Politik

Biden reicht Putin die Hand - um gemeinsam gegen China vorzugehen

Joe Biden verfolgt auf seiner Europa-Reise nur ein Ziel: Eine amerikanisch-europäisch-russische Allianz gegen China zu schmieden. Der einstmals als "schläfriger Joe" geschmähte 78-Jährige erweist sich als smarter Stratege.
13.06.2021 10:00
Lesezeit: 3 min

Joe Biden hat seinen ersten Europabesuch als US-Präsident angetreten. Derzeit nimmt er am G7-Gipfel in England teil, anschließend steht ein NATO-Gipfel in Belgien und dann ein Treffen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in Genf auf dem Programm. Aber auch wenn Europa der Schauplatz ist - letzten Endes dreht sich doch alles um China, weil das vorrangige strategische Ziel Bidens darin besteht, eine gemeinsame Antwort des Westens auf das Verhalten Chinas zu formen.

Chinas wachsendes Selbstbewusstsein und seine Verachtung gegenüber Europa haben das Bild vieler europäischen Spitzenpolitiker von Präsident XI Jinping getrübt und eine Gelegenheit geschaffen, die Biden unbedingt nutzen will. So seltsam es klingen mag, steht inzwischen die Gaspipeline Nord Stream 2, die Deutschland und Russland verbindet, im Mittelpunkt von Bidens Bemühungen, Europa, und insbesondere Deutschland, von China zu lösen und wieder auf seine Seite zu ziehen.

Jahrelang hat Biden Nord Stream 2 als „schlechten Deal für Europa“ verspottet und argumentiert, das Projekt gefährde die Sicherheit des Kontinents und insbesondere Polens, der Ukraine und der baltischen Staaten. Bei seiner Anhörung vor dem Kongress sagte der amerikanische Außenminister Antony Blinken, die neu gewählte Regierung sei entschlossen, die Fertigstellung der Pipeline „mit allen Mitteln zu verhindern“.

Die amerikanischen Versuche, Nord Stream 2 zu torpedieren, hätten der transatlantischen Allianz aber womöglich den Todesstoß versetzt, weil die Regierung von Angela Merkel russisches Gas als Zwischenschritt zum Kohleausstieg betrachtet. In einer unerwarteten Kehrtwende hoben die Vereinigten Staaten letzten Monat Sanktionen gegen das Unternehmen, das die Pipeline baut, auf. Seitdem schwärmt der deutsche Außenminister Heiko Maas überschwänglich von den „wirklich hervorragenden Beziehungen, die wir mit der Biden-Administration aufgebaut haben.“

Ohne Zweifel gehört Putin, bislang, zu den größten Gewinnern. Wenn Nord Stream 2 russisches Gas durch die Ostsee direkt nach Deutschland bringt, kann der Kreml seine Lieferungen an die Ukraine und anderen Transitländer drosseln. Aber obwohl dies unleugbar die Sicherheit, finanzielle Lage und sogar die Unabhängigkeit der Ukraine gefährdet, hat die Biden-Regierung klug erkannt, dass sie die Pipeline nicht mehr verhindern kann. Stattdessen toleriert sie das Projekt nun und nutzt dieses Zugeständnis, um Deutschland zu einem Schulterschluss mit der US-Politik gegenüber China zu bewegen.

China seinerseits hält Europa für noch dekadenter und erstarrter als die USA, überhäuft den Kontinent mit Beleidigungen und schreckt nicht einmal vor individuellen Sanktionen gegen das niederländische Parlament und Mitglieder des Europäischen Parlaments zurück. Im Gegenzug hat das Europäische Parlament die Ratifizierung des „Umfassenden Investitionsabkommens“ blockiert, auf das sich die Europäische Kommission letzten Dezember mit China geeinigte hatte, ohne auf die Bitte der gewählten Biden-Regierung um vorherige Gespräche zu diesem Thema einzugehen.

Chinas arrogantes Auftreten gibt sowohl Deutschland als auch den USA den nötigen Anstoß für einen Deal, der den Westen wieder vereint. Die Bedingungen stehen schon fest: Deutschland bekommt die Pipeline und letztlich die Klimapolitik, die es will, die USA werden von Deutschland bei der Umsetzung einer neuen China-Strategie und der Verteidigung einer auf Regeln beruhenden internationalen Ordnung unterstützt.

So gesehen war Bidens Entgegenkommen bei Nord Stream 2 eigentlich kostenlos. Solange Deutschland entschlossen ist, das Projekt durchzusetzen, hätte der Widerstand der USA die westliche Allianz nur weiter gespalten. Anders als der vorherige Präsident Donald Trump mit seinen bombastischen Deals und waghalsigen Stunts hat Biden die reale Lage erkannt und ihr echte Vorteile abgerungen. Inzwischen ist es extrem unwahrscheinlich, dass die Europäer in näherer Zukunft der Umsetzung des „Umfassenden Investitionsabkommens“ zustimmen.

Und was Putins Russland angeht, scheint Biden zuversichtlich, dass der Westen das Land nicht nur in Schach halten, sondern sogar ebenfalls China abspenstig machen kann. Viele Argumente sprechen dafür, dass eine zunehmende Abhängigkeit von China die nationalen Sicherheitsinteressen Russlands verletzt, und genau diese Botschaft wird Biden Putin in Genf vermutlich nahe bringen.

Trump war der Meinung, Amerika könne seine wirtschaftlichen und politischen Ziele auch ohne Verbündete in Europa erreichen. Biden dagegen versteht, dass die transatlantische Allianz zu den Grundpfeilern der wirtschaftlichen und nationalen Sicherheit der USA gehört. Aus diesem Grund ist er bereit, den wirtschaftlichen Interessen Russlands nachzugeben, um die Position des Westens gegenüber China zu stärken.

Nach Ansicht von Kritikern wie Wolfgang Münchau von „Eurointelligence“ beruht Bidens Politik „auf einer Fehleinschätzung der deutschen politischen Landschaft, wegen der die Chancen einer erfolgreichen Außenpolitik seiner Regierung schlecht stehen.“ Wenn es gelänge, Deutschland fest in eine vereinte Front gegen China einzubinden, wäre dies aber womöglich einer der wichtigsten diplomatischen Erfolge Bidens. Auf jeden Fall ist es eine mutige Geste, die der amerikanischen Außenpolitik den Geist des Trumpismus austreibt.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
avtor1
Melvyn Krauss

Melvyn Krauss ist emeritierter Professor der "New York University" und leitender Mitarbeiter der Denkfabrik "Hoover Institution". 
DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Zweitwichtigste Weltwährung: Euro-Kurs trotzt Trump-Chaos und Krypto-Risiken
09.09.2025

Der Euro behauptet seine Rolle als zweitwichtigste Weltwährung. Doch wachsende Risiken, Trumps Dollar-Chaos und die Konkurrenz durch...

DWN
Finanzen
Finanzen VW-Aktie: Volkswagens Namenschaos – Rettung oder letzter Trick im Poker um Elektroautos?
09.09.2025

Volkswagen verabschiedet sich vom bisherigen Namensschema seiner Modellreihen. Künftig sollen neue Elektroautos klassische...

DWN
Politik
Politik Frankreich: Regierung von Premier François Bayrou scheitert bei Vertrauensfrage
08.09.2025

Frankreichs Regierung unter Premier François Bayrou ist an der Vertrauensfrage gescheitert. Ein krachendes Votum zwingt Präsident...

DWN
Politik
Politik Höhere Beitragsbemessungsgrenzen: Sozialbeiträge werden für Beschäftigte 2026 spürbar steigen
08.09.2025

Die schwarzrote Koalition will die Beitragsbemessungsgrenzen für Rente, Pflege und Krankenversicherung anheben – mit der Begründung,...

DWN
Politik
Politik Government Pension Fund Global: Norwegens Ölfonds trotzt den USA
08.09.2025

Der Government Pension Fund Global (GPFG) sorgt für Streit: Nach dem Ausschluss von Caterpillar und israelischen Firmen drohen die USA mit...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Autozulieferer unter Druck: Stellenabbau bei Bosch, Conti, ZF – Autobranche kämpft ums Überleben
08.09.2025

Die deutsche Autobranche steckt in einer existenziellen Krise. Auftragseinbrüche, Milliardeninvestitionen in E-Mobilität und massiver...

DWN
Finanzen
Finanzen Wölfe der Wall Street: US-Börsen zwischen Rekorden und Unsicherheiten – steigt der Goldpreis auf 5.000 Dollar?
08.09.2025

Die US-Börsen schwanken zwischen Euphorie und Risiko: Rekorde bei S&P 500 und Nasdaq treffen auf Sorgen um Fed-Unabhängigkeit und...

DWN
Politik
Politik EU-Asylagentur: Deutschland bei Asylanträgen nicht mehr führend
08.09.2025

Seit mehr als zehn Jahren lag Deutschland bei Asylanträgen in Europa unangefochten an der Spitze. Nun übernehmen Frankreich und Spanien...