Politik

Geopolitiker Friedman: „Deutschland kann sich im Streit um Nord Stream 2 durchsetzen, wenn es den Preis bezahlen kann“

Lesezeit: 5 min
01.01.2020 14:33  Aktualisiert: 01.01.2020 14:33
Der umstrittene US-Geopolitiker George Friedman kritisiert in einem Interview mit den Deutschen Wirtschaftsnachrichten den Umgang der Bundesregierung mit der Pipeline Nord Stream 2.
Geopolitiker Friedman: „Deutschland kann sich im Streit um Nord Stream 2 durchsetzen, wenn es den Preis bezahlen kann“
Bundeskanzlerin Angela Merkel und US-Präsident Trump. (Foto: dpa)

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Im Zusammenhang mit der Nord Stream 2-Pipeline gibt es Streit zwischen Deutschland und den USA. Deutschland hält an dem Projekt fest. Die USA sind dagegen. Wer wird sich durchsetzen?

George Friedman: Deutschland kann sich durchsetzen, wenn es den nötigen Preis zahlen kann. Dieses Projekt steht nicht im Einklang mit der Mission der NATO, und Deutschland ist Mitglied der NATO. Die Bundesregierung geht jedoch davon aus, dass der Preis nicht so hoch sein wird. Wir werden sehen, ob der Preis “nicht so hoch” sein wird.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Große Teile der SPD, der Linkspartei, aber auch Teile der CDU und der AfD wollen enge politische und wirtschaftliche Beziehungen zu Russland, während sich dieselben Kritiker von den USA distanzieren. Was ist der Grund für diese Einstellung? Warum ist Russland für Deutschland so wichtig?

George Friedman: Russen und Deutsche haben seit 1871 regelrecht “geflirtet”. Es handelt sich dabei um einen Traum, wonach eine Kombination aus russischem Gas und deutscher Technologie gebildet werden soll. Aber eine Seite hat immer die andere Seite verraten. Die Deutschen denken, dass sie alles erreichen können, bis sie erkennen, dass sie es nicht können. Dies ist ein historisches Problem und eine alte Kamelle.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Hängen die Probleme zwischen den USA und Deutschland wirklich nur von Donald Trump ab? Was wären die Probleme, wenn jemand anderes die USA regieren würde?

George Friedman: Es gibt signifikante Unterschiede, aber keine Probleme. Die USA und Deutschland unterhalten eine einzige institutionelle Beziehung, nämlich die NATO-Beziehung. Deutschland will seinen Beitrag nicht leisten, aber das Land will in Sicherheit leben. Deutschland unternimmt keine Anstrengungen, um das Ausgabenziel von zwei Prozent des BIP zu erreichen. Die Deutschen glauben, dass sie das Recht haben, den Status Quo der NATO zu schützen.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Die AfD ist in Deutschland auf dem Vormarsch. Sie findet großes Interesse in der Mitte der Gesellschaft. Muss sich Europa auf ein „aggressives“ Deutschland einstellen, falls die AfD an die Macht kommen sollte?

George Friedman: Viele Europäer sagen bereits heute, dass die Deutschen eine aggressive Strategie verfolgen. Die AfD wird von großen Teilen der Gesellschaft verteufelt. Der Niedergang der zentristischen Parteien führte zum Aufstieg der AfD. Einwanderung ist ein wichtiges Thema. Wir erkennen eine Art Arroganz der anderen Parteien, wenn es darum geht, mit der AfD umzugehen. Die Große Koalition ist in der Tat eine einzige Partei. Es gibt keine Große Koalition.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Viele Kritiker ziehen einen Vergleich zwischen dem Aufstieg der Nationalsozialisten und dem Aufstieg der AfD. Wäre so etwas wieder möglich? Wenn ja, was wären am Ende die Konsequenzen? Wie würden die USA und Russland reagieren, wenn es Entwicklungen gäbe, die mit denen der 1930er Jahre vergleichbar wären?

George Friedman: Dies ist aufgrund unterschiedlicher Umstände nicht wahrscheinlich. Wir haben nichts, was mit dem

Versailler Vertrag vergleichbar wäre. Deutschlands Erfahrungen während des Zweiten Weltkriegs haben die Tür endgültig geschlossen. Es geht eher darum, die Elite herauszufordern. Die AfD sagt: Sie haben nichts für die Bürger getan und kritisieren uns jetzt. Das Dümmste, was die Eliten tun können, ist, die AfD zu kritisieren und ihre Mitglieder als Faschisten oder Nazis zu bezeichnen.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wie würde sich die deutsche Wirtschaft entwickeln, wenn die nächste Regierung andere Parteien stellen würden?

George Friedman: Es spielt keine Rolle. Niemand kann die aktuellen Probleme bewältigen. Um einer Rezession widerstehen zu können, müssen die Deutschen 50 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts unabhängig von Exporten erwirtschaften. Das heißt: Ihre Produkte müssen von deutschen Verbrauchern gekauft werden. Das ist nicht möglich. Wenn deutsche Kunden keine deutschen Produkte kaufen können, wird die deutsche Wirtschaft rapide schrumpfen. Die größte Kundengruppe der Deutschen sind die Amerikaner.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: In Deutschland gibt es verschiedene ethnische Minderheiten. Was müssen diese Minderheiten von der AfD befürchten? Müssen sie sich Sorgen um ihre Zukunft machen, wenn die AfD tatsächlich die führende Partei in Deutschland wird?

George Friedman: Hier liegt ein tieferes Problem vor. Die USA haben ein Land erfunden, das auf Einwanderung basiert. Europa beruht auf Geschichte, Kultur, Ethnizität und Sprache. Amerikaner zu werden ist einfacher als Deutscher zu werden. Deutschland kann sie nicht integrieren. Die Deutschen sehen Einwanderer nicht als Deutsche und wollen auch nicht zulassen, dass sie Deutsche werden. Das ist eine versteckte Wahrheit. Sie haben ein genaues Verständnis ihrer Identität und darüber, wer sie sind. Aber die USA, Australien, Kanada und Großbritannien - die angelsächsische Welt - verfügt über eine kulturelle Einzigartigkeit. Diese Länder können Menschen mit unterschiedlichem religiösem und ethnischem Hintergrund problemlos integrieren.

Deutsche Wirtschaftsnachrichen: Wie beurteilen Sie das Verhältnis zwischen Deutschland und der Türkei?

George Friedman: Ich war vor kurzem in der Türkei. Die Türken sind verbittert, weil die EU ihr Versprechen im Rahmen des Flüchtlingspakts nicht eingehalten hat. Sie erhielten nicht den gesamten Betrag für die Unterbringung der Flüchtlinge, obwohl ihnen genau dies versprochen wurde. Deutschland spielt eine entscheidende Rolle. Deutschland hält sich niemals an Verträge und Vereinbarungen. Aber genau das fordern die Deutschen seltsamerweise von anderen Ländern.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: In Deutschland herrscht eine Stimmung, die sich gegen Erdoğan richtet. Der Vorwurf lautet, dass er undemokratisch ist. Auf der anderen Seite will Deutschland gute Beziehungen zu Russland und dem Iran, die nach europäischen Maßstäben nicht demokratisch sind. Welches geopolitische und tiefere Problem hat Deutschland mit der Türkei unter Erdoğan?

George Friedman: Die Türken kommen in Bewegung. Sie errichten eine Zone im östlichen Mittelmeer. Sie sind in Libyen, Syrien und anderen Teilen der Welt aktiv. Es gibt große Fortschritte und die Türkei hat sich wirtschaftlich gut entwickelt. All diese Entwicklungen werden von Deutschland nicht begrüßt. Aber was die Deutschen wollen, ist nicht klar. Die Deutschen tun so, als wollten sie etwas bewirken. Aber am Ende tun sie nichts, um ihre Ziele und Versprechen einzuhalten. Stattdessen kritisieren sie ständig Länder, die Maßnahmen ergreifen. Das Beste, was der Türkei je passiert ist, ist nicht in die EU aufgenommen zu werden.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Es gibt Stimmen in Deutschland, die behaupten, dass der Brexit in erster Linie Großbritannien selbst schaden wird. Ist das korrekt?

George Friedman: Das Wichtigste für Großbritannien wird der Abschluss eines Freihandelsabkommens mit den USA und anderen Ländern sein. Großbritannien wird sich nicht selbst schaden. Deutschland ist das Land, das viele Produkte in die EU und nach Großbritannien verkauft. Die EU übt Druck auf Großbritannien aus und greift Polen und Ungarn an. Die EU droht, Ungarn und Polen aus der EU auszuschließen. Gegenwärtig bedroht die EU Großbritannien mit anderen Dingen. Großbritannien ist jedoch weder Ungarn noch Polen. Deutschland sollte verstehen, dass die Feindseligkeit gegenüber den Briten ihnen nicht helfen wird. Es sollte im eigenen Interesse der Deutschen liegen, sich nicht mit den Briten anzulegen. Aber Deutschland kapiert es nicht.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wie würde der Brexit die Machtstruktur in Kontinentaleuropa - Frankreich und Deutschland - verändern?

George Friedman: Deutschland ist völlig exportabhängig - auch im Zusammenhang mit Großbritannien. Frankreich ist auf gute politische Beziehungen zu Großbritannien angewiesen. Deutschland hat keine Optionen. Großbritannien hat andere Optionen und Frankreich hat einige Optionen.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Welche außenpolitischen Prioritäten verfolgt Boris Johnson?

George Friedman: Die Nr. 1 sind die USA. Zweitens wird NAFTA wichtig sein, da Nordamerika ein größeres BIP als die EU zusammen hat. Australien und die anderen Commonwealth-Staaten sowie Indien und die ehemaligen Kolonien werden wichtig sein. Großbritannien hat Seite an Seite mit den USA Krieg gegen andere Mächte geführt. Diese tiefe Beziehung wird auch in Zukunft fortgesetzt.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Es gibt Stimmen in Europa, die besagen, dass der Brexit zu einer Sezession in Großbritannien führen wird. Es gibt auch Stimmen, die über die Zukunft der USA pessimistisch argumentieren.

George Friedman: Die USA erwirtschaften ein Viertel des weltweiten BIP. Die USA haben das einzige Militär, das global ist und alle Ozeane kontrolliert. Die Deutschen und einige Europäer predigen seit dem Vietnamkrieg den Abstieg der USA. Großbritannien ist die Säule der europäischen Zivilisation. Großbritannien wird seine Probleme bewältigen. Aber die Briten werden nie vergessen, wie sie im Zuge des Brexits von der EU und Deutschland behandelt wurden. Die EU ist extrem starr.

Dr. George Friedman ist Gründer und Vorsitzender des US-Informationsdiensts Geopolitical Futures.


Mehr zum Thema:  

DWN
Unternehmen
Unternehmen Neue Reiseziele: So manch Überraschung im Sommerflugplan
29.03.2024

Ab Ostern tritt an den deutschen Flughäfen der neue Sommerflugplan in Kraft. Die Deutschen Wirtschaftsnachrichten haben für Sie als Leser...

DWN
Politik
Politik Vor 20 Jahren: Größte Erweiterung der Nato - eine kritische Betrachtung
29.03.2024

Am 29. März 2004 traten sieben osteuropäische Länder der Nato bei. Nicht bei allen sorgte dies für Begeisterung. Auch der russische...

DWN
Technologie
Technologie Viele Studierende rechnen mit KI-Erleichterungen im Joballtag
29.03.2024

Vielen Menschen macht Künstliche Intelligenz Angst, zum Beispiel weil KI Arbeitsplätze bedrohen könnte. In einer Umfrage stellte sich...

DWN
Politik
Politik Verfassungsgericht stärken: Mehrheit der Parteien auf dem Weg zur Einigung?
28.03.2024

Das Verfassungsgericht soll gestärkt werden - gegen etwaige knappe Mehrheiten im Bundestag in aller Zukunft. Eine Einigung zeichnet sich...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Deutschlands maue Wirtschaftslage verhärtet sich
28.03.2024

Das DIW-Konjunkturbarometer enttäuscht und signalisiert dauerhafte wirtschaftliche Stagnation. Unterdessen blieb der erhoffte...

DWN
Politik
Politik Corona-Aufarbeitung: Lauterbach will RKI-Protokolle weitgehend entschwärzen
28.03.2024

Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat angekündigt, dass einige der geschwärzten Stellen in den Corona-Protokollen des RKI aus der...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Brückeneinsturz in Baltimore trifft Importgeschäft der deutschen Autobauer
28.03.2024

Baltimore ist eine wichtige Drehscheibe für die deutschen Autobauer. Der Brückeneinsturz in einem der wichtigsten Häfen der...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft „Made in Germany“ ist wieder gefragt - deutsche Exporte steigen deutlich
28.03.2024

Der Außenhandel in Deutschland hat wider Erwarten zu Jahresbeginn deutlich Fahrt aufgenommen. Insgesamt verließen Waren im Wert von 135,6...