Politik

G7-Staaten horten Impfstoffe - für arme Länder reicht es nicht

Die im G7-Format versammelten Industriestaaten haben die Weitergabe von einer Milliarde Impfdosen an ärmere Länder angekündigt. Eine große PR-Aktion, glaubt man Kritikern.
11.06.2021 17:53
Lesezeit: 3 min
G7-Staaten horten Impfstoffe - für arme Länder reicht es nicht
Aktivisten beim G7-Gipfel. (Foto: dpa) Foto: Kirsty Wigglesworth

Mit der Lieferung von rund einer Milliarde Impfdosen für ärmere Länder wollen die reichen Industrienationen (G7) auf dem Gipfel im englischen Cornwall ihre Hilfsbereitschaft demonstrieren. Was großzügig klingt, verdeckt Kritikern zufolge, dass in der Pandemie doch erstmal jedes Land an sich denkt.

Von den bisher weltweit etwa 2,2 Milliarden verabreichten Impfdosen sind mehr als drei Viertel in nur zehn Ländern verabreicht worden - in den wohlhabenden Nationen der Welt. Aber solange das Coronavirus weiter in den ärmeren Ländern grassiert, drohen neue Mutationen, womit Impfungen wieder unwirksam werden können.

Wie will die G7-Gruppe jetzt bedürftigen Ländern helfen?



Die Gruppe will den ärmeren Ländern bis nächstes Jahr eine Milliarde Impfdosen liefern. Die Hilfe soll durch eine Umverteilung von zu viel bestellten Impfstoffen und Finanzierung möglich werden. Es soll direkt oder über die Impfinitiative Covax geliefert werden, die für eine gerechte Verteilung sorgen soll. Allein die USA haben eine Spende von 500 Millionen Dosen bis nächsten Juni angekündigt.



Reicht denn eine Milliarde Impfdosen?



Wohl kaum, nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind elf Milliarden Impfdosen nötig - oder zumindest acht Milliarden, um für eine Herdenimmunität 80 Prozent der Bevölkerung in Ländern mit geringem oder mittlerem Einkommen zu impfen. Weniger als ein Prozent der Impfungen weltweit sind bisher Menschen in ärmeren Ländern verabreicht worden. Vor allem werden Impfstoffe so schnell wie möglich benötigt, nicht erst nächstes Jahr.



Was macht Deutschland?



Die Bundesregierung ist einer der großzügigsten Spender und hat eine Milliarde Euro für Covax sowie 30 Millionen Impfdosen bis Ende des Jahres versprochen. Wie andere reiche Länder beharrt Kanzlerin Angela Merkel aber darauf, zuerst der eigenen Bevölkerung das Angebot einer Impfung zu machen. Die WHO hätte es gerne anders. Sie sieht es als unmoralisch an, dass reiche Länder gesunde Jüngere impfen, während in armen Ländern selbst Pflegepersonal, das sein Leben für Covid-Kranke aufs Spiel setzt, weiter auf die Impfung warten müssen.



Warum nicht den Patentschutz für Impfstoffe aufheben?



Den Vorschlag haben Südafrika und Indien gemacht, Frankreich und andere haben sich angeschlossen, auch die USA haben sich offen für Diskussionen gezeigt. Einige Nationen mit Pharmaindustrie sind dagegen, darunter Deutschland und Großbritannien. Kanzlerin Angela Merkel glaubt nicht, "dass die Freigabe von Patenten die Lösung ist". Zur nötigen Kreativität und Innovationskraft der Unternehmen gehöre Patentschutz.



Es laufen aber doch Verhandlungen?



Im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) wird darüber verhandelt, nur mit wenig Aussicht. Die EU ist auch gegen die Freigabe und hat vorgeschlagen, Produzenten stattdessen zu mehr freiwilligen Lizenzen zu bewegen, damit ihr Impfstoff - gegen Zahlung von Gebühren - anderswo hergestellt werden kann. Wenn das nicht klappt, will sie auch Zwangslizenzen dulden. Die Pharmaindustrie pocht auf den Patentschutz, weil sie für Investitionen Renditeaussichten brauche.



Würde eine Freigabe der Patente die Produktion erleichtern?



Pharmakonzerne argumentieren, es würde die Herstellung nicht beschleunigen, weil anderen Firmen Kapazitäten und Know-how fehlten, um schnell an den Start zu gehen. Entwicklungsorganisationen fordern deswegen schnellen Technologietransfer und Investitionen in anderen Ländern, um regionale Produktion aufzubauen.



Warum gibt es nicht genug Impfstoffe?



Die reichen Länder haben den Impfstoffmarkt leergekauft. Es wurde mehr geordert als benötigt. Die Entwicklungsorganisation One errechnete, dass sich die G7-Staaten über 2,5 Milliarden Impfdosen mehr gesichert hätten als sie brauchten. Großbritannien könnte seine Bevölkerung mehrfach durchimpfen.



Warum kommt die Impfstoff-Initiative Covax nicht in die Gänge?



Der Plattform fehlt der Impfstoff, weil nicht mehr zu kaufen ist. Zudem hatte Covax große Mengen von Astrazeneca <GB0009895292> in Indien bestellt, das aber im April einen Exportstopp verhängte. Das Land erlebte zuletzt eine verheerende Infektionswelle und beansprucht die Produktion für die eigene Bevölkerung. Deshalb ist Covax auf Spenden angewiesen. Sofort nötig wären 250 Millionen, die bis Ende September verabreicht sein sollen, um Pflegepersonal und gefährdete Menschen impfen zu können.



Wird Indien die Lieferungen wieder aufnehmen?



Vorerst wohl nicht. Indien bemüht sich jetzt sogar selbst, Impfstoff zu importieren. Bislang sind weniger als 4 Prozent der mehr als 1,3 Milliarden zählenden Bevölkerung vollständig geimpft. Als "Apotheke der Welt" hatte Indien zuvor 66,4 Millionen Dosen an 93 Länder geliefert. Auch verschenkte Indien als einer der ersten Millionen Dosen an ärmere Länder, die sonst leer ausgegangen wären.



Und was machen China und Russland?



Schon bevor Covax im Februar erstmals etwas liefern konnte, haben China und Russland Impfstoffe an andere Länder abgegeben. Bis heute hat China mehr als 350 Millionen Impfdosen an mehr als 80 Länder geliefert. Was gespendet, zu Marktpreisen oder billig verkauft wurde, bleibt unklar. Auch wurde eine chinesische Spende von zehn Millionen Dosen an Covax angekündigt. Deutlich weniger hat Russland geliefert. Offizielle Zahlen gibt es nicht. Von Impfstoffdiplomatie ist die Rede. Aber viele Länder hätten sonst keinen Zugang zu Impfstoffen.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Der deutsche Markt konzentriert sich auf neue Optionen für XRP- und DOGE-Inhaber: Erzielen Sie stabile Renditen aus Krypto-Assets durch Quid Miner!

Für deutsche Anleger mit Ripple (XRP) oder Dogecoin (DOGE) hat die jüngste Volatilität am Kryptowährungsmarkt die Herausforderungen der...

X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Unternehmen
Unternehmen KI-Schäden: Wenn der Algorithmus Schaden anrichtet – wer zahlt dann?
05.07.2025

Künstliche Intelligenz entscheidet längst über Kreditvergaben, Bewerbungen oder Investitionen. Doch was passiert, wenn dabei Schäden...

DWN
Panorama
Panorama Was Autofahrer über Lastwagen wissen sollten – und selten wissen
05.07.2025

Viele Autofahrer kennen das Gefühl: Lkw auf der Autobahn nerven, blockieren oder bremsen aus. Doch wie sieht die Verkehrswelt eigentlich...

DWN
Finanzen
Finanzen Steuererklärung 2024: Mit diesen 8 Steuertipps können Sie richtig viel Geld rausholen
05.07.2025

Viele Menschen drücken sich vor der Steuererklärung, weil diese manchmal etwas kompliziert ist. Doch es kann sich lohnen, die...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Wirtschaftskriminalität: Insider-Betrug kostet Millionen - Geschäftsführer haften privat
05.07.2025

Jede zweite Tat geschieht im eigenen Büro - jeder fünfte Schaden sprengt die fünf Millionen Euro Marke. Wer die Kontrollen schleifen...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Microsoft kippt den Bluescreen, doch das wahre Problem bleibt
05.07.2025

Microsoft schafft den berühmten „Blauen Bildschirm“ ab – doch Experten warnen: Kosmetische Änderungen lösen keine...

DWN
Panorama
Panorama So bleiben Medikamente bei Sommerhitze wirksam
05.07.2025

Im Sommer leiden nicht nur wir unter der Hitze – auch Medikamente reagieren empfindlich auf hohe Temperaturen. Doch wie schützt man...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Deutsche Bahn: Sanierung des Schienennetzes dauert länger – die Folgen
05.07.2025

Die Pläne waren ehrgeizig – bis 2030 wollte die Bahn mit einer Dauerbaustelle das Schienennetz fit machen. Das Timing für die...

DWN
Unternehmensporträt
Unternehmensporträt H&K-Aktie: Rüstungsboom lässt Aufträge bei Heckler & Koch explodieren
04.07.2025

Heckler & Koch blickt auf eine Vergangenheit voller Skandale – und auf eine glänzende Gegenwart und Zukunft. Der Traditionshersteller...