Weltwirtschaft

China setzt auf Kohle - und hat bald die niedrigsten Strompreise aller Industrieländer

Lesezeit: 10 min
14.11.2021 11:09
Chinas Regierung hat einen schweren Fehler gemacht. Das soll nicht noch mal geschehen.
China setzt auf Kohle - und hat bald die niedrigsten Strompreise aller Industrieländer
Nur noch die Spitze eines Wolkenkratzers ist zu sehen: Chinas Städte sind vom Smog schwer gezeichnet. (Foto: dpa)

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Nach einer Serie von rasch aufeinanderfolgenden Kraftwerksausfällen und Stromunterbrechungen sowohl bei klassischen Kraftwerken für fossile Brennstoffe als auch bei solchen für erneuerbaren Energien, welche ganz erheblich zur langen und wachsenden Liste von Lieferverzögerungen und Engpässen auf allen Ebenen im Inland, im Export und praktisch weltweit beitrugen, kündigte der chinesische Premier Li Keqiang in einem Schreiben den Bau zusätzlicher neuer Kohlekraftwerke an, darüber hinaus den Ausbau der Erdöl- und Erdgas-Exploration im Inland. Der begründete dies mit der notwendigen Energie-Sicherheit, was einen Schlag für die Perspektiven der erneuerbaren Energien bedeutet, und zusätzlich mit der Selbstversorgung. Die jetzt zusätzlich geplanten Kohlekraftwerke sollen nicht nur ältere Kraftwerke ersetzen, sondern die Kapazität der Stromversorgung erheblich ausweiten. Darüber hinaus machte Li Keqiang einen Rückzieher von allen Zusagen über Zeitpunkte und des Fahrplans bezüglich des Höhepunkts der CO2-Emissionen. Explizit war von neuen Studien die Rede, die durchgeführt werden müssten. Selbstverständlich dürfte dies in Absprache mit Staats- und Partei-Chef Xi Jinping geschehen sein, dessen internationale Zusage von vor ein paar Monaten jetzt ausgehebelt sind.

Was ist passiert? Die akute Energiekrise Chinas 2021 hat strukturelle, langfristige Gründe, ist eine Folge seines schiefen Wachstumsmodells sowie einer verfehlten Energiepolitik und ist letzten Endes durch die Corona-Pandemie nur ausgelöst worden:

  • Wie immer, wenn Peking sich mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten konfrontiert sieht, reagierte die Regierung auf den coronabedingten Konjunktureinbruch mit einem weiteren hastig neu aufgelegten Infrastruktur-Programm, was die Inlands-Nachfrage nach Elektrizität stark ansteigen ließ. Weil viele Länder im Ausland ebenfalls große Konjunkturprogramme lancierten, nahm gleichzeitig auch die Nachfrage nach chinesischen Gütern sehr kräftig zu. Besondere Impulse dazu kamen von den riesigen, aber schlecht konzipierten Konjunktur-Programmen der USA. 2021 explodierte deshalb die Nachfrage auch der verarbeitenden Industrie, so dass die Gesamtnachfrage nach Energie und Elektrizität in China und darüber hinaus in der Weltwirtschaft kräftig zulegte. Die Nachfrage nach Elektrizität aus Kohlekraftwerken nahm in China darüber hinaus besonders stark zu, weil eine längere Trockenheit im Süden die Produktion der dort gelegenen Wasserkraftwerke einschränkte.
  • Das Angebot konnte aber damit nicht mithalten, weder global noch in China. Viele Kraftwerke hatten nämlich ihre Kohlelager abgebaut, weil sie eine längere Stagnation vorhersahen. In China spezifisch hatte die Regierung ein verfehltes Kalkül angestellt: Sie hatte Australien im Jahr 2020 nach einem verbalen Schlagabtausch mit dessen Premier mit einem Bann von Kohle-Importen belegt, was die Ausstattung der Lager der Kohlekraftwerke in China zusätzlich schmelzen ließ (Rückblick: Der australische Premier hatte die unziemliche Forderung aufgestellt, dass die Ursprünge der Pandemie von einer internationalen Untersuchungskommission abgeklärt werden sollten). Hinzu kam Wetterpech in der größten Kohleprovinz Chinas: In Shanxi führten heftige anhaltende Regenfälle zu Überschwemmungen in den Kohleminen und verunmöglichten die Kohleförderung, so dass auch das inländische Kohleangebot für die Kraftwerke zurückging.
  • Als Folge von einerseits niedrigen Lagern und reduzierter Produktion von Kohle, andrerseits einer sehr starken Nachfrage, explodierten die Kohlepreise - sowohl auf dem Weltmarkt wie auch in China selbst. Der Strompreis aber ist in China durch die Regierung gesetzt, und zwar über die Einspeisevergütung ins Elektrizitätsnetz. Die Regierung weigerte sich hartnäckig, die Strompreise anzuheben, um keine Inflation zu schüren (der Strompreis hat nämlich starke Auswirkungen auf Binnenkonjunktur und Konsum).
  • Das hatte zwei Folgen: Die Kraftwerke begannen, die Produktion einzuschränken, weil sie angesichts des Preisanstiegs bei der Kohle und dem politisch fixierten, viel zu niedrigen Absatzpreis für Elektrizität zunehmend Verluste machten. Typischerweise wird dann die Produktion entweder stunden- oder tageweise reduziert, bestimmte Kunden werden nicht mehr bedient. Im Extremfall wird das Werk ganz abgestellt, wobei als Begründung häufig „Instandsetzungsarbeiten“ - wie etwa nach technischen Defekten - herhalten müssen. Damit mussten diejenigen Kraftwerke, die nicht abstellten, auf volle Kraft fahren, was deren Emissionen lokal ansteigen ließ, und nach dem jahrelang ausgearbeiteten Drehbuch zu emissionsbedingten automatischen Betriebseinstellungen bei ihnen führte. Im Effekt hatten 20 von 31 Provinzen teilweise oder totale Stromabschaltungen, was die Industrieproduktion im August einbrechen und die Haushalte tagelang ohne Strom beließ. Chaotische Szenen spielten sich ab. So blieben Menschen in Liften stecken, ganze Stadtteile oder sogar Städte waren ohne Licht und Strom.

Deshalb ist die Welt nun für einige Zeit mit Lieferschwierigkeiten an allen Ecken und Enden konfrontiert, weil bestimmte Teile - nicht nur Speicherchips - schlicht nicht produziert werden konnten oder können und in einem System mit „just-in-time“-Produktion auch nicht auf Lager gehalten werden. Das Ganze wird noch verkompliziert durch Corona-bedingte Staus und Betriebseinstellungen in einigen der großen Häfen und Industriestädten Chinas. Bei Corona-Ausbrüchen in den Häfen haben die Behörden bisher großräumig Häfen und umliegende Gebiete in Quarantäne und Lockdowns geschickt, so dass zusätzlich noch Transportschwierigkeiten zu den strom- und Corona-bedingten Produktionseinstellungen hinzukamen beziehungsweise -kommen. In den Häfen nicht mehr nur Chinas liegen seit Wochen Containerschiffe fest, die nicht be- oder entladen werden können. In einem System mit just-in-time Produktionsplänen, wo sämtliche Zulieferungen auf den Tag genau vorausgeplant und zum geplanten Zeitpunkt punktgenau am Produktionsort eintreffen müssen, ist dies ein Rezept für einen „perfekten Sturm“. Teilemangel stellt eine kaum zu bewältigende Herausforderung für die Unternehmen dar. Darum der rapide allgemeine Preisanstieg einerseits und der neuerliche Konjunktureinbruch andrerseits, zunächst in China und mit Verzögerung wohl auch anderswo in der Weltwirtschaft. Die Produzentenpreise Chinas lagen schon im September 2021 mehr als zehn Prozent über dem Vorjahrsstand. Im Oktober betrug der Anstieg bereits 13,5 Prozent im Vorjahresvergleich. In den Folgemonaten dürften die Preise nochmals auf breiter Basis kräftig zulegen.

Die chinesische Regierung hat nämlich nach unzähligen Experten-Sitzungen der Nationalen Energie- und der Nationalen Wirtschaftskommissionen im September und Oktober 2021 auf allen Ebenen das Handtuch werfen und sämtliche Rücksichten über Bord werfen müssen. Sie hat im Oktober angeordnet, dass die Strompreise national um 20 Prozent angehoben werden. Das wird sich in den Folgemonaten in einem weiteren scharfen Anstieg der Produzentenpreise Chinas und mit Verzögerung der Inflationsraten in der Weltwirtschaft niederschlagen. Zudem wurden alle Umweltauflagen und die Kohle-Obergrenzen außer Kraft gesetzt. Die Regierung hat angeordnet, dass die Kohlekraftwerke auf maximale Produktion geschaltet werden müssen. Provinz- und Lokalregierungen müssen alte, geschlossene Kohlekraftwerke wieder in Betrieb nehmen und diesen Winter auf Teufel komm raus produzieren. In den Kohlezechen muss rund um die Uhr geschuftet werden, auch in stillgelegten Minen mit miserabler Qualität der Kohle. China hat die Weltmärkte leergekauft und zum verrückten Preisanstieg der Kohle maßgeblich beigetragen. Selbstredend wurde der Boykott australischer Kohle stillschweigend aufgehoben.

Chinas Konsum von Primärenergie und erst recht seine CO2-Emissionen werden 2021 und 2022 durch die Decke gehen, und alle - begrenzten - Fortschritte bei der CO2-Begrenzung sind weggefegt. Mit anderen Worten: Das Reich der Mitte hat seine Fixierung auf Kohle wieder voll aufgenommen. Was dies gesamtwirtschaftlich und für die Weltwirtschaft bedeuten wird, ist nicht so einfach vorherzusagen. Sicher wird die Störung der Produktion durch Strommangel über einige Quartale hinweg überwunden werden können. Doch die chinesische Regierung warnt Provinz- und Lokalregierungen seit Wochen vor einem neuerlichen großflächigen Coronavirus-Ausbruch, angeheizt durch die hoch ansteckende Delta-Variante. Dabei wird die politische Führung absolute Priorität auf eine No-Covid-Politik legen und die bisherige Praxis beibehalten oder sogar noch verschärfen. Der Grund liegt in zwei kommenden Großereignissen, einem internationalen und einem innenpolitischen. Im Februar 2022 findet in Peking die Winter-Olympiade statt, und im Oktober 2022 die 20. Parteikonferenz der Kommunistischen Partei Chinas. Dort werden mehrere Tausend Delegierte aus allen Landesteilen nach Beijing strömen, und schon im Vorfeld werden viele Vorbereitungs-Sitzungen stattfinden. Diese alle fünf Jahre stattfindende politische Großveranstaltung legt einerseits das Programm und die Inhalte der Wirtschafts-, Gesellschafts- und allgemeinen Politik der Partei- und Staatsführung fest, und sie bestimmt andrerseits die Personalien, die oberste Führung und Partei-Hierarchie auf allen Stufen. Es ist undenkbar, dass eine dieser Großveranstaltungen verschoben oder von Corona-Ausbrüchen überlagert und behindert werden könnte. Dies käme einem massiven Gesichtsverlust der politischen Führung und des Vorsitzenden gleich. Die Spannung oder Konflikthaftigkeit zwischen hoch ansteckender Coronavirus-Variante einerseits und rigoroser Politikantwort andrerseits könnte somit gerade für die Zukunft massive Behinderungen für die Produktionsaktivität hervorrufen, nicht nur in China. Sollte sich dies bewahrheiten, ist alles möglich, bis hin wieder zu lokalen, regionalen oder sogar nationalen Lockdowns und Shutdowns, möglicherweise von Häfen und einer weiteren Ausweitung der globalen Lieferkrise.

Für die Weltwirtschaft bedeuten die Maßnahmen wohl einen zusätzlichen Inflationsantrieb. Die Erhöhung der Strompreise Chinas um 20 Prozent wird direkt auf die Produzenten- und Exportpreise des Landes umgelegt werden. Das wird die allgemeinen Lebenshaltungskosten Chinas und - als Sekundärwirkung - speziell in den Städten die Löhne ansteigen lassen. Auch dies wird problemlos auf die Preise international gehandelter Güter aufgeschlagen werden können. In einem zweiteiligen Artikel haben wir darauf hingewiesen, dass der laufende Aufschwung der Weltwirtschaft von Beginn weg inflationär und damit ungewöhnlich ist. Dabei haben wir prognostiziert, dass dies sich massiv ausweiten wird. Die Energieverteuerung aus China und generell die Energieverteuerung durch den „Great Reset“ sind dabei zwei weitere wichtige Faktoren. Sie hängen damit zusammen, dass einerseits durch die Finanz- und Geldpolitik die Nachfrage maximal gesteigert wird, das Angebot durch die Lockdowns und die ganze Corona-Politik aber massiv eingeschränkt werden.

Die Inflation gemessen an den chinesischen Produzentenpreisen liegt auf dem höchsten Stand seit 26 Jahren. Aber damals war China noch nicht die Fabrik der Welt wie heute. Insofern hatte dies keine Bedeutung für den Rest des Globus´. Durch diese Konzentration der industriellen Fertigung in China ist die Inflation in den westlichen Industrieländern teilweise außerhalb der Kontrolle der dortigen Zentralbanken, so wie dies 1973/74 oder 1980/81 bei den Energieschocks wegen Angebotskürzungen im Mittleren Osten der Fall war.

Mittel- und längerfristig wird China alles daransetzen, seine Zuverlässigkeit und Reputation als Fabrik der Welt unter Beweis zu stellen. Der Bau- und Immobiliensektor, primäre Antriebskraft des Wirtschaftswachstums Chinas seit spätestens der Finanzkrise 2009, hat überschossen und eine historisch einmalige Blase gebildet, mit gewaltiger Überkapazität, leerstehenden Wohnungen und Geschäftshäusern, Stadtteilen und Städten sowie Infrastrukturen. Damit verbunden ist eine riesige Expansion des Bilanz- und Nicht-Bilanzgeschäfts des Bankensektors. Diese Sektoren stehen vor einer Kontraktion unklaren Ausmaßes und Dauer.

In dieser Situation werden der Export oder besser der Außenhandel sowie der private Konsum zu zentralen Konjunkturstützen. Die Position als Fabrik der Welt ist aber gefährdet durch Lieferschwierigkeiten, wie sie jetzt praktisch überall auf der Welt aufgetreten sind. Deshalb, und um den kriselnden Bau zu unterstützen, werden neue Kohlekraftwerke gebaut, die effizienter und technologisch besser gerüstet sind, um ältere nach und nach zu ersetzen, und um die Kapazitäten erheblich auszubauen und die Energiesicherheit und -unabhängigkeit zu sichern, im Klartext, den ohnehin schon hohen Selbstversorgungsgrad von 80 Prozent nachhaltig zu erhöhen. Die Prioritäten werden von der chinesischen Führung neu gesetzt. Wirtschaftswachstum, Energiesicherheit und möglichst hohe Unabhängigkeit von Weltmarktpreisen gehen vor CO2-Fahrplänen und -zielsetzungen. China wird dabei die Ziele, Strukturen und Entscheidungsmechanismen in der Wirtschafts- und in der Energie- und Klimapolitik neu definieren. Die Aussagen von Mitgliedern der Nationalen Energie-Kommission lassen erkennen, dass bisher Energie- und Klimapolitik einerseits, Wirtschaftspolitik andrerseits unzulänglich oder gar nicht koordiniert waren, und dass diese schlecht aufeinander abgestimmten Politiken mit zum Unfall oder zur Krise der Produktionsunterbrechungen geführt haben.

China will also mittel- und längerfristig sein eigenes Energieangebot vor allem via Kohle und Erdöl / Erdgas massiv ausweiten. Dies soll nicht nur die Voraussetzungen schaffen, um die Güterexporte weiter ankurbeln, sondern auch Importe zu substituieren. Der erste Mechanismus besteht darin, dass China die niedrigsten Strompreise aller größeren Industrieländer beibehalten und allenfalls den Wettbewerbsvorteil noch ausbauen kann.

Die Strompreise für die Industrie liegen in der Regel niedriger, aber die Struktur der Strompreise ist grosso modo die gleiche oder ähnlich wie für die Haushalte. China hat Strompreise wie die ganz großen Produzentenländer fossiler Energie, also vor allem die ölproduzierenden Länder der arabischen Halbinsel. Sie liegen deutlich unter denen der Vereinigten Staaten und viel niedriger als diejenigen in Europa, Japan oder Südkorea. China hatte als Produktionsstandort dadurch schon bisher einen Wettbewerbsvorteil. In einem Zeitpunkt, wo andere Länder die Energiekosten deutlich erhöhen wegen der Klimakrise, kommt diese Politik einem „beggar-thy-neighbour“ (seinen Nachbarn zum Bettler zu machen) durchaus nahe, noch dazu ergänzt um Effekte auf das Weltklima.

Die durch die Preissetzung beim Strom und durch die Fixierung auf die Kohle geprägte Energiepolitik Chinas haben aber eine weitere Wirkung: Die über lange Frist hinweg viel zu niedrigen Energiepreise lassen mittel- und langfristig die Energie-Nachfrage Chinas viel zu stark ansteigen. Im Reich der Mitte wird viel zu viel und darüber hinaus energie-ineffizient gebaut. Die neuen Wolkenkratzer sind zwar stabil gebaut, aber nicht gut isoliert, um Kosten zu sparen. Während der gesamten Lebensdauer haben diese Gebäude nachher einen viel zu hohen Energieverbrauch. Die Lebensdauer der Gebäude und Infrastrukturen generell ist viel kürzer als im Westen, was wiederum hohe Neubautätigeit mit dem entsprechenden Energieaufwand zur Folge hat. Generell ist die Lebensdauer von Produkten kurz, weil sie möglichst billig gemacht sind, mit dem entsprechenden Bedarf an neuen Käufen. Solange diese Fixierung auf niedrige Preise nicht aufhört, wird Chinas Energiebedarf weiter explosionsartig anwachsen.

Der zweite Mechanismus zur Konjunkturstützung ist derjenige der Import-Substitution. Das ist direkt sichtbar bei Energieträgern, es gilt aber für ein erweitertes Produkte-Spektrum. China will seine Importabhängigkeit von australischer Kohle, von amerikanischen Chips (auch wenn diese in Taiwan gefertigt sind) und von anderen Gütern reduzieren, das heißt bei allen Gütern, bei denen es entweder politisch erpressbar oder technologisch im Rückstand ist. Das ist die explizite Außenhandels-Agenda Chinas.

Neben dieser rein ökonomisch begründbaren Erklärung, gibt es somit eine weitere geopolitische Dimension für Chinas neuerliche Kohle-Besessenheit. China hat durchaus bedeutende Kohle-Reserven und kann einen großen Teil seiner benötigten Energie auf absehbare Zeit selber herstellen. Allerdings sind diese Reserven nur die viertgrößten der Welt – nicht unbedingt viel für ein Land mit knapp 1,4 Milliarden Einwohnern. Die nachgewiesenen Reserven betragen bei einem Anteil an der Weltproduktion und am globalen Verbrauch von je über 50 Prozent gerade mal 13 Prozent der weltweiten Reserven und reichen beim bisherigen Konsum für geschätzte 35 Jahre. Es ist keineswegs so wie bei den seltenen Erden und anderen Metallen, wo China gegenwärtig viel höhere Anteile an den nachgewiesenen Reserven hat.

Der politische Grund ist, dass China geographisch von einem Netz amerikanischer Militär-Stützpunkte mit enorm ausgebauten Waffenarsenalen umringt ist, und sich durch die amerikanische Politik seit einigen Jahren, spätestens seit der Präsidentschaft von Donald Trump, genötigt und bedroht fühlt. Das hat mit den leidvollen Erfahrungen, die die Chinesen im Laufe ihrer Geschichte gemacht haben, zu tun, aber auch mit dem Auftreten Amerikas als Hegemonialmacht gegenüber eben China und anderen missliebigen politischen Regimes wie Russland, dem Iran, Venezuela und Kuba. China nennt eine lange und glorreiche Geschichte als „Reich der Mitte“ sein Eigen, als wirtschaftlich potente, reiche und kulturell hochstehende Großmacht. Ab 1800 wurde China allerdings, ähnlich wie heute, zunächst umzingelt, dann in einen Handel zu seinen Ungunsten genötigt, schließlich besetzt und wirtschaftlich ausgeplündert. Die Eindämmungs-Politik Amerikas gegen das kommunistische China führte zunächst zu einem isolationistischen Wirtschaftsmodell mit Schwergewicht Schwerindustrie. Erst in den letzten 20 Jahren hat sich eine gewisse Auslandabhängigkeit der chinesischen Energieversorgung eingestellt. Angesichts der veränderten amerikanischen Politik auch unter der neuen Administration Biden, setzt die chinesische Führung die Prioritäten neu, um sich nicht erpressbar zu machen. Sie forciert ihr ohnehin merkantilistisches Wachstumsmodell, um der geostrategischen Herausforderung durch die Weltmacht USA zu begegnen.

Damit sind auch die Zeichen für die globale Klimakrise gesetzt: Solange die beiden Supermächte in einer politisch-wirtschaftlichen Konfrontation sowie einer zunehmend militärischen Aufrüstung ineinander verhakt sind, gibt es keine Aussicht auf eine Lösung und Überwindung der Situation. Chinas Kohle-Abhängigkeit wird wieder verstärkt. Das ist der primäre Treiber der globalen Klimakrise. Und moralinsaure Vorwürfe an die eigene Bevölkerung, wie sie beispielsweise in Deutschland völlig normal sind, vernebeln nur, wo die wirklich Verantwortlichen sitzen: Nämlich in einem Riesenreich im fernen Asien.


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