Die Türkei und Großbritannien haben ein Freihandelsabkommen vereinbart. Die beiden Länder wollen so die Kontinuität ihrer wirtschaftlichen Beziehungen nach dem Ausscheiden Großbritanniens aus dem EU-Binnenmarkt sicherstellen. Die türkische Handelsministerin Ruhsar Pekcan unterzeichnete das Abkommen am Dienstag bei einem Videogespräch mit ihrer britischen Kollegin Liz Truss.
Die Vereinbarung werde am 1. Januar in Kraft treten und sei „historisch“, sagte Pekcan. Sie stelle den zollfreien Handel für alle landwirtschaftlichen und industriellen Produkte sicher. Großbritannien sei für die Türkei der größte Exportmarkt nach Deutschland, betonte Pekcan. Im Gegenzug ist die Türkei vor allem für die britische Autoindustrie wichtig: Zehn Prozent des Handelsvolumens gehen auf den US-Konzern Ford zurück, der in Großbritannien hergestellte Autoteile in die Türkei liefert, die dort für den Bau des Modells Transit genutzt werden.
Das Handelsvolumen der beiden Länder belief sich 2019 nach britischen Angaben auf 18,6 Milliarden Pfund (rund 20,5 Milliarden Euro). Truss sagte, das Abkommen sei ein großer Gewinn für die britische Automobil- Fertigungs- und Stahlindustrie. Es ebne den Weg für ein weiteres Abkommen mit der Türkei in naher Zukunft.
Die Deutschen Wirtschaftsnachrichten hatten in den vergangenen zwölf Monaten immer wieder darauf hingewiesen, dass sich zwischen der Türkei und Großbritannien nicht nur gesonderte wirtschaftliche, sondern auch militärische und nachrichtendienstliche Abkommen abzeichnen. London und Ankara steuern auf eine Geheimdienst-Allianz zu, die sich auch auf Kontinentaleuropa auswirken wird.
In einer Analyse heißt es: „Die Beförderung von Richard Moore zum Generaldirektor des MI6 hat weltweit große Resonanz gefunden. Moore, der perfekt Türkisch spricht und zuvor als britischer Botschafter in der Türkei tätig war, setzt sich für enge türkisch-britische Beziehungen ein – insbesondere angesichts des anstehenden Brexits“ (HIER). Die Türkei und Großbritannien hatten am 11. September 2020 im östlichen Mittelmeer ein Marinemanöver durchgeführt. Das Manöver richtete sich gegen den französischen Präsidenten Macron, der das östliche Mittelmeer kontrollieren will. Doch bei den Politikmachern in Washington wurde dieses Manöver auch als Affront gegen die USA eingestuft (HIER).
Am 15. Mai 2020 hatten die Deutschen Wirtschaftsnachrichten angekündigt: „Türkei und Großbritannien wollen neue Achse in Europa bilden.“
Briten und Türken unterstützen Chinas Neue Seidenstraße
Diese sich anbahnende Allianz ist nicht zu unterschätzen, zumal sie sich auch auf die Asien-Pazifik-Region erstrecken wird. Sie umfasst auch alle Commonwealth-Staaten (HIER). Anders als beispielsweise Frankreich und die USA, setzen sich die Briten und Türken für die Verwirklichung der Neuen Seidenstraße ein, die durch China umgesetzt wird. Es ist davon auszugehen, dass sich nach der Amtsübernahme Joe Bidens zwei weltweite Lager bilden werden, die sich kritisch gegenüberstehen werden. Auf der einen Seite werden wir eine Allianz aus den USA und Deutschland in Verbindung mit Frankreich sehen, die sich gegen Russland, die Türkei und China richtet. Doch auf der anderen Seite werden wir eine enge Verzahnung zwischen China, der Türkei und Großbritannien sehen. In welches Lager Russland gehören wird, hängt stark davon ab, ob Wladimir Putin und sein engster Zirkel weiterhin die Geschicke Russlands bestimmen werden. Moskau tendiert zumindest dazu, die Türkei und Großbritannien gewähren zu lassen, zumal die Briten und Türken auf eine lange Geschichte „imperialer“ Erfahrungen auf mehreren Kontinente zurückgreifen können – und diese offenbar in Zusammenarbeit umsetzen möchten.
Zu erwähnen ist, dass die außenpolitische Richtung in der Türkei sich ändern könnte, wenn die aktuelle Regierung in Ankara abgelöst wird. Denn die gesamte Opposition tendiert in das transatlantische Lager
Deutschland steckt in einer Zwickmühle
Deutschland hat keine große Wahl. Die aktuelle und alle künftigen Regierungen werden sich in Richtung der USA orientieren müssen, weil Deutschland militärisch, nachrichtendienstlich und auch wirtschaftlich auf die USA angewiesen ist. Schließlich stellen die USA auch den wichtigsten Absatzmarkt für deutsche Produkte dar. Allerdings besteht die Gefahr, dass die neue Regierung in Washington Deutschland gegen Russland, China und die Türkei vorschieben könnte, um sich ab einem bestimmten Zeitpunkt hinterrücks mit den Briten und Türken zu einigen. Dieses Szenario ist sehr wahrscheinlich, weil die US-Amerikaner in ihrer Nahost-Politik sowohl auf die Türkei als auch auf Großbritannien angewiesen sind.
Es ist durchaus möglich, dass Deutschland zu einem „Client State“ der USA verkommt (HIER). Dies muss nicht zwangsläufig schlecht sein für das wirtschaftliche Verhältnis zwischen Deutschland und den USA – aber schlecht für eine weitgehend unabhängige Außenpolitik ist es allemal.