Finanzen

Das Bargeld hat keine Chance: EU knickt vor finanzstarken Lobby-Organisationen ein

Lesezeit: 5 min
27.03.2022 08:00
Lesen Sie hier den zweiten Teil der großen Bargeld-Analyse von Prof. Werner Thiede.
Das Bargeld hat keine Chance: EU knickt vor finanzstarken Lobby-Organisationen ein
Die Befürworter der Bargeldabschaffung sind einflussreich. Hier spricht Bill Gates (l), der mit seiner "Bill und Melinda Gates Stiftung" die Lobby-Organisation "Better than Cash Alliance" unterstützt, mit dem niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte. (Foto: dpa)
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Nicht zuletzt die „inneren“ Probleme, die mit einer Abschaffung des Bargelds verbunden wären, sollten zu denken geben. Der Sozialpsychologe Harald Welzer be­merkt: „Konsu­mis­mus ist heute totalitär gewor­den und treibt die Selbstentmündigung da­durch voran, dass er die Verbraucher… zu ihren eigentlichen Produkten macht“ – indem er sie mit immer neuen Wünschen ausstattet[i]. Ausschließlich bargeldloses Zahlen könnte ver­stärkt dazu ver­führen, mehr ausgeben, als man besitzt, weil man die Differenz weniger vor Augen hat. Auf indirekten Konsumzwang durch leichter mögliche Geldentwertung zielen Politik und Wirtschaft durchaus ab. Aus alledem resultiert eine Verschiebung tradi­tio­neller Werte, was der allzu früh verstorbene Journalist Frank Schirrmacher hat kom­men sehen: „Umge­ben von einer Welt, in der In­formationen nicht nur an Börsen, son­dern am Arbeitsplatz, in der Kom­munikation und sogar bei Freundschaften von logisch arbei­ten­den Rechenma­schinen orga­nisiert werden, die nach den Gesetzen der per­sönlichen Pro­fitmaxi­mie­rung den menschlichen Charakter kalkulieren, verändern sich ge­sell­schaft­liche Wert­vorstellungen in stau­nens­werter Geschwindigkeit.“[ii] Von da­her ist wie­derum das politische Streben nach der Digitalisierung des Bezahlens kein Wun­der: Geht es schon beim Digitalisieren als solchem ums Zäh­len und Rech­nen, so kann es gar nicht anders sein, als dass sich diese „stille Re­volution“ zunehmend auch aufs Geld er­streckt.

Findet nicht die digitale Revolution sogar weithin um des Geldes willen statt? Und zwar nicht allein wegen der gesamtwirtschaftlichen Gewinn­aus­sichten auf dem breiten Sektor der Digitalisierung, sondern immer mehr auch wegen algorith­misch betrie­be­ner Finanzspe­kulationen[iii]? „Das Monster Finanzkapitalismus“, be­merkt Alexan­der Cam­mann, „verhalf der digitalen Revolution zum Durchbruch – iPhone und In­vest­ment­ban­king sind insofern zwei Seiten einer Medaille. Erst durch die Möglichkeit, kurz­fristig immense In­vestitionen zu bewe­gen, waren die gigantischen technolo­gischen Schübe mög­lich.“[iv] Na­ment­lich der Hochfrequenzhandel mit seinem ultra­schnel­len Kau­fen und Ver­­kaufen von Aktien­wer­ten enthumanisiert die Ökonomie voll­ends und ver­führt zu ge­wollter Unübersicht­lichkeit[v]. Digitales Geldmachen – irrsinnig be­schleu­nigt nach der De­vise „Zeit ist Geld“ – er­weckt nicht nur bei Markus Zydra grund­sätzliche Skep­sis: „Der Bör­sen­handel wird domi­niert von Naturwissenschaftlern, die Han­dels­sys­te­me ent­wer­fen, denen es gar nicht darum geht, wie gut die betriebs­wirt­schaft­lichen Aus­sichten eines Kon­zerns sind oder was der Vor­standschef kann. Es geht darum, Preis­be­we­gungen im Sekun­dentakt zu antizi­pieren. Es geht ums Zocken – nicht mehr um lang­fris­tiges Inves­tieren.“[vi] Wie vernünftig ist das noch? Ist es noch Ausdruck des homo sapiens oder eher transhumanistischer Ambitionen?

Im Horizont der digitalen Transformation ist es mehr denn je so, dass alle Lebens­bereiche „weit­ge­hend unter dem Gesichtspunkt der Öko­nomie be­trach­tet“ wer­den[vii]. Da­bei ist klar, dass dieser Kurs von Regierenden unter­stützt wird: „Die Wirt­schaft will Geld verdienen und die Politik sich im Glanze des Er­folges eines Wirt­schafts­zweiges sonnen, so das Gentlemen Agree­ment.“[viii] Ökonomi­sche „Sach­zwän­ge“ legi­timieren die entschlos­sene Digi­tali­sie­rung ebenso wie die damit ver­bun­dene Ero­sion humanistischer Werte. Laut Gregor Taxacher „wird nun alles faktische ökonomi­sche Ge­schehen ge­recht­fertigt durch seine unumstößliche innere Rationalität, selbst wenn die über Leichen geht.“[ix] Dabei gilt es mit dem Wirtschaftsexperten Tomás Sedlácek zu bedenken: „Ökono­mie be­ruht nicht nur auf Mathematik und Ana­­lytik, son­dern in hohem Grade auf Glaubens­aus­sagen, Kultur und Nor­men.“[x] Die durchdigitalisierte Wirtschaft beruht auf dem digital neu angefeuerten Fortschrittsglauben[xi]. Mit Schirrma­cher bleibt festzuhalten, dass im Kontext dieser techno­kratischen Er­satz­religion „jetzt das Immate­rielle, die Seele selbst, zum Marktplatz werden sollte.“[xii] In diesem Sinn stellt die Digitalisierung des Bezahlens auch eine seelisch-geistige Herausforderung dar.

Der Begriff des „Geldes“[xiii] gehörte ursprünglich zur religiös-kulti­schen Sphäre: Er bezeichnete das, womit man Buße und Opfer er­statten beziehungsweise ent­richten konnte. Erst ab dem 14. Jahrhundert nahm er seine aktuelle Bedeutung als „geprägtes Zahlungsmittel” an und stand fortan für ein Wertäquivalent. Geld kann tatsächlich in materieller oder im­ma­teriel­ler Form existieren. Als abstraktes Tauschmittel für Leistung

oder Güter er­höht es für seine Besitzer die Wahlmöglichkeiten. Fast könnte man formelhaft sagen: Geld ist Leben. Aber die bekannte Formel „Geld oder Leben“, die man bei Über­fällen oft zu hören pflegt, bringt gerade kein Wert­äquivalent zum Aus­druck, sondern macht dras­tisch deutlich: Das Leben ist mehr wert als aller Geldwert. Und dies gilt wie­derum nicht bloß fürs biologische, vergängliche Leben, sondern erst recht im Hinblick auf das unvergängliche Leben der Seele (Mat 16,26)[xiv].

Daran zu denken kann hilfreich sein, um der digitalen Freiheits- und Fort­schritts­­falle[xv] zu entkommen. Wer in ihr gefangen ist, bleibt ein Sklave des Geldes, des ökonomischen Sogs und seiner reduktionistischen Logik. Die Konturen einer postmodernen Er­satzre­ligion zeichnen sich gerade ab in Märk­ten, die um des Profits willen per digitaler Vernet­zung eine „fast göttliche All­wis­senheit“ (Frank Schirrmacher) erstreben[xvi]. Dank der digi­talen Revolution breitet sich ein regelrechter „Überwachungs­kapita­lis­mus“ aus[xvii]. Selbstverständlich setzt der auf die Abschaffung des Bar­gelds. Schirr­ma­cher sprach vom „Informationska­pitalis­mus unse­rer Tage“, der nicht nur Ge­dan­ken lesen, kontrollieren und verkaufen will: Er „stellt zusam­men­hängende Lebens­läufe und Identitäten von einzelnen Men­schen infrage, er hat die Realwirt­schaft für seine Zwe­cke ein­gespannt und ist nun im Begriff, kon­stitutionelle und völker­recht­liche Ord­nun­gen um­zu­­schreiben. Denn nicht nur der Einzelne verliert seine Souve­ränität. Die in der gegen­wär­tigen Eurokrise amputierten Souveränitätsrechte europäi­scher Staaten und Parla­mente sind keine Kunstfehler, sondern Teil seiner ope­ra­tiven Logik.“[xviii]

Insgesamt sind die Probleme der Bargeldabschaffung dermaßen komplex, dass derzeit noch alle im Bundestag vertretenen Parteien erklären, sie hätten nichts gegen das Bar­geld. Doch die Anti-Bar­geld-Allianz der G20 namens Global Partnership for Financial In­clusion arbeitet intensiv zusammen mit der Better Than Cash Alliance an der globalen Bargeldzurückdrängung – und sucht auch Einfluss auf die Regierungen zu nehmen. Wie be­reits bemerkt, bietet die EU für dieses Bestreben einen guten Nährboden[xix]. Demgegen­über bleibt grundsätzlich das enorme Gewicht des Bargelds bestehen: „Alle unbaren Zah­lungs­mittel müssen sich an seinen Eigenschaften messen lassen. Kein anderes Zah­lungsmittel als Bargeld erreicht ein vergleichbar hohes Inklusionsniveau, denn seine Handhabung ist recht einfach und unabhängig von technischen und motorischen Fähig­keiten, wes­halb im Grunde jeder Mensch mit Scheinen und Münzen umgehen kann. Für die ab­strakteren unbaren Zahlungsmittel gilt dies nicht in gleicher Weise. Zudem ist der Ein­satz von Bargeld für Bürgerinnen und Bürger kostenlos und somit seine Existenz eine zentrale Voraussetzung für die Teilnahme finanzschwächerer Menschen am Zah­lungs­verkehr, wenn diese sich beispielsweise kein aktuelles Smartphone für das mobile Be­zahlen und/oder kein Girokonto leisten können oder wollen.“[xx] Im stationären Handel lässt sich prinzipiell überall mit Barem bezahlen, was zur Komplexitätsreduktion bei­trägt. Zudem können durch die Nutzung von Bargeld sowohl Negativzinsen als auch eine intensivierte Über­wachung vermieden werden. Gründe genug, die Chancen einer Digita­lisierung des Geldes nicht überzubewerten und der Versuchung energisch zu wider­ste­hen, das Bargeld als analoge Bezahlalternative immer mehr einzuschränken und am Ende abzuschaffen!

[i] Harald Welzer: Selbst denken. Eine An­leitung zum Widerstand, Frankfurt a.M. 2013, 16.

[ii] Frank Schirrmacher: EGO. Das Spiel des Lebens, München 2013, 12.

[iii] Längst „dringt auch in das wirtschaftliche Leben diejenige Technik ein, welche an die Stelle der Ord­nung die bloße Verrechnung setzt“ (Michael Kirn: Der Computer und das Menschenbild der Philoso­phie, Stuttgart 1985, 146).

[iv] Alexander Cammann: Und er triumphiert doch! in: DIE ZEIT Nr. 9/2013, 45.

[v] Vgl. Frank Matthias Drost: Mehr Transparenz, in: Handelsblatt Nr. 149 vom 3.8.2012, 12. Siehe auch Holger Strohm: Bankenma­fia, Elbingen 2012.

[vi] Markus Zydra: Zocken in Millisekunden, in: Süddeutsche Zeitung Nr. 183 vom 9.8.2012, 15.

[vii] Vgl. Wolfgang Koch/Jürgen Wegmann: Tugend lohnt sich, Frankfurt a.M. 2007, 10; Werner Thiede: Digitaler Turmbau zu Babel. Der Technikwahn und seine Folgen, München 20212, 57ff.

[viii] Markus Beckedahl/Falk Lüke: Die digitalisierte Gesellschaft. Netzpolitik, Bür­ger­recht und die Macht­frage, München 2012, 207.

[ix] Gregor Taxacher: Apokalypse ist jetzt. Vom Schweigen der Theologie im An­ge­sicht der Endzeit, Gütersloh 2012, 49.

[x] Tomás Sedlácek: Der Kapitalismus darf uns nicht beherrschen, in: idea Spektrum 46/2012, 20-22, 20.

[xi] Vgl. Werner Thiede: Problematischer Glaube an unendlichen Fortschritt, in: Deutsches Pfarrerblatt 9/2019, 507-515; Alexander Rüstow: Die Religion der Marktwirtschaft, Berlin 20094; Gertrud Höh­ler: Götzendämme­rung. Die Geldreligion frisst ihre Kinder, München 2010.

[xii] Schirrmacher: EGO, a.a.O. 216.

[xiii] Hierzu sehr lesenswert der Aufsatz von Dieter Petschow: „fiat money“. Der Mythos vom Geld, in: Deutsches Pfarrerblatt 2/2010, 86f: Geld „ist soziale Energie, im kon­struktiven wie kriminellen Sin­ne“ (87).

[xiv] Vgl. Werner Thiede: Unsterblichkeit der Seele? Interdisziplinäre Annäherungen an eine Mensch­heits­frage, Berlin 20222.

[xv] Vgl. Werner Thiede: Die digitale Fortschrittsfalle, Bergkamen 20192; ders.: Die digitalisierte Freiheit. Morgenröte einer technokratischen Ersatzreligion; Berlin 20142.

[xvi] Pfarrer Walter Schmidt be­merkt: „Die Beschäftigung mit Geld ist wie kaum ein anderes wirtschaft­li­ches Tun ideologisch und emo­tional vorbelastet“ (Götze Geld und Mythos Markt, in: Evan­gelische Aspekte 15 [2005], 36-39, hier 39).

[xvii] Shoshana Zuboff: Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus, Frankfurt a.M. 2018.

[xviii] Schirrmacher, a.a.O. 10 und 12.

[xix] „Die Wahrscheinlichkeit, dass es zu EU-weiten Bargeldrestriktionen kommen wird, ist groß, weil sehr mächtige Lobbygruppen in Brüssel einen solchen Schritt fordern“ (Michael Brückner: Achtung! Bargeldverbot! Auf dem Weg zum gläsernen Kontosklaven, Rottenburg 2015, 200).

[xx] Zitatbeleg: Siehe Anm. 6.

LESEN SIE AUCH DEN ERSTEN TEIL DER GROSSEN BARGELD-ANALYSE VON WERNER THIEDE:

deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/518236/Die-Einfuehrung-des-digitalen-Euro-ist-beschlossen-Erfolgt-gleichzeitig-ein-Bargeldverbot

Dr. theol. habil. Werner Thiede ist außerplanmäßiger Professor für Systematische Theologie an der Universität Er­lan­gen-Nürnberg, Pfarrer i.R. und Publizist (www.werner-thiede.de). Zuletzt erschien von ihm „Unsterblichkeit der Seele? Interdisziplinäre Annäherungen an eine Menschheitsfrage“ (2. Auflage, Berlin 2022); im Druck befindet sich das Büchlein „Himmlisch wohnen. Auferstanden zu neuem Leben“ (Leipzig 2023).


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