Politik

Nietzsche und die Lockdowns: Wie die Pandemie-Bekämpfung an eine inhumane Philosophie anknüpft

DWN-Autor Christian Kreiß wirft den Verfechtern harter Lockdowns vor, ein Menschenbild zu pflegen, in dem für Rücksicht auf die Schwachen kein Platz ist.
14.02.2021 12:29
Aktualisiert: 14.02.2021 12:29
Lesezeit: 3 min
Nietzsche und die Lockdowns: Wie die Pandemie-Bekämpfung an eine inhumane Philosophie anknüpft
Die Kinder in der Dritten Welt leiden unter Corona und den damit einhergehenden Maßnahmen besonders stark. (Foto: dpa)

In einer Ende Januar erschienenen Studie mit dem Titel „The Inequality Virus“ befasst sich Oxfam mit den gravierenden negativen Auswirkungen der staatlichen Zwangs-Lockdown-Maßnahmen in den Entwicklungsländern. Weltweit seien etwa 1,7 Milliarden Kinder von den Schulen ausgesperrt worden – in den Entwicklungsländern allerdings für eine durchschnittliche Dauer von fast vier Monaten, in den Industrieländern von „nur“ etwa sechs Wochen. In den Entwicklungsländern hat es also die Kinder besonders schlimm getroffen. Da die Internet- und Technik-Ausstattung in den armen Ländern, insbesondere bei den dortigen Unterschichten, oft sehr schlecht ist, bedeutet das für ein Millionenheer von unterprivilegierten Kindern das Ende der Bildung, das Ende der Hoffnung auf ein besseres Leben. Oxfam zieht das Fazit, dass die Lockdown-Politik im Wesentlichen die Unterprivilegierten dieser Erde trifft.

Durch die Lockdowns verloren hunderte Millionen von Menschen ihre Arbeit und wurden in Entbehrung und Hunger gestürzt. Die Zahl der in Armut lebenden Menschen dürfte sich seit März 2020 laut Oxfam um 200 bis 500 Millionen erhöht, die Zahl der akut hungerleidenden Menschen um 82 Prozent auf 270 Millionen beinahe verdoppelt haben. Selbst in den USA wird die Zahl der Erwachsenen, die nicht ausreichend zu essen haben, mit 29 Millionen angegeben (bei einer Bevölkerung von circa 330 Millionen). Oxfam schätzt, dass durch die Pandemie 6.000 bis 12.000 Menschen zusätzlich pro Tag an Hunger sterben. Gleichzeitig habe das Vermögen der Milliardäre von März bis Ende 2020 um 3.900 Milliarden auf nun etwa 12.000 Milliarden (12 Billionen) US-Dollar zugenommen. Die zehn reichsten Menschen der Welt sind in diesem Zeitraum demnach um 540 Milliarden Dollar reicher geworden.

Viele Menschen sterben an Covid – doch am Hunger sterben noch mehr

Ende Januar/ Anfang Februar 2021 starben an oder mit Covid etwa 14.000 Menschen pro Tag (Stand 4. Februar 2021, gleitender 7-Tage-Durchschnitt). Das Median- und Durchschnittsalter der Covid-Toten liegt bei etwa 80 Jahren oder darüber. Das entspricht grob der durchschnittlichen Lebenserwartung in den meisten Industrieländern. Unterstellt man, dass die an oder mit Covid Verstorbenen ohne das Corona-Virus zwei bis fünf Jahre länger gelebt hätten, so wurden durch das Virus Ende Januar etwa 28.000 bis 70.000 Lebensjahre pro Tag vernichtet. Die Hungertoten in den armen Ländern sind fast alle Kinder. Unterstellt man, dass das Durchschnittsalter der durch die Covid-Maßnahmen zusätzlich verhungernden Menschen fünf Jahre beträgt und deren Lebenserwartung 70 Jahre gewesen wäre, so werden durch die Covid-Maßnahmen pro Tag etwa 390.000 bis 780.000 Lebensjahre vernichtet. Durch die Lockdowns werden also etwa sechs- bis 28mal so viele Lebensjahre vernichtet wie gerettet. Ich vermute, dass die tatsächliche Zahl am oberen Ende der Rechnung liegt. Die Kur ist also um ein Vielfaches schlimmer als die Krankheit. Dabei sind in diesen Zahlen noch nicht die ganzen Folgekosten des heutigen Elends enthalten.

Am Rande sei bemerkt, dass auch der Ökonom und Rentenexperte Bernd Raffelhüschen, Leiter des „Instituts für Finanzwissenschaft und Sozialpolitik“ an der Uni Freiburg, für Deutschland zu einem ähnlichen Ergebnis kommt. Er errechnete, dass durch die Corona-Lockdowns in Deutschland sehr viel mehr Lebensjahre vernichtet als gerettet würden. Die Kur sei auch in Deutschland sehr viel schlimmer als die Krankheit, es würden zehn bis 100mal mehr Lebensjahre vernichtet als gerettet.

Zurück zu den Entwicklungsländern. Der Blick auf die vielen elend verhungernden Kinder ist nicht alles. Das schreckliche menschliche Leid, das dem Hungertod vorausgeht, die hunderte Millionen Arbeitslosen, die Verwahrlosung großer Bevölkerungsteile sind in diesen trockenen Zahlen nicht enthalten. Diese Lockdown-Politik hat System, ist nicht etwa Zufall. Geldzahlungen an Entwicklungsländer durch den IWF und Unterstützung durch die WHO sind stark an eine Bedingung geknüpft: Harte Lockdowns einzuführen. Das führt zu einem starken Anstieg der Hungertoten bei den Unterprivilegierten. Gleichzeit steigen die Vermögen der Reichen und Mächtigen in immer neue Höhen.

Triumph des Nihilismus

An dieser Stelle kommt mir die Philosophie von Friedrich Nietzsche in den Sinn. Hier drei Kernsätze der Nietzsche-Moral, veröffentlicht im Jahr 1888 in seinem Werk "Der Antichrist": „Was ist gut? – Alles, was das Gefühl der Macht, den Willen zur Macht, die Macht selbst im Menschen erhöht. […] Was ist Glück? – Das Gefühl davon, dass die Macht wächst. […] Die Schwachen und Missratenen sollen zugrunde gehen: erster Satz unserer Menschenliebe.“ Diesem Motto scheint ein großer Teil der Corona-Politik auf unserer Erde zu folgen. Durch die politischen Corona-Maßnahmen werden Schäden, Leid, Elend, Hunger und Tod bei den Schwächsten unserer Erde in einem solchen Ausmaß herbeigeführt, dass Nietzsche seine Freude daran gehabt hätte. lm Namen der Rettung von Menschenleben und Schutz vor einer tödlichen Krankheit werden in Wahrheit Menschenleben in großem Ausmaß vernichtet, und zwar unterprivilegierte Menschenleben, die Leben der Schwachen.

Das große Wegschauen und Ablenken

Die allererste Gegenmaßnahme, die man ergreifen müsste, wäre daher naheliegenderweise ein sofortiger Stopp der fatalen staatlichen Lockdown-Maßnahmen, die so viel mehr Leid, Elend und Tod in die Welt bringen als sie verhindern. Die politischen Zwangsmaßnahmen sind die Ursache dieser schlimmen Entwicklungen, nicht das Virus.

Was dagegen predigt Oxfam? Die Organisation führt fünf Gegenmaßnahmen auf, aber was nicht darunter ist, ist der eigentliche Grund des Elends: Die vollkommen unverhältnismäßigen Anti-Corona-Maßnahmen. Dazu schweigt sich Oxfam aus. Das empfinde ich als unseriös und heuchlerisch.

Auch Politiker lenken von der eigentlichen Ursache des Leids, den Lockdowns, ab. Im September sagte Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU): "An den Folgen der Lockdowns werden weit mehr Menschen sterben als am Virus.“ Ein wahrer Satz. Seine politischen Gegenmaßnahmen als Schlussfolgerungen: Ein Stabilisierungsprogramm über 50 Milliarden Euro und ein neues Afrika-Abkommen. Kein Wort über die Lockdown-Politik. Man mimt Betroffenheit und lenkt von den wahren Ursachen, den Lockdowns geschickt ab. Nietzsche und sein Antichrist hätten ihre Freude daran.

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Christian Kreiß

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Prof. Dr. Christian Kreiß, Jahrgang 1962: Studium und Promotion in Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftsgeschichte an der LMU München. Neun Jahre Berufstätigkeit als Bankier, davon sieben Jahre als Investment Banker. Seit 2002 Professor an der Hochschule Aalen für Finanzierung und Volkswirtschaftslehre. Autor von sieben Büchern: Gekaufte Wissenschaft (2020); Das Mephisto-Prinzip in unserer Wirtschaft (2019); BWL Blenden Wuchern Lamentieren (2019, zusammen mit Heinz Siebenbrock); Werbung nein danke (2016); Gekaufte Forschung (2015); Geplanter Verschleiß (2014); Profitwahn (2013). Drei Einladungen in den Deutschen Bundestag als unabhängiger Experte (Grüne, Linke, SPD), Gewerkschaftsmitglied bei ver.di. Zahlreiche Fernseh-, Rundfunk- und Zeitschriften-Interviews, öffentliche Vorträge und Veröffentlichungen. Homepage www.menschengerechtewirtschaft.de

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