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Schlacht um Kiew: Größter Häuserkampf Europas seit 1945 beginnt bald

Lesezeit: 7 min
05.03.2022 11:30
Die militärischen Kontrahenten im Ukraine-Konflikt bereiten sich auf die Schlacht um Kiew vor. In der kommenden Zeit wird offenbar der blutigste und größte europäische Häuserkampf seit Ende des Zweiten Weltkriegs stattfinden. Eine tiefgründige militärische Analyse.
Schlacht um Kiew: Größter Häuserkampf Europas seit 1945 beginnt bald
Russische Truppen rücken auf Kiew vor. (Grafik: DWN/Cüneyt Yilmaz/ISW/Google Maps)

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Bei der aktuellen Militärintervention in der Ukraine wurden der Südliche Militärbezirk und der Westliche Militärbezirk aktiviert, berichtet „The Kyiv Independent“. Es kommen hauptsächlich die 20. Gardearmee (Hauptquartier in Woronesch), die 49. Armee (Hauptquartier in Stawropol) und die 1. Gardepanzerarmee zum Einsatz, führt Generalmajor a.D. Ali Erdinç im Gespräch mit dem türkischen Sender „Veryansın Tv“ aus.

Das „Institute for the Study of War“ meldete in ihrem Militärbericht vom 4. März 2022: „Der ukrainische Generalstab berichtet, dass 14 BTGs (taktische Bataillonsgruppen der russischen Armee. Anm.d.Red.) des Zentralen Militärbezirks und des 14. Armeekorps (der Nordflotte) in den östlichen Vororten von Kiew vordringen.“

Weiterhin kommt die Nationalgarde, die direkt dem russischen Präsidenten untersteht, zum Einsatz. Die Verbände der Nationalgarde haben Spezialaufgaben, die sich nicht nur auf militärische, sondern auch auf zivile Aufgaben erstrecken. Einige Verbände der Nationalgarde agieren paramilitärisch. Die wichtigsten Kämpfer der russischen Nationalgarde stellen die Tschetschenen dar, die mit 12.000 Mann in der Ukraine aktiv sind. Sie wurden dem russischen Präsidenten vom tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow zur Verfügung gestellt. Vor wenigen Tagen sollen die Tschetschenen-Verbände der Nationalgarde in der Ukraine schwere Rückschläge erlitten haben.

Weiterhin kommen in der Ukraine Verbände der Eliteeinheit „SpezNas“ zum Einsatz. Diese Einheit untersteht dem russischen Militärgeheimdienst GRU, weshalb sie auch als „GRU SpezNas“ umschrieben wird. Den „SpezNas“-Einheiten wurden vor allem in der Krim-Krise 2014 Aufgaben übertragen.

Im Verlauf der aktuellen russischen Intervention ist zu beobachten, dass eine Offensive von der Halbinsel Krim aus gestartet wurde. Diese Offensive verfügt über zwei Hauptstränge. Während ein Strang sich nord-westlich in Richtung des Dnepr-Flusses ausrichtet, läuft ein weiterer Strang in Richtung der Donbass-Region, um eine Landverbindung zwischen der Krim und dem Donbass zu schaffen. Der erste Strang soll dazu dienen die Wasserzufuhr zur Krim zu sichern, was frühzeitig in der DWN-Analyse vom 11. Dezember 2021 „Droht der Ukraine eine Teilung entlang des Dnepr-Flusses?“ dargestellt wurde.

Ein weiterer Strang ist gen Odessa ausgerichtet. Wenn den russischen Truppen die Eroberung der strategisch wichtigen Hafenstadt Odessa gelingen sollte, würden sie zwangsläufig eine Verbindung in das Gebiet Transnistrien herstellen, wo sich bereits heute russische Truppen befinden. Dieses Szenario würde die Ukraine zu einem Land ohne Zugang zum Schwarzen Meer machen. Wie in der DWN-Analyse vom 11. Dezember 2021 beschrieben, könnten die russischen Truppen im Norden und Süden der Ukraine entlang des Dneprs aufgerollt werden, um eine natürliche Grenze durch die Ukraine zu markieren.

Elite-Truppe „SpezNas“ führt besondere Aufgaben aus

Vor Beginn des Ukraine-Kriegs haben mit einer hohen Wahrscheinlichkeit „SpezNas“-Einheiten Teile der

Ukraine infiltriert. Die Besonderheit der „SpezNas“ besteht darin, dass sie die Kultur, Sprache, Bräuche und Religion der Menschen in den angepeilten Operationsgebieten sehr gut kennen. Die Mitglieder dieser Spezialeinheit dringen in der Infiltrationsphase immer als Zivilisten in das Zielgebiet ein, um sich dort niederzulassen. Anschließend forschen sie die kritischen Infrastrukturen und weitere besondere Gegebenheiten, die von taktischer und strategischer Bedeutung sind, aus. In der Ukraine dürften die Infiltrationsverbände der „SpezNas“ ein leichtes Spiel gehabt haben, zumal ein signifikanter Teil der Ost-Ukrainer nicht nur russisch spricht, sondern auch pro-russisch ausgerichtet ist. Aufgrund der Übergriffe durch bewaffnete Rechtsextremisten (Regiment Asow und Prawyj Sektor) seit dem Jahr 2014 dürfte sich bei diesen Bevölkerungsteilen die politisch-emotionale Ausrichtung nach Moskau verfestigt haben.

Kurz vor Beginn des Ukraine-Kriegs wird dem neutralen Beobachter aufgefallen sein, dass strategisch wichtige Depots und Infrastrukturen der Ukraine in die Luft gesprengt wurden, ohne dass es einen direkten Angriff gegeben hatte. Diese taktischen Sprengungen der strategisch wichtigen Zielobjekte sind mit einer hohen Wahrscheinlichkeit auf die Aktionen der „SpezNas“-Einheiten zurückzuführen. Auch „False Flag“-Aktionen werden von diesen Spezialeinheiten ausgeführt.

Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Die ukrainische Regierung dürfte auch Spezialisten von privaten Militärfirmen engagiert haben, die in den Konfliktgebieten gewisse Aufgaben erfüllen sollen.

Und an dieser Stelle wird es besonders interessant, wenn es um die Hauptstadt Kiew geht:

Einige Medien behaupten, dass der Vorstoß der Russen auf Kiew und einige andere Städte ins Stocken gerät. Regierungsmitglieder in Kiew behaupten, dass den russischen Soldaten das Benzin und die Nahrungsmittel ausgegangen seien. Doch das dürfte so nicht stimmen. Es handelt sich bei diesen Aussagen um politisch-ideologische Schmähungen, was wiederum zu einer Unterschätzung der russisch-militärischen Fähigkeiten führt. Wenn diese Aussagen aber doch stimmen sollten, wäre das auch relativ egal. Denn die Russen haben alle Zeit der Welt, um mögliche logistische Defizite auszubügeln. Ihre logistischen Versorgungslinien unterliegen keiner Unterbrechung.

Während sich am Stadtrand von Kiew und anderen Städten russische Verbände versammeln und abwarten, kommt es zeitgleich zu Explosionen in den Zielgebieten. Mit einer hohen Wahrscheinlichkeit kommen „SpezNas“-Einheiten in Zivilklamotten oder in Uniformen der ukrainischen Armee zum Einsatz, um die Einnahme der Zielstädte zu erleichtern, indem strategisch wichtige Depots und Infrastrukturen zerstört werden.

Allerdings wird es aktuell etwas verwirrender. Nachrichten, wonach russische Truppen das Gebiet am AKW Tschernobyl oder das AKW Saporischschja beschießen, dürften aus der Welt der Kriegspropaganda stammen. Denn durch einen reinen Beschuss explodieren keine AKW. Um eine AKW-Katastrophe herbeizuführen, müsste ein technischer Defekt im sehr gut gesicherten Bereichs eines AKW herbeigeführt werden. Die zweite Möglichkeit würde in einer Sabotage-Aktion im Inneren des AKW liegen.

Weder die ukrainische Armee noch die russische Armee haben ein Interesse daran, dass es zu einer AKW-Katastrophe kommt. Denn eine derartige Katastrophe würde zu nachteiligen Folgen für beide Kriegsparteien führen. Es ist sogar davon auszugehen, dass beide Seiten versuchen, die genannten sensiblen Gebiete zu schützen.

Im Zusammenhang mit den Kampfhandlungen um Kiew ist die Öffentlichkeit einer Flut von Informationen und Desinformationen unterworfen. Vor wenigen Tagen lancierte die US-Satellitenfirma „Maxar“ Bilder, die einen massiven Militärkonvoi von 64 Kilometer zeigen, der sich aus dem Norden auf Kiew bewegt. Der Konvoi soll aus Panzern, gepanzerten Fahrzeugen und weiteren Militär-Lkw bestehen. Die Satellitenfirma fügte hinzu, dass im belarus-ukrainischen Grenzgebiet Kampfhelikopter-Einheiten stationiert wurden.

Es wäre leicht gewesen, diese Konvois im Norden von Kiew mit lasergelenkten Bomben („Smart Bombs“) auszuschalten. Doch lasergelenkte Bomben und Waffen hat die Ukraine von den westlichen Staaten nicht erhalten. Stattdessen konzentrierten sich die Lieferungen vorzüglich auf US-Panzerabwehrwaffen des Typs „Javelin“, deutsche Panzerabwehrraketen des Typs „MILAN“ und Flugabwehrraketen des Typs „Stinger“.

Kiew könnte zum Grosny des 21. Jahrhunderts werden

Das lässt den Schluss zu, dass die russische Armee in Kiew in einen Häuserkampf getrieben werden soll. Die Durchhalteparolen hochrangiger ukrainischer Politiker deuten darauf hin, dass die Russen mit ihren Panzern und ihrer Infanterie nach Kiew gezogen werden sollen, um anschließend mit den Methoden des Häuserkampfs ausgeschaltet zu werden. Der Einsatz von tschetschenischen Kämpfern auf russischer Seite, lässt den weiteren Schluss zu, dass den Russen dieser Plan bekannt ist. Denn bei Kadyrows Truppen handelt es sich um Einheiten, die im Häuserkampf geschult sind.

Unter normalen Umständen hätten die Ukrainer mit ihren Panzerabwehrwaffen einen eindeutigen Vorteil, falls sie sich richtig positionieren sollten.

Die Panzerabwehrwaffe „Javelin“ ist besonders gefährlich, weil sie aufgrund ihrer speziellen Flugbahn den anvisierten Panzer nicht an den Seiten, sondern auf der Oberfläche der Fahrerhaube trifft, was der sensibelste Bereich des Panzers ist. Über die „MILAN“ berichtet die Bundeswehr auf ihrer Webseite: „Mit der Panzerabwehrwaffe MILAN wird ein drahtgelenkter Flugkörper verschossen, der mit einem Hohlladungsgefechtskopf bestückt ist. Dieser ist in der Lage, bis zu 700 Millimeter Panzerstahl zu durchschlagen. Bestückt mit einem Wärmebildgerät, ist die MILAN voll nachtkampffähig.“

Die „MILAN“ und die „Javelin“ können auch gegen in Bodennähe langsam fliegende Luftfahrzeuge wie Helikopter eingesetzt werden. Über die „Stinger“ führt die Bundeswehr aus: „Die Fliegerfaust 2 Stinger wird gegen Flugziele im Tiefstflug und in mittleren Flughöhen in einer Entfernung von bis zu sechs Kilometern eingesetzt. Die Flugabwehrrakete des Typs Stinger hat ein störfestes Lenksystem, das Infrarot- und Ultraviolettsignale nutzt. Nach der optischen Zielerfassung schaltet ihr Suchkopf auf. Dann kann der Schütze sie abfeuern. Die Fliegerfaust 2 Stinger steuert nach dem Prinzip „Fire and Forget“ automatisch das anfliegende Ziel an.“

Hier bietet sich ein kurzer historischer Rückblick an: Die „Stinger“ war in den 1980er Jahren im Krieg zwischen den Afghanen und den Sowjets ein sogenannter „Game Changer“. Die unterlegenen Afghanen erhielten dadurch die Möglichkeit, die Lufthoheit der Sowjets teilweise zu brechen. S. Artamonov, M. Zhirokhov und A. Kotlobovsky berichten in einer Analyse, dass die Afghanen mit den „Stinger“-Raketen 29 sowjetische Kampfhubschrauber des Typs Mi-24 abschießen konnten.

Ob die russische Armee sich tatsächlich auf einen Kiewer Häuserkampf einlässt oder ausschließlich auf die Luftwaffe setzt, dürfte ganz stark davon abhängen, wie sicher sich die Russen im Zusammenhang mit ihrer Vorfeldaufklärung, die normalerweise von den „SpezNas“-Einheiten durchgeführt wird, fühlen.

Die Russen gelten seit den Zeiten Stalins als Profis in den Bereichen der Aufklärung und Desinformation, während die US-Amerikaner diese Fähigkeiten erst nach Ende des Zweiten Weltkriegs durch den personellen, technologischen und wissenschaftlichen Nachlass der Nationalsozialisten perfektioniert haben.

Außerdem dürften die Russen – wie zuvor ausgeführt – auf ein effizientes Netz an Kollaborateuren (bzw. Kooperationspartnern) innerhalb der Bevölkerung, des Militärs, der Politik und sogar der Behörden der Ukraine setzen, die den Informationszufluss sicherstellen.

Moskau und Kiew haben sich auf die Einrichtung sogenannter „humanitärer Korridore“ geeinigt. In den Medien wird behauptet, dass über diese Korridore die Menschen in den Konfliktgebieten mit Medikamenten und Lebensmitteln versorgt werden sollen.

Diese Ausführung dürfte nur bedingt stimmen. Denn aus anderen Kriegen wissen wir, dass „humanitäre Korridore“ dazu genutzt werden, um Zivilisten zu evakuieren, bevor eine Offensive gestartet wird. Außerdem ist davon auszugehen, dass Lebensmittel und Medikamente in die Hände der ukrainischen Soldaten und Paramilitärs fallen könnten, was ihnen einen Vorteil verschaffen würde. Das dürfte nicht im Interesse des Angreifers sein, weil derartige Aktionen bei der Erstürmung der jeweiligen Stadt das Risiko für höhere Verluste in den eigenen Reihen ansteigen lassen würde.

Fazit: Wie erbittert die Mitglieder der russischen Armee trotz schwerer Rückschläge kämpfen können, haben sie in der Schlacht um Grosny (31. Dezember 1994 – 8. Februar 1995) gezeigt. Die heutige russische Armee ist weitaus schlagkräftiger als die post-sowjetische russische Armee der 1990er Jahre. Jedoch handelt es sich auch bei der ukrainischen Armee nicht um jene Armee aus dem Jahr 2014.

Wenn ich mich nicht täusche, werden die Russen nicht aufhören vorzurücken, bis sie all ihre militärischen Ziele erreicht haben – sogar unter hohen Verlusten. Wer in dem langsamen Vorrücken der Russen eine Schwäche ausmacht, der täuscht sich. Die Offensive ist meines Erachtens zu keinem Zeitpunkt ins Stocken geraten – auch wenn das all die militärischen und zivilen Russland-Spezialisten im deutschen Fernsehen behaupten.

Die russischen Militärs und der russische Präsident haben mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit alles so angeordnet, wie es aktuell abläuft, um der Regierung in Kiew Konzessionen abzugewinnen.

Den Regierungsmitgliedern in Kiew wird offenbar die Möglichkeit gegeben, ihre Rücktritte einzureichen, ohne dass ihnen etwas zustößt. Allerdings dürfte dieses Angebot einer zeitlichen Begrenzung unterliegen.

                                                                                ***

Cüneyt Yilmaz ist Absolvent der oberfränkischen Universität Bayreuth. Er lebt und arbeitet in Berlin.


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