Politik

Die Impf-Frage ist eine ernste Gefahr für die Gleichbehandlung aller Bürger

Lesezeit: 3 min
06.01.2021 09:12
Mehrere Politiker fürchten, dass Unternehmen geimpften Bürgern künftig mehr Rechte verleihen könnten als ungeimpften Bürgern. Setzen sich solche Tendenzen durch, wäre der gesellschaftliche Zusammenhalt in großer Gefahr.
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Ein Impfstoff. (Foto: dpa)
Foto: Sina Schuldt

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Nach dem Beginn der Corona-Impfungen wird von Politikern zunehmend über etwaige Bevorzugungen geimpfter Bürger gegenüber ungeimpften Bürgern diskutiert - etwa auf Veranstaltungen, in Restaurants oder bei Flugreisen. Rechtspolitiker von SPD und Union sehen jedoch Regelungslücken, auch Verbraucherschützer warnen vor solchen Vorstößen. Die FDP-Fraktion hingegen hält das grundsätzlich für gerechtfertigt.

Dabei laufen die Impfungen mangels Impfstoffs seit Sonntag nur ganz langsam an und zunächst auch nur bei Pflegebedürftigen, Über-80-Jährigen und medizinischem Personal. Bis zum Jahreswechsel sollen nach Angaben von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) 1,3 Millionen Dosen zur Verfügung stehen. Pro Person sind zwei Impfungen im Abstand von drei Wochen nötig.

Die verfügbare Impfstoffmenge wird aber zunehmen, da bisher nur der von Biontech/Pfizer zugelassen ist, Anfang Januar aber mit der Zulassung des Präparats von Moderna gerechnet wird und weitere Pharmafirmen ebenfalls in Zulassungsverfahren stecken. "Wir werden im Januar noch deutlich mehr Impfungen haben, weil immer mehr der vom Staat bestellten Mengen geliefert werden", sagte der Präsident des Verbandes forschender Arzneimittelhersteller (vfa), Han Steutel, der Rheinischen Post. "Jeder weitere Hersteller, der eine Zulassung erhält, wird ebenfalls mit vorproduzierten Chargen schnell im Markt sein." Spahn hatte sich zuversichtlich gezeigt, dass jedem bis zum Sommer ein Impfangebot gemacht werden kann.

Mit Blick auf die zu erwartende Ausweitung des Angebots von Impfstoffen gewinnt aus Sicht einiger Politiker die Frage an Bedeutung, ob Geimpfte von Privatunternehmen bevorzugt werden dürfen - auch wenn eine staatliche Impfpflicht nicht vorgesehen ist und von der Politik einhellig abgelehnt wird. Die australische Fluggesellschaft Qantas hat bereits angekündigt, auf bestimmten Strecken nur noch geimpfte Passagiere mitzunehmen – eine Entscheidung, die vom Chef des Weltflugverbandes IATA kritisiert wurde.

Warnung vor einer Spaltung der Gesellschaft

Und es gibt noch sensiblere Bereiche. Auch Pflegeanbieter etwa können die ambulante und stationäre Pflege ablehnen, daran erinnert die Deutschen Stiftung Patientenschutz. Nicht geimpfte Pflegebedürftige dürften aber nicht benachteiligt werden, mahnte Stiftungsvorstand Eugen Brysch. Der Deutschen Presse-Agentur sagte er, die Bundesregierung müsse für eine gesetzliche Klarstellung sorgen. "Denn sonst können Pflegeanbieter auf ihre Vertragsfreiheit pochen. Mit der Freiwilligkeit bei der Impfung wäre es dann vorbei."

Der Chef des Bundesverbands der Verbraucherzentralen (vzbv), Klaus Müller, sagte der Rheinischen Post: "Wenn die Vertragsfreiheit für Restaurants, Fitnessstudios, die Bahn oder Pflegeheime nicht mit dem von den Ministern Spahn und Seehofer zu Recht geforderten Diskriminierungsschutz in Konflikt geraten soll, brauchen wir eine breite Diskussion, um alle Auswirkungen auf Verbraucher und Unternehmen zu erörtern. Das Justizministerium sollte dazu gleich Anfang des Jahres dem Bundestag einen Gesetzentwurf vorlegen."

Bundesgesundheitsminister Spahn und Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hatten bereits vor Sonderrechten für frühzeitig Geimpfte gewarnt. Rechtspolitiker der Koalition wollen da durchaus auch etwas tun. Der rechtspolitischer Sprecher der CSU-Landesgruppe, Volker Ullrich, sagte der Welt, für staatliche Einrichtungen, auch etwa den Nahverkehr, verbiete es sich, nach Geimpften und Nicht-Geimpften zu unterscheiden. "Im privaten Bereich gibt es hingegen eine Regelungslücke, die wir adressieren müssen."

Der rechtspolitische SPD-Fraktionssprecher Johannes Fechner sagte der Zeitung: "Die SPD-Fraktion prüft derzeit gesetzliche Maßnahmen, wie Ungleichbehandlungen von Nicht-Geimpften und Geimpften durch die Privatwirtschaft ausgeschlossen werden könnten." Allerdings machte er einen einschränkenden Zusatz: Wenn die für Februar von Biontech angekündigten Erkenntnisse zeigten, dass Geimpfte ansteckend seien, dann wäre eine Ungleichbehandlung epidemiologisch nicht zu rechtfertigen. Bisher ist zumindest denkbar, dass ein Geimpfter bei Kontakt mit dem Erreger zwar selbst nicht erkrankt, das Virus aber an andere weitergeben kann, wie das Robert-Koch-Institut erklärt.

Wenn die laufende Forschung aber das Gegenteil ergibt, sieht die FDP die Frage von Geimpften-Privilegien anders: "Steht aber fest, dass von einem Menschen weder für sich noch für andere eine Gefahr ausgeht, dann darf der Staat seine Freiheit nicht einschränken", sagte Fraktionsgeschäftsführer Marco Buschmann dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND/Dienstag).

Experten: Impfstoffe können nicht beliebig vermehrt werden

Bleibt noch die Frage der bereitstehenden Impfstoffmenge. Der Chef der Intensivmediziner-Vereinigung DIVI, Uwe Janssens, rät da zu mehr Geduld. "Wir können jetzt nichts vom Zaun brechen. Wir haben jetzt wirklich in Windeseile einen Impfstoff auf dem Markt, der sogar wirkt. Das ist sensationell", sagte der Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), dem RTL-Nachtjournal. "Lassen wir uns das jetzt doch nicht kaputtreden von der Politik, die meint, es müsste jetzt noch schneller gehen."

FDP-Chef Christian Lindner etwa hatte gefordert, den Biontech/Pfizer-Impfstoff in Lizenz von anderen Pharmafirmen produzieren zu lassen. Auch Linksfraktionschefin Amira Mohamed Ali plädierte in der "Nordwest-Zeitung" (Dienstag) dafür.

"Ich halte das für kontraproduktiv", sagte Intensivmedizin-Professor Janssens. Es sei ein biotechnisch komplizierter Prozess. "Ich würde jetzt keine Schnellschüsse machen." Sonst stellten Impfgegner womöglich infrage, dass das der richtige Impfstoff sei. "Und dann haben wir eine Riesen-Diskussion."


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