Politik

Saudi-Arabien: Ein Königreich ringt um die regionale Vorherrschaft - und ums Überleben

In der achten Folge der großen geopolitischen DWN-Serie befasst sich Moritz Enders mit Saudi-Arabien: Meer und Wüste, Öl-Reichtum und Öl-Abhängigkeit, Vorherrschaft und Untergang - die Situation des Königreichs ist von Extremen geprägt.
25.12.2020 09:00
Lesezeit: 4 min
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Die Geografie Saudi-Arabiens ist von Wüsten geprägt, nur ein winziger Teil des Landes ist für die Landwirtschaft geeignet. Seinen Reichtum verdankt das Königreich seinen gewaltigen Ölvorkommen. Die befinden sich vor allem im Osten des Landes, unweit des Persischen Golfs, über den Saudi-Arabien einen Großteil seines Schwarzen Goldes exportiert. Entlang der Küste Irans – dem wichtigsten Rivalen um die Vormachtstellung in der Region. Diesem Umstand muss Riads Geopolitik Rechnung tragen. Eine Analyse.

Die Rub al-Chali, im Süden Saudi-Arabiens gelegen, ist die größte Sandwüste der Erde. Hier türmen sich Dünen bis zu einer Höhe von 250 Metern auf. Bis etwa 300 nach Christus zogen Weihrauchkarawanen durch diese Wüste, doch dann wurde sie noch unwirtlicher und konnte erst wieder im Jahr 1946 von dem britischen Entdecker Wilfred Thesiger vollständig durchquert werden. Sie gilt bis heute als eine der unzugänglichsten Gebiete auf dem Globus. Aber auch die anderen großen Wüsten Saudi-Arabiens - die An Nafud-Wüste im Norden des Landes sowie die Ad-Dhana-Wüste in seinem Zentrum – sind ausgesprochen sandig und stellen insofern Pufferzonen gegen militärische Angriffe dar. Auch Riad, die Hauptstadt des Landes und in der Mitte der Arabischen Halbinsel gelegen, ist von Wüsten umgeben.

Meere bestimmen das Schicksal des Wüstenstaats

Neben den Wüsten bestimmen zwei Meere die Geschicke Saudi-Arabiens: Das Rote Meer und der Persische Golf. Beide gehören zu den am stärksten befahrenen Schifffahrtsrouten der Welt.

Das Rote Meer, das Saudi-Arabien von Afrika trennt, ist eine der Hauptarterien des Welthandels. Im Norden des Roten Meers liegt der Suezkanal, im Süden der Golf von Aden. Handelsschiffe, die zwischen Europa und dem indopazifischen Wirtschaftsraum verkehren, müssen sowohl den Kanal als auch den von Piraterie geplagten Golf passieren. Wobei das Rote Meer und der Golf nur durch eine 27 Kilometer breite Meerenge getrennt sind: Dem Bab al-Mandab, gelegen zwischen dem Jemen auf der arabischen Halbinsel im Norden und Dschibuti auf dem afrikanischen Kontinent im Süden.

Die Kontrolle über diese Meerenge ist von derart herausragender strategischer Bedeutung, dass zahlreiche Länder Militärbasen in Dschibuti unterhalten, unter ihnen nicht nur Saudi-Arabien, sondern auch die beiden Supermächte USA und China. Im Jemen tobt derweil ein Konflikt zwischen vielen unterschiedlichen Parteien, wobei die schiitischen Huthis und diverse salafistische Gruppierungen die beiden potentesten sind und letztere von Saudi-Arabien unterstützt werden. Sollten die Huthis endgültig obsiegen, könnte sich der Jemen politisch an den Iran annähern – dem Widersacher Saudi-Arabiens um die Vormachtstellung in Nahen und Mittleren Osten. Dies dürfte einer der Gründe für die militärische Intervention Saudi-Arabiens im Jemen sein – zumal der Iran bereits in anderen Staaten der Region, wie dem Libanon, Syrien und vor allem dem Irak, an Einfluss gewonnen hat. Allerdings konnten die Saudis im Jemen das Blatt bisher nicht zu ihren Gunsten wenden. Der blutige Krieg, der gewaltiges menschliches Leid verursacht hat und weiter verursacht, wird inzwischen auch als das „saudische Vietnam“ bezeichnet.

Die geostrategische Bedeutung des Jemen für Saudi-Arabien wird umso deutlicher, wenn man bedenkt, dass auch die zweite für das Königreich existentiell wichtige Wasserstraße im Kriegsfall durch den Iran blockiert werden könnte: Der Persische Golf. Schiffe, die von hier den Indischen Ozean erreichen wollen, müssen die Straße von Hormuz passieren, eine nur 38 Kilometer breite Meerenge, durch die 90 Prozent des Öls des Mittleren Ostens und fast das gesamte Öl Saudi-Arabiens in die übrige Welt gelangen. Die beiden von den Öltankern genutzten Fahrrinnen sind sogar nur jeweils drei Kilometer breit. Dies macht die Straße von Hormuz zu einem Nadelöhr, welches der Iran, etwa mit Seeminen, sperren könnte. Die Konsequenzen wären verheerend für die gesamte Weltwirtschaft, für Saudi-Arabien jedoch in noch höherem Maße als für alle anderen Länder.

Kampf um die regionale Vorherrschaft - im Schatten der Weltmächte

Obige Analyse zeigt, dass die Freiheit der Seewege für Saudi-Arabien überlebenswichtig ist. Sie wird bislang von seinem wichtigsten Verbündeten garantiert: den USA. Dieses Bündnis war bisher für beide Seiten vorteilhaft und dürfte auch in Zukunft Bestand haben. Denn auch wenn die Vereinigten Staaten aufgrund ihrer Fracking-Industrie nicht mehr auf den Import von saudischem Öl angewiesen sind, dürfte ihnen doch daran gelegen sein, das Land im Petro-Dollarsystem zu halten und es nicht in die Arme Chinas zu treiben. Letzteres würde nämlich das Kräfteverhältnis im gesamten Nahen und Mittleren Osten zuungunsten Amerikas verändern und seinen größten geopolitischen Rivalen, die kommende Weltmacht, die schon im Iran und möglicherweise demnächst auch in Syrien großen Einfluss hat, weitere Handlungsoptionen eröffnen. Insofern stellt Saudi-Arabien einen Schlüsselstaat im Ringen der beiden Giganten dar.

Das Königreich könnte versucht sein, aus diesem Umstand diplomatische Vorteile zu ziehen. So hat sich neben dem Petro-Dollar inzwischen auch der chinesische Petro-Yuan etabliert. Die Möglichkeit, seine Ölexporte auch in Yuan zu fakturieren, könnte Saudi-Arabien beispielsweise als Hebel nutzen, um von den Amerikanern Entgegenkommen zu erlangen.

Sollte der Ölpreis allerdings dauerhaft niedrig bleiben, dürfte dies im Königreich zu sozialen Spannungen führen, die seine innenpolitische Stabilität untergraben könnten. So wie das Öl Saudi-Arabien reich gemacht hat, so kann das Schwarze Gold – beziehungsweise die Abhängigkeit von ihm – das Land nun in den Abgrund stürzen, was übrigens aufgrund des dadurch entstehenden Machtvakuums verheerende Folgen für die gesamte Region hätte.

Ein weiteres Problem des Wüstenstaates ist der Umstand, dass seine unterirdischen Wasser-Reservoirs nach der starken Überbeanspruchung der letzten Jahre zur Neige gehen. Ob Meerwasser-Entsalzungsanlagen das Problem werden lösen können, bleibt abzuwarten. Jedenfalls wird die Verfügbarkeit von Wasser einen immer stärkeren Einfluss auf die Politik der Länder im Nahen und Mittleren Osten haben – zumal in solchen mit einer stark wachsenden Bevölkerung wie Saudi-Arabien.

In unserer großen geopolitischen Serie sind bisher erschienen:

Russland:

deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/505453/Russlands-rote-Linie-Wie-seine-geografische-Lage-die-Machtpolitik-des-Riesenreiches-bestimmt

China:

deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/505910/In-der-Mitte-umzingelt-Wie-Chinas-Geografie-seinen-Aufstieg-zur-Weltmacht-erschwert

Deutschland:

deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/506014/Zwischen-West-und-Ost-Wie-Deutschlands-Geografie-eine-ausbalancierte-Sicherheitspolitik-erfordert

USA:

deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/506374/Immer-noch-unangreifbar-aber-nicht-mehr-Zentrum-der-Welt-Die-USA-werden-ihr-Imperium-aufgeben-muessen

Großbritannien:

deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/506643/Grossbritannien-Wiedergeburt-eines-Empires

Türkei:

deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/507181/Ordnungsmacht-oder-Aggressor-Wie-ihre-geografische-Lage-die-Tuerkei-in-ein-politisches-Dilemma-zwingt

Japan:

deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/507805/Japans-Dilemma-Heikler-Balanceakt-zwischen-zwei-Supermaechten

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