Politik

Berliner Richter reicht Verfassungsbeschwerde gegen Corona-Politik ein

Ein Berliner Richter hat gegen die Corona-Politik der Regierung eine Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe eingereicht. „Wenn man den grundgesetzlichen Maßstab des Parlamentsvorbehalts anwendet, dann ist völlig klar, dass das, was wir gegenwärtig erleben, verfassungswidrig ist (…) Wir Richter und Staatsanwälte dienen nicht der Regierung, sondern dem Recht“, so der Richter.
14.03.2021 14:11
Aktualisiert: 14.03.2021 14:11
Lesezeit: 2 min

Der Strafrichter am Berliner Landgericht, Pieter Schleiter, ist der Ansicht, dass die deutsche Corona-Politik verfassungswidrig ist. Deshalb hat er am Bundesverfassungsgericht Karlsruhe eine Beschwerde gegen die Bundes- und Landesnormen zur Corona-Bekämpfung eingereicht.

Seine Gründe legt er in einem Interview mit der Zeitung „Die Welt“ dar:

„Durch die Pandemiebekämpfung sind über 80 Prozent aller Grundrechte betroffen. Die müssen alle abgewogen werden, und diese Abwägung sehe ich nicht.“

„Wenn man den grundgesetzlichen Maßstab des Parlamentsvorbehalts anwendet, dann ist völlig klar, dass das, was wir gegenwärtig erleben, verfassungswidrig ist (…) Die Eingriffe sind so flächendeckend und tiefgreifend, dass das nicht einfach der Verordnungsgeber regeln darf, also die Exekutive. Der ganze Prozess der Rechtsetzung ist darauf angelegt, pluralistisch zu sein. Dafür steht die Diskussion im Parlament, dafür stehen die Lesungen. Da gibt es Kritik, da gibt es Vorschläge, und dann gibt es einen Referentenentwurf. Das gefundene Gesetz ist so häufig ein Kompromiss, ein Ausgleich zwischen berechtigten Interessen. Der findet momentan gar nicht statt.“

„Was gerade in Deutschland stattfindet, hat eine Dimension, die man sich eigentlich nur in einer Notstandsverfassung vorstellen kann (…) Die Rechtswirklichkeit ähnelt der einer Notstandsverfassung, aber unter Unterlaufen des gesetzlichen Gefüges.“

„Das Föderalismusprinzip will auch sicherstellen, dass Grundrechtseingriffe nur dort stattfinden, wo es nötig ist. Wir haben eben keinen zentralistischen Staat – aus gutem Grund, wie das Dritte Reich zeigt. Jetzt erlassen zwar formal die Länder ihre Verordnungen – aber nach einem Abstimmungsprozess in einem Gremium, das im Grundgesetz nicht vorgesehen ist (…) Es geht nicht, dass die Bundeskanzlerin da einen Entwurf vorlegt und den auch durchzuboxen versucht, und dann heißt es in den Nachrichten: Die Kanzlerin hat sich durchgesetzt. Sie darf gar nicht derart Einfluss nehmen.“

„Mittlerweile hat man festgestellt: Die Übertragungsrate ist gerade in den Bereichen, die eingeschränkt werden, verschwindend gering – etwa bei den Restaurants und Theatern. Die meisten Übertragungen finden im Altersheim, zu Hause und auf der Arbeit statt. Dann muss man aber begründen, warum Menschen ihr Geschäft schließen müssen, obwohl sie die Abstände einhalten, nur die Hälfte der Leute reinlassen und Masken tragen. Nur was man nachvollziehbar begründen kann, ist verhältnismäßig.“

„Die Beweislast für die Gefährlichkeit trifft denjenigen, der die Grundrechte einschränken möchte. Eine Verdachtseinschränkung als absolute Ausnahme ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr legitim.“

„Jemanden auf der Grundlage eines PCR-Tests, vielleicht auch nur aufgrund eines Kontakts für zwei Wochen einzusperren, ohne dass ein Richter darüber entscheidet – das geht für meine Begriffe nicht.“

„Karlsruhe könnte sagen: Ja, die Sachverhaltsaufklärung weist durchgreifende Mängel auf, der Parlamentsvorbehalt wurde missachtet, die Bund-Länder-Konferenz ist in dieser Form verfassungswidrig, und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wurde verletzt – wir müssen nachbessern. Wir auferlegen den Beteiligten – das wären dann Bund und Länder – bis zum Soundsovielten, die Rechtslage entsprechend unserer Entscheidung anzupassen.“

„In welcher Gesellschaft wollen wir leben? In einem Sicherheitsstaat, um es euphemistisch zu formulieren? Oder in einem freiheitlichen Staat, wo ein differenziertes Ausbalancieren zwischen den einzelnen Grundrechten gegeben ist – und wo die Freiheit eine erhebliche Betonung hat? Ich persönlich möchte lieber in dem zweiten Staat leben.“

„Wir Richter und Staatsanwälte dienen nicht der Regierung, sondern dem Recht.“

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.

E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung sowie die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Immobilien
Immobilien Immobilienrendite: Es lohnt sich wieder zu vermieten
13.12.2025

Eine Mietimmobilie als Kapitalanlage kann wieder eine interessante Investition sein. Doch nicht überall macht das Sinn. Wo sich das...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Prominenter China-Experte zeichnet düsteres Bild für Europa: „Es wird ziemlich schlimm“
13.12.2025

Europa wähnt sich sicher, doch die nächste ökonomische Erschütterung rollt bereits heran. Der prominente China-Analyst Dan Wang...

DWN
Finanzen
Finanzen Falsche Gehaltsgruppe: Was kann ich tun, wenn meine Gehaltseinstufung nicht zum Tarifvertrag passt?
13.12.2025

Viele Beschäftigte merken erst spät, dass ihre Gehaltsgruppe im Tarifvertrag nicht zur Arbeit passt. Das kann monatlich bares Geld...

DWN
Technologie
Technologie Lidl krempelt den Einkauf um: Warum die Scan-and-Go-Technologie den Handel umdreht
13.12.2025

Litauens Handelsketten treiben den digitalen Umbruch voran. Das Selbstscansystem Scan & Go kommt nun in die Lidl Filialen. Bisher wurde...

DWN
Politik
Politik Billigfluglinien bereiten sich bereits auf Flüge in die Ukraine vor
13.12.2025

Wizz Air, Ryanair und EasyJet bringen sich in Stellung. Europas Billigfluglinien planen bereits ihre Rückkehr in die Ukraine und rechnen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Europa-Krise vertieft sich: JPMorgan warnt vor dramatischen Folgen für Amerika
13.12.2025

Die Warnungen von JPMorgan Chef Jamie Dimon treffen Europa in einer Phase wachsender politischer Unsicherheit. Seine Kritik an der...

DWN
Unternehmensporträt
Unternehmensporträt Textilrecycling: Wie eine schwedische Gründerin die Branche unter Druck setzt
12.12.2025

Ein junges schwedisches Unternehmen behauptet, die nachhaltigste Lösung für das Textilrecycling gefunden zu haben. Die Methode nutzt CO2,...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Shein, Temu & Co. betroffen: EU erhöht Kosten für Billigpakete aus Drittstaaten
12.12.2025

Um die Flut günstiger Online-Pakete aus Ländern wie China einzudämmen, beschließt die EU eine neue Importabgabe. Ab Juli 2026 sollen...