Wirtschaft

Mittelstand schlägt Alarm – hinterfragt die Lockdown-Strategie der Bundesregierung aber nicht

Zahlreiche Branchenverbände schlagen Alarm. Es gehe inzwischen ums Überleben zehntausender Kleinbetriebe. Die Strategie der Bundesregierung wird aber nicht grundlegend hinterfragt.
13.12.2020 11:02
Lesezeit: 3 min

Der deutsche Mittelstand appelliert an die Politik, die Unternehmen in der Corona-Krise mit weiteren Staatshilfen zu stützen und zugleich auf Belastungen zu verzichten. Die bisherigen Gelder seien wichtig, aber für viele kleine und mittelgroße Firmen noch nicht ausreichend, erklärte das Bündnis mehrerer Branchenverbände aus Handel, Handwerk, Dienstleistungssektor, Gastronomie und Hotellerie, den Freien Berufen, der Landwirtschaft und der Industrie.

„Die Lage hat sich seit den neuen Einschränkungen von Anfang November und angesichts des anhaltend hohen Infektionsgeschehens wieder verschärft“, sagte Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer stellvertretend für die Arbeitsgemeinschaft Mittelstand. „Auf die Last, die unsere Betriebe jetzt pandemiebedingt zusätzlich tragen müssen, da darf nichts mehr raufgepackt werden.“ In der Corona-Krise bräuchten die Unternehmen vor allem Liquidität. Finanzpolster, die manche Unternehmen in vielen Jahren aufgebaut hätten, seien in kürzester Zeit zusammengeschmolzen. „Für viele Betriebe geht es um die Existenz“, sagte Wollseifer.

Um gestärkt aus der Krise hervorzugehen, plädieren die Lobby-Verbände für mehr Flexibilität, mehr Mobilität und mehr Innovationen. „Staatseinfluss und bürokratische Hürden müssen verringert werden.“ Es gehe jetzt um weniger Bürokratie für Unternehmen sowie eine beschleunigte Modernisierung von Prozessen und Strukturen in Wirtschaft und Verwaltung. Kontraproduktiv seien etwa der geplante Rechtsanspruch auf Homeoffice oder auch das Regierungsvorhaben für ein nationales Lieferkettengesetz, kritisierte der Präsident des Einzelhandelsverbands (HDE), Josef Sanktjohanser.

Die Einstellungsbereitschaft der Unternehmen droht den Verbänden zufolge ausgebremst zu werden. „Vielmehr braucht es neue zeitliche Flexibilitätsspielräume, die Einfügung neuer Tariföffnungsklauseln im Arbeitszeitgesetz oder die Anhebung der Verdienstgrenze bei den Minijobs, um passgenaue Regelungen auf Branchenebene zu ermöglichen“, betonte die Lobby. „Der Mittelstand fordert ein Belastungsmoratorium bis mindestens zum Ende der laufenden Legislaturperiode.“

Branchen sehr unterschiedlich betroffen

Mitglied in dem Bündnis sind etwa der Handwerksverband ZDH, der HDE, der Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA), der Sparkassen-Verband DSGV, der Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR), der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) und der Bundesverband der Freien Berufe (BFB).

Die Lage in den verschiedenen Branchen ist aber unterschiedlich, wie auch aus einem Papier der Arbeitsgemeinschaft Mittelstand hervorgeht. Das Gastgewerbe sei durch die Pandemie in die größte Krise der Nachkriegszeit gestürzt. Im Einzelhandel sei die Lage extrem unterschiedlich. Im Groß- und Außenhandel hätten sich die Unternehmen nur langsam von den massiven Einbrüchen während des ersten Lockdowns erholt.

Dem industriellen Mittelstand machten die Reisebeschränkungen und damit verbundene Störungen der Wertschöpfungsketten zu schaffen. Im Handwerk spürten die Gewerke des Bauhaupt- und Ausbaugewerbes bisher nur in geringerem Ausmaß die Folgen der Pandemie. Demgegenüber kämpften zahlreiche Betriebe aus Bereichen wie den Lebensmittelhandwerken und den Messebauern um ihre Existenz.

Interessant ist, dass die Strategie der Bundesregierung zur Eindämmung der Pandemie – bestehend aus Ausgangsbeschränkungen, Kontaktbeschränkungen und -verboten, Alkoholausschankverboten und Ladenschließungen – von den Verbänden offenbar nicht grundlegend hinterfragt wird.

Dies scheint derzeit neben der Bevölkerung vor allem im Bundestag selbst zu geschehen.

„Halbwertszeit der Maßnahmen wird immer kürzer“

So hatte beispielsweise der FDP-Vorsitzende Christian Lindner von der Bundesregierung mehr Berechenbarkeit in ihrer Corona-Strategie gefordert. „Die Halbwertzeit der Ankündigungen, Erklärungen und Verhaltensregeln wird immer kürzer“, kritisierte er am vergangenen Mittwoch in der Generaldebatte des Bundestags. „Und damit wird auch die wichtigste Ressource in dieser Krise immer knapper, nämlich die Berechenbarkeit staatlichen Handelns.“

Der Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion bekannte sich zu zentralen Maßnahmen wie Maske-Tragen und Abstand-Halten, stellte aber einzelne Schritte der Pandemie-Bekämpfung wie Ausgangssperren in Frage. „Das sind rein symbolische Einschränkungen, die erstens unwirksam sind, zweitens unverhältnismäßig in die Freiheit der Menschen eingreifen und die drittens dem Publikum nur ein planvolles Vorgehen simulieren sollen.“

Lindner kritisierte die Höhe der Schuldenaufnahme im Haushalt 2021 als völlig überzogen. Es sei möglich, diese zu halbieren – „und zwar ohne Voodoo und Zaubertricks“. Deutschland dürfe nicht mehr Schulden machen als unbedingt notwendig und müsse so Stabilitätsanker in der Europäischen Union bleiben. „Wir haben eine fiskalische Vorbildfunktion für Andere in Europa“, sagte der FDP-Politiker und warnte: „Die Coronakrise darf nicht der Ausgangspunkt der nächsten Euro-Schuldenkrise werden.“

Die AfD sieht Deutschland nach rund zehn Monaten Corona-Krise wirtschaftlich am Abgrund. „Auch nach einem Dreivierteljahr stochern Sie immer noch im Nebel und klammern sich an die untaugliche Holzhammermethode "Lockdown", die mehr Kollateralschäden anrichtet als Nutzen im Kampf gegen das Coronavirus“, sagte die Fraktionsvorsitzende Alice Weidel im Plenum des Bundestages zu Beginn einer Generaldebatte über den Kurs der Bundesregierung.

Weidel griff Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in ihrer Rede mehrfach direkt an. Sie sagte: „Nach 15 Merkel-Jahren ist Deutschland ein Land, das seine Grenzen nicht gegen illegale Einwanderung schützen will, aber seine Bürger mit Ausgangssperren überzieht und Heerscharen von Polizisten zur Kontrolle der Maskenpflicht im Zugverkehr abkommandiert.“ Sie warf der Kanzlerin vor, das Gespür für die Nöte der Bürger verloren zu haben. Merkel sei, „die beste Kanzlerin, die Grüne und Linke je hatten“, führte sie aus, begleitet von zahlreichen empörten Zwischenrufen von Abgeordneten anderer Fraktionen.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt

 

DWN
Technologie
Technologie Arbeitsmarkt: Top-Berufe, die es vor 20 Jahren noch nicht gab
31.03.2025

Eine Studie von LinkedIn zeigt, wie Künstliche Intelligenz (KI) neue Jobs und Fähigkeiten schafft, Karrieren und Arbeitswelt verändert:...

DWN
Finanzen
Finanzen Commerzbank-Aktie: Kurs knickt nach Orcel-Aussage deutlich ein
31.03.2025

Die Commerzbank-Aktie muss nach einer starken Rallye einen Rückschlag hinnehmen. Unicredit-Chef Andrea Orcel hatte zuvor einen möglichen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft EU vor Herausforderungen: Handelskriege könnten die Wirtschaft belasten – der Ausweg heißt Binnenmarkt
31.03.2025

Die protektionistischen Maßnahmen der USA und mögliche Handelskonflikte belasten die EU-Wirtschaft. Experten wie Mario Draghi fordern...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Betonblock: Lego verklagt Hersteller von Anti-Terror-Betonklötzen
31.03.2025

Lego verklagt das niederländische Unternehmen Betonblock. Die Anti-Terror-Blöcke des Herstellers erinnerten zu sehr an die...

DWN
Technologie
Technologie Neue EU-Vorschriften: Plug-in-Hybriden drohen deutlich höhere CO2-Emissionen
31.03.2025

Mit der Einführung neuer, verschärfter Emissionsmessungen für Plug-in-Hybride (PHEVs) wird die Umweltbilanz dieser Fahrzeuge erheblich...

DWN
Politik
Politik Marine Le Pen wegen Veruntreuung zu Fußfesseln verurteilt - FN-Chef Bardella: "Hinrichtung der französischen Demokratie"
31.03.2025

Marine Le Pen wurde in Paris wegen der mutmaßlichen Scheinbeschäftigung von Mitarbeitern im Europaparlament schuldig gesprochen - das...

DWN
Technologie
Technologie Balkonkraftwerk mit Speicher: Für wen sich die Investition wirklich lohnt
31.03.2025

Balkonkraftwerk mit Speicher: eigenen Strom gewinnen, speichern und so Geld sparen. Doch so einfach ist es leider nicht, zumindest nicht...

DWN
Finanzen
Finanzen US-Börsen: Der Handelskrieg gefährdet die US-Ausnahmestellung
31.03.2025

Da Investitionen nach neuen Möglichkeiten abseits der zuletzt florierenden US-Finanzmärkte suchen, wird an der Wall Street diskutiert, ob...