität verloren ging, es nicht wenige Verlierer der Einheit gerade auch in Ostdeutschland gibt, dass mögliche aus ostdeutscher Erfahrung zur Verfügung gestandene Potentiale vernichtet wurden- C´est la vie. In den letzten Jahren des Jahrzehnts wird sich aber zeigen, welche Gärungsprozesse sich im ostdeutschen Untergrund vollzogen und nur nach der Gelegenheit suchten, sich Bahn zu brechen. (HINWEIS für die, denen das alles zu krass ausgedrückt erscheint: In einer von Reizen überzogenen, verdrängenden Gesellschaft bedarf es der Überreize, um die grauen Zellen evtl. noch aktivieren zu können. Es ist also ein bewusst, vollkommen entspannt gewähltes, bildhaftes Stilmittel, um die Analytik und die Anregungen zu unterstützen. Und generell gilt es, Zukunft zu gestalten. Was aber ohne ein umfassendes Lagebild nicht möglich ist. Zu dem man idealerweise gemeinsam findet.)

2010

Seit 65 Jahren Frieden und 20 Jahre deutsche Einheit. Das Jahr ergänzt die Erfahrungen des Vorjahres: “Der Bundespräsident hat in seiner Weihnachtsansprache für unsere so vielfältig geprägte Gesellschaft die gegenseitige Wertschätzung der Menschen untereinander angemahnt. Ein wesentliches Thema ist dabei neben der Integration die Verwirklichung der Einheit nach der Einheit. Doch es reicht nicht aus, sich an den Ruf ´Wir sind ein Volk´ zu erinnern, wenn die Rahmenbedingungen es nur unzureichend hergeben, diese Emotion auszuleben. Unser aller Zukunft hängt aber davon ab, in welchem Maß es uns gelingt, ein Volk zu werden.“

Die Anregung zieht sich seitdem auch weiter durch viele Reden. Doch Wort beschreiben nur Werte. Ihr Gewicht entblößt sich durch Handlung. Da es an ihr umfassend mangelt und die Führung immer mehr den Kontakt zur realen Verfasstheit des Landes verlor, weil sie immer mehr damit ausgelastet war, den Lobbyisten gerecht zu werden, entstanden unbeachtet Spannung, die sich später dann in den Wahlen entluden.

2011

Die Finanzmärkte machen wieder auf sich aufmerksam. Wenn die Friedrich-Ebert-Stiftung in einer Studie „Zentralbanken im Griff der Finanzmärkte“ im Juli 2011 schrieb, „Die Rettung des Finanzsystems durch Zinssenkungen (der sog. „Greenspan-Put“) habe die Finanzindustrie ermuntert, neue Risiken einzugehen. Um eine Wiederholung zu verhindern, werden heute schon Forderungen nach rechtzeitigen Zinssteigerungen laut. … Die richtige Antwort kann keineswegs darin bestehen, eine restriktive Geldpolitik in einem Umfeld durchzuführen, das aus konjunkturellen Gründen nach stimulierenden Maßnahmen verlangt. Es muss vielmehr darum gehen, durch umfassende Regulierung zu verhindern, dass die Finanzindustrie erneut exzessive systemische Risiken eingeht.“, so kann man heute darüber nur müde lächeln.

„In dem nun zurückliegenden Jahr hätten wir erkennen können- und zum Ausdruck bringen müssen-, dass wir uns im Krieg befinden. Da wir das aber nicht begriffen, ließen wir uns mitreißen von den guten Ratschlägen der Lobbyisten. Und unsere gewohnten Herangehensweisen feierten weiter fröhlichen Urstand.

Keiner reale Werte produzierenden Branche gelingt es, die Politik so vor sich herzutreiben, wie es der Finanzbranche möglich ist. Vor der Bankenkrise hat sie es geschafft, der Welt Glauben zu machen, dass sie aus nichts Gold machen kann. In der Bankenkrise hat sie gelernt, der Politik abzuverlangen, mit realen Werten eine imaginäre Blase zu füllen, so dass sich der Glaube daran noch eine Weile erhält. In der Schuldenkrise wird der Dealer zum Sozialarbeiter für den Junkie und seine wichtigste therapeutische Maßnahme ist die Verordnung von noch mehr Drogen. Und sein Tun wird legitimiert durch den Beifall derer, die aus eigener Schwäche ein Interesse daran haben, dass ein wichtiger Akteur im globalen Spiel auf längere Zeit mit sich selbst beschäftigt ist.

Liegt das an der Größe des Geistes, der da beschworen wird? Und der Unmöglichkeit unseres Geistes, zu begreifen, dass diese Blase eine Blase ist? Und eine Blase bleiben wird, so sehr man auch versucht, sie mit realen Werten zu füttern? Wenn man berücksichtigt, dass für ein halbwegs gesundes Kurs-Gewinn-Verhältnis von 12:1 der Dow Jones noch um ca. 40% sinken müsste und das Verhältnis zwischen realem Geld der Zentralbanken und verbrieften Geldansprüchen 1:53 beträgt, bekommt man eine Vorstellung, für welche Blase da Verantwortungen übernommen werden.

Die (Finanz-) Politik ist eine subtile Alternative zum Krieg- mit anderen Mitteln. Es ist schon erstaunlich, dass die ganze Welt auf Europa starrt, obwohl insbesondere die USA und Japan mit dem Grad ihrer Verschuldung eine ganz andere Aufmerksamkeit verdienen würden. Erst Irland und Griechenland, dann schon Portugal und Spanien und jetzt Italien, ein wenig Kratzen am Renommee Frankreichs und Deutschlands: Das Ganze hat System. Und ist erfolgreich.

Als das geschrieben wurde, hatten sich die Finanzmärkte seit zwei Monaten die Bank der Banken geentert und Mario Draghi an die Spitze der EZB gehievt. Er machte sich auf, alles in den Schatten zu stellen, was es an Verwerfungen bis dahin gab. Und es allein als Super-Mario mit Europa aufzunehmen.

2012

Die Neujahrswünsche thematisierten den Druck, der sich im Land breit machte und die verbreitete Unfähigkeit, offen Probleme zu offenbahren und darüber sprechen. Ein wenig daran zu arbeiten, hätte sich drei Jahre später vielleicht als ganz nützlich erwiesen, als die Flüchtlingskrise über Deutschland hereinbrach. Und auch die Gedanken zum Grundgesetz und dem Recht wären es wert gewesen, reflektiert zu werden, damit sie ab 2014 bis in das 70. Jahr des Grundgesetzes hinein verhindern, dass sich die Rechtsprechung in Deutschland zunehmend vom Grundgesetz und dem Recht entfernt.

„Ich möchte mal so sagen: Normalität ist, was durch das Grundgesetz und seine ihm folgenden Regelungen gegeben ist. Auch das, was wir von Kindheit an lernen und das, was uns in Reden angeboten wird, denn jedem allzu großen Abweichen von der Normalität würde durch den öffentlichen Aufschrei Einhalt geboten. Unser tatsächliches Tun weicht aber immer mehr von dieser Normalität ab, nutzt sie als Hülle, um sich zu verstecken und entwickelt ganz eigene Formen, sich durchzusetzen. Normalität wird im Tun zunehmend in eine Richtung verschoben, die Normalität aus der Egozentrik von Gruppen heraus bestimmt.

Das kann uns gesamtgesellschaftlich nicht recht sein, weil es zu Diskrepanzen führt, die unsere Gesellschaft zunehmend zerreißen und letztendlich Tendenzen Vorschub leistet, die wir nach vorherrschender Meinung normalerweise als unnormal betrachten. Damit aber schwächen wir uns hinsichtlich der gravierenden Herausforderungen, vor denen unser Land steht und die eine vollkommen neue Qualität darstellen gegenüber alldem, was wir bisher an Erfahrungen aufnehmen konnten.“

2013

Das Jahr der NSA-Affäre. Das Jahr, in dem Edward Snowden und der BITKOM den Verfasser motivierten, sich mal wieder um Dinge zu kümmern, die ihn normalerweise nichts angehen, zu denen Volker Bouffier aber sagt: „Als Bewohner ist man noch kein Bürger. Wenn jeder nur das täte, was er muss, wäre unsere Gesellschaft kälter und ärmer.“ Es ist das Jahr, in dem die deutsche Politik die deutsche Souveränität verrät und in den Folgejahren das Land mit Gesetzen tapeziert, ohne den Eindruck zu vermitteln, dass es parallel bemüht ist, die feuchten Keller zu sanieren. Dabei hätte die Auseinandersetzung damit ein enormes Potential gehabt, das Vertrauen des Volkes in seine Führung zu stärken und wäre damit dem entgegengetreten, was sich ab 2014 mit wachsender Dynamik entfaltete.

Und noch jemand begann, auf die Welt auszustrahlen. Papst Franziskus. Es ist ein großer Jammer, dass dieses Geschenk Gottes nicht seine mögliche Strahlkraft entfaltete. Die beschränkten Bemühungen des Verfassers, auf diese in verschiedener Weise hinzuwirken, waren ohne Erfolg. Insbesondere im Zusammenhang mit dem Reformationsjahr 2017 kamen unglaubliche Potentiale nicht zum Tragen, die Herzen der Menschen zu wärmen und ihnen Orientierung zu geben.

2014

Das Jahr, in dem die Flüchtlingskrise über Deutschland schrittweise hereinbricht, PEGIDA zu einem Begriff wird, der Krieg in der Ukraine beginnt, in der Papst Franziskus eine bemerkenswerte Weihnachtsansprache vor der Kurie hält.

Die Verdrängung sucht sich weitere Gelegenheiten, um sich noch mehr breitzumachen: „Ob NSA- Affäre, die Ukraine- Krise, hundertjähriges Gedenken des Ersten Weltkriegs, 25 Jahre Deutsche Einheit, Pegida oder die Rede von Papst Franziskus vor Weihnachten zu der Kurie: Wir verdrängen, woraus es ankommt, lassen uns mental berieseln und zunehmend jegliche Fähigkeit vermissen, in diesen Ereignissen nach dem Sinn zu suchen, um diesen dann als Nahrung zu nutzen, die uns die Kraft gibt, den zunehmenden Herausforderungen Stand zu halten. Wir sind bis in die Spitzen der Gesellschaft hinein gelähmt, frei zu denken, frei zu entscheiden und dann so zu handeln, dass es sinnvoll ist. … Eine freiheitliche demokratische Grundordnung kann man ebenso wenig per Order di Mufti, Sonntagsreden oder bezahlte Marketingkampagnen durchsetzen wie das Verständnis ´Wir sind ein Volk´. Derartiges ist nur umsetzbar, wenn es in allen Teilen der Gesellschaft permanent gelebt wird. Themen, um dies zu tun, gibt es genug.“

Die fehlende substanzielle Auseinandersetzung allein mit diesem Jahr kam Deutschland teuer zu stehen. Neben der veränderten politischen Landschaft sind es insbesondere die Russland-Sanktionen, die Deutschland nach einer Studie von Wissenschaftlern aus Hongkong und Kiel seit 2014 monatlich 700 Millionen Dollar an Handelsverlusten beschert. Der Irrsinn von letzterem wird deutlich, wenn man berücksichtigt, dass die USA mit Abstand der größte Investor in Russland sind.

2015

Die Flüchtlingskrise, Griechenland, europäische Krise, die Ukraine- Krise, Syrien, Islamischer Staat, Bankenkrise, TTIP, der Abgasskandal, das IT-Sicherheitsgesetz- das Jahr hatte es in sich. Papst Franziskus findet wieder eine ganze Anzahl von sinnvollen Worten. In dem Jahr bezahlt der Verfasser für sein Versagen, der Politik nicht ausreichend erläutert zu haben, warum sie sich mit der NSA-Affäre nachhaltig beschäftigen sollte.

„Es wird sicher zunehmend herausfordernder, langfristig angelegte Strategien zu durchdringen, sich abzeichnende Risiken zu bewerten, eigene Visionen zu entwickeln und entlang dieser dann zielorientiert zu handeln. Die Menschheit ist an einem Punkt ihrer Entwicklung angelangt, die ein Nachdenken darüber erforderlich macht, ob die gegenwärtigen Entwürfe individuellen und gesellschaftlichen Wirkens geeignet sind, dem Individuum und der Welt insgesamt weiteren Bestand zu sichern. Nicht nur ein Nachdenken über den Zustand und den Fortbestand der uns umgebenden Natur ist notwendig, sondern gleichfalls hinsichtlich der menschlichen Natur. Eine komplexe Welt, die wie in ein schwarzes Loch hinein zunehmend alles versucht, in sich zu vereinnahmen und zu kontrollieren, die auf ungehemmten Wachstum und Ausbeutung jedweder und nicht zuletzt menschlicher Ressourcen ausgerichtet ist, benötigt des Korrektivs individueller Freiheit, individueller Substanz, will sie nicht ihren eigenen Untergang herbeiführen. Wie Freiheit nicht allein räumlich, ist Substanz nicht allein primär intellektuell determiniert. Unsere ethischen Leitlinien, entlang derer wir analysieren, interpretieren, visionären und handeln, verlieren zunehmend ihr moralisches Gewicht. Beliebigkeit macht sich breit. Werte müssen wieder an Wert gewinnen- individuell und für die Gemeinschaft.“

Man kann es kurz machen: Der Appell wurde nicht erhört. Oder, besser ausgedrückt: Gehört, aber nicht im empfohlenen Sinn verarbeitet.

2016

Die EZB entfacht das Börsenfeuer, Donald Trump wird 58. Präsident der USA, Deutschland verletzt in der Ukraine- und Russlandpolitik weiter seine eigenen Interessen und muss ausbaden, was die USA und ihre Verbündeten im Nahen Osten und Afghanistan anstellen, Demagogie hat Konjunktur.

„Die Börsen spielen mit dem Geld der Steuerzahler weiter munter Monopoly, doch über dem Land breitet sich Unruhe aus und der gesunde Menschenverstand fragt sich: Wie lange kann das noch gutgehen? … Hinsichtlich gesellschaftpolitischer Prozesse meint man jedoch, es würde helfen, einfach immer nach dem Motto so weiter zu machen, die Probleme würden von selbst verschwinden, wenn man nur genügend lange die Augen davor verschließt. Ist das schon Altersstarrsinn, der sich jeder Empfehlung versagt, selbst wenn diese das Leiden lindern oder heilen könnte? Den zurückliegenden Jahren der Verdrängung wurde ein weiteres Jahr hinzugefügt und man fragt sich, wie lange es noch dauern wird, bis es zu irreversiblen Schäden kommt, die mit den klassischen Behandlungsmethoden nicht mehr zu heilen sind. Doch während die Politik sich vor der aufziehenden Kälte schon beginnt, warm anzuziehen, weil sie die Probleme unter dem Teppich nicht mehr gebändigt bekommt und es ihr vor den nächsten Wahlen graut, spielen die Schalmeien noch ihr Lied und verkünden die Botschaft von einem warmherzigen und menschlichen Land.“

Nun, vier Jahr später, kann konstatiert werden, dass es noch immer gut geht. Aber der Altersstarrsinn hat sich weiter vertieft, einiges ist über die Wahlen unter dem Teppich hervorgekrochen und hat die politische Landschaft verändert. Die Politik nutzt, wie China, jede Gelegenheit, sich wärmer anzuziehen. Und die Schalmeien spielen immer noch.

2017

Es ist das Jahr der Bundestagswahl, das Jahr des Reformationsjubiläums. Während ersteres den Nachweis erbrachte, dass maßlose Egozentrik der Eliten ihren Preis hat, zeigte letzteres, dass die Kirchen als wertbildende Orientierungspunkte auffallen, weil sie in gleicher Weise dem Mammon verfallen sind, das Jubiläum als Marketinginstrument zum Gelddrucken missbrauchen und den ignorieren, der die die Politik sanieren und die Apathie wie auch die Unersättlichkeit überwinden will,

„Die Welt durchläuft eine Zeitenwende, in der sich die Überlegenheit und Dominanz der Systeme wieder nach Asien verlagert. Wie das vor der Zeitrechnung schon mal der Fall war. China gewinnt immer mehr an Kraft im Wettbewerb der Staaten, die USA sucht nach ihrem Verständnis, wie sie mit der Kräfteverschiebung umgehen soll und einige wenige multinationale Konzerne konzentrieren immer mehr Macht und Wirtschaftskraft auf sich. Es gibt eine große Vielfalt dessen, wie die westliche Welt auf diese Entwicklung reagiert, bei der man in der Natur sagen würde: Sie ist gekippt.

Statt das Europa dabei kraftvoll mitspielt, verschleißt es sich im Klein-Klein der Egoismen, der hohlen Phrasen, dem Stopfen von Löchern, um das eigentliche Elend zu verbergen sowie dem willfährigen Handeln nach dem Diktat der Amerikaner und Lobbyisten. Europa wird für dessen stärkstes Zugpferd inzwischen zur Belastung. Insofern muss man sich sehr wohl überlegen, ob es in der gegenwärtigen Verfassung sinnvoll ist, mehr Europa zu wagen. Es zeigt sich in gleicher Weise wie schon bei der deutschen Einheit, dass der lange Schatten verfehlter Orientierungen zwar der Wirtschaft große Märkte eröffnen kann, diese aber parallel mit massiver Verschuldung der Volkswirtschaften und zunehmender Verschärfung gesellschaftlicher Ungleichgewichte erkauft werden.

Als ein ganz wesentliches Problem erscheint, dass die globalen, nationalen und regionalen Eliten der westlichen Welt die Fähigkeiten ihrer Gesellschaften schwächen, in dem Wettbewerb der Systeme mithalten zu können.

Am 21.12.2016 schrieb der Verfasser mit Blick auf die zurückliegenden Landtagswahlen an den Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt, Rainer Haseloff: „… Ist nicht die heutige Kirche in ihrer evangelischen, aber auch katholischen, Weise Folge dessen, dass Luther neben die Spur gelangte und so zu seiner Innovation kam: Den Thesen als Quelle der Reformation? Ich habe schon mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass man Papst Franziskus als den lebenden Luther betrachten kann, der in seiner Weise bemüht ist, neben die Spur zu führen. Sollten wir das Licht in Rom nicht nach Sachsen-Anhalt bringen, damit wir nicht nur das Ursprungsland der Reformation sind, sondern das Land der Reformation werden?“ Hätte man damit die weitere Entwicklung beeinflussen können? Der Verfasser ist davon überzeugt.

2018

Die Parteien machen viel Wind und ignorieren schon längst die Ergebnisse der Bundestagswahl und ihre Behauptung: Wir haben verstanden.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in seiner Weihnachtsansprache 2018: „Ich habe den Eindruck, wir Deutsche sprechen immer seltener miteinander. Und noch seltener hören wir einander zu. … Und mehr noch als der Lärm von manchen besorgt mich das Schweigen von vielen anderen. Immer mehr Menschen ziehen sich zurück unter Ihresgleichen, zurück in die eigene Blase, wo alle immer einer Meinung sind – auch einer Meinung darüber, wer nicht dazugehört. … Wir müssen wieder lernen, zu streiten, ohne Schaum vorm Mund, und lernen, unsere Unterschiede auszuhalten. … Aber wer gar nicht spricht und erst recht nicht zuhört, kommt Lösungen kein Stück näher. Sprachlosigkeit heißt Stillstand. … Was passiert, wenn Gesellschaften auseinanderdriften, wenn eine Seite mit der anderen kaum noch reden kann, ohne dass die Fetzen fliegen – das sehen wir in der Welt um uns herum. Wir haben brennende Barrikaden in Paris erlebt, tiefe politische Gräben in den USA, Sorgen in Großbritannien vor dem Brexit, Zerreißproben für Europa in Ungarn, Italien und anderswo. Und wir, in der Mitte Europas, sind natürlich nicht geschützt gegen solche Entwicklungen. Auch bei uns im Land gibt es Ungewissheit, gibt es Ängste, gibt es Wut.“

Gründe für die Wut sind durchaus leicht zu finden: „Die WELT schreibt am 08.11.17: „Obwohl die deutsche Wirtschaft seit Jahren boomt, die Beschäftigung auf Rekordniveau liegt und Renten und Löhne zuletzt deutlich gestiegen sind, lebt fast ein Fünftel der Bevölkerung in prekären Verhältnissen. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes sind hierzulande 16 Millionen Menschen von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht.“ Das allein sind schon 20 Prozent der Bevölkerung. Nach einem Bericht der ZEIT vom Juli vergangenen Jahres lagen 62% der Renten Ende 2016 unter 1.000 EUR. Das sind über 11 Millionen Rentner. SPIEGEL ONLINE schreibt am 18.05.18: „Deutschland erlebt ein atemberaubendes Auseinanderdriften der Einkommen“. Deutschland liegt in der Spitzengruppe der Länder, in denen die Vermögen am ungerechtesten verteilt sind und die Hälfte der Bevölkerung besitzt weniger als 15.190 EUR, wobei es in Ostdeutschland weniger als 8.000 EUR sind.“ Doch die Politik geht konsequent ihren Weg und beschäftigt sich mit Kinder…kram.

Dieser kleine, bei weitem nicht vollständige, Rückblick zeigt, wie wenig die zurückliegenden Jahrzehnt genutzt wurden, um die gesellschaftliche Entwicklung in Deutschland voranzubringen, Ganz im Gegenteil wurde viel dafür getan, dass Deutschland Schaden nahm.

2019

Nun gilt es noch, dem zurückliegenden Jahr ein wenig an Erkenntnis abzuringen, wobei das diesmal mit Blick auf die in diesem Jahr verfolgte Absicht, zehn Jahre Revue passieren zu lassen, etwas kürzer ausfällt und in der Fülle der Themen nur die Weihnachtsansprache des Bundespräsidenten, die Neujahransprachen der Bundeskanzlerin und des Ministerpräsiden-ten von Sachsen-Anhalt, den Klimaschutz und eigene Erfahrungen auf Twitter aufgreift, wo sich der Verfasser seit November tummelt, um seine Situationskomik zu reizen.

Sicher gab es noch andere Themen. So war man bemüht, über die Führungsprozesse in der CDU und der SPD im gesamten Jahr für Unterhaltungswert zu sorgen, doch die erreichten Gähnattacken im Volk konnte man über Landtagswahlen erahnen. Auch das gegen Russland gerichtete Feindbild wurde, vollkommen wiedersinnig (à ein bemerkenswerter Horst Teltschik, der zum Ausdruck bringt: „Wir erleben eine Erosion der internationalen Ordnung. Wir erleben eine Erosion der Europäischen Union. Das scheint viele wenig zu bewegen. Wenn sie sehen, um was wir uns in Deutschland kümmern, dann frage ich mich schon, ob wir die richtigen Prioritäten setzen.“), um weitere Pinselstriche erweitert, doch wurde dazu schon recht ausführlich Stellung genommen. Auch die gegen den amerikanischen Präsidenten Donald Trump gepflegten Ausfälle erscheinen hochgradig sinnfrei.

Generell hat der Verfasser den Eindruck, dass neben der schon lange vernachlässigten Innenpolitik- die aus dem Aspekt der Sicherheit dem Innenminister, der sozialen Befriedung dem Sozialminister und ansonsten den Parteien überlassen wird-, auch die Außenpolitik verkümmert- wenn man von den sich, auch vom Verfasser geforderten, langsam entfaltenden Bemühungen um Afrika absieht, die aber auch sehr singulär betrieben werden. In Madrid, wie noch auszuführen ist, wurden Möglichkeiten versäumt, wahrgenommen zu werden und beim NATO-Gipfel zum 70. Jahrestag des Bestehens, bei dem- entgegen den Gepflogenheiten anderer Länder-, die Verteidigungsministerin und der Außenminister fehlten, fragte man sich wohl, was in Deutschland los ist.

Ansonsten verkümmern selbst die Worte, wenn als Maßstab betrachtet wird, wozu Willy Brandt und Helmut Kohl fähig waren und in Ermangelung dessen greift der Kleingeist zu Demagogie und nicht erfüllbaren Forderungen, was in der Folge einen Rohrkrepierer nach dem Anderen nach sich zieht, aber sich solchen Fragestellungen wie der, aktiv gegen das wieder um sich greifende Wettrüsten vorzugehen, entzieht.

Im zurückliegenden Jahr haben sich die Lähmungsprozesse, die insbesondere nach der Bundestagswahl an Fahrt aufgenommen haben, weiter verstärkt. Viel Palaver, viele Kompromisse, wenig Führung, wenig Orientierung, wenig Konzepte- noch nicht einmal umfassende Lagebilder und schon gar keine Visionen. Das Land ist beschäftigt und nach wie vor erfolgreich- wenn Erfolg an dem gemessen wird, woran gemessen wird. Wofür aus jüngster Zeit die Erfolgsmeldungen der GroKo herhalten können, die ihren Zusammenhalt damit rechtfertigt, dass große Teil des Koalitionsvertrages erfolgreich abgearbeitet wurden. Dass dieser in großen Teilen aus den Einflüsterungen der Lobbyisten erwuchs und die Landtagswahlen dieses Jahres nicht den Nachweis erbrachten, dass der Koalitionsvertrag nachhaltig erfolgreiche Folge der Aussage, „Wir haben verstanden“ ist- ansonsten hätte sich der vermeldete Erfolg in den Wahlergebnissen niederschlagen müssen-, blieb unreflektiert.

Ähnlich sieht es aus, wenn man sich die Erfolgsmeldungen von 30 Jahren Wende in der Weihnachtsansprache des Bundespräsidenten sowie in den Neujahrsansprachen der Bundeskanzlerin und des Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt, Dr. Reiner Haseloff, anhört. Sie zeichnen weiter einfach stur ein falsches Lagebild, dass keinerlei Substanz bereithält, um den Verwerfungen in der Gesellschaft begegnen zu können. Es funktioniert einfach nicht, einer Gesellschaft, wie sie heute gegeben ist, in der Weise nachhaltig einen Stempel aufzudrücken, der die freiheitliche demokratische Grundordnung schützt und zum Beweis reicht es schon aus, sich die Kommentare auf Twitter dazu anzusehen.

Wenn der Bundespräsident im Zusammenhang mit dem Anschlag auf die Synagoge in Halle fragt, „Es ist die Eingangstür der Synagoge in Halle. Und: Es ist ein Wunder, dass sie standgehalten hat. … Diese Tür, diese angegriffene Eingangstür zur Synagoge, sie steht in meinen Augen für noch mehr. Sie steht auch für uns. Sind wir stark und wehrhaft?“ und somit implizit verbindet, man müsse stärker und wehrhafter werden, so scheint die Symbolkraft der Tür von Halle eine andere zu sein, wenn es darum geht, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu verteidigen. Einem Herangehen im Kampfsport gleich- konzentriere dich auf die nichtschlagende Hand-, müssen die Menschen und die Gesellschaft insgesamt vielmehr verletzbarer, sensibler werden, damit die Wehrhaftigkeit gestärkt wird und egal was es an Herausforderungen gibt, einen Substanzwert entwickeln, der allem gewachsen ist. So wie es dann lief- in vielfacher Weise ausgedrückte Betroffenheit, stärkere Bewachung und Überwachung-, wird man derartigen Wahnsinn nicht aus der gesellschaftlichen Verfasstheit verbannen können.

Wenn der Bundespräsident den Eindruck äußert, „von zu wenig Meinungsfreiheit kann in meinen Augen nicht die Rede sein. Ganz im Gegenteil: so viel Streit war lange nicht.“, so manifestiert sich die Freiheit zunächst mal nicht am Umfang des Streits und ganz im Gegenteil scheint es, dass die Meinungsfreiheit immer mehr daniederliegt. Das Schweigen- ergänzt um eine große Vielzahl von Instrumenten, im Stillen der Meinung zu begegnen, und im Lauten die Fassade zu wahren-, ist das vielleicht größte Innovationshemmnis unserer Zeit. Und die Meinungsfreiheit das größte Diskriminierungsopfer. Doch stellt man das erst fest, wenn man sich den tatsächlichen Problemen der Zeit zuwendet- im privaten wie auch im gesellschaftlichen Leben. Jedes Bemühen, daran etwas zu ändern, erzeugt zunehmend aggressivere Ressentiments und jede Änderung fällt zunehmend schwer.

Wenn die Bundeskanzlerim der Überzeugung ist, „Dazu brauchen wir mehr denn je den Mut zu neuem Denken, die Kraft, bekannte Wege zu verlassen, die Bereitschaft, neues zu wagen und die Entschlossenheit, schneller zu handeln. In der Überzeugung, das ungewohntes gelingen kann und gelingen muss, wenn es der Generation der jungen Menschen und ihrer Nachkommen noch möglich sein soll, auf dieser Erde gut leben zu können“, dann kann das nicht in freundliche Worte gepackt, sondern muss dem Ernst der Lage entsprechend vermittelt werden.

Wenn der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Dr. Reiner Haseloff, davon spricht, „Sachsen-Anhalt wird weiter ein Land sein, in dem wir, in dem wir friedlich zusammenleben, in dem jeder Mensch seinen Platz und seine Chance findet- unabhängig, von Glauben, Herkunft und Weltanschauung. … Wir wollen auch in den kommenden Jahren gemeinsam alles daran setzen, dass alle Menschen im Land verständnisvoll und tolerant miteinander umgehen. Es gibt Herausforderungen, denen wir uns gemeinsam stellen müssen. … Wir brauchen Stabilität und eine starke gesellschaftliche Mitte, die für das einsteht, was unser Land auszeichnet: Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Weltoffenheit und Fleiß. Lassen Sie uns zusammen das Jahr 2020 zu einem guten und erfolgreichen Jahr für unser Heimatland Sachsen-Anhalt machen“, so muss Sachsen-Anhalt liefern und er muss das selbst vorleben. Beides funktioniert nicht.

Wenn Mut zu neuem Denken und die Fähigkeit, eingeschlagene Wege zu verlassen, notwendige Kriterien zur Bewältigung der gesellschaftliche Herausforderungen sind und die politische Bereitschaft artikuliert wird, diese Notwendigkeit anzuerkennen, so erscheint es als nicht zielführend, derartige Eigenschaften zu ignorieren, zu belächeln, zu isolieren und zu bekämpfen.

Den eigenen Blick auf die Wende hat der Verfasser insbesondere in seinen Neujahrswünschen von 2018 und am 10.11.19 in 5 Treads auf Twitter zur Diskussion gestellt.

Die Debatten um den Klimaschutz haben das Jahr mit geprägt. Das Eintreten für den Klimaschutz ist eine überaus notwendig gewordene wie auch begrüßenswerte Aktivität, die aber nur dann einen wirksamen Beitrag leisten kann, wenn sie Teil eines umfassenden Erneuerungsprozesses wird. Auf das Klima wird man nur dann nachhaltig wirken können, wenn es einen nachhaltigen Einfluss auf das gesellschaftliche Klima gibt. Ansonsten können darüber tolle Geschäftsmodelle wachsen. Aber das Klima wird darüber wahrscheinlich weiter Schaden nehmen. Da geht es dem Thema wie einem Anderen: Der Sicherheit.

Diese und andere Themen eint, dass sie nicht entlang der Art und Weise behandelt werden, die ein Zahnarzt anwendet, wenn er bei einem Zahn eine Karies feststellt: Er beseitigt die Karies bis zum verfügbaren harten Grund und baut den Zahn dann neu auf. Die deutsche Politik wendet eine deutsche Innovation an, um die Probleme in den Griff zu bekommen: Sie erhöht die Zucker-Steuer. Im Bereich Sicherheit ist die Steuer gebunden an solche Themen wie die DSGVO, das IT-Sicherheitsgesetz und die ab 2022 verpflichtend geltenden Kontrollsysteme im Auto als Beitrag neben Anderen, in Europa eine umfassende Massenüberwachung zu erreichen, ohne dass die Bürger sich dessen bewusst werden. Der Kleingeist diktaturisiert schrittweise durch die Hintertür Europas Demokratie und nimmt ihm sein wesentliches Potential: Die Vielfalt seiner Freiheit.

Wie sehr das Klima das Klima beeinflusst, sei an zwei Aspekten ein wenig beleuchtet: Der Klimakonferenz in Madrid und dem Green Deal der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. In Madrid haben 25.000 Teilnehmer zwei Wochen lang versucht, den Berg kreissen zu lassen. Dabei hätte es einer einzigen Maus bedurft, um zu dem letztendlichen Ergebnis zu kommen.

Es war nicht anders zu erwarten. Die Welt gerät zunehmend aus den Fugen, weil die Konzentration auf allen gesellschaftlichen Ebenen- privat, beruflich, unternehmerisch, regional, national, überregional, global-, exponentiell zunehmend so auf die Erreichung eigener und am besten kurzfristiger Vorteile ausgerichtet ist, dass für eine Wahrnehmung der damit verbundenen Konsequenzen- wie der sinnlosen Vergeudung von Ressourcen-, für ein Umdenken oder gar ein konzertiertes Handeln dagegen gar keine Kraft vorhanden ist. Hinzu kommt, dass es auf der jeweils anderen Seite der Problembewältigung noch ausreichend divergierende Interessen gibt, die jeden dann doch noch überlebenden Fortschritt noch weiter neutralisieren.

All die Kungelbrüder- die sich mit ein paar Klimaaktivisten grün schmückten-, konnten auch in den zwei Wochen nicht einfach ihr Wesen verleugnen. Und so redeten 25.000 Teilnehmer zwei Wochen lang munter miteinander, machten sich wichtig und genossen ansonsten das Madrider Leben. Aber erreichen konnten sie nichts. Dazu fehlte ihnen einfach die Autorität. Und eigentlich auch die Kompetenz. Das Ziel, mit substanziellen Beiträgen der Klimakatastrophe entgegenzutreten, erscheint nur umsetzbar, wenn sich die G8 darauf verständigen würden, sich mit den G20 auf ein gemeinsames Herangehen zu verständigen, in dem Experten- und Technokraten-Teams für relevante Sachgebiete auf UN-Ebene mit konkreten Aufträgen ausgestattet und deren Maßnahmepakete dann global durchgesetzt werden.

Wenn sich Europa in Madrid mit dem „Green Deal“ brüstet, so sollte man erkennen, dass die Absicht nicht „Green Future“ oder „Green Hope“ heißt. Die Orientierung ist ganz klar ausgerichtet auf Geschäft- was auch ein wenig Klarheit zu den Ideengebern bringt. Die Annahme bekommt Bestätigung, wenn berücksichtigt wird, dass die EZB ihr Mandat auf den Klimaschutz ausdehnen will und Christine Lagarde überaus erfreut über das Projekt ist. Und ein Geschäft, dass man im Auge hat, lässt wenig Raum, der Umgestaltung der Wirtschaft oder gar der Gesellschaft offen entgegenzutreten. Insofern kam Madrid schon aus dem Grund viel zu früh: Weil man für das Geschäft noch nicht gerüstet ist. Das Klima lässt sich aber von solchen Betrachtungswinkeln nicht beeindrucken. Wenn Deutschland mit seinem Mäuschen- also, dem Klimapaket-, meinte, Madrid beglücken und vor den Kameras gewichtig tun zu können, um sich schließlich enttäuscht zu zeigen, so ist das sowohl selbstverschuldetes Leid als auch vertane Chance, Deutschland auf der internationalen Bühne zu profilieren. Eigentlich hätten die Kanzlerin und der Außenminister dort zwei Wochen Tag und Nacht arbeiten und sich ihren Weihnachtsurlaub verdienen müssen.

Doch das Umweltthema trägt in sich auch die Möglichkeit, sich einem anderen Thema von ähnlicher Bedeutung zuwenden zu können: Globaler Frieden. Alle Menschen bewohnen diesen einen Planeten und nur zusammen wird es gelingen, ihn als Arche zu erhalten. Das Klima wie auch die Welt zu retten, erfordert aber Veränderung im Wesen der Menschen und so erscheint der Gedanke nicht falsch, sich erst dem oder zumindest parallel auch dem zuzuwenden. Das Arbeiten am Wesen erfordert aber ein Arbeiten an den wirkenden Werten: Das Faszinierende am Allgemeinen ist die entfaltbare Vielfalt des Konkreten.

Fridays for Future hat sicher ganz erheblichen Einfluss auf die gesellschaftliche Verfasstheit genommen und- wenn man so will-, ähnlich wie die Gelbwesten in Frankreich, sogar Einfluss genommen auf das politische Handeln. Und es zeigt: Die Jugend lebt. Das ist gut so. Zumal der Kampf, um dem Klimawandel entgegenzutreten und dessen Folgen zu bewältigen, eines der wesentlichen Themen der nächsten Jahrzehnte sein wird.

Umso mehr ist es dafür gut, das Handeln der Jugend ein wenig einzuordnen, um daraus einen Beitrag für die Nachhaltigkeit dessen zu erbringen. Es ist ja nicht nur so, dass Fridays for Future inzwischen von der Politik, von Künstlern und anderen Gruppen geentert wurde und für eigene Interessen missbraucht wird. Es ist ´In´, dabei zu sein. Man schmückt sich damit und alles Mögliche an krudem und überzeichnetem wird inkludiert. Ein wenig ist es wie beim Reformationsjubiläum: Es wird als Unterhaltung konsumiert und als Marketinginstrument missbraucht.

Viel entscheidender ist aber, wie sich die Auseinandersetzung mit dem Thema in der individuellen Verfasstheit niederschlägt und somit genügend Substanz für andere Auseinandersetzungen produziert. Abhängig ist das von der Art und Weise wie auch die Tiefe der Auseinandersetzung. Man kann nicht unberücksichtigt lassen, dass die Jugend nicht abseits einer von Eigennutz, Werteverfall und Nichtssagenheit geprägten Welt existiert, in der der Kleingeist den Zeitgeist dominiert und sich jeder noch so kleinen Regung des Freigeistes entgegenstellt.

Wer sich, beispielhaft, mit seinem Kind im MDR-Fernsehen bei Fridays for Future ablichten lässt, aber brutale Alltagsdiskriminierung von allem betreibt, was dem eigenen Denken fremd ist- und dabei noch vom Gutmenschentum gefeiert wird, das sich in Ermangelung an Auseinandersetzung bei jeder Abweichung vom gewohnten überanstrengt zeigt-, mag den Event feiern und die Bewegung für den Klimaschutz um 1 bis 2 Personen vergrößern. Aber wird wahrscheinlich schon ausfallen, wenn es allein darum geht, die Gesamtkomplexität dieser Singularität nachhaltig in den Griff zu bekommen, weil einfach der Jungmädchengeist verloren ging und insofern fehlt.

Dieser Geist wie auch etwas umfassender der Freigeist werden nicht zuletzt auch benötigt, um Lösungen für konkrete Problemstellungen weder aus einem individuellen Interesse abzuleiten noch die Lösungsangebote aus einem Scheuklappendenken heraus zu diskreditieren bzw. sie als alternativlos durchpeitschen zu wollen. Als Beispiele können die Diskussion um das Tempolimit von 130 km/h und die CO2-Steuer dienen. Beide Themen werden aus den Schützengräben der Interessen und Glaubensrichtungen sowie aus dem Blickwinkel geführt, dass die eigene Vorstellung alternativlos ist. Dieses generell in der Gesellschaft verbreitete Herangehen hat sich inzwischen so aufgeschaukelt, dass die Kosten aus den damit verbundenen Reibungsverlusten von der Gesellschaft zunehmend nicht mehr tragbar sind und alles Neue hochgradig blockieren.

Schaut man auf das Ziel, die Geschwindigkeit auf Autobahnen auf 130 km/h zu reduzieren, so ist die Frage, aus welcher Motivation heraus an das Thema herangegangen wird. Die Reduzierung des CO2- Ausstoßes dürfte die geringste Motivation sein: Die neue SPD-Führung sucht Aufmerksamkeit und evtl. Gründe, aus der GroKo auszusteigen und die CDU/CSU ist bemüht, die Aufmerksamkeit von den aufgerufenen Schadenersatzforderungen über 560 Millionen EUR für das Maut-Debakel wegzulenken. Da geht unter, dass die Anzahl der Verkehrstoten auf Deutschlands Landstraßen fast viermal höher ist als auf den Autobahnen. Auf der Nutzenseite denkt sich die Automobilindustrie, dann würden unsere Batterien länger durchhalten und ein Argument für die Durchsetzung der Elektromobilität liefern.

Aber muss da nicht vielleicht mehr Brain hineingesteckt werden, um mehr zu erreichen als das Klimaschutzprogramm 2030 der Bundesregierung und eine Reduzierung des CO2- Ausstoßes um weniger als 0,3 Prozent? Würde es, beispielhaft nicht mehr bringen, einen kostenlosen Nahverkehr und halbierte Bahnpreise? Müsste man sich nicht viel mehr den größten Emittenten zuwenden- der Industrie und den Haushalten? Und konsequent über alternative Antriebe und Kraftstoffe dem Ausstoß bei Flugzeugen und Schiffen zu Leibe rücken? Was würde es bringen- nicht die Idee des Verfassers-, parallel zu den Autobahnen Bahnstrecken zu installieren, über die LKW´s transportiert und von der Straße genommen werden- und einen solchen Gedanken zum Anlass nehmen, dem Volk aufs Maul zu schauen, was es noch an Ideen und Expertise beisteuern kann? Warum müssen wir jahrelang Pillepalle durchs Dorf treiben und nichts erreichen oder allenfalls: Pillepalle? Die Zeit drängt doch. Und macht es aus diesem Grund nicht vielleicht doch Sinn, den Atomkraftwerken ein paar Jahre mehr zu geben, bis die anderen Maßnahmen ihre Wirkung entfalten?

Derartige Ausdifferenzierung für jegliche, von der Gesellschaft als relevant betrachtete, Problemstellungen wird nur gelingen, wenn Instrumente zur Verfügung gestellt werden, die den Reichtum der Gesellschaft an Kreativität und Tiefenkompetenz dafür erschließen. Das wichtigste Instrument dafür dürften der Kampf gegen den Eigennutz und den Starrsinn sowie Transparenz sein. Die Einführung eines solchen Handelns in ein gesellschaftliches Selbstverständnis erfordert Lernprozesse auf allen Seiten und insbesondere auch, das Herangehen als Aspekt der Bemühung zu sehen, an dem wirkenden Wertekanon der Gesellschaft zu arbeiten. So erfordert die Freiheit des Diskurses die Bemühung, den Wert der Gedanken Anderer zu identifizieren und zu würdigen statt sie zu diskreditieren, die Bereitschaft, daraus abgeleitete Entscheidungen mitzutragen und die Verantwortung in der Führung, objektiven Interessen zu dienen. Ein gedankliches Konstrukt, dass der Verfasser für ein solches Denken anbietet, ist Germany First- als Weiterentwicklung des Gedankens Sachsen-Anhalt für Deutschland. Wir müssen die stillen Reserven aktivieren, die im Humankapital unserer Gesellschaft zur Verfügung stehen.

Der Verfasser war im zurückliegenden Jahr recht umfangreich bemüht, den Anregungen des Bundespräsidenten aus seiner Weihnachtsansprache aus 2018 zu folgen- die ja schon in den zurückliegenden Neujahrswünschen reflektiert wurden-, in denen er anregte: „Wir müssen wieder lernen, zu streiten, ohne Schaum vorm Mund, und lernen, unsere Unterschiede auszuhalten. Diese Bemühungen waren fast ausschließlich vergeblich und verdeutlichten, dass der bedeutsamste Teil dieses Satzes wohl sein drittes Wort ist- „wieder“. Doch wo man auch hinschaut: Überall die gleiche Erfahrung.

Das auch in der Mitte des Satzes des Bundespräsidenten bedeutsames enthalten ist, weiß der Verfasser seit vielen Jahren und das zurückliegende Jahr hat dafür eine ganz neue Qualität geliefert und zu dem Eindruck geführt, dass das 70. Jahr des Grundgesetzes zu einer Schande für die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland geworden ist. Diesen Erfahrungen hinzugefügt wird, was sich seit Anfang November auf Twitter erschließen lässt.

Was als erstes auffiel: Die Allerwenigsten bewegen sich dort ohne Visier und von denen, die das dann tun, wurden dem Verfasser einige zugeführt, die wohl nicht nur das Visier ablegen- wohl in der Annahme, dass sich daraus vielleicht ein Abschreckungspotential herausarbeiten lässt, sich den Tweets des Verfassers zuzuwenden und ihm zu folgen.

Doch als das nicht gelang, gingen fast überall, wo sich der Verfasser bewegte, plötzlich die Lichter aus. Die eigentliche Bedeutung dessen wird einem erst bewusst, wenn man sieht, welche Flut an Hass, Wirrnis, Banalität und Ergebenheitsbekundungen sich hell erleuchtet ansonsten ungebremst Bahn brechen kann. Anders ausgedrückt: Die Bemühungen von Twitter, die Qualität des Dialogs durch bestimmte Funktionen zu befördern, wurden durch den Kleingeist schon längst geentert- sicher auch vom Verfasser, der sich in seinen Bemühungen um die nackten Tatsachen nicht durch nackte Tatsachen stören lassen wollte-, und lassen die Anregungen des Bundespräsidenten zur Farce werden. Die Diktatur des Kleingeistes bekämpft durch Schweigen und Ausgrenzung aus den Hinterzimmern die Meinungsfreiheit.

Ohne Zweifel spannend ist es in diesem Zusammenhang auch, einer Anregung der Landesregierung von Sachsen-Anhalt zu folgen, die im November einen ursprünglich aus dem Bauhaus-Jubiläum hervorgegangenen Slogan #modernDenken für Sachsen-Anhalt entschied, für das Land insgesamt zu verwenden. Entfernt man mal, was seitdem unter „@berndliske #modernDenken“ und „@LiskeAphorismen #modernDenken“ zu finden ist, so bleiben fast ausschließlich dumpfe Meldungen darüber übrig, wie toll man ist.

Nun soll damit in keiner Weise diskreditiert werden, was es an tollem in Sachsen-Anhalt gibt. Es gibt vieles und der Verfasser selbst ist seit vielen Jahren in unterschiedlicher Weise bemüht, darauf aufmerksam zu machen. Doch im Einheitsbrei des immer gleichen kann sich der Kleingeist zwar an der Summe der Meldungen ergötzen: Doch die einzelne Meldung geht unter- noch dazu, wenn sie nicht anständig verpackt und an sie noch #modernDenken angeklebt wird. Eine Meldung sollte aber Quelle der Inspiration sein. Wenn sie das ist, verankert sie sich in der Wahrnehmung und aus dem Erfolg als Quelle entsteht und verankert sich die Aufmerksamkeit für sie. Als Verstärker zu dienen: Das wäre die Erwartungshaltung an eine Landesregierung.

Nun platzt dem Verfasser fast das Trommelfell vor dem lauten Schweigen, dass sich aus dem Blick des Kleingeistes ergibt, er würde den Slogan für niedere Beweggründer geentert haben- woran sich auch nichts änderte, nachdem einige Tweets dafür verwendet wurden, für die Deutung ein wenig Orientierung einzubringen. Denn für den Verfasser war #modernDenken ein Geschenk, eine Quelle der Inspiration oder, um es mit Edward de Bono zu sagen, eine mentale Provokation, die ihn mental- und nach wie vor- sehr stark in Bewegung bringt.

Generelles Herangehen des Verfassers ist es, aus vorurteilsfreien, an der Sachlage orientierten und diese in komplexere Lagebilder einbindenden Analysen zu Ideen, Konzepten oder was auch immer zu kommen. Als Instrumentarium stehen dafür inzwischen die Aphorismen zur Verfügung, die inzwischen als open-Source-Betriebssystem zur Analyse und Gestaltung gesellschaftlicher Prozesse betrachtet werden. Für die Zielfunktionen gibt es aber idealerweise auch etwas, was das Leben leichter macht.

Ein Konzept, aus dem heraus sich vieles ableiten ließe, hat der Verfasser, wie schon berichtet, der Landesregierung mehrfach vergeblich angedient: Sachsen-Anhalt für Deutschland. Ein relativ neuer Ansatz ist #GermanyFirst. Er erwuchs aus America First, hat aber das genaue Gegenteil dessen zum Ziel: Konzentriere dich auf den Nutzen für dein Land- aus Sicht des Idealisten, muss nicht sein, ohne Rücksicht auf die eigenen Verluste-, und suche darin deinen eigenen Nutzen. Verschiedene darin enthaltene Betrachtungswinkel sollten hier nicht weiter beleuchtet werden.

Und so waren die ersten Tweets auf #GermanyFirst orientiert. Und dann kam #modernDenken. Phantastisch. Wie kann ich nicht nur für das Land denken, sondern wie gestaltet sich ein modernes Denken, das auf das Land ausgerichtet ist? Was bisher daraus entstand, kann auf Twitter über „@berndliske #modernDenken“ und „@LiskeAphorismen #modernDenken“ gefunden werden und steht für einen Dialog insbesondere auch dann zur Verfügung, wenn der Eindruck besteht, das angeregte Denken wäre nicht modern, vielleicht banal, und würde dem Land eher schaden. Inzwischen ist es so- die meisten Tweets sind auf Anschlag mit 280 Zeichen belegt-, dass auf Grund des verfügbaren Platzes #GermanyFirst des Öfteren fehlt. Aber es ist das Ziel allen Denkens.

#modernDenken für sich allein fehlt die Orientierung und ist ein billiger Marketing-Gag voller Beliebigkeit, der Sachsen-Anhalt wahrscheinlich sechsstellige Beträge kostet, der dem Denken aber keine Kraft, keine Originalität, keine kreativen Impulse liefert. Zum Beweis sei auch dafür ein Besuch auf Twitter angeregt: #modernDenken #SachsenAnhalt.

Warum auch hier in der Ausführlichkeit? Wenn man sich die ersten drei Worte des Bundespräsidenten auf der Zunge zergehen lässt, „wir müssen wieder lernen“, sie reflektiert und bemüht ist, ihren Sinn zu erfassen, wenn man sich fragt, warum unser Land inzwischen so zerrissen ist, wenn man nach Ideen sucht, wie unser Land reformiert werden könnte, damit es nicht, was man nicht ausschließen kann, Schiffbruch erleidet: Viele Antworten (bevor man weiter liest, die Anregung, sich evtl. vorher den Aphorismus von der Kritik anzuschauen), findet man in Sachsen-Anhalt. Das Land von Martin Luther ist vielleicht nicht der Hauptwohnsitz des Kleingeistes. Aber ein Zimmerchen hat er dort ohne Zweifel und regiert von dort aus große Teile des Landes. Sachsen-Anhalt: Dort, wo der Kleingeist wohnt. Was bleibt hängen: #modernDenken?

Sollte in diesem Blickwinkel Substanz stecken- zur Freiheit gehört nicht nur die, ihn zu denken und ihn zu artikulieren, sondern auch die, den Irrtum für möglich zu halten-, so ist das natürlich ein Potential. Dem man sich insbesondere mit Blick auf 2021 zuwenden kann. Sollte es den Eindruck geben, dass eine Substanz nicht gegeben ist, wäre eine Anregung, sich diesen Blick vielleicht 2022 noch einmal vorzulegen, um ihn dann noch einmal zu verifizieren.

Das verknüpft mit weiteren Erfahrungen bekommt man eine leichte Vorstellung davon, wie in der gesellschaftlichen Breite das Wirken des Kleingeistes die Demokratie schon länger zersetzt und mit exponentieller Dynamik exekutiert, um sie durch seine Diktatur zu ersetzen.

Doch während sich diese Entwicklung vollzieht, macht sich #China auf, um der Welt von morgen einen lang wirkenden Stempel aufzudrücken. Ohne Zweifel hat der Aufstieg Chinas auch das zurückliegende Jahr geprägt. Während sich der Westen verzettelt und potentielle Partner wie Russland und die Türkei vergrämt, zieht China mit bemerkenswerter Konsequenz und Stringenz seinen Plan durch.

Das ist umso bemerkenswerter, als es dort darum geht, ein Volk von 1,4 Milliarden Menschen auf Kurs zu bringen, während es Deutschland nicht einmal schafft, 80 Millionen Menschen anständig zu führen. Wenn man beispielhaft nur die 14% AfD-Wähler als die betrachtet, die sich mit dem Regierungshandeln in Deutschland nicht unbedingt einverstanden erklären- vernachlässigend Wahlberechtigte, Wahlbeteiligung, andere Gruppen, …-, so sind das 11,2 Millionen. In China wären 14% 196 Millionen Bürger. Wenn man auf der anderen Seiten auf die 10 Millionen Uiguren schaut, die in China leben, so bedeutet das einen Bevölkerungsanteil von 0,7%. In Deutschland wären 0,7% ca. 570.000 Menschen. Bei 570.000 Menschen AfD-Wählern hätte die etablierten Parteien sicher weniger Stress.

Mit dieser Bürde geht Deutschland in die 20er Jahre und es wird einigen Aufwand erfordern, um sich in den 30er Jahren nicht erneut erinnern zu müssen. Neben der schon aufgelegten Last wird weiteres hinzukommen, dass die gesellschaftliche Stabilität beeinflussen kann. Der Aufstieg Chinas wird sich weiter fortsetzen und wenn er sich mit dem Potential Russland weiter vernetzt, noch mehr an Kraft gewinnen. Mag sein, dass China irgendwann zu den Grenzen vordringt, in denen sich die westliche Hemisphäre schon jetzt in Teilen bewegt. Aber bis dahin steht die Frage, ob der Westen bis dahin durchhält.

Der technologische Fortschritt wird sich weiter fortsetzen und die Fähigkeit des Individuums und der Strukturen, in denen es wirkt, wird immer größeren Herausforderungen unterzogen werden, die Differenzen zu erkennen, aus denen heraus jemand die Bereitschaft ableitet, etwas zu bezahlen und hinsichtlich derer auch noch eine eigene Beitragsfähigkeit zu entwickeln. Deutschland ist hinsichtlich dessen bemüht, seinen Fachkräftebedarf mit Blick auf den Mangel daran im Ausland zu decken. Bezüglich der genannten zwangsläufigen Entwicklung ist das kein probates oder zumindest ein nur beschränkt wirksames Mittel. Es bedarf größerer Antworten.

Denn der Aspekt wird verschärft durch den Aufstieg Chinas und später u.a. auch Indiens. Wenn China schon 2013 fast 6,4 Millionen Hochschulabsolventen hatte- gegenüber 499.000 in Deutschland 2018-, so ist es die blanke Masse, die schrittweise den Unterschied macht- zumal, wenn das Interesse am deutschen Bildungssystem seine Wirkung entfaltet. Hinzu kommt das ganz andere Maß an verfügbaren finanziellen Ressourcen. Und: Der Mentalität.

Herausfordernd wird auch die zerstörerische Kraft der Alterspyramide sein, die nach Stand schon nach 2025 erhebliche Probleme bereiten wird. Die Empfehlung in einer Studie der Bundesbank, das Renteneintrittsalter an die Lebenserwartung zu binden, wird erheblich durch den oben diskutierten technologischen Fortschritt beeinflusst werden: Welche Probleme kann ich schaffen, um Arbeit zur Verfügung zu stellen und zwar in einer Optimierung gegenüber dem zur Verfügung stehenden intellektuellen Niveau und dem globalen Wettbewerb? Weitere Themen kommen hinzu- nicht zuletzt der inneren und äußeren Sicherheit-, können hier aber nicht weiter reflektiert werden.

Welche Empfehlungen können für den Einstieg in das Jahrzehnt gegeben werden? Deutschland sollte, möglichst schnell, versuchen, einige Baustellen zu Ende zu bringen. Außenpolitisch bedarf es der Unterstützung zum Ausbau der wirtschaftlichen Handlungsspielräume- was nur gelingen wird, wenn man nicht mit Forderungen, die man an Andere nicht stellt, angestrebte Ziele blockiert. Dazu gehört ohne Zweifel die Beendigung der Sanktionen gegenüber Russland und die Klarstellung, dass man das als Beitrag für die transatlantische Partnerschaft sieht. Auch Syrien sollte Aufbauhilfe ohne Vorbedingungen gewährt werden. Gute Beziehungen zum Iran sind ein Beitrag für die Stabilisierung des Nahen Ostens.

Die Fragen des Bundespräsidenten in seiner Neujahrsansprache, „Wie wird aus Reibung wieder Respekt? Wie wird aus Dauerempörung eine ordentliche Streitkultur? Wie wird aus Gegensätzen Zusammenhalt?“ können durchaus auch als Orientierung für Deutschlands Handeln in Europa dienen. Das gilt insbesondere für Polen und Ungarn, denen ihre Geschichte Stolz in die DNA eingebrannt hat. Aber auch jedes andere Land hat eine Geschichte und Denker wie Künstler, die es verdienen, daraus Würdigung abzuleiten.

Die größten Baustellen scheinen innenpolitisch gegeben zu sein. Deutschland wird in jeglichen Aspekten nicht erfolgreich und nachhaltig wirken können, wenn es nicht substanziell an seiner Verfasstheit arbeitet. Für Deutschland sind neben technisch-technologischen Innovationen gesellschaftliche Innovationen überlebenswichtig. Das Potential von „Wir sind ein Volk“- auch von #GermanyFirst und #modernDenken-, dafür Beiträge zu leisten, muss identifiziert und genutzt werden.

Dabei kann China durchaus als Beispiel dienen. Ein Volk von 1,4 Milliarden Menschen in die Moderne führen zu wollen, ist eine ungeheure Herausforderung und der erreichte Stand eine bedeutende Leistung. Das gelingt nur, wenn es gelingt, die verschiedenen und in sich schon komplexen Handlungsstränge aus einem Grundrauschen abzuleiten. In der Neuzeit gelang das Mao Zedong und Deng Xiaoping, indem zu ihrer Politik gehörte, „… komplexe Zusammenhänge in einen Aphorismus oder einen einprägsamen Slogan zu verpacken und populär zu machen.“ „Großer Sprung nach vorn“, „Vier Modernisierungen“, „Vier Grundprinzipien“, „Ein Land, zwei Systeme“, die Seidenstraße sind Ausprägungen dessen.

Eine gesellschaftliche Innovation könnte möglicherweise eine Struktur sein, die im Kopf des Verfassers schon länger wabert. Auf der Suche nach einem Namen ist wohl ´Bundesministerium für innere Führung´ nicht das Richtige, weil es auf der einen Seite wohl Dirigismus impliziert und auf der anderen Seite wohl dem auch Rechnung tragen würde, weil der politische Kleingeist nur Geld und Gesetze kennt, mit denen er auf das Land wirkt. In Anlehnung an das französische Ministerium für Europa und auswärtige Angelegenheiten- nebenbei wurde erst im Zusammenhang damit bewusst, dass wir dafür nur ein Amt haben-, könnte es vielleicht ´Bundesministerium für innere Angelegenheiten´ heißen.

Es geht um eine Struktur, mit der die Spannungen gemindert werden, die sich aus den individuellen Lebensentwürfen des freien Bürgers auf der einen Seite und den nationalen Herausforderungen auf der anderen Seite ergeben (werden) sowie darum, die nationalen Humanpotentiale bestmöglich zu entwickeln, zu nutzen und zu vereinen. Schon seine Existenz wäre ein Beitrag, um dem vollkommenen Mangel an Führung nach innen zu begegnen, der sich heutzutage primär in Sonntagsreden, Gesetzen und Sozialleistungen entfaltet. Während die Ministerien heutzutage primär Vollstrecker der lobbyistischen Interessen der verschiedenen Interessengruppen sind- und die fehlende Vernetzung ihrer auf angestrebte Ziele Deutschland sowohl unglaubliche Kosten als auch fehlende Nachhaltigkeit beschert-, fehlt zwei entscheidenden Interessen die Vertretung: Den Interessen des Volkes und denen das Landes. Ganz offensichtlich steht damit die Frage nach der Rolle des Bundeskanzleramtes, dessen Name aber auch schon Programm ist: Amt. Für das man zwar einen Aktenplan, aber keine Beschreibung seiner Mission findet. Ein Ziel ist sicher auch, dass Deutschland nicht in jedem Jahrhundert Angst bekommt, in seine 30er Jahre einzutreten.

Neben den Parteien kann auch ein Bundesministerium des Innern eine solche Aufgabe nicht erfüllen. Ein solches Ministerium offenbart immer das Versagen an Führung. Man könnte es auch so sagen: Wir brauchen nicht (unbedingt) mehr Polizisten. Wir brauchen mehr Führung. In Anlehnung an einen Satz des ehemaligen Präsidenten des BKA, Jörg Ziercke, der für einen Vortrag des Verfassers auf einer Sicherheitstagung im Berliner Rathaus mal gedanklicher Ausgangspunkt für dessen Vortrag war, muss es darum gehen- um es mit den Worten eines Polizisten zu sagen-, vor die Lage zu kommen.

Und, obwohl Demut eine der prägenden Eigenschaften des Verfassers ist, meint er aus dem begrenzten Maß an Intellektualität, das ihm zur Verfügung steht, aus objektiver Betrachtung die Empfehlung ableiten zu können: Liske nicht bekämpfen, sondern in die Problemlösungsprozesse einzubeziehen.

Was kann man sonst noch tun? Das Wichtigste ist wohl, auch wie in der Natur, den Sauerstoffgehalt zu erhöhen. Die Menschen müssen frei atmen können. Ihre Lungen müssen sich dehnen, um in der Lage zu sein, ihre kreativ-schöpferischen und intellektuellen Potentiale voll entfalten zu können. Das erreicht man am besten mit Bewegung. Mit Auseinandersetzung entlang dessen, wessen man sich bisher nicht zugewandt hat. Die Rahmenbedingungen dafür stehen in der Gesellschaft noch nicht zur Verfügung und es bleibt dem individuellen Tun des Einzelnen überlassen, sich dem zuzuwenden.

Jene, die in Führungsverantwortung stehen, sei ans Herz gelegt, Prozesse in Gang zu setzen, die über das vorhandene Maß hinaus den Substanzwert ihrer Mitarbeiter und in der Folge der Gruppe stärken. Eine Form der Auseinandersetzung ist das Lesen- wenn man, wie beim Sehen, hin- und nicht wegschaut und beim Hören zu- und nicht weghört.

Ich schließe mit der nun schon beständigen Formel meiner Wünsche an Sie und das neue Jahr. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, uns mehr mit uns selbst und unseren Schwächen auseinanderzusetzen. Um unserer selbst willen.

Wie das geht? Nicht, in dem wir uns martern und Selbstvorwürfe oder andere dafür verantwortlich machen. Nein. Aber ein wenig links und rechts des Weges bewegen, den wir eingeschlagen haben und die eine oder andere Abzweigung nutzen. Das nicht bezogen auf Dinge, die uns leicht fallen. Ganz im Gegenteil müssen wir uns mit dem beschäftigen, was uns schwer fällt, dem, was neu für uns ist, dem, wo unsere Dämonen lauern und dem, was wir bisher ablehnen. Ich kann Ihnen aus nun ja auch schon längerer Erfahrung versichern: Das kann erfüllend sein, Spaß machen, Erleichterung bringen, den Druck nehmen.

Wo diese Quellen für neue Erfahrungen und Leistungsfähigkeiten liegen, kann für jeden von uns ganz verschieden sein: Vielleicht Probleme transparent machen, gemeinsam nach Lösungen suchen, sich auf den Nutzen des Anderen konzentrieren, offen auf vermeintliche Gegner zugehen. Tagtäglich begegnen uns Situationen, in denen wir uns darin üben können. Es ist vollkommen normal, wenn das am Anfang schwer fällt. Aber nur so geht es.

Mit freundlichen Grüßen

Bernd Liske

Informationen zur Person:

Bernd Liske ist Inhaber von Liske Informationsmanagementsysteme. Seine Bemühungen sind darauf gerichtet, die Leistungsfähigkeit von Individuen und die Wirksamkeit von Strukturen zu stärken. Im BITKOM war er seit dessen Gründung bis Mai 2015 Mitglied des Hauptvorstandes. Im Zusammenhang mit Auseinandersetzungen bei der Bewältigung der NSA-Affäre wurde er aus dem BITKOM ausgeschlossen.

Bernd Liske (Jg. 1956 / studierter Mathematiker) ist Inhaber von Liske Informationsmanagementsysteme. In seinen Büchern und Artikeln setzt er sich mit sozialen, politischen und wirtschaftlichen Problemen unserer Gesellschaft auseinander, um so Beiträge für die Erhaltung des Wirtschaftsstandortes Deutschland zu leisten. Die in seinem Buch Aphorismen für die Menschwerdung des Affen – Wie der Mensch zum Menschen und wie die Demokratie ihrem Anspruch gerecht werden kann veröffentlichten Aphorismen betrachtet er als Open-Source-Betriebssystem zur Analyse und Gestaltung individueller, unternehmerischer und gesellschaftlicher Prozesse. Das den Aphorismen vorangestellte Essay über die „Auseinandersetzung als Beitrag für die Menschwerdung des Affen“ beschäftigt sich insbesondere mit der Natur der Demokratie und stellt Wege zur Diskussion, wie die westlichen Demokratien eine nachhaltige Zukunft gestalten können.


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