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Einführung des digitalen Euro ist beschlossen: Kommt gleichzeitig das Bargeld-Verbot?

Lesezeit: 6 min
26.03.2022 11:09  Aktualisiert: 26.03.2022 11:09
DWN-Autor Prof. Werner Thiede zeigt die Folgen des drohenden Bargeldverbots auf.
Einführung des digitalen Euro ist beschlossen: Kommt gleichzeitig das Bargeld-Verbot?
Der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) hat bereits letztes Jahr die Einführung des digitalen Euro beschlossen - dass er kommt, ist unausweichlich. (Foto: dpa)
Foto: Fredrik Von Erichsen

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„Mit der Hoheit über ihr Geld verlieren die Menschen unweigerlich auch noch den letz­ten Rest ihrer Mündigkeit“, bemerkte Peter Krämer schon vor einem Jahrzehnt in sei­nem um­fang­reichen Buch „Die Entmündigung“[i]. 2016 veröffentlichte Peter Hahne das einschlägige Buch „Finger weg von unserem Bargeld! Wie wir immer weiter entmündigt werden“[ii]. 2018 warnte der Wirt­schafts­ex­perte Dirk Müller ebenfalls vor der Abschaf­fung des Bargelds und dem „Beginn eines neuen dunklen Zeitalters“; im Wissen um die „totale Digitalisierung und ihre Folgen“ riet er: „Mischen Sie sich ein“[iii]. Im selben Jahr er­schien von Norbert Häring das Buch „Schönes neues Geld. PayPal, WeChat, Amazon Go: Uns droht eine totalitäre Weltwäh­rung“, in dem erläutert wird: „Be­trie­ben werden diese Kam­pagnen von der G20-Gruppe der wich­tigsten Industrienatio­nen, angeführt von der US-Regie­rung und im Konzert mit großen US-Kon­zer­nen und deren Stiftungen. Sie alle haben ge­meinsam eine Glo­bale Partnerschaft für finan­zielle In­klusion gebildet. Deren Ziel ist es, die Digitali­sie­rung des Zahlungsver­kehrs und die bio­me­trisch-digitale Erfas­sung aller Bürger weltweit durchzusetzen. Einbezogen in diese Partner­schaft ist eine ganze Batterie öffentlich-rechtlicher Allianzen, darunter die Besser-als-Bar­geld-Allianz, mit Mastercard, Visa, der Stif­tung von Microsoft-Gründer Bill Gates und dem US-Außen­ministerium als Kernmit­glie­dern.“[iv] Und 2019 erschien ein mahnendes Buch von Hans­jörg Stützle unter dem Titel „Das Bargeld-Komplott. Bargeldverbot auf Raten, bezahlt mit unserer Freiheit“: Die Folgen der Abschaffung würden verheerend sein.

Noch aber haben wir unser Bargeld, und immer wieder hört man, an seine Abschaffung sei nicht gedacht. Wahrscheinlich haben die ge­nannten Bücher ihren Zweck wenig­stens eine Zeitlang erfüllt. Doch Josef Kraus erklärte kürzlich: „Die Vision heißt Digitali­sierung. Und die Begründung lautet: Wenn es kein Bargeld mehr gibt, dann tut sich der Staat leichter, gegen Terrorfinanzierung, Schwarz­geld, Steuerkriminalität und Geldwä­sche vorzugehen. Staatliche Fahndungsbe­hörden möchten den Austausch von Bargeld zumindest vorläufig auf 10.000 Euro begrenzen.“[v] Und in den DWN warnte Ende Januar Hakon von Holst: „Das Bargeld gerät zusehends in die Defensive: Immer mehr Ver­kehrs­betriebe lehnen Scheine und Münzen ab, was für Barzahler, Kinder und Senioren zu gro­ßen Schwierigkeiten führt. Fest steht: Die Bargeldabschaffung hält Einzug in Deutsch­land – Schritt für Schritt sollen die Bürger ihren altbewährten Scheinen und Münzen entwöhnt werden. Bahn fahren mit Chip-Implantat. Als ob alles nicht gruselig genug wäre, zeigt der Weltmeister im Bargeldabschaffen, wo er den Zug hinlenkt: Schwe­den ist das Land, wo man ohne Bankkarte vielerorts selbst vor der öffentlichen Toilette aufgeschmissen ist.“

Derlei Warnungen und Vorbehalte passen freilich nicht zu den politisch mit neuem Elan forcierten Digitalisierungsprogrammen hierzulande und EU-weit. Schon vor über einem Jahrzehnt hatte eine EU-Geld-Richtlinie (2009/110/EG) die Absicht erkennen lassen, Bargeld zu­neh­mend zum Ver­schwin­den zu bringen – zu Gunsten an­geblich siche­rer „E-Geld-Dienstleis­tun­gen“. So forderte die EU für alle Bür­gerin­nen und Bürger der Mitglied­sstaaten die „elektronische Geldbörse in Form einer Zah­lungs­karte oder einer anderen Chipkarte“ sowie „als Speichermedien für E-Geld“. Inzwischen suchte bereits der Bundes­tag Experten zum Thema „Bargeldbeseitigung“. Für sein Projekt „Welt ohne Bargeld – Veränderungen der klassischen Banken- und Bezahlsysteme“ wurde ein Gut­ach­ten aus­geschrieben, das helfen sollte, den Weg dafür freizumachen und die Be­völke­rung von ihrer „Bargeld-Obsession“ zu befreien. Diese Ausschreibung betrieb der Bun­destags­aus­schuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung. Er tat sich da­für mit dem Bera­tungsunternehmen VDI/VDE-IT zusammen, das vom Ingenieurs­ver­band VDI und der IT-Lobby VDE, dem „Verband der Elektrotechnik Elektronik Infor­ma­tionstechnik“, ge­tragen wird. Diese IT-Lobby durfte auch das Vorgehen des Aus­schusses bei seinem Pro­jekt konzipieren und so neue Anwendungsfelder disruptiver Bezahl­sys­teme anvisieren. In einem Thesenpapier zu einem öffentlichen Fachgespräch unter dem Titel des genannten Projekts am 18. Juni 2020 im Deutschen Bundestag hieß es: „Trotz der überwiegend positiven Eigenschaften, die dem Bargeld zugeschrieben werden, geht die Bargeldnutzung (auch) in Deutschland zurück. Die Kosten für die Bereitstellung der Bargeldinfrastruktur könnten steigen und dazu führen, dass Bargeld nicht mehr überall akzeptiert wird.“[vi] Die Einführung von digitalem Zen­tral­bank­geld aber – so liest man wei­ter – wäre ein erheblicher Einschnitt in das gegenwärtige Geld- und Banksystem, so dass diese Option in fast allen Ländern noch Gegenstand wissen­schaft­licher Forschung und politischer Diskussionen sei. „Gleichwohl sind jetzt die Einführung sowohl des digitalen Euro, auf die sich Mitte 2021 der Rat der Europäischen Zentralbank geeinigt hat, als auch des digitalen Dollar [vii] kaum noch zu stoppen. Dabei nähern sich die Zentralbanken dem Thema Central Bank Digital Currency (CBDC), um das Finanzsystem mit neuen Möglichkeiten und Funktionen auszustatten und auch, um eine Alternative zu den Krypto-Währungen zu schaffen[viii].

Vorbild für die Relativierung und Abschaffung von Bargeld soll dabei tatsächlich Schwe­den sein – ein Land, das in seiner Geschichte nicht so wie Deutschland Erfahrun­gen mit totalitärer Herrschaft gemacht hat und in dem deshalb kaum noch jeder Fünfte Bargeld nutzt. An diesem Beispiel nebst einigen anderen soll das genannte Projekt deut­lich machen, dass die Sorgen von Bedenkenträgern wegen eines Missbrauchs bar­geld­loser Zahlungsmittel übertrieben seien und dass es bargeld­lose Zahlungsmittel gebe, die die Privatsphäre der Nutzer wahren. Ist aber die in Deutschland bislang anhaltende „Bar­geld-Ob­session“ als rückwärtsgewandter Zustand zu beurteilen? Nor­bert Häring durchschaute jene tenden­zi­öse Ausschreibung: „Dadurch, dass diese ver­meintlich über­durchschnittliche Bargeldnutzung als Problem, ja als Obses­sion darge­stellt wird, wird das gewünschte Ergebnis der Untersuchung vorgegeben.“[ix]

Der Umstand, dass just der Bundestags­aus­schuss für Bildung, Forschung und Tech­nik­fol­genabschätzung die Digitalisierung des Bargelds in Deutschland vorantrieb, gibt zu denken – hatte ich doch bereits 2012 gefragt: „Wo findet man neutrale Technikfolgen-Ab­schät­zung?“[x] In der Zeitschrift für Technikfolgenabschätzung in Theorie und Praxis (TATuP) erklärten Linda Nier­ling und Helge Torger­sen, zwar habe Neutralität lange als un­hin­terfragte Grund­lage im Selbst­ver­ständ­nis von Technikfolgenabschätzung gegolten, doch in­zwi­schen sei „Neutralität als Mythos der Technik­fol­gen­ab­schät­zung“ entzau­bert[xi]. War einst der Neutra­litäts­an­spruch „Voraus­setzung, um Tech­nik­fol­genabschät­zung im politi­schen Kon­text zu installieren“, so versuche man heut­zutage, sich über Wer­te­­grundlagen der Technikfol­genab­schät­zung erst einmal zu ver­stän­di­gen – und da stehe man noch ganz „am An­fang“! Soll also die Bargeld-Abschaffung von einer Technikfolgenabschät­zung be­trach­tet und bewertet werden, die sich über ihre Wertebe­züge noch gar nicht wirk­lich sel­ber im Kla­ren ist? Klar ist eines: Werte und Normen beein­flussen sehr wohl, unter welchem Blick­win­kel Technikfolgenabschätzung ihre Ana­lysen be­treibt und wie sie For­schungs­ergeb­nisse auswertet.

Die Pro-Abschaffungs-Argumente, Bargeld stütze Krimi­nalität und Schwarzarbeit, und es sei als solches teuer, dürften mit Blick auf die realen Effekte am Ende ziemlich wenig austragen und mit den freiheitlichen Risiken dieser Maßnahme nicht wirklich im Ver­hältnis stehen. Dagegen wiegen die Contra-Argumente schwerer. Man denke zu­nächst an die Gefahr einer schleichenden Enteignung privaten Geldvermögens: Ange­sichts der sich immer mehr zuspitzenden Schul­denkrise haben Zentralbanken ein Inter­esse an niedrigen oder gar negativen Zinsen, was ohne Bargeld problemlos durchsetzbar wäre. Kommt eines Tages womöglich sogar eine Bargeld­steuer? Sodann gilt es die hap­tische Gestalt des Geldes angemessen zu würdigen. Der Um­stand einer Transformation analogen Be­zahlens in digitale Virtualitäten bedeutet zunehmende Abstraktion, die nicht jedermanns Sache ist. Intuitiv verlangen viele Menschen nach wie vor nach Münzen und Scheinen, wenn es um Bezahlen, ums Geben und Nehmen von Geld geht. Solches Hand­feste und Anschauliche ist ihnen lieber als der Zugewinn an Tempo und Bequemlichkeit, den sie in den letzten Jahren bereits anhand von sogenannten „mobilen Bezahlver­fah­ren“ erproben konn­ten.

Bei jenen mobilen Verfahren bekommt man es nämlich stets mit zwei Problemfeldern zu tun: mit dem Erodieren von Daten- und Strahlenschutz. Ohne Bargeld ist der „gläsern“ gewordene Bürger zunehmend ge­zwungen zur Benutzung von Funkgeräten – und zwar auch dann, wenn er auf diese gleichsam allergisch reagiert und mit dem Hirn­forscher Manfred Spit­zer aus hier nicht näher zu entfaltenden Gründen sich gegen die „Smartphone-Epi­de­mie“[xii] stellen möchte. Near Field Communi­cation (NFC) heißt bei­spielsweise der Funk­standard für Smart­pho­nes und Chips, der das Mobile Payment längst ins Rollen gebracht hat und die Geldbörse bald vollends ver­gessen machen soll. Zwar ist mobiles Bezahlen ein Trend im Zahlungs­verkehr; doch offen­kundig ist es – wie Nadine Oberhuber verdeutlicht – „nicht ganz einfach, die Bürger hierzu­lande vom Bargeld weg­zu­bringen: Da­mit zahlen sie immer noch am liebsten. Schon die Zah­lung mit Bank oder Kreditkarte an der Kasse wider­strebt vielen. Und bei Handy­zahlungen treibt die Kun­den vor allem die Sicher­heits­frage um. … Wird der Kunde dauer­haft mit Handy zah­len, wenn er weiß, dass er bei jedem Brötchenkauf eine breite Daten­spur vom Bäcker bis zur Bank hin­terlässt?“[xiii] Zu­mal an­gesichts immer mehr um sich greifender Hacker-Attacken viele Zeitge­nossen skeptisch gegenüber aus­schließlich digital möglichem Be­zah­len bleiben. Dass dann, wenn alle Be­­zahlvor­gänge einer Per­son für Waren und Leistungen voll­ständig erfassbar und nach­voll­­ziehbar gewor­den sind, sich rund um die Uhr voll­auto­matisch Perso­nen- und Aufent­haltsprofile erstel­len lassen, passt ins New Digital Age – und befeuert nur Ver­schwö­rungstheorien…

Hinzu kommt das ökologische Problem: Muss der E-Smog der Near Field Communi­cation (NFC) sogar noch die all­täg­lichen Be­zahlvorgänge begleiten? Auch fürs digitale, oft mit Funk verknüpfte Bezahlen gilt, was Ex-Bun­des­umwelt­mi­nisterin Svenja Schulze for­mu­liert hat: „Wenn wir die Digi­talisierung unverändert fortsetzen, wird sie zum Brand­be­schleu­niger für die öko­logischen und sozialen Krisen unseres Planeten.“[xiv] Stetes Bezahlen auf digitalem Weg würde teilhaben an den Mehrverbräuchen von Energie und Res­sour­cen, die das Klima und die Biologie von Mensch und Natur belasten[xv]. Nicht zu­letzt, damit neues Kryptogeld wie etwa Bitcoin entstehen kann, verbrauchen Großrech­ner immer mehr Strom – inzwischen weltweit etwa so viel wie die Niederlande ins­ge­samt[xvi].

[i] Peter Krämer: Die Entmündigung. Ein Plädoyer für die Freiheit, Schnaittach 20122, 573.

[ii] Peter Hahnes Buch erlebte mehrere Auflagen und wurde bewor­ben mit den Worten: „Das Bargeld soll abgeschafft werden, damit Staat, Banken und Versand­handel jederzeit lückenlos nachprüfen können, wie wir unser Geld ausgeben. Geht's noch? Der Stasi neue Kleider!“ Vgl. auch Max Otte: Rettet unser Bargeld! Berlin 2016, sowie die URL stop-bargeldverbot.de/

[iii] Vgl. Dirk Müller: Machtbeben. Die Welt vor der größten Wirtschaftskrise aller Zeiten, München 2018, 66, 83, 273ff und 323ff.

[iv] Vgl. Norbert Häring: Schönes neues Geld. PayPal, WeChat, Amazon Go: Uns droht eine totalitäre Weltwährung, Frank­furt a.M. 2018, 17.

[v] www.die-tagespost.de/kultur/bargeld-ist-freiheit-art-222562 (hier und bei anderen URLs dieses Aufsatzes: Abruf 2.3.2022).

[vii] deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/517566/Der-digitale-Dollar-Seine-Entwickler-und-sein-Beitrag-zum-Great-Reset - hier erklärt Gregor Uhlig: „Bisher ist das einzige vollanonyme Zahlungsmittel das Bargeld. Mit einer CBDC wäre es aber wiederum möglich, kriminelle Aktivitäten wie Geldwäsche zu unterbinden. Ein Zwiespalt, der soziale und politische Fragen aufwirft.“

[x] Vgl. Werner Thiede: Mythos Mobilfunk, München 2012, 124.

[xi] Linda Nierling/Helge Torgersen: Normativität in der Technikfolgenabschätzung, in: TATuP 28, 1/2019, 10-14, hier 10.

[xii] Manfred Spitzer: Die Smartphone-Epidemie. Gefahren für Gesundheit, Bildung und Gesellschaft, Stuttgart 2018.

[xiii] Nadine Oberhuber: Handy statt Münzen, in: DIE ZEIT Nr. 3/2012, 26.

[xiv] Zit. nach www.heise.de/newsticker/meldung/Umweltministerin-Digitalisierung-Brandbeschleuniger-gegenwaertiger-Krisen-4419394.html. Vgl. auch F. Sühlmann-Faul/St. Ramm­ler (Hg.): Der blinde Fleck der Digitalisierung, 2018.

[xv] Dazu näherhin mein Aufsatz im lutherischen Magazin CA II/2020 (im Druck).

[xvi] www.tagesschau.de/wirtschaft/technologie/stromfresser-bitcoin-mining-101.html sowie mein Artikel „Cloud frisst Erde. Die Illusion einer umweltverträglichen Digitalisierung“ in: Salzkorn 4/2020, 34-36 (URL: www.ojc.de/salzkorn/2020/oekologie-schoepfungstheologie-hoffnung/digitalisierung-cloud-umweltvertraeglich/)

LESEN SIE MORGEN IM ZWEITEN TEIL DES GROSSEN BARGELD-ARTIKELS VON WERNER THIEDE:

  • Wie mit "ökonomischen Sachzwängen" argumentiert wird
  • Wie der Transhumanismus ins Spiel kommt
  • Wie die Armen keine Lobby haben

Dr. theol. habil. Werner Thiede ist außerplanmäßiger Professor für Systematische Theologie an der Universität Er­lan­gen-Nürnberg, Pfarrer i.R. und Publizist (www.werner-thiede.de). Zuletzt erschien von ihm „Unsterblichkeit der Seele? Interdisziplinäre Annäherungen an eine Menschheitsfrage“ (2. Auflage, Berlin 2022); im Druck befindet sich das Büchlein „Himmlisch wohnen. Auferstanden zu neuem Leben“ (Leipzig 2023).


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