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Nur Kredite statt direkte Entschädigung für Unternehmen: Staat missbraucht 750 Milliarden Euro Hilfsgelder

Lesezeit: 5 min
23.03.2020 13:50  Aktualisiert: 23.03.2020 13:50
Die EZB stellt den Staaten 750 Milliarden Euro zur Verfügung, um Unternehmensinsolvenzen abzuwenden. Doch die Unternehmen, die aufgrund behördlicher Anordnung schließen mussten, werden nicht direkt für ihren Verlust kompensiert - sie erhalten das Geld nur in Form von Krediten.
Nur Kredite statt direkte Entschädigung für Unternehmen: Staat missbraucht 750 Milliarden Euro Hilfsgelder
Rom: Die sonst so beliebte "Spanische Treppe" ist menschenleer. (Foto: dpa)

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Die Antwort auf das Corona-Virus ist mittlerweile weltweit die gleiche: Mit wenigen Ausnahmen werden alle Läden geschlossen und alle Dienstleistungen mit Kundenkontakt eingestellt. Das Ergebnis: Eine Wertschöpfung findet nicht statt. Oder, weniger kompliziert ausgedrückt: Es wird kein Geld verdient. Und das über einen längeren Zeitraum, wobei man derzeit von etwa sechs Wochen ausgehen muss. Somit löst die Bekämpfung des Virus eine Wirtschaftskrise aus, wie es sie sonst nur im Krieg gibt. Die üblichen Rezepte für die Bewältigung von Wirtschaftskrisen in Friedenszeiten sind daher nur eingeschränkt wirksam. Dass nun im Euro-Raum die Notenpresse angeworfen wird, hat daher durchaus seine Berechtigung. Die angekündigten 750 Milliarden dürfen aber nicht, wie geplant, im Finanzsystem versickern. Stattdessen muss das Geld den Staaten geborgt werden, die damit die Schäden aus der Lähmung der Wirtschaft ersetzen müssten. Die Schulden der EURO-Staaten würden von derzeit circa 10,25 Billionen Euro auf 11,00 Billionen Euro ansteigen – zu einer dramatischen Verschlechterung der Lage käme es nicht, aber die Wirtschaft wäre gerettet. Aber: Von einer echten Krisenbewältigung ist leider nicht die Rede – daher drohen uns Massenpleiten und Massenarbeitslosigkeit.

Die Wirtschaftsleistung wird 2020 voraussichtlich um 7,3 Prozent schrumpfen

Die Politik kennt als Antwort auf die Krise nur ein Rezept – das simple Anwerfen der Notenpresse. Die Europäische Zentralbank pumpt 750 Milliarden Euro in die Wirtschaft, das entspricht 7,3 Prozent des BIP des EURO-Raums. An diesen Daten kann man ablesen, in welchem Ausmaß man in der Zentralbank mit einer Verringerung der Wirtschaftsleistung durch die Virus-Krise rechnet.

Die Rede ist von der Bereitstellung von Finanzierungsmitteln zur Bewältigung der Krise, wobei betont wird, dass die Kredite bei allen Unternehmen ankommen sollen, und dass man auf jeden Fall dafür sorgen werde, dass dies auch tatsächlich geschieht. An den Satz angeschlossen ist allerdings sofort die Einschränkung „gesunde“ Betrieben, was bedeutet, dass man die schon seit Jahren betriebene Politik fortsetzen will. Das heißt, Kredite sollen nur jene Firmen bekommen, die grundsätzlich stark genug wären (das heißt, wenn Corona nicht existieren würde), auch ohne Fremdfinanzierung auszukommen. Im Klartext heißt dies, dass keine Lockerung der Beschränkung bei der Kreditvergabe stattfinden wird, die die europäische Wirtschaft seit langem lähmt.

Die Europäische Bankenaufsicht EBA hat sich nur zu einer Entschärfung der Kapitalvorschriften für Banken durchringen können, die aber in der Praxis die Finanzierungen nicht entscheidend erleichtern. Auch wird von der EBA ausdrücklich daran erinnert, dass „die Banken in schwierigen Zeiten besonders auf Änderungen bei der Bonität der Kunden zu achten haben“. Die Aufsichtsbehörden pochen auf die Einhaltung der Bestimmungen, und diese schreiben bei Krisensituationen vor, dass die Bonität herabgestuft wird und die Kredite gekürzt oder gestrichen werden.

Landauf, landab, versprechen Politiker Hilfe. Diese besteht zumeist in Garantien für Kredite, die aber wieder nur Betriebe erhalten, die aufgrund der Daten 2019 als gesund eingestuft werden.

Zyniker sprechen von einer „Bereinigung“, von einem „gesunden Ausscheiden der Schwachen“, vom „Survival of the Fittest“ und übersehen, dass die Folge eine Massenarbeitslosigkeit ist. Schon vor der aktuellen Krise hatten Frankreich, Italien und Spanien extrem hohe Arbeitslosenraten. Auch wenn man sich in Deutschland und Österreich bislang über niedrige Werte freuen konnte, droht hier nun eine deutliche Verschlechterung.

Der Staat haftet für die Schäden, die durch seine Anordnung entstanden sind

Tatsächlich ist die aktuelle Krise nicht mit Krediten zu bewältigen. Unternehmen, die keine Einnahmen haben, Arbeitnehmern, die auf das Arbeitslosengeld angewiesen sind, ist mit Krediten nicht geholfen. Die nun eingegangenen Schulden müssen in der Folge zurückgezahlt werden, belasten die Firmen und Haushalte lange in der Zukunft und behindern die Rückkehr in den Alltag, in ein normales Wirtschaftsleben.

Die Antwort könnte nur in der Anwendung eines Grundsatzes bestehen, der seit langem in den Epidemie-Gesetzen verankert ist: Ein Verlust, der im Gefolge einer behördlichen Anweisung entstanden ist, muss durch den Staat ersetzt werden. Gedacht wurde bei diesen Regelungen primär an Einrichtungen, die durch eine behördliche Desinfektion vernichtet wurden. Dass hunderttausende Betriebe geschlossen werden, ist zwar eine neue Dimension, ändert aber am richtigen Grundsatz nichts. Auch muss in diesem Zusammenhang daran erinnert werden, dass in der Bankenkrise 2008 Staatshilfen für den Finanzsektor bereitgestellt wurden. Diesmal ist eine Verstaatlichung des Schadens mehr als angemessen.

Und dafür wären die 750 Milliarden, die die EZB bereitstellt, von den Staaten einzusetzen. Zu den knapp 10.250 Milliarden, die die EURO-Staaten an Schulden bereits angehäuft haben, kämen diese 750 Milliarden hinzu, sie würden wirksam die Folgen dieser Krise bekämpfen und den Unternehmen wie den Arbeitnehmern den Neustart nach dem Ende der Epidemie ermöglichen.

Das extreme Szenario – eine Verringerung des BIP um 11,5 Prozent

Sechs Wochen Stillstand bedeuten den Ausfall von 11,5 Prozent des Jahres, also kann man daraus schließen, dass die Wirtschaftsleistung heuer um 11,5 Prozent niedriger sein wird als unter normalen Umständen. Tatsächlich gehen einige Prognose-Institute von einem Rückgang in dieser Größenordnung aus. Der extreme Wert ist nicht unrealistisch, weil viele Umsätze, die derzeit nicht stattfinden, auch in der Folge nicht nachgeholt werden: Der Großteil der modernen Wirtschaft beruht auf dem Konsum von Gütern und Dienstleistungen, die nicht unbedingt notwendig sind. Also werden das genussvolle Shopping oder das Restaurant-Erlebnis oder der Wochenend-Urlaub, die im März nicht stattfinden können, auch nicht im Mai oder Juni ersetzt.

In manchen Bereichen baut sich aber ein Stau auf. Der heute kaputte Kühlschrank, der streikende Computer, das stotternde Auto werden eine Art Konjunkturboom nach dem Ende der Corona-Krise auslösen. Und die neuerdings allgemein beschworene Möglichkeit, zu Hause zu arbeiten und über Internet mit der Welt zu kommunizieren, lässt auch in der aktuellen Phase das Bruttoinlandsprodukt nicht auf null sinken. Der Einkauf über Online-Plattformen leistet ebenfalls einen Beitrag, der allerdings den stationären Einzelhandel vollends ruiniert. Schon ohne Schließung der Läden ist viel ins Internet abgewandert; die aktuelle Sperre ist schon fast so etwas wie eine riesige PR-Kampagne für die immer zahlreicher werdenden Online-Shops. Bis sich die Erkenntnis durchsetzt, dass der Handel nur in einer Kombination von Online und Verkaufsläden funktioniert, wird es die meisten kleinen und auch viele großen Einzelhändler nicht mehr geben.

Jetzt brechen die vernachlässigten Strukturschwächen brutal auf

11,5 Prozent Rückgang sind vermutlich ein Extremszenario und die 7,3 Prozent Minus, die die EZB annimmt, realistisch. Es geht allerdings nicht nur um das Schuhgeschäft an der Ecke oder um die Boutique in der noblen Einkaufsstraße oder dem Geschirrladen im Shopping-Center, die einen Umsatzausfall von mehreren Wochen nicht verkraften. Tatsächlich brechen in diesen Tagen alle vernachlässigten Schwachstellen in sämtlichen Unternehmen auf.

Dies zeigt sich besonders deutlich in der Autoindustrie. Für Probleme sorgt nicht nur der Umstand, dass derzeit keine Fahrzeuge verkauft werden, weil die Autohändler wegen des Virus sperren mussten. Vielmehr ist die Zukunft der Branche in Frage gestellt. Der von der Politik verordnete Abschied von Benzin und Diesel ist schwer umzusetzen. Das Elektro-Auto sorgt für unzählige Probleme, die die Kunden vom Kauf abhalten: Die Preise sind hoch, die Ladestationen selten, die Ladezeiten viel zu lang, die Batterien im Falle eines Ersatzbedarfs extrem teuer. In dieser Unsicherheit kauft man weder einen Benziner noch ein E-Fahrzeug. Somit ist es für die Unternehmen nicht unangenehm, wenn sie die zeitweilige Schließung der Fabriken mit der Corona-Krise begründen können.

Weniger spektakulär, aber vermutlich noch gravierender, sind die Mängel in der Digitalisierung. Jetzt, da die Computer den Ausfall des realen Lebens ersetzen sollen, zeigen sich die Schwächen der Programme, die zu geringe Kapazität der Maschinen und der Leitungen. Zu stark verbreitet ist die Verankerung in traditionellen Arbeitsweisen, die man durch ein „bisschen Digitalisierung“ aufbessern wollte. Zu oft programmieren die Techniker am Bedarf vorbei, weil die Anwender die eigenen Abläufe nicht präzise beschreiben können. Und die Anwender ignorieren die Techniker, wenn diese die ungeahnten Möglichkeiten erklären. Jetzt hört man landauf, landab, die Angestellten im Home Office toben, wenn die Anlagen nicht entsprechen, um die sich selbst schon vor Monaten oder Jahren hätten kümmern sollen. Digitalisierung ist mehr als E-Mails schreiben, im Internet ein Buch bestellen oder eine Reise buchen.

Firmen, die keine Einnahmen haben, können keine Miete bezahlen

Unverständlich ist die Vorgehensweise der Politik: Man verordnet zwar die Schließung der Geschäfte, verhindert also jede Einnahme, rührt aber die Verpflichtungen der betroffenen Firmen nicht an. Wie soll aber ein Unternehmen, das keinen Cent verdient, zum Beispiel die Miete bezahlen? Konsequenterweise müssten bei einer behördlich verordneten Schließung derartige Verpflichtungen ruhen.

Bei einem derart massiven Eingriff wie die Schließung der Geschäfte sind auch die weiteren Konsequenzen zu beachten. Die Politik darf sich nicht darauf beschränken, die Ansteckungsgefahr durch die Reduzierung der Kontakte zwischen den Menschen zu bekämpfen. Auch die Ankündigung der Maßnahmen in kleinen Portionen ist nicht hilfreich: Nur eine Woche, aber dann doch eine zweite und vielleicht bis nach Ostern!

Politik besteht nicht in der Verbreitung von leeren Worthülsen. Vielleicht lehrt die Corona-Krise die Verantwortlichen, dass die Arbeit für Staat und Gesellschaft nicht mit einem läppischen Tweet erledigt ist.

                                                                            ***

Ronald Barazon war viele Jahre Chefredakteur der Salzburger Nachrichten. Er ist einer der angesehensten Wirtschaftsjournalisten in Europa und heute Chefredakteur der Zeitschrift „Der Volkswirt“ sowie Moderator beim ORF.


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