Politik

Drei Brennpunkte bedrohen den Frieden: Schickt der Westen nur Berater - oder seine Armeen?

Lesezeit: 7 min
10.04.2021 16:16  Aktualisiert: 10.04.2021 16:16
In seinem meinungsstarken Artikel analysiert DWN-Kolumnist Roland Barazon die weltweite Sicherheitslage.
Drei Brennpunkte bedrohen den Frieden: Schickt der Westen nur Berater - oder seine Armeen?
Ein Konvoi trifft zu einem Treffen der NATO-Führungskräfte im "Grove Hotel und Resort" im britischen Watford ein. (Foto: dpa)

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Die internationale Lage spitzt sich immer mehr zu. Die drei seit neuestem verbündeten Mächte China, Russland und Iran intensivieren ihre Aktivitäten, mit denen sie den Westen immer stärker unter Druck setzen. Zielscheibe Nummer eins sind die USA, aber da Amerika inhärenter Teil der Nato ist, geraten automatisch auch die Bündnis-Mitglieder Deutschland, Großbritannien und Frankreich ins Visier. Bedenken muss man auch, dass die EU im Lissabonner Vertrag von 2009 ihre enge Verbindung mit der NATO verankerte.

Das Tempo, das China, Russland und Iran an den Tag legen, macht deutlich, dass Xi Jinping, Putin und Khamenei die Regierung Biden als schwach und Europa als gelähmt einstufen. Aber selbstverständlich strebt das Dreigestirn keinen Krieg gegen den Westen an, vielmehr soll dieser an verschiedenen Stellen beschäftigt werden. Warum? Damit China freie Hand bekommt, um Taiwan zu erobern, und auch die beiden anderen Länder ihre Eroberungspläne leichter verfolgen können.

Die Einschätzung der USA, der NATO und der EU als schwache und verwundbare Akteure ist durchaus berechtigt. Allerdings wird der Westen dennoch nicht untätig bleiben, und so drohen Szenarien, die letztlich in einem Waffengang münden könnten. Bei drei bestimmten Konflikten ist die Gefahrenlage besonders brisant.

Die drei Brennpunkte sind Taiwan, der Irak sowie die Ukraine

Das Planspiel, das offenbar in Peking designt wurde, funktioniert folgendermaßen:

  • Der Iran soll sein - ohnehin gegebenes – Ziel verfolgen, den Irak, Syrien und den Libanon zu erobern und damit bis zum Mittelmeer vorzustoßen.
  • Russland wird seine militärische Präsenz an der ukrainischen Grenze verstärken. Die Rückführung der Ukraine unter russische Hoheit ist schließlich ein erklärtes Ziel von Moskaus Außen- und Sicherheitspolitik.
  • China wird seine Bemühungen verstärken, den Süd-Pazifik zu dominieren. Es setzt dabei angebliche Fischer-Boote ein, deren Besatzungen jedoch in Wahrheit gar kein Interesse an Meerestieren haben, sowie seine Küstenwache, die übrigens ziemlich weit weg von der chinesischen Küste agiert. Die Realität: Beide, Fischer und Küstenwächter, benützen die gleichen Marineschiffe. Die Aktivitäten richten sich derzeit besonders gegen Inseln, die zu den Philippinen gehören, das eigentliche Ziel ist aber die Republik Taiwan, die von Peking als Teil Chinas betrachtet wird.

Die Eroberung Taiwans wird kein militärischer Spaziergang

Überall müssen die USA reagieren, das heißt ihre Kräfte verteilen und sich folglich auf diese Weise schwächen, lautet die Logik der Krisen-Initiatoren. Tatsächlich reagiert der Westen vorerst aber nur mit wütenden Protesten und Säbelgerassel.

  • Die USA haben vor kurzem erklärt, dass der bestehende Verteidigungspakt mit den Philippinnen auch den Pazifik und insbesondere das Südchinesische Meer betrifft. In der Region sind Vietnam, Malaysia und Indonesien durch die chinesischen Expansionsgelüste ebenfalls alarmiert. Es bleibt unklar, wie stark China diese Länder unter Druck setzen wird und wie diese sich gegenüber dem chinesischen Riesen verhalten werden – und was die USA im Fall der Fälle unternehmen würden.
  • In Pekings Hauptziel Taiwan hat die Regierung vor wenigen Tagen schon eine konkrete Reaktion auf die chinesischen Aktivitäten gezeigt. Man hat mit den USA ein neues Abkommen geschlossen, in dem die Zusammenarbeit der Küstenwachen der beiden Länder beschlossen wurde. Das heißt, man hält sich an die von China vorgegebene Maskerade und agiert ebenfalls mit vermeintlich zivilen Einheiten. Die US-Coast-Guard untersteht in Friedenszeiten dem Innenministerium und nur im Krieg dem Pentagon (die Absurdität dieser chinesisch-amerikanischen Küstenwachen-Aktivitäten wird deutlich, wenn man sich einmal folgende Frage stellt: Wo liegt eigentlich die chinesische Küste, wo die amerikanische – mit anderen Worten: Was haben Küstenwachen weit draußen auf dem Meer zu suchen? Aber das nur nebenbei).

Angesichts des massiven Widerstands gegen die chinesischen Aktivitäten dürfte die Invasion Taiwans kein Spaziergang werden. Außer der Westen begnügt sich, wie schon bei der Unterwerfung Hong-Kongs und der Uiguren, mit wirkungslosen Protesten und Sanktionen gegen einzelne Funktionäre. Und mit der Bereitstellung von Waffen und der Entsendung von „Beratern“, also von Militärs, die nicht offiziell als US-Armee agieren. Wobei eines anzumerken ist: Mit dieser Art Politik schlitterten die USA bereits in mehrere Kriege, allen voran in den in Vietnam. Den „Beratern“ folgen meist nach einiger Zeit doch die regulären Streitkräfte.

Das frivole Spiel des Westens mit der Ukraine

Der Eindruck, dass der Westen im Grunde nur wirkungslose Proteste abgibt, entsteht nicht zufällig. Seit Jahren betreiben die EU und die NATO mit der Ukraine ein frivoles Spiel. Ständig wird eine enge Zusammenarbeit suggeriert und von einer militärischen Partnerschaft geredet. Eine Regierung nach der anderen in Kiew glaubt die schönen Worte und muss feststellen, dass in der Realität keine nennenswerte Unterstützung erfolgt. Gelegentliche Geldspenden, die in dem Krisenland wirkungslos versickern, und einige Waffenlieferungen, die niemanden beeindrucken, sind kaum der Erwähnung wert.

In den vergangenen Tagen hat Russland tausende Soldaten an die ukrainische Grenze verlegt und das Putin-Wort demonstriert: „Wenn wir wollen, sind wir in wenigen Stunden in Kiew!“ Offiziell geht es nicht um eine Bedrohung der Ukraine – man dürfe schließlich auf dem eigenen Territorium Militär nach Belieben bewegen. Der Präsident der Ukraine, Wolodymyr Selenskyj, sieht das anders und hat prompt die NATO um Hilfe ersucht.

In Kiew sind zahllose Sympathie- und Solidaritätserklärungen eingetroffen, aus Washington, aus London, aus dem NATO-Hauptquartier und so weiter, und so fort. Die ukrainische Führung muss aber zur Kenntnis nehmen, dass die schönen Worte dieser Woche sich nicht von den vielen Erklärungen in den vergangenen Jahren unterscheiden: Das Land ist bis heute weder EU- noch NATO-Mitglied. Die Annexion der Krim durch Russland und die Abspaltung der Ostregion des Landes durch moskau-freundliche Separatisten seit 2014 hat die NATO auch nicht auf den Plan gerufen. Warum soll dies bei einem eventuellen Einmarsch der russischen Armee in weitere Gebiete geschehen? Man erinnert sich an Georgien, wo die Okkupation des Nordostens des Landes durch die russische Armee im Jahr 2008 auch nicht mehr als wirkungslose Proteste ausgelöst hat.

Das US-Parlament wird für die Ukraine keinen Krieg gegen Russland genehmigen

Die von den USA dominierte NATO dürfte durch ihre neuen Mitglieder in Osteuropa unter Druck geraten. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurden die Staaten an der EU-Ostgrenze, als da sind Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn, Rumänien, Bulgarien sowie die drei baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen in das Militärbündnis aufgenommen. In diesen Ländern herrscht nach wie vor die Angst vor einer russischen Aggression, schließlich klingt allen das Putin-Wort im Ohr, die Zerschlagung der Sowjetunion sei ein historischer Fehler gewesen.

Allerdings ist kaum anzunehmen, dass eine solche Aggression tatsächlich erfolgen könnte. In Moskau ist man vor allem daran interessiert, dass Weißrussland, die Ukraine und Georgien ein nicht von der NATO kontrolliertes Glacis vor der Grenze Russlands bilden. Und: Allein wegen der Ukraine wird das US-Parlament kaum einen Waffengang in Osteuropa genehmigen. Biden selbst beeilte sich bereits kurz nach seinem Amtsantritt, den russischen Präsidenten anzurufen und eine Verlängerung des von Trump blockierten Vertrags „New Start“ über die Begrenzung von Atomwaffen zu vereinbaren. Eine scharfe Anti-Russland-Politik ist bislang nicht erkennbar.

Es ist daher davon auszugehen, dass der Westen eine russische Provokation in Osteuropa nicht zum Anlass für ein militärisches Eingreifen nimmt. Auch in diesem Krisengebiet sind jedenfalls vorerst die weitere Bereitstellung von Waffen und die Entsendung von „Beratern“ wahrscheinlicher als ein prompter Militärschlag. Das heißt: Ein weiteres Vietnam-ähnliches Szenario könnte Wirklichkeit werden.

Im Irak und im Iran betreibt der Westen eine konzeptlose Politik

Auch im dritten Spannungsgebiet, das die russisch-chinesisch-iranische Koalition im Visier hat, betreibt der Westen eine konzeptlose Politik.

Vor wenigen Tagen wurde zwischen den USA und dem Irak eine Vereinbarung über den Abzug aller noch im Land agierenden amerikanischen Truppen beschlossen, auch wenn der genaue Zeitpunkt noch nicht feststeht. Verbleiben sollen allerdings Ausbilder, letztlich also auch hier „Berater“.

Damit überlässt Biden das Land ungeschützt den Attacken des Iran. Die neue Entscheidung steht allerdings im Widerspruch zu dem vor kurzem, bereits unter Biden durchgeführten US-Angriff auf iranische Truppen, die immer wieder die Souveränität des Irak verletzen.

Der Umgang mit dem Iran ist generell widersprüchlich: Der neue US-Präsident versucht, den Vertrag mit dem Mullah-Regime über den Verzicht auf Atomwaffen zu retten und ist dafür auch bereit, die Sanktionen gegen das Land zu reduzieren (die als Atom-Deal bekannte Vereinbarung aus dem Jahr 2015 wurde von Trump gekündigt). Allerdings haben die USA erklärt, dass wegen Menschenrechtsverletzungen zwei Mitglieder der iranischen Revolutionsgarden nicht mehr in die USA einreisen dürfen. Welchen Sinn dieses Verbot hat, ist schwer nachvollziehbar, da die Garden, eine Privatarmee des Obersten Führers Khamenei, ohnehin als terroristische Organisation eingestuft sind. Biden und sein Außenminister Antony Blinken sprechen von einer Doppelstrategie, „für den Atom-Deal und gegen Menschenrechtsverletzungen“, eine subtile Unterscheidung, die im Iran auf Unverständnis stößt.

Zur Erinnerung: In zwei Kriegen gegen den Irak haben die USA das Saddam-Hussein-Regime zunächst entscheidend geschwächt, dann gestürzt. 2011 zogen die Amerikaner aus dem Irak ab, Jahre später kamen sie wieder, um den IS zu vernichten. Jetzt ziehen die USA wieder ab. Was tun die USA, wenn der Iran sein erklärtes Ziel umsetzt und den Irak zu erobern versucht – kommen die amerikanischen Soldaten dann wieder? Wahrscheinlich. Vielleicht aber auch nur Berater. Noch ein neues Vietnam?

Unter welchen Umständen sind die USA bereit, einen Krieg zu führen?

Beide Parteien im US-Parlament, die Demokraten wie die Republikaner, neigen traditionell eigentlich eher zu einer Politik der Nicht-Einmischung. Diese Feststellung mag erstaunlich klingen, wenn man bedenkt, wie oft und wo überall auf der Welt die USA eingegriffen haben und immer noch eingreifen. Für die US-Politik ist jedoch entscheidend, ob sich die USA bedroht sehen, oder ob ein Konflikt ihre politischen und wirtschaftlichen Interessen betrifft. Dann sind sie bereit, ein- und anzugreifen – sonst nicht. So kommt es zu durchaus verwunderlichen Entscheidungen:

  • Die USA weigerten sich so lange, im Zweiten Weltkrieg einzugreifen, bis im Dezember 1941 ein großer Teil der amerikanischen Pazifik-Flotte in Pearl Harbour durch einen japanischen Angriff zerstört wurde.
  • Erst als im September 2001 islamistische Terroristen das World Trade Center in New York zum Einsturz brachten, begriffen die Amerikaner, dass ihr Land selbst bedroht war und den Krieg gegen den Terror aufnehmen musste.

Und wie sehen die Vorgaben jetzt aus?

Grundsätzlich muss man davon ausgehen, dass die USA kein primäres Interesse daran haben, die Ukraine gegenüber Russland, den Irak gegen den Iran und Taiwan gegen China zu schützten. Die Entsendung von „Beratern“ und die Lieferung von Waffen bieten sich als vermeintlich ausreichende – realistischerweise jedoch nur teilweise und halbherzige – Lösungen an.

Allerdings haben zwei Ereignisse bereits stattgefunden, die sich als Pearl Harbor des Jahres 2021 erweisen könnten: Der erfolgreiche Cyber-Angriff Russlands auf zahlreiche US-Behörden und die Infiltration der Microsoft-Systeme durch China. Vorerst haben diese beiden Interventionen keine Folgen, weil die eingeschleusten Schad-Programme nicht aktiviert werden. Niemand in den USA weiß also, in welchem Ausmaß Russland und China in der Lage sind, amerikanische Einrichtungen lahmzulegen. Solange nicht alle Computer-Viren entdeckt sind, können die Hacker nach Belieben losschlagen und möglicherweise ganze Städte in den Stillstand zwingen, militärische Einrichtungen blockieren oder Flugzeuge am Start hindern.

Für chinesische Strategen ergibt sich als ideales Szenario ein langer Stromausfall in Washington und im Pentagon genau in dem Moment, in dem chinesische Flugzeuge Taiwan angreifen. Dann allerdings befinden sich die USA im Krieg und mit den USA die gesamte NATO und die mit der NATO aufgrund des Lissabonner Vertrags verbundene EU. Vorerst schlummern die vielen Beistandsverpflichtungen eher unbeachtet in den verschiedensten Dokumenten. Plötzlich, wie dies 1914 bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs der Fall war, müssten im Ernstfall hektisch in den Staatskanzleien Recherchen angestellt werden, um festzustellen, wozu man denn eigentlich im Kriegsfall wem gegenüber verpflichtet ist. Die unendlich komplizierten Klauseln lassen sich in einem Satz zusammenfassen: Im Ernstfall trifft es alle Staaten.

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Ronald Barazon war viele Jahre Chefredakteur der Salzburger Nachrichten. Er ist einer der angesehensten Wirtschaftsjournalisten in Europa und heute Chefredakteur der Zeitschrift „Der Volkswirt“ sowie Moderator beim ORF.


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