Deutschland

Deutschland steuert auf einen zerstörerischen Blackout zu

Experten warnen seit längerem vor einem Blackout in Deutschland. Doch ihre Stimmen wurden bisher weitgehend ignoriert.
23.02.2022 13:09
Aktualisiert: 23.02.2022 13:09
Lesezeit: 3 min
Deutschland steuert auf einen zerstörerischen Blackout zu
Hinter zahlreichen Strommasten zeichnet sich heller Rauch ab. (Foto: dpa)

Bemerkenswert ist mit Blick auf die Medienberichte zum Ausbau der regenerativen Energiequellen, dass die zunehmend gefährdete Stabilität der deutschen Stromversorgung offenbar überhaupt keine Rolle spielt – zumindest wird dieses Thema nicht öffentlich angesprochen. Dabei warnen seit Langem zahlreiche Experten und Praktiker aus der Energiebranche vor einer deutlichen „Stromlücke“, welche spätestens ab dem aktuellen Jahr in Deutschland klafft und die im Notfall durch den Import von Strom aus dem europäischen Ausland geschlossen werden muss.

Lesen Sie auch: Die EU im Klima-Wahn: Unsinnige Verordnungen, der kommende Blackout und der Mensch als Sünder

Diese Lücke entsteht, weil die Kapazitäten der planbaren Stromerzeugungsquellen im Zuge des Ausstiegs aus der Atom- und Kohlekraft seit Jahren zurückgefahren werden. Ab 2022 wird es in Deutschland gar keinen Atomstrom mehr geben, ab 2038 soll dann auch überhaupt kein Kohlestrom mehr vorhanden sein. Stattdessen sollen die nicht planbaren und von Witterungsbedingungen abhängigen, also volatilen, Energiequellen – allen voran Windkraft und Fotovoltaik – dann den Großteil der deutschen Stromnachfrage befriedigen.

Der Vorstandsvorsitzende des Energieversorgers Eon warnt, dass künftig ganzen Städten kurzerhand der Strom abgestellt werden könnte.

Dass die Absenkung der konventionellen Stromerzeugung und die Ausweitung der volatilen Energiequellen bereits heute zu einer ernsten Gefahr für die Stabilität des gesamten Stromnetzes geworden ist, zeigt beispielsweise der Umstand, dass in Deutschland bereits seit Jahren Unternehmen ohne Vorwarnung der Strom abgestellt wird, weil die erneuerbaren Erzeuger die Stromnachfrage zeitweise nicht decken können. In solchen Fällen muss also sehr schnell die Nachfrage durch Abwerfen großer Verbraucher wie etwa Industrie-Unternehmen gesenkt werden, um ein deutliches Absacken der Netzfrequenz unter 50 Hertz zu verhindern.

Die Realität sieht folgendermaßen aus: Die Welt berichtete im vergangenen Jahr unter Verweis auf die vier in Deutschland tätigen Netzbetreiber, dass es bereits 2020 zu einem jeweils festgelegten Stichtag im Januar im Falle ungünstiger Bedingungen keine Leistungsreserven mehr im deutschen Netz gegeben habe, sondern dass rein rechnerisch rund 0,5 Gigawatt an Stromleistung an diesem Tag aus dem Ausland importiert hätten werden müssen. Im Januar 2021 weitete sich dieses Defizit zum Stichtag auf 5,5 Gigawatt Leistung aus – was in etwa der Leistung von sechs Großkraftwerken entspricht.

Lesen Sie auch: Reale Gefahr: Wenn ein Cyber-Angriff auf unser Stromnetz stattfindet, bricht die Nahrungsmittelversorgung zusammen

In einem Interview mit der Welt bezifferte der Chef des Stromanbieters Uniper, Andreas Schierenbeck, die Stromlücke sogar auf etwa 7 Gigawatt. „Wenn der Anteil von Solar und Wind aber deutlich über 40, 50 oder 60 Prozent steigt, wird es ohne eine solide Rückendeckung durch fossile Reservekraftwerke nicht mehr gehen. (…) Ich gehe davon aus, dass wir in den nächsten drei Jahren eine Lücke von mehr als sieben Gigawatt an sicherer Erzeugungskapazität in Deutschland haben können, um die Spitzenlast zu decken. Es wird also die Kapazität von mindestens sieben Großkraftwerken fehlen. Ich halte das für bedenklich.“

Die Deutschen Wirtschaftsnachrichten zitierten in der jüngsten Vergangenheit mehrfach Untersuchungen der Akademie Bergstraße für Ressourcen-, Demokratie- und Friedensforschung aus denen unter anderem hervorgeht, dass es mittlerweile eigentlich dutzende neue Gaskraftwerke geben müsste, um den Anstieg des Anteils volatiler Stromerzeuger an der gesamten Erzeugungskapazität auszugleichen – bis heute wurde auf diesem Feld aber so gut wie nichts erreicht.

In einem Interview mit dem Portal Telepolis sagte Henrik Paulitz von der Akademie Bergstraße mit Blick auf die möglichen Folgen der Stromlücke in Form von Stromausfällen:

„Wenn die aktuellen energiepolitischen Beschlusslagen zum Abschmelzen von Kraftwerkskapazitäten umgesetzt werden, wird es in Deutschland schon in Kürze keine zuverlässige Stromversorgung mehr geben. Die Bevölkerung ist sich weithin völlig im Unklaren darüber, dass nicht nur "ungeplante Blackouts" drohen, bei denen es laut eines Berichts von 2011 des "Büros für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag" zu zahllosen Todesopfern kommen kann.

Etwa wenn Menschen in Bahnen und Fahrstühlen dehydrieren, es zu einer deutlich erhöhten Zahl von schweren Verkehrsunfällen kommt, die Wasserinfrastruktur nicht mehr funktioniert, das Risiko von Bränden in Wohn- und Gewerbegebäuden steigt, die Kühlung von lebenswichtigen Medikamenten und Lebensmitteln nicht mehr funktionieren, die Versorgung in Krankenhäusern und Pflegeheimen zusammenbricht, Gewaltkriminalität zunimmt und so weiter und so fort.

Strukturell sehr viel zerstörerischer dürften "geplante Brownouts" wirken, wenn also die Netzbetreiber Industriebetrieben und Privathaushalten regelmäßig den Strom abschalten müssen, weil die Solar- und Windenergieanlagen nachts und bei Windflaute nur wenig Strom erzeugen. Einen Gesetzentwurf für eine solche Strom-Mangelverwaltung hat das Bundeswirtschaftsministerium unlängst vorgelegt, dann aber wieder zurückgezogen, um ihn zu überarbeiten.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.

E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung sowie die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Unternehmensporträt
Unternehmensporträt Start-up Etalytics: KI als digitaler Dirigent für die Industrieenergie
28.11.2025

In Deutschlands Fabriken verpuffen gewaltige Mengen Energie. Mit einer eigenen KI, die das System kontrolliert, gelingen Etalytics...

DWN
Finanzen
Finanzen Bullenmarkt im Blick: Steht der globale Aufwärtstrend vor einer Wende?
28.11.2025

Die globalen Aktienmärkte erleben nach Jahren starken Wachstums wieder mehr Unsicherheit und kritischere Kursbewegungen. Doch woran lässt...

DWN
Politik
Politik Milliarden-Etat für 2026: Bundestag stemmt Rekordhaushalt
28.11.2025

Der Bundestag hat den Haushalt für 2026 verabschiedet – mit Schulden auf einem Niveau, das zuletzt nur während der Corona-Pandemie...

DWN
Politik
Politik Zu wenige Fachkräfte, zu viele Arbeitslose: Deutschlands paradoxer Arbeitsmarkt
28.11.2025

Deutschland steuert auf fast drei Millionen Arbeitslose zu, doch das eigentliche Problem liegt laut Bundesagentur-Chefin Andrea Nahles...

DWN
Finanzen
Finanzen Inflation bleibt im November bei 2,3 Prozent stabil
28.11.2025

Auch im November hat sich die Teuerungsrate in Deutschland kaum bewegt: Die Verbraucherpreise lagen wie schon im Vormonat um 2,3 Prozent...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Koalition erzielt Kompromisse bei Rente, Autos und Wohnungsbau
28.11.2025

Nach langen Verhandlungen haben CDU, CSU und SPD in zentralen Streitfragen Einigungen erzielt. Die Koalitionsspitzen verständigten sich...

DWN
Politik
Politik Zeitnot, Lücken, Belastung: Schulleitungen schlagen Alarm
28.11.2025

Deutschlands Schulleiterinnen und Schulleiter stehen nach wie vor unter hohem Druck: Laut einer Umfrage der Bildungsgewerkschaft VBE sind...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Datenschutz oder Fortschritt? Der Balanceakt zwischen Sicherheit und Innovation
28.11.2025

Die DSGVO sollte Vertrauen schaffen – doch sie ist für viele Unternehmen zur Innovationsbremse geworden. Zwischen Bürokratie,...