Im Kampf gegen die dritte Corona-Welle greift ab diesem Samstag in vielen Teilen Deutschlands eine «Notbremse» mit schärferen einheitlichen Beschränkungen. Die Bundesregierung bat die Bürger zum Start der Neuregelungen für Regionen mit sehr hohem Infektionsgeschehen um Verzicht auf Kontakte - dazu beitragen sollen auch weitgehende nächtliche Ausgangsbeschränkungen.
«Das ist hart, das fällt schwer, jedem von uns. Aber das ist für eine Übergangszeit notwendig», sagte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am Freitag. Von Ländern und Kommunen kam Kritik mit Blick auf die Umsetzbarkeit.
Die Notbremse greift ab Samstag automatisch für alle Landkreise und Städte, in denen am vergangenen Dienstag, Mittwoch und Donnerstag eine Sieben-Tage-Inzidenz von 100 überschritten wurde. Der Wert gibt an, wie viele Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner es binnen einer Woche gab.
Im bundesweiten Schnitt stieg er nun auf 164, wie das Robert Koch-Institut (RKI) am Freitag bekannt gab. Laut RKI-Lagebericht von Donnerstag verzeichneten 345 der 412 Kreise eine Sieben-Tage-Inzidenz von mehr als 100 - die Notbremse gezogen werden muss allerdings erst dann, wenn dies an drei aufeinander folgenden Tagen der Fall ist.
Die am Donnerstag im Bundesgesetzblatt veröffentlichten Neuregelungen waren von Bundestag und Bundesrat in einem beschleunigten Verfahren besiegelt worden. In Kommunen, in denen die Notbremse greift, dürfen Menschen von 22.00 Uhr bis 5.00 Uhr die Wohnung in der Regel nicht mehr verlassen. Alleine Spazierengehen und Joggen sind bis 0.00 Uhr erlaubt.
Es darf sich höchstens noch ein Haushalt mit einer weiteren Person treffen, wobei Kinder bis 14 Jahre ausgenommen sind. Läden dürfen nur noch für Kunden öffnen, die einen negativen Corona-Test vorlegen und einen Termin gebucht haben. Präsenzunterricht an Schulen soll ab einem Inzidenzwert von 165 meist gestoppt werden.
Die ab 0.00 Uhr in der Nacht zu Samstag greifende Notbremse betreffe nicht nur den Aufenthalt an einem Ort, sondern auch Reisen von A nach B, erklärte das Bundesinnenministerium. Wer zwischen 22.00 und 5.00 Uhr touristisch reisen möchte, sollte besser umplanen. Dienstliche Flugreisen seien wegen der vorgesehenen Ausnahmen möglich.
Kontrolleure von Polizei oder Ordnungsämtern müssten im Einzelfall nach Ermessen und mit gesundem Menschenverstand entscheiden, ob man einen glaubhaften Grund nenne, weshalb man unterwegs sei. «Wenn ein Bäckermeister mitten in der Nacht seinen Berufsort aufsucht, dann wird man das sehr schnell nachvollziehen können», sagte ein Sprecher.
Die Regelung enthält eine Reihe von Ausnahmen. Ausgang auch nachts erlaubt ist etwa zur Berufsausübung, um das Sorgerecht wahrzunehmen oder in medizinischen Notfällen bei Mensch und Tier. In solchen Fällen könnten auch Auto oder Bahn genutzt werden, erläuterte Vize-Regierungssprecherin Martina Fietz. «Der Lkw-Fahrer darf selbstverständlich auch seine Waren weiter transportieren und der Enkel seine erkrankte Großmutter ins Krankenhaus fahren.»
Hintergrund der nun bundesweit einheitlichen Vorgaben ist die weiter angespannte Corona-Lage. RKI-Vizepräsident Lars Schaade sagte: «Die Fallzahlen scheinen im Moment nicht mehr so rasant anzusteigen.» Der Effekt könne mit geringerer Mobilität über Ostern zu tun haben, viele Menschen seien den Daten zufolge nicht verreist. «Damit haben Sie alle das Virus etwas gebremst.» Inzwischen habe die Mobilität aber zugenommen, es bestehe durchaus die Gefahr eines Wiederanstiegs der Fallzahlen. «Für Entwarnung ist es also zu früh.» Pro Woche stürben in Deutschland 1000 Menschen an Covid-19. In den Krankenhäusern stiegen die Zahlen vor allem bei den 35- bis 59-Jährigen.
Landkreistags-Präsident Reinhard Sager sagte der Rheinischen Post: «Die Bundes-Notbremse ist nicht das segensreiche Instrument, für das sie gehalten wird.» Möglichkeiten der Länder würden eingeschränkt, passgenau auf Infektionsgeschehen vor Ort zu reagieren. Die Regelungslage werde «noch unübersichtlicher».
Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) sagte der Zeitung, das Gesetz halte nicht, was Kanzlerin Angela Merkel (CDU) versprochen habe. Sie kritisierte, dass sich schon, wenn der Inzidenzwert drei Tage über 100, und nach fünf Tagen unter dieser Grenze liege, die Regeln änderten. «Das kann zum Beispiel bei den Ausgangsbeschränkungen zu einem ständigen Hin und Her führen.»
Spahn trat Befürchtungen eines raschen Hin und Her an Schulen je nach Infektionslage über oder unter dem Wert von 165 entgegen. «Der Landkreis muss ja immer mehrere Tage in Folge über dem Wert liegen und dann mindestens fünf Tage in Folge jeden Tag darunter.» Daraus ergebe sich, dass dies nicht täglich schwanke. Länder und Kommunen hätten zudem Spielraum. «Es ist eine Notbremse. Ich kann nicht anempfehlen, immer zu warten bis zur Notbremsenregelung, bevor man Maßnahmen ergreift.» Ausgangsbeschränkungen lägen zudem schon seit Anfang März nach einem Bund-Länder-Beschluss im Instrumentenkasten.