Politik

Cannabis – eine Droge wird rehabilitiert

Weltweit bahnt sich ein Umdenken hinsichtlich Cannabis an, mehr und mehr Staaten legalisieren das Rauschmittel. Die konkrete Umsetzung der Legalisierung stößt jedoch auf Probleme.
04.04.2021 10:54
Lesezeit: 6 min
Cannabis – eine Droge wird rehabilitiert
Eine Cannabis-Pflanze. (Foto: dpa)

Cannabis, die aus Hanf hergestellte Droge, die auch als Marihuana, Haschisch oder Gras weltweit von Millionen konsumiert wird, war seit 1961 von der UNO als eines der schädlichsten Suchtmittel gemeinsam etwa mit Heroin eingestuft. Nach einem mehrjährigen Diskussionsprozess wurde Cannabis im Dezember neu bewertet und zählt nun den zu den Produkten mit dem geringsten Gefahrenpotenzial.

Kurz zuvor, im November, hat der Europäische Gerichtshof in einem Urteil festgestellt, dass das Cannabis-Produkt Cannabidiol, kurz CBD, nicht als Suchtstoff angesehen werden kann, weil es nicht süchtig und abhängig macht. Somit ist CBD nun ein für den allgemeinen Gebrauch zugelassenes Lebensmittel. Die EU-Kommission, die CBD stets bekämpft hat, hat die EuGH-Entscheidung bereits umgesetzt. Schon 2019 hatte sich das EU-Parlament im Widerspruch zur Kommission für eine Lockerung der Cannabis-Regeln ausgesprochen.

Die großen Drogen-Pandemien fordern Millionen Tote

Die jüngste Entwicklung bedeutet nicht, dass nun Cannabis frei verkauft werden kann. Die geschilderten Neuerungen weisen zwar in diese Richtung, doch bleibt die Lage weiterhin durch zahllose, einander widersprechende Bestimmungen unklar. Die Verwirrung erklärt sich aus der Drogenpolitik, die mit Eifer betrieben wird, um zu zeigen, wie sehr man sich um die Gesundheit der Bevölkerung kümmert. Betrachtet man die Daten, so wird deutlich, dass die unbestritten notwendige Bekämpfung der Drogen in erster Linie von den tatsächlich dominierenden Problemen ablenken soll, die man nicht in den Griff bekommt.

  • Weltweit sind jährlich 8 Millionen Tabaktote und 3 Millionen Alkoholtote zu beklagen.
  • Die Fettleibigkeit rückt als Todesursache in den Vordergrund, die OECD weist bereits etwa 3 Millionen Tote im Jahr aus.
  • Der gesamte Konsum illegaler Drogen fordert hingegen 600.000 Opfer und die Cannabis-Konsumenten zählen nicht dazu.

Cannabis gehört zu den weniger gefährlichen Drogen

Die gesundheitlichen Folgen des Cannabis-Konsums hingegen sind überschaubar.

  • Die Droge ist für sich nicht tödlich. Todesfälle treten nur bei Kombination von Cannabis mit anderen Produkten wie etwa Tabak auf.
  • Bei mäßigem Gebrauch lassen sich positive Wirkungen auf die Psyche feststellen, auch als Schmerzmittel bewährt sich das Produkt.
  • Der extreme Konsum führt zu psychischen Störungen, die nicht unterschätzt werden dürfen. Es gilt aber, die Relationen deutlich zu machen.
  • In dem 2010 in Großbritannien ermittelten Vergleich der Schadenspotenziale rangiert das Hanf-Produkt an achter Stelle nach Alkohol, Heroin, Crack, Metamphetamin, Kokain, Tabak und Speed. Die Reihung stammt vom britischen Psychiater und Pharmakologen David Nutt, der beim Rauchen von Cannabis nur ein relativ kleines Risiko sieht.
  • Hier soll in keiner Weise das Drogenproblem bagatellisiert werden. Wer den entsetzlichen Zustand von drogenabhängigen Personen und insbesondere von Jugendlichen gesehen hat, weiß um die katastrophalen Konsequenzen des übermäßigen Konsums von Heroin, Kokain oder von Metamphetamin, das eher unter den Namen Pervitin oder Crystal Meth bekannt ist.

Die Zahl der Länder, in denen Cannabis frei erhältlich ist, steigt

Auch Cannabis kann letztlich bei extremem Einsatz schädlich sein. Weltweit findet ein Tauziehen zwischen Verbieten und Erlauben von Cannabis statt. In Kanada und in Uruguay ist Cannabis frei erhältlich, auch für den privaten Konsum. In Mexiko und in Luxemburg zeichnet sich eine ähnliche Entscheidung ab. In den USA haben 15 Staaten Cannabis auch für das Publikum frei gegeben. Allerdings befinden sich die Staaten im Widerstreit mit der Bundesgesetzgebung, die nach wie vor Cannabis generell verbietet. Auch hier ein Tauziehen, das an Dimension gewinnt, weil die Anhänger einer Freigabe in allen US-Staaten aktiv sind. In New York wurde die Droge am Dienstag offiziell ebenfalls frei gegeben werden. Weltweit haben 50 Staaten medizinische Cannabis-Programme schon vor der UNO-Entscheidung betrieben.

Entscheidend ist der Anteil des Suchtmittels Tetrahydro-Cannabinol THC

Der Schlüssel zur weiteren Entwicklung liegt in der Entscheidung über den Anteil des Suchtmittels Tetrahydro-Cannabinol, kurz THC, an dem jeweiligen Gesamtprodukt. Und in dieser zentralen Frage wird die Verwirrung immer größer.

Eine kleine Reise durch den Dschungel der Bestimmungen:

  • Die UNO hat im Einklang mit der Weltgesundheitsorganisation WHO Cannabis kürzlich als weniger gefährlich eingestuft, aber den Einsatz doch nur für medizinische und wissenschaftliche Zwecke freigegeben, den privaten Konsum aber weiterhin für illegal erklärt.
  • Das Urteil der EuGH spricht nur allgemein von CBD und erklärt, dass CBD nicht als Suchtmittel, sondern als Lebensmittel einzustufen ist. Auf den THC-Gehalt ging der Gerichtshof nicht ein. Das Verfahren vor dem EuGH betraf die Frage, ob ein anderswo in der EU zugelassenes CBD auch in Frankreich verkauft werden kann oder ob Frankreich das verbieten darf. Und nur diese Frage wurde verneint, weil CBD keine Gefährdung der Bevölkerung darstelle und daher der im Binnenmarkt der EU verankerte freie Warenverkehr zu gelten habe.
  • Nachdem der EuGH aber nicht auf die Definition von CBD und auch nicht auf den zulässigen THC-Wert eingegangen ist, rückt das Kriterium „anderswo zugelassen“ in den Vordergrund.

Der Blick richtet sich auf Deutschland, das eine streng restriktive Drogenpolitik auch bei Cannabis betreibt, aber grundsätzlich einen Anteil von 0,2 Prozent THC erlaubt. „Grundsätzlich“, weil in den einzelnen Bundesländern die Vorschriften unterschiedlich angewendet werden.

Man könnte also aus dem EuGH-Urteil ableiten, dass CBD mit 0,2 Prozent als Regel anzusehen sei. Aber es wird noch diffuser. Die WHO kam zu dem Schluss, dass Cannabis-Produkte, also nicht nur CBD, die weniger als 2 (!) Prozent THC enthalten, unbedenklich seien. 2 Prozent sind immerhin das 10fache von 0,2 Prozent.

In Kanada, dem Land mit der liberalsten Cannabis-Gesetzgebung, müssen Cannabis-Produkte mit einem Gehalt von mehr als 0,3 Prozent THC gekennzeichnet werden, bei weniger als 0,3 Prozent ist auch keine Konsumenten-Warnung vorgesehen. Mit der Höhe des THC-Gehalts steigt nur die Steuer. Die einzige, nennenswerte Einschränkung: Auto-Fahren unter Cannabis-Einwirkung ist strafbar.

Cannabis ist trotz der Verbote weltweit die Droge Nummer 1

Die Politik ist weltweit nicht in der Lage, klare Bedingungen zu schaffen, obwohl ein Blick auf die Praxis die Notwendigkeit effektiver Regelungen deutlich macht. Die UNO weist aus, dass 3,8 Prozent der Weltbevölkerung Cannabis konsumieren. Das wären 285 Millionen Menschen. Zur Orientierung: 3,3 Mal so viel wie Deutschland Bewohner hat.

Das EU-Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction geht für die EU von 25,2 Millionen Cannabis-Konsumenten oder 7,6 Prozent der 15 bis 64jährigen aus, unter den 15 bis 34jährigen liegt die Quote sogar bei 15,0 Prozent.

Das Schweizer Gesundheitsobservatorium weist aus, dass 9,6 Prozent der Schweizer Cannabis konsumieren. In keinem anderen Land sei der Konsum bei jungen Leuten stärker verbreitet.

Nicht nur die Gesamtzahlen zeigen für sich die Notwendigkeit einer klaren und von der Bevölkerung nachvollziehbaren Politik. Cannabis nimmt auch den Spitzenplatz im Drogenkonsum ein: In der EU stehen den 25,2 Millionen 15 bis 64jährigen, die jährlich Cannabis nehmen 4,3 Millionen Kokain-Konsumenten gegenüber. 2,7 Millionen verwenden MDMA, auch als Ecstasy bekannt, 2 Millionen Amphetamine und rund 1,3 Millionen Heroin und andere Opioide.

Der illegale Drogenhandel finanziert die organisierte Kriminalität und den Terror

Diese Daten machen deutlich, dass die Verbote nichts nützen. Das Argument, gäbe es die Verbote nicht, dann wären es noch viel mehr, ist angesichts von über 25 Millionen betroffenen EU-Bürgern und Bürgerinnen nicht sehr überzeugend. Vielmehr sind zwei Aspekte zu beachten:

Cannabis wird auf dem Schwarzmarkt gekauft. Das bedeutet unweigerlich, dass die Qualität nicht kontrollierbar ist, die Konsumenten nicht nur das Suchtmittel, sondern auch durch dubiose Beigaben geschädigt werden. Außerdem ist der THC-Gehalt nicht erkennbar, sodass die Betroffenen zusätzlich gefährdet sind. Durch den illegalen Handel wird die finanzielle Basis für die weltweit agierende organisierte Kriminalität und den Terrorismus geschaffen.

Alle diese Faktoren sprechen für eine Legalisierung. Das Gegenargument, dass eine Legalisierung den Zugang zur Droge erleichtert, hat sicher seine Berechtigung, muss aber im Zusammenhang der gesamten Drogensituation gesehen werden.

Die Möglichkeit, Cannabis offiziell in der Drogerie oder der Apotheke zu kaufen, erspart den Konsumenten den Weg zum kriminellen Drogenhändler und eröffnet den Gesundheitsbehörden entsprechende Eingriffe. Vor allem könnte der THC-Gehalt in den frei verfügbaren Produkten geregelt und somit auf ein gesundheitlich verträgliches Maß beschränkt werden.

Die Perspektive für die Zukunft: Die Kombination von Freigabe und Limitierung des THC-Anteils

Die vielen Kampagnen, die die Menschen von Tabak, Alkohol und anderen Drogen abhalten sollen, sind sämtliche gescheitert. Verbote haben sich stets als erfolglos erwiesen und nur die Kriminalität gefördert, das zeigte sich an der Alkohol-Prohibition in den dreißiger Jahren in den USA und gilt bis heute für den untauglichen Versuch, Drogen zu verbieten. Es hat daher wenig Sinn über neue, ultimative Werbeideen nachzudenken. Gesellschaftspolitische Initiativen, die darauf abzielen, „die Menschen zu ändern“, sind immer problematisch.

Die einzig taugliche Methode ist die Kombination der Freigabe mit einer Begrenzung des Suchtmittel-Anteils, wie sie sich derzeit bei Cannabis abzeichnet. Es gibt keine Regel, die den Verkauf von Getränken mit einem Anteil von 40 oder 60 Prozent Alkohol verbietet, sodass man nach Belieben ein Produkt kaufen kann, dessen extremer Konsum tödlich endet. Seitdem die Anti-Rauch-Kampagnen laufen, haben die Bemühungen um eine Reduktion der Schadstoffe in den Zigaretten nachgelassen, weil man an Kompromissen nicht interessiert ist. Die Krönung all dieser eigenartigen Vorgangsweisen liefert Deutschland, wo ein Getränk, das die Bezeichnung Limonade trägt, mindestens 7 Prozent Zucker enthalten muss. Dabei gibt es keinen Ernährungsexperten, der nicht händeringend im Gegenteil eine weit unter diesem Satz liegende Obergrenze einfordern würde.

Weltweit könnte eine Reform der gesetzlichen Lebensmittel-Regeln mit der Vorgabe von Obergrenzen bei Alkohol, Fett und Zucker einen wertvollen Beitrag zur Stärkung der Gesundheit leisten, ohne dass man sich aus einer derartigen Maßnahme die Lösung aller Probleme erhoffen darf. Kommt es zu einer Obergrenze beim Anteil von THC bei Cannabis, dann käme eine groteske Situation zustande: Cannabis wäre dann gesünder als alkoholische Getränke, gesünder als Limonaden und gesünder als Zigaretten.

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Ronald Barazon war viele Jahre Chefredakteur der Salzburger Nachrichten. Er ist einer der angesehensten Wirtschaftsjournalisten in Europa und heute Chefredakteur der Zeitschrift „Der Volkswirt“ sowie Moderator beim ORF.

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