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Bundestagswahl 2021: Platzt der Traum von der Energiewende? - TEIL 1

Lesezeit: 12 min
04.09.2021 11:50  Aktualisiert: 04.09.2021 11:50
Angesichts absehbarer gesellschaftlicher Widerstände und technischer Probleme werden die kommenden Jahre das Schicksal der Energiewende entscheiden - die Parteien blenden diese Herausforderungen in ihren Wahlprogrammen weitgehend aus.
Bundestagswahl 2021: Platzt der Traum von der Energiewende? - TEIL 1
Ein Windrad im Abendlicht. (Foto: dpa)

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Eine kleine Geschichte der Energiewende

Mit dem Schlagwort „Energiewende“ wird ein Generationenprojekt der deutschen Politik im Bereich der Energieversorgung bezeichnet. Im Kern handelt es sich dabei um den Ausstieg aus der bislang vorherrschenden fossil-nuklearen Energieversorgung hin zu einem System, das auf regenerativen Energiequellen fußt - in Deutschland handelt es sich dabei insbesondere um Windkraft, Solarenergie, die Verstromung von Wasserstoff und Biomasse. Ziel der Energiewende ist aber nicht nur der Umbau der Stromversorgung, sondern auch der Mobilität sowie der Wärmeversorgung im Wohnbereich und letztendlich des gesamten Endenergiebedarfs des Landes. Damit verbunden ist auch das begrüßenswerte Ziel, Deutschlands Abhängigkeit von anderen Staaten und Rohstofflieferanten weitgehend zu reduzieren.

Überlegungen, die Energieversorgung in Deutschland auf alternative Quellen umzustellen, finden sich bereits in den Siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Die Idee, fossile Energieträger wie Braun- und Steinkohle, Erdöl oder Erdgas künftig durch regenerative Alternativen zu ersetzen, erfuhr infolge der beiden „Ölpreis-Schocks“ der Jahre 1973 und 1979/80 einen verstärkten Rückhalt in der Öffentlichkeit. Zuvor hatte schon das Expertengremium „Club of Rome“ viele Deutsche mit der Veröffentlichung seines Berichts „Die Grenzen des Wachstums“ für Fragen der Energieversorgung, des Umweltschutzes und der Nachhaltigkeit sensibilisiert.

In die 1980er Jahre fiel der Bau der ersten Windkraftanlagen und Solarinstallationen, beispielsweise jener eines Versuchsrotors im schleswig-holsteinischen Marne Mitte der Achziger Jahre sowie weiterer kleinerer Windkraftprojekte Ende des Jahrzehnts. Die Gründung der Partei „Die Grünen“ im Jahr 1980 in Karlsruhe und ihr Einzug in den Bundestag 1983 spiegelte die zu jener Zeit sich verstärkende Beachtung von Fragen des Umweltschutzes, der Nachhaltigkeit, der atomaren Abrüstung und der Friedenspolitik auf politischer Ebene wider.

1990 schließlich ereignete sich der kommerzielle Durchbruch für die alternative Energieerzeugung in Deutschland, als das sogenannte Stromeinspeisegesetz im Bundestag angenommen wurde. Das Gesetz ist bemerkenswert, weil es von einem robusten politischen Grundkonsens getragen wurde: Es wurde unter Bundeskanzler Helmut Kohl eingeführt, von einem CSU- und einem Grünen-Politiker gemeinsam entworfen und von CDU, CSU, SPD und Grünen gegen die FDP durchgesetzt. Das Gesetz verpflichtete Energieversorgungsunternehmen erstmals gesetzlich dazu, Strom aus alternativen Quellen abzunehmen und zu vergüten - und zwar mit mindestens 90 Prozent der durchschnittlichen Kosten von Privatkunden.

Schlüsseljahre 2000, 2010, 2011 und 2020

Mit der Machtübernahme der rot-grünen Regierungskoalition unter Bundeskanzler Gerhard Schröder im Jahr 1998 begann ein neuer Entwicklungsabschnitt der Energiewende. Insbesondere das im Jahr 2000 erlassene Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) und die dazugehörige EEG-Umlage zur Finanzierung der verpflichtenden Einspeißung von Strom aus regenerativen Quellen in das Stromnetz bildet noch heute die institutionell-rechtliche Basis des Großprojekts. Hinzu kam ein ebenfalls im Jahr 2000 in zähen Verhandlungen ausgehandelter, zeitlich lang gstreckter, Ausstiegsplan aus der Atomenergie.

Eine bedeutende Weichenstellung für die deutsche Energiepolitik fand zudem im Jahr 2010 statt. Die zum 1. Januar in Kraft getretene „Verordnung zum EEG-Ausgleichsmechanismus“ hatte weitreichende Konsequenzen für die Entwicklung der Strompreise in Deutschland. Seit Inkrafttreten der Verordnung muss Strom aus regenerativen Quellen von den Netzbetreibern - und nicht mehr von den Energieversorgern - gekauft werden. Die Mehrkosten jedoch, welche bei der Erzeugung von Wind- oder Solarstrom gegenüber dem günstigeren Atom- oder Kohlestrom anfallen, müssen weiterhin die Endabnehmer in Form der EEG-Umlage bezahlen. In der Folge verfünffachte sich die EEG-Umlage zwischen 2009 und 2014 auf über 6 Cent pro Kilowattstunde, die Börsenstrompreise sackten ab. Heute müssen die Deutschen mit die höchsten Strompreise der Welt bezahlen - eine Kostenbelastung, welche durch die Einführung einer CO2-Sondersteuer zu Jahresbeginn noch erhöht wurde. Seitdem die massiv gestiegenen Strompreise zum Politikum wurden, bremst die Bundesregierung einen weiteren Anstieg der EEG-Umlage über 6,5 Cent pro Kilowattstunde unter Verwendung von Steuergeldern in Milliardenhöhe ab.

Zudem wurde Ende 2010 von der schwarz-gelben Bundesregierung eine umstrittene Laufzeitverlängerung für die Atomkraftwerke des Landes beschlossen. Der von Rot-Grün beschlossene Ausstieg wurde also nicht aufgehoben, sondern um durchschnittlich 12 Jahre weiter in die Zukunft hinausgezögert.

Im Schlüsseljahr 2011 löste ein Tsunami am 11. März die Havarie des japanischen Kernkraftwerks Fukuschima Daiichi aus. Die wenige Tage vor den wichtigen Landtagswahlen in Baden-Württemberg stattfindenden Ereignisse inspirierten Bundeskanzlerin Angela Merkel zu einem raschen Durchgreifen, in dessen Rahmen der noch heute gültige Ausstieg aus der Atomkraft und die Abschaltung des letzten deutschen AKWs Ende des Jahres 2022 beschlossen wurde.

Seit 2011 gewann die Politik der Energiewende schließlich mehrfach neuen Schub durch internationale Klima-Verträge wie das Paris Agreement, verschärfte Bestimmungen gegen das Naturgas Kohlenstoffdioxid sowie zuletzt durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das erneut zu einer Forcierung der auf eine Abkehr von fossilen Energieträgern ausgerichteten Energiepolitik in Deutschland führte.

Insbesondere die in den vergangenen Monaten getroffenen Entscheidungen sind in ihrem Umfang beachtlich und werden signifikante Folgewirkungen auf die Wirtschaft, die Stromversorgung und die Finanzen der Privathaushalte haben: Anfang 2020 beschloss die Bundesregierung den verbindlichen Ausstieg aus der Braunkohleverstromung bis spätestens zum Jahr 2038. Ein Großteil der Kohlekraftwerke wird Ende der Zwanziger Jahre und Mitte der Dreißiger Jahre vom Netz genommen. Damit sind sowohl die Tage der Kohleverstromung als auch jene der Atomkraft in Deutschland gezählt. Mehrere Parteien fordern darüber hinaus, die zu Jahresbeginn eingeführte Steuer auf CO2-Emissionen von 25 Euro je Tonne zu erhöhen und auf europäischer Ebene verfügte die EU-Kommission im Juli faktisch ein Verbot des Verbrennungsmotors bis zum Jahr 2035.

Energiewende: nach leichtem Start folgt der schwierige Anstieg

Die Bilanz der Bemühungen um eine fossil- und nuklearfreie Zukunft seit Einführung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes im Jahr 2000 fällt bis dato insgesamt positiv aus. So stieg der Anteil regenerativer Energiequellen an der Stromerzeugung hierzulande in den vergangenen Jahren deutlich an.

Im Jahr 2020 stammten bereits 50,5 Prozent der Netto-Stromerzeugung in Deutschland aus regenerativen, rund 49,5 Prozent aus traditionellen Energiequellen, wie Fraunhofer ISE berichtet. Der Windkraft kommt unter den Alternativen eine besondere Bedeutung zu, sie steuerte im vergangenen Jahr 27 Prozent der Gesamtstromerzeugung im Land (132 Terawattstunden - TWh) bei. Danach folgen bei den Alternativen die Photovoltaik-Erzeugung mit 10,4 Prozent (51 TWh), die Biommasse mit 9,3 Prozent (45 TWh) und die Wasserkraft mit 3,7 Prozent (18 TWh). Mit den beschriebenen 27 Prozent stellt die Windkraft zudem die leistungsstärkste Energiequelle über alle Kategorien hinweg betrachtet dar - vor der Braunkohle (16,8 Prozent beziehungsweise 82 TWh), der Kernenergie (12,5 Prozent bzw. 61 TWh) und Erdgas mit 12,1 Prozent bzw. 59 TWh.

Zum Vergleich: Im Jahr 2000 wurden hierzulande 30 Prozent des Stroms aus Atomkraft, 26 Prozent aus Braunkohle, 25 Prozent aus Steinkohle, 9 Prozent aus Erdgas, 4 Prozent aus Wasserkraft und 2 Prozent aus Windkraft generiert - die restlichen 4 Prozent verteilten sich auf Erdöl, Gase, Biomasse und die Müllverbrennung.

Der Bedeutungszuwachs regenerativer Energiequellen bei der Stromerzeugung (Anstieg von rund 7 Prozent auf über 50 Prozent zwischen 2000 und 2020) muss unbestreitbar als Erfolg der Energiewende-Bemühungen gewertet werden. Zu beachten ist hierbei jedoch, dass dies nur für den Bereich der Stromerzeugung gilt. Der gesamte, alle Wirtschaftsbranchen und Lebensbereiche umfassende Endenergieverbrauch in Deutschland - dazu gehören beispielsweise das Verkehrswesen, die Schiff- und Luftfahrt, Die Landwirtschaft und Industrie und der Immobiliensektor - wird nach wie vor maßgeblich von fossilen Energieträgern, insbesondere Erdöl und Erdgas, dominiert. Anders ausgedrückt: erst wenn all diese Bereiche elektrifiziert sind, könnte dort theoretisch Strom aus regenerativen Quellen zum Einsatz kommen. Zu bedenken ist weiterhin, dass die Windkraft zwar zur wichtigsten einzelnen Stromerzeugungsform aufgestiegen ist, aber in der Rangliste von drei fossilen Energieträgern gefolgt wird.

Nach dieser vielversprechenden Anfangsphase kristallisieren sich seit einigen Jahren verstärkt Probleme heraus, die eine Fortschreibung des Erfolgstrends verhindern könnten. Diese Problematiken sollen im Folgenden kurz vorgestellt werden.

Das Grundproblem: Die „Dunkelflaute“

Wind- und Solarkraft, die beiden wichtigsten alternativen Energiequellen, weisen einen schwerwiegenden Nachteil auf - ihre Schwankungsanfälligkeit. Denn im Gegensatz zu Atom-, Kohle- oder Erdgaskraftwerken kann die Leistung von Windrädern und Photovoltaikanlagen nicht planmäßig vorherbestimmt oder gesteuert werden. Wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht, liefern die Installationen schlichtweg keinen Strom. Mit anderen Worten: die Windparks in Norddeutschland und die Solarparks in Süddeutschland können noch so groß sein, an dunklen und windarmen Tagen sind sie inaktiv. Die Anfälligkeit für sogenannte „Dunkelflauten“ und die daraus abgeleitete fehlende Zuverlässigkeit stellen ein erhebliches Manko der beiden Technologien dar.

Erschwerend kommt bei den Dunkelflauten hinzu, dass meterologische Gegebenheiten auch trotz modernster Prognoseinstrumente abgeschätzt, aber nicht exakt prognostiziert werden können. Die für bestimmte Regionen und Netzabschnitte zuständigen Plan-Manager der Netzbetreiber wissen also bis zuletzt nicht, welche Leistung die in ihrem Abschnitt installierten Rotoren und Solarpanelen generieren werden. Je stärker demnach der Anteil volatiler Stromerzeuger am Gesamtmix zulasten der regelbaren Erzeuger ausgeweitet wird, umso anfälliger wird die Stromversorgung in Deutschland insgesamt für plötzlich auftretende Schwankungen, Stromlücken oder aber auch überschießende Erzeugungsspitzen. Der zeitlich kurzfristige Abstimmungsbedarf zwischen den einzelnen Abschnitten im Stromnetz (sogenannte „Bilanzkreise“) wird immer größer, was sich wiederum in einer seit einigen Jahren steigenden Zahl an Störfällen bemerkbar macht.

Derzeit springen steuerbare Stromlieferanten wie Kohlekraftwerke ein, wenn eine Dunkelflaute den Ausfall von signifikanten Teilen der alternativen Stromerzeugung herbeiführt. Dies ist auch der Grund dafür, dass die Kohlekraft in den Wintermonaten regelmäßig zur wichtigsten Stromquelle aufsteigt - zuletzt im dritten Quartal 2020 und im ersten Quartal 2021. Vor diesem Hintergrund betrachtet wirkt der politisch angeordnete Ausstieg aus der Kohleverstromung zumindest fragwürdig. Wenn darüber hinaus schon Ende 2022 das letzte deutsche Atomkraftwerk vom Netz genommen sein wird, fehlt die nukleare Reserve-Energiequelle ab 2023 vollständig.

Der Bundesverband Solarwirtschaft hatte mit Blick auf diese Zusammenhänge vor einigen Monaten gewarnt, riesige „Stromlücken“ von bis zu 30 Gigawatt täglich könnten schon im Jahr 2023 auftreten. Zum Vergleich: der gesamte Strombedarf in Deutschland liegt durchschnittlich um etwa 80 Gigawatt am Tag. In ihrem aktuellen Netzentwicklungsplan rechnet auch die Bundesregierung mit einer zunehmenden Abhängigkeit von ausländischem Stromlieferungen, um Dunkelflauten auszugleichen. Den Prognosen zufolge könnte im Jahr 2035 eine maximale Spitzen-Stromnachfrage in Deutschland von 106 Gigawatt herrschen. Wird der beschlossene Ausstieg aus Atomkraft und Kohleverstromung bis dahin wie geplant realisiert, würde das Land zu diesem Zeitpunkt aber nur noch über eine konventionelle - dass heißt steuerbare - Kraftwerksleistung von 71,9 Gigawatt verfügen.

Problem Nr. 2: Die fehlenden Speicher

Die Schwankungsanfälligkeit dürfte noch auf unabsehbare Zeit zu den Charakteristika regenerativer Quellen gehören. Denn bis heute existiert kein marktfähiges Verfahren, um Ökostrom in großem Stil zu speichern und bei Bedarf ins Stromnetz zu entlassen. Alle derzeit theoretisch verfügbaren Speichertechnologien sind noch nicht oder nur lokal in kleinerem Umfang einsatzbereit. So wird beispielsweise daran gearbeitet, die seit Langem im kleinen Rahmen eingesetzten Batteriespeicher miteinander zu Großeinheiten zu koppeln. Obwohl solche Großbatterien schon vereinzelt in Betrieb sind - etwa im Projekt „SmartRegion“ auf der Nordseeinsel Pellworm - ist ein flächendeckender Einsatz höchst ungewiss. Ungelöst bleibt beispielsweise das Problem der stetigen Verringerung der Speicherkapazität im Zuge der Ladevorgänge bei Batteriespeichern.

Andere Speichertechnologien wie Elektrolyseure zur Wasserstofferzeugung befinden sich derzeit noch im Pilotprojekt-Stadium. Auch bei ihnen ist wie im Falle der Batteriespeicher ein großflächiger Einsatz zumindest mittelfristig fraglich, nach Einschätzung der Technischen Universität Dresden wären für einen flächendeckenden Einsatz mehrere Jahrzehnte erforderlich.

Problem Nr 3: Der Strombedarf steigt, die Versorgungssicherheit nimmt ab

Eine weitere Herausforderung stellt der stark steigende Strombedarf vor dem Hintergrund der oben beschriebenen zunehmenden Schwankungsanfälligkeit des Stromnetzes dar. Die weiter zunehmende Digitalisierung und Elektrifizierung von Anlagen, die massiven Kapazitätsausweitungen von Datenzentren, die von der Politik geforderte und mit Steuermilliarden subventionierte Elektrifizierung des Verkehrs (Stichwort „E-Autos“) sowie der ebenfalls von der Politik geforderte Einbau von elektrischen Wärmepumpen im Wohnbereich repräsentieren nur einige Triebkräfte für die künftig stark zunehmende Nachfrage nach Strom.

Das Bundeswirtschaftsministerium prognostiziert für 2030 einen 10 bis 15 Prozent höheren Stromverbrauch in Deutschland im Vergleich zu heute. Dem vom Ministerium beauftragten Institut Prognos zufolge liegt der Stromverbrauch dann zwischen 645 und 665 Terawattstunden - deutlich über den 580 TWh, mit denen die Bundesregierung derzeit rechnet. Unterstellt werden bei der neuen Prognose unter anderem 14 Millionen Elektroautos, 6 Millionen Wärmepumpen und 30 Terawattstunden Strombedarf zur Wasserstoff-Erzeugung. Mehrere Wirtschaftsverbände hingegen gehen von einem noch größeren Strombedarf aus, der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft BDEW etwa rechnet mit einer Nachfrage von rund 700 Terawattstunden im Jahr 2030. Zum Vergleich: im Jahr 2019 lag der gesamte Strombedarf Deutschlands bei rund 570 TWh.

Unklar bleibt, wie die gegeneinander arbeitenden Trends „steigender Strombedarf“ und „abnehmende Versorgungssicherheit“ miteinander in Einklang gebracht werden können, zumal auch einige europäische Nachbarländer damit begonnen haben, den Anteil der regelbaren Kraftwerksleistung in ihren Systemen wegen internationaler Klima-Vorgaben zu reduzieren und daher zunehmend als Notfallstrom-Lieferanten ausfallen.

Problem Nr. 4: Widerstand der Bürger

Bemerkenswert ist, dass in den Planungen von Bundesregierung, Ministerien und Instituten zur Energiewende ein wesentlicher Faktor häufig ausgeblendet wird - die Bürger. Der starke Widerstand gegen den Neubau von Windrädern und Stromtrassen zeigt aber, dass mit diesem Faktor gerechnet werden muss.

Bundesweit gehen derzeit Schätzungen zufolge etwa 1000 Bürgerinitiativen gegen neue Windparks an Land vor oder setzen sich angesichts der beobachteten schädlichen Auswirkungen von Windrädern auf die Gesundheit für hohe Abstandsregelungen zu Siedlungen ein. Dem Druck der Bürger wurde beispielsweise in Nordrhein-Westfalen nachgegeben, wo ein Mindestabstand von einem Kilometer zu Wohngebieten gilt. Zudem protestieren Naturschützer gegen die Anlagen, welchen in großer Zahl Vögel und Insekten zum Opfer fallen sollen.

Angesichts des von der Bundesregierung geforderten massiven Ausbaus von Windkraftanlagen und Stromtrassen sind neue politische Konflikte vorprogrammiert. Der Bundesverband Erneuerbare Energie beispielsweise fordert pro Jahr den Bau von 1500 neuen Windrädern, die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock will mindestens 2 Prozent der gesamten Landesfläche mit Windrädern bestücken.

Auch der Konflikt zwischen der Windkraft und dem Artenschutz ist ungeklärt. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier sagte, es gehe um den Schutz der Arten, nicht um den Schutz von „einzelnen Individuen.“ Als weiteres Hemmnis für einen raschen Ausbau der Kapazitäten gelten aus Sicht der Industrie zu langwierige Vergabeprozesse um Bauland.

Mehr Stromverbrauch bedeutet aus Sicht Altmaiers auch: mehr Leitungen. Schon jetzt müssen tausende neue Kilometer gebaut werden, um den vor allem im Norden produzierten Windstrom in den Süden zu transportieren. Altmaier hält bis 2030 neben den bereits geplanten drei neuen Stromautobahnen „ein, wenn nicht zwei“ zusätzliche große Stromtrassen für nötig, zitiert ihn die dpa. Angesichts der andauernden Proteste gegen die Trasse „Südlink“ und anderer Strom-Autobahnen erscheint ein reibungsloser Ausbau auch hier unwahrscheinlich - die politischen Folgen des Widerstands der Bürger sind ebenso unabsehbar.

Ein weiterer Faktor kommt hinzu: die massiven Zusatzkosten. Der Strompreis in Deutschland gehört nach zwei Jahrzehnten Energiewende zu den teuersten der Welt. Zwar wird dem von der EEG-Umlage angetriebenen Anstieg inzwischen mit Milliarden-Steuergeldern entgegengewirkt, doch an den Börsen für CO2-Emissionsrechte explodieren die Preise ebenfalls - angetrieben durch die Verknappung der Papiere und Spekulanten. Auch die CO2-Steuer entfaltet preistreibende Wirkung - zuletzt illustriert in Form des Streits innerhalb der Regierung, ob Vermieter oder Mieter die Zusatzkosten bezahlen sollen. Es bleibt abzuwarten, ob die infolge der Energiewende und zahlreicher Klima-Vorschriften steigenden Lebenshaltungskosten zu politischer Unruhe führen werden.

Problem Nr. 5: Paradigmenwechsel im Stromsystem

Der Öffentlichkeit wenig bekannt ist, dass die Energiewende - sollte sie wie geplant realisiert werden - zu einem Paradigmenwechsel im deutschen Stromsystem führen wird. Den Planern in der Bundesregierung ist bewusst, dass es infolge des Ausbaus der Erneuerbaren künftig mehr Volatilität in der Stromversorgung geben wird. Daraus wird abgeleitet, dass sich die Umstände den neuen Gegebenheiten anpassen müssen. Konkret bedeutet dies: künftig ist nicht mehr genug Strom für alle zu jeder Zeit vorhanden, weshalb die Nachfrage nach Strom gedrosselt oder „verschoben“ werden muss, wie es jüngst in einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) hieß. Entweder werden große Verbraucher dann kurzerhand vom Stromnetz getrennt - eine Maßnahme, die schon heute zahlreichen Unternehmen aus der Industrie trifft - oder die Bürger müssen dazu gebracht werden, ihre Aktivitäten am Angebot auszurichten, etwa mithilfe höherer Strompreise zu Zeiten, in denen das Angebot knapp ist. Die Behörden des US-Bundesstaates Kalifornien setzen solche gezielten monetären Anreize schon heute ein.

Derartige Überlegungen wurden von der Bundesregierung bereits konkret durchgerechnet. Vor einigen Monaten veröffentlichte das Bundeswirtschaftsministerium einen entsprechenden Expertenbericht, welcher allerdings von Wirtschaftsminister Altmaier zur Überarbeitung an die Fachleute zurückgegeben und von der Homepage des Ministeriums genommen wurde. Darin finden sich Gedankenspiele wie: Besitzer von Elektroautos können ihre Fahrzeuge nur noch zu bestimmten Zeiten zu den herrschenden Marktpreisen für Strom aufladen - wer sein Auto jederzeit aufladen möchte, wird mit Sondergebühren zur Kasse gebeten.

Der Bericht enthält auch Überlegungen, Bürgern und Unternehmen kurzerhand den Strom abzuschalten. Beispielsweise, so berichteten Medien, könnte zwischen Netzbetreibern und Privathaushalten vertraglich festgelegt werden, dass täglich bis zu zwei Stunden der Strom für Wärmepumpen und Ladesäulen abgeschaltet werden darf.

Die Realisierung solcher Ideen ist nur auf Basis einer weiträumigen Vernetzung der Haushalte mit intelligenten Mess- und Fernregelsystemen möglich. Zum derzeitigen Zeitpunkt ist die Existenz eines Millionen von Haushalten vernetzenden Gesamtsystems pure Theorie, eine Verwirklichung liegt in weiter Ferne und bedarf überdies massiver finanzieller und ressourcenbasierter Investitionen. Unklar bleibt auch, wie die Bürger auf die faktische Einschränkung ihrer Freiheiten und Lebensgewohnheiten reagieren, welche Folge des Paradigmenwechsels ist.

Problem Nr. 6: Die fehlende Gas-Infrastruktur

Offene Fragen bestehen auch hinsichtlich des von Experten geforderten Baus dutzender Erdgaskraftwerke. Diese sollen künftig die ab 2022 fehlenden Atomkraftwerke und die bis 2038 abgeschalteten Kohlekraftwerke als Elemente der steuerbaren Stromversorgung ersetzen. Vor allem Erdgas kommt dafür in Frage, weil dessen Verstromung wie bei der Kohle- und Nuklearkraft steuerbar ist und nach allgemeiner Einschätzung weniger CO2 ausstößt als die Kohleverstromung. So hatte etwa die Kohlekommission dringend den Bau neuer Gaskraftwerke empfohlen, um auch künftig über steuerbare Reservekapazitäten zu verfügen.

Bislang stockt der Aufbau dieser Backup-Gasinfrastruktur jedoch - nicht zuletzt deshalb, weil noch nicht klar ist, ob die EU Erdgas künftig mit Klima-Steuern und Sonderbestimmungen belasten wird.

Die Energiewende-Experten Dr. Peter Becker und Prof. Dr. Lorenz J. Jarass fordern den raschen Aufbau einer deutschen Gas-Infrastruktur, um die „erheblichen Defizite an gesicherter Leistung“ zu kompensieren, der aus dem Kohle- und Atomausstieg resultiere. Es würden „kompatible, also schnell regelbare Reservekraftwerke“ benötigt, bei denen es sich nach derzeit verfügbarer Technologie im Wesentlichen um Gaskraftwerke handeln könne, schreiben sie in einer Rezension in der „Zeitschrift für Neues Energierecht“. Doch „aus aktueller Sicht ist größte Skepsis angebracht, ob bei Einhaltung der aktuellen Stilllegungspläne für die Atom‑ und Kohlekraftwerke rechtzeitig Ersatzkapazitäten vorhanden sein werden“.

Der Energie-Experte Henrick Paulitz kommt mit Blick auf das Thema zu folgendem Ergebnis: „Angesichts von Planungs‑, Genehmigungs‑ und Bauzeiten für Gaskraftwerke zwischen 4 und 7 Jahren, ergibt sich auf dem kritischen Pfad bis zum Jahreswechsel 2022/23 mit Atom‑ und Kohlekraftwerksstilllegungen in großem Umfang die Situation, dass es bis dahin allenfalls unwesentlich mehr Gaskraftwerkskapazität geben kann. Mit anderen Worten: Der Zug für den von Becker und Jarass – grundsätzlich ganz im Sinne der Logik der Kohlekommission – vorgeschlagenen Weg, rechtzeitig Gaskraftwerke zu bauen, ist längst abgefahren. Auch der Verweis auf 2 bis 3 Gigawatt neue Importstromtrassen hilft da nicht wirklich weiter.“

Problem Nr. 7: „Atomkraft, nein danke!“

Nicht nur technologisch-physikalische Hürden wie die vom Kohle- und Atomausstieg verursachten Lücken bei der Versorgungssicherheit werden die Fortentwicklung der Energiewende in den kommenden Jahren erschweren, sondern auch gesellschaftliche Phänomene. Seit etwa Anfang 2019 wird die Theorie der Klimaerwärmung von den großen Medien massiv publiziert. Bedeutende Teile der Bevölkerung - insbesondere in den wohlhabenden Schichten der Städte und Ballungszentren - fordern eine Forcierung von Energiewende, Diesel- und Verbrenner-Verboten sowie nachhaltige Konzepte für Wirtschaft und Gesellschaft. Teile der Politik reagieren auf diese Erwartungshaltung mit Aktionismus und weitreichenden Entscheidungen, ohne deren Konsequenzen offenbar genau zu prüfen. Die Energiewende und mit ihr das übergeordnete Thema der „Dekarbonisierung“ sind aus Sicht fast aller Parteien „alternativlos“ geworden.

Auf dem Feld der Nuklearenergie führt diese Entwicklung zu einem ernsten Dilemma. Eine Rückkehr zur Atomkraft zur Stabilisierung des Stromnetzes ist in Deutschland aus politischen Gründen faktisch ausgeschlossen. Wie wohl in keinem anderen Land der Welt herrscht hierzulande eine massive Ablehnung gegen die Technologie und quasi eine schichtenübergreifende Skepsis vor - Umfragen sprechen von rund 80 Prozent der Deutschen, die der Atomkraft misstrauisch gegenüberstehen.

Die weitverbreitete Anti-Atomkraft-Stimmung schließt damit aber eine Renaissance der einzigen nennenswerten regelbaren Energieform aus, die keine CO2-Emissionen generiert. Andersherum gesagt: nur die Atomkraft kann innerhalb der Logik von EU-Kommission und Bundesregierung eine klima-neutrale Versorgungssicherheit im Stromsystem garantieren, weil sie kein Kohlenstoffdioxid emittiert - Kohle- und Erdgaskraftwerke können dies nicht.

Anderen Staaten ist der potenziell wertvolle Beitrag der Nuklearenergie für Energieversorgung und Klimapolitik nicht verborgen geblieben. So werden weltweit in großem Umfang neue Meiler gebaut, um die Stromversorgung im Sinne der im Pariser Klimaabkommen verabschiedeten Reduktionsziele anzupassen - in Deutschland wurde dieser Weg verbaut. Die Ironie der Geschichte: Drohen breitflächige Stromausfälle, muss Deutschland in den kommenden Jahren schnell verfügbaren Strom aus dem Ausland importieren - auch und nicht zuletzt Atomstrom aus Frankreich.

LESEN SIE IM ZWEITEN TEIL:

  • Was die Parteien mit Blick auf die Energieversorgung verschweigen
  • Warum die AfD eine Sonderrolle in der deutschen Energiepolitik einnimmt
  • Welche Parteien grundlegende Umbrüche im Energiesystem fordern


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