Finanzen

Warum kauft die EZB im großen Stil Anleihen von Nicht-EU-Unternehmen?

Lesezeit: 4 min
06.08.2020 16:20
Die Europäische Zentralbank hat zuletzt Anleihen in Milliardenhöhe von Unternehmen gekauft, die ihren Sitz gar nicht in der Eurozone und noch nicht einmal in der EU haben. Für diese Unternehmen mag das billige Geld ein Segen sein, doch wo es Gewinner gibt, da gibt es auch Verlierer.
Warum kauft die EZB im großen Stil Anleihen von Nicht-EU-Unternehmen?
Die Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), Christine Lagarde. (Foto: dpa)
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Die Europäische Zentralbank kauft zunehmend auch Anleihen von Unternehmen, die nicht in der Eurozone und noch nicht einmal in der EU ansässig sind. Zu diesen Unternehmen gehören etwa die Finanzabteilungen der Schweizer Konzerne Nestlé und Novartis, der US-Konzerne Coca Cola und John Deere, der britischen Konzerne British American Tobacco und WPP sowie das in Hongkong ansässige und auf den Kaimaninseln registrierte Konglomerat CK Hutchison Group.

Wie einfach sich große Nicht-EU-Unternehmen für das im Jahr 2016 von der EZB gestartete Programm zum Ankauf von Wertpapieren des Unternehmenssektors qualifizieren können, das offiziell als Corporate Sector Purchase Program (CSPP) bekannt ist, berichtet die spanische Finanzzeitung Cinco Dias. Demnach gibt es nur drei Anforderungen, die ein Unternehmen erfüllen muss, um an die zu diesem Zweck von der EZB neu geschaffenen Euros zu kommen:

  1. Das Unternehmen muss von den Ratingagenturen als Investment-Grade bewertet werden. Mit anderen Worten: Die EZB kauft keine Ramschanleihen. Dies könnte sich aber jederzeit ändern, da derzeit die Ausweitung der Anleihekäufe auf Ramschanleihen bei der EZB diskutiert wird.
  2. Das Unternehmen muss eine Tochtergesellschaft mit Sitz in einem Land der Euro-Zone haben. Dies ist in der Regel ein Land wie Luxemburg, wo die Tochtergesellschaften so gut wie keine Unternehmenssteuern zahlen müssen. Aber auch die Niederlande sind ein internationaler Steuerflucht-Standort.
  3. Das Unternehmen muss seine Anleihen in Euro ausgeben. Tatsächlich tun dies immer mehr Unternehmen, da die EZB-Politik ihnen extrem niedrige Zinsen verschafft.

Seit Juni 2016 kauft die EZB Anleihen von Unternehmen mit Investment-Grade-Rating in Europa auf. Insgesamt hat sie in diesen fast vier Jahren bereits Unternehmensanleihen im Umfang von 224 Milliarden Euro gekauft. Zusätzlich hat die Notenbank noch Unternehmensanleihen im Umfang von 35 Milliarden Euro gekauft und zwar im Rahmen ihres Corona-Notkaufprogramms, das offiziell als Pandemic Emergency Purchase Program (PEPP) bekannt ist.

Die größten Nutznießer des EZB-Programms für Firmenanleihen

Die größten Nutznießer der Anleihekäufe der EZB waren (in absteigender Reihenfolge) französische, deutsche, italienische, spanische und niederländische Unternehmen in den Bereichen Energie, Infrastruktur, Telekommunikation und Automobil. Ausländische Tochtergesellschaften großer Nicht-EU-Unternehmen waren ebenfalls von Anfang an berechtigt, am CSPP teilzunehmen, sofern sie die drei oben genannten Kriterien erfüllen. Neu ist, dass viele Nicht-EU-Unternehmen das Angebot nutzen.

"Unternehmen von außerhalb der Eurozone gründen Unternehmen oder Entitäten, um Euro-Schuldtitel emittieren zu können und um sich für Kaufprogramme der EZB zu qualifizieren. Einige US-Unternehmen haben dies bereits getan, und obwohl auch die Fed Übernahmeprogramme hat, ziehen sie es vor, alle Optionen zu haben, die ihnen zur Verfügung stehen, um die besten Preise zu erzielen", zitiert die die spanische Finanzzeitung Cinco Dias den Direktor für Kapitalmärkte bei Société Générale, Fernando Garcia.

Zwar gibt die Europäische Zentralbank gibt die Beträge ihrer einzelnen Anleihekäufe nicht bekannt. Doch immerhin gibt die EZB an, wie oft sie die Anleihen eines bestimmten Unternehmens gekauft hat. Nick Corbishley listet auf dem Blog WOLF STREET die wichtigsten Nicht-EU-Firmen auf, die bisher vom EZB-Programm zum Ankauf von Wertpapieren des Unternehmenssektors (CSPP) profitiert haben, und gibt auch an, wie oft die EZB Anleihen dieser Unternehmen gekauft hat:

  1. Nestlé, Schweizer Lebensmittelkonzern (12)
  2. Novartis, Schweizer Pharmakonzern (9)
  3. John Deere, US-Agrarunternehmen (6)
  4. Coca-Cola (4)
  5. CK Hutchison, Holding-Gruppe mit Sitz in Hongkong, registriert auf den Kaimaninseln (4)
  6. Upjohn Finance, Tochtergesellschaft des US-Pharmaunternehmens Pfizer
  7. Roche, in der Schweiz ansässiger Pharmakonzern (3)
  8. Richemont, eine in der Schweiz ansässige Holdinggesellschaft für Luxusgüter (3)
  9. Whirlpool US-Haushaltsgerätehersteller (2)
  10. British American Tobacco mit Sitz in Großbritannien (2)
  11. Paccar, US-Lkw-Hersteller, dem der niederländische Lkw-Hersteller DAF gehört (2)
  12. Die Finanzabteilung des US-amerikanischen Energieunternehmens Schlumberger (2)
  13. Mondelez, US-amerikanische Süßwarenfabrik (1)
  14. Compass, britisches Catering-Unternehmen (1)

Fed und Bank of England haben ähnliche Programme

Umgedreht hat auch die US-Notenbank Federal Reserve auf Dollar lautende Unternehmensanleihen gekauft, die von einer Reihe von US-Tochtergesellschaften großer europäischer Unternehmen begeben wurden. Der Schweizer Nahrungsmittelkonzern hat gleichzeitig Anleihen an die EZB, an die Fed und die Schweizerische Nationalbank verkauft. Unter den 15 größten Nutznießern des Kaufprogramms der Fed für Unternehmensanleihen finden sich vier europäische Unternehmen: Daimler, Volkswagen, BMW und BP.

Die Bank of England ist eine weitere große Zentralbank, die sich bemüht hat, ausländischen Unternehmen zu helfen. Ihre Coronavirus Corporate Financing Facility (CCFF) steht nicht nur britischen Firmen zur Verfügung, sondern allen Unternehmen, von denen angenommen wird, dass sie "einen wesentlichen Beitrag zur britischen Wirtschaft" leisten. Von den 61 Unternehmen, die noch ein ausstehendes Guthaben bei der Zentralbank haben, sind etwa zwei Fünftel im Ausland ansässig. Die größten Nutznießer des BOE-Programms sind:

  1. Der deutsche Chemieriese BASF, dem ein Kredit von 1 Milliarde Pfund gewährt wurde
  2. Der deutsche Chemieriese Bayer, der wegen seiner Übernahme von Monsanto von teuren Rechtsstreitigkeiten überrollt worden ist, erhielt Darlehen in Höhe von 600 Millionen Pfund.
  3. Chanel, französischer Modekonzern (600 Millionen Pfund)
  4. Carnival, US-Kreuzfahrtschiffbetreiber, der sich nicht für US-Rettungsgelder qualifiziert, weil er aus steuerlichen Gründen in Panama eingetragen ist
  5. Westfield, australischer Eigentümer von Einkaufszentren (600 Millionen Pfund)
  6. Johnson Controls, US-amerikanisches Unternehmen, das 2016 nach seiner Fusion mit Tyco durch Inversion zu einem irischen Unternehmen wurde, um die Zahlung von US-Einkommenssteuern zu vermeiden

Bisher haben die Wertpapierkäufe die gewünschte Wirkung gezeigt. Nachdem die globalen Anleiheemissionen im März stark zurückgegangen waren, haben sie sich nun wieder deutlich erholt. Nach Angaben von S&P Global Ratings haben US-Unternehmen mit Investment-Grade-Rating seit Jahresbeginn bereits mehr Anleihen emittiert als im gesamten Jahr 2019. Diese Unternehmen und ihre europäischen Pendants sind die größten Nutznießer der Zentralbankprogramme, da sie dadurch ihre Anleihen zu extrem niedrigen Zinsen ausgeben konnten.

Dank der Unterstützung durch die Zentralbanken können viele dieser Unternehmen ihre Kosten angesichts des abrupten Rückgangs ihrer Einnahmen viel bequemer bedienen als Unternehmen, die keine Anleihen ausgeben können. Dadurch sind die in Frage kommenden Unternehmen in einer weitaus stärkeren Position, um den Sturm zu überstehen und dabei auch noch kleinere Unternehmen aufzukaufen. In diesem Sinne helfen die Zentralbanken den großen Unternehmen auf Kosten der kleinen Unternehmen.

Wenn globale Unternehmen zunehmend Anleihen in Euro ausgeben, um sie zu extrem niedrigen Zinsen an die EZB zu verkaufen, so steigt das Angebot an Euro-Anleihen mit einer Spitzenbewertung, da die Europäische Zentralbank zumindest bisher nur solche Unternehmensanleihen kauft. Für die Manager von Devisenreserven ist das eine gute Nachricht, gilt doch der Mangel an Spitzen-Anleihen als ein Nachteil des Euro im Ringen mit dem Dollar als weltweite Leitwährung.


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