Finanzen

Kalter Krieg 2.0 als neue Herausforderung für Konjunktur und Finanzmärkte

Lesezeit: 6 min
22.03.2022 12:36  Aktualisiert: 22.03.2022 12:36
Der Ukraine-Krieg schlägt massiv auf die Rohstoffpreise durch und sorgt für Konjunkturängste. Können die Finanzmärkte dennoch neue Hoffnung schöpfen? Und welche Rolle fällt dabei den Notenbanken, speziell der EZB, zu?
Kalter Krieg 2.0 als neue Herausforderung für Konjunktur und Finanzmärkte
Christine Lagarde, Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), gibt eine Pressekonferenz. (Foto: dpa)

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Der Ukraine-Krieg schlägt massiv auf die Rohstoffpreise durch und sorgt für Konjunkturängste. Können die Finanzmärkte dennoch neue Hoffnung schöpfen? Und welche Rolle fällt dabei den Notenbanken, speziell der EZB, zu?

Die Sanktionen kommen als Bumerang zurück

Auf die russische Eskalation in der Ukraine antwortet der Westen mit umfangreichen Wirtschafts- und Finanzsanktionen, die auch noch ausgeweitet werden können. Abhilfe könnten zwar Länder wie China bieten, das offiziell an der Seite Moskaus steht. Doch will es sich Peking mit den kaufkräftigsten Regionen Europa und Amerika nicht verscherzen. Russland hat noch nicht einmal die Wirtschaftskraft der Benelux-Staaten.

Besonders schmerzhaft ist das Abkoppeln von rund 70 Prozent der russischen Banken vom internationalen Zahlungssystem SWIFT, dass de facto einen Geschäftsausschluss russischer Unternehmen bedeutet. Eine kompensierende Alternativen ist bislang kaum in Sicht. So kann das chinesische Interbankensystem CIPS, das Peking für seine Initiative Neue Seidenstraße gründete, nicht annähernd an die Stelle von SWIFT treten. Und so kann eine „eingefrorene“ russische Zentralbank ihre theoretisch beeindruckenden Devisenreserven von ca. 630 Mrd. US-Dollar praktisch kaum mehr zur Stützung des Rubels einsetzen.

So führt der kollabierende, nicht mehr rollende Rubel zu einer hohen importierten Inflation und damit Kaufkraft- und Vermögensverlusten der ohnehin nicht wohlstandsverwöhnten Bevölkerung. Eine Währungsstabilisierung alternativ mit der vorgenommenen Leitzins-Verdoppelung auf 20 Prozent zu erreichen, ist wenig erfolgversprechend, da angesichts der zunehmenden Wirtschaftsrisiken Russlands kein großer ausländischer Investor in Russland investieren will.

Zwar sind russische Energielieferungen von Sanktionen ausgeschlossen. Doch findet russisches Öl wegen fehlender Finanzierung und massiv steigender Versicherungsprämien für Schiffsladungen immer weniger Abnehmer.

Gegenüber diesen Verknappungseffekten verpufft selbst die konzertierte Freigabe strategischer Ölreserven großer Industriestaaten wie USA, EU und Japan über 60 Mio. Barrel, die - weil sie den Ausfall russischer Öllieferungen lediglich für zwei Wochen abdeckt - nur ein Tropfen auf den heißen Stein sind. Die Opec wiederum sieht von einer wirklich preisstabilisierenden Angebotsausweitung ab. Zunächst besteht mit Russland eine enge Energie-Partnerschaft und pflegen einzelne Ölförderländer gute politische Beziehungen zu Moskau. Zudem hat die Förderalternative Fracking in Amerika trotz der erzielbaren hohen Margen als Schreckgespenst nachgelassen. Bei den regierenden US-Demokraten ist Klimaschutz zu einer bedeutenden Größe geworden.

Die Befürchtungen sind also groß, dass Energieknappheit und eine galoppierende, kaufkraftfressende Inflation - zuletzt 5,8 Prozent in der Eurozone - die Erholung der Weltkonjunktur beenden könnte.

Laut Schätzungen von Eurostat verringert sich die Kaufkraft europäischer Verbraucher um ca. 80 Mrd. Euro, wenn die Energiepreise um zehn Prozent steigen. Allerdings hat die Fiskalpolitik bereits Gegenmaßnahmen - z.B. Entlastungen administrativer Kostenbestandteile - beschlossen. Außerdem könnten Zuschüsse aus dem EU-Wiederaufbaufonds schneller ausgezahlt werden, um die Länder bei den Kosten für Digitalisierung und Klimaschutz zu entlasten. Im Fonds sind Kredithilfen über 220 Mrd. Euro ungenutzt.

Konjunkturstützend werden sich ebenso die 100 Mrd. Euro schwere Finanzspritze für die Bundeswehr sowie Ausgaben für Energieinfrastruktur zur Gewährleistung der zukünftigen -sicherheit auswirken.

Diese Maßnahmen sind allerdings längerfristiger Natur. Kurzfristig ist die Gefahr einer Stagflation gegeben.

Die EZB kommt aus ihrer Rettungsnummer nicht mehr heraus

Der kriegs- bzw. angebotsbedingten Rohstoffinflation kann die EZB nur entgegenwirken, wenn sie mit nachfragebremsenden Zinserhöhungen ein neues Gleichgewicht an den Rohstoffmärkten schafft. Da die realwirtschaftlichen Folgeschäden aber gewaltig wären, wird sie von restriktiver Zinspolitik absehen. Und so betonte Chefvolkswirt Lane bereits, dass die EZB nicht überhastet auf die steigende Inflation reagieren sollte. Die Notenbank könnte der Inflation eine längere Zeitspanne einräumen, um zu ihrem Zielniveau von zwei Prozent zurückzukehren. Tatsächlich dürfte sich die zuletzt falkenhafte Rhetorik der EZB auf ihrer Sitzung in der kommenden Woche abschwächen. Hinter vorgehaltener Hand könnte sie sogar über das Hochinflations-Jahr 2022 hinwegblicken und darauf verweisen, dass allein schon eine Beibehaltung der aktuell hohen Energiekosten im nächsten Jahr zu einer deutlichen Entspannung der Inflationsraten führt.

Nicht zuletzt geht es der EZB um die Liquiditätssicherung des europäischen Finanzsystems. So stehen europäische Ableger russischer Banken vor der Pleite, was aus Angst vor Ansteckungseffekten bereits zu steigenden Kreditausfallprämien bei Euro-Banken führt. Daneben sind insbesondere Großbanken aus Italien und Österreich aufgrund ihres Russland-Geschäfts von russischen Zahlungsausfällen betroffen.

Für die EZB geht die Rettung vor der Corona-Krise nahtlos in die Abfederung des geopolitischen (Energie-)Konflikts über. Hierzu gehört neben der jetzt noch dringenderen Förderung erneuerbarer Energien zur Erlangung von Energieunabhängigkeit ebenso die Finanzierung einer umfassenderen Sicherheitspolitik.

Insgesamt bleibt die EZB die Allzweckwaffe für alle Probleme Europas. Ihre eigentliche Rolle als Korrektiv der Fiskalpolitik hat sie vermutlich für immer abgelegt. Sie ist zum Erfüllungsgehilfen geworden. Inflationsbekämpfung ist dagegen nicht mehr prioritär.

Marktlage - Europa und Amerika driften auseinander

Wenn Aktien gekauft werden, geben Anleger Defensivtiteln den eindeutigen Vorzug vor Konjunkturaktien. Hauptleidtragende sind insofern vor allem zyklische Aktien aus Europa, deren Rohstoff- und Energiesicherheit in Frage gestellt wird. Aufgrund der geografischen Distanz zur Ukraine und eines höheren Anteils von konjunktur- und kriegsunabhängigeren High-Tech-Aktien sind US-Titel deutlich weniger betroffen. Vor allem richtet sich dort aber der Anlegerfokus auf Rohstoffaktien als Absicherung gegen steigende Grundstoffpreise.

Grafik der Woche

Und dennoch liegen die Economic Surprise Indices, die die Abweichung veröffentlichter Konjunkturdaten von den Vorabschätzungen der Analysten messen, über alle Welt-Regionen aufsteigend im Überraschungsterrain. Und dass China einen Ausstieg aus seiner Null-Covid-Strategie vorbereitet, wird die weltwirtschaftlichen Aufwärtskräfte zusätzlich stärken. Das bietet den Aktienmärkten eine fundamentale Sorgenpause, die derzeit allerdings gegenüber den Risiken des Ukraine-Konflikts verblasst.

Ein beschleunigter Ausbau der Solar- und Windkraft zur angestrebten Energieunabhängigkeit Europas von Russland verschafft Aktien aus dem Bereich „Erneuerbare Energien“ eine längerfristige Sonderkonjunktur. In der Zwischenzeit sind Titel, die doppelt, von der übergangsweise wirtschaftspolitisch revitalisierten Old Energy und der New Energy profitieren, mehr gefragt.

Gold bleibt als sicherer Hafen begehrt, bis sich eine Stabilisierung im Ukraine-Konflikt zeigt. Darüber hinaus profitiert das Edelmetall von einem weniger starken Gegenwind der Geldpolitik: Nach Inflation negative Zinsen bleiben treueste Freunde des Goldes.

Sentiment und Charttechnik DAX - Im Dauerstress

Nicht zuletzt hat sich das Bewertungsniveau deutlich entspannt.

Und die Anlegerstimmung bewegt sich gemessen am Fear & Greed Index von CNN Money im Bereich extremer Angst. Als Kontraindikator spricht das für eine Bodenbildung.

Vor allem US-Fondsmanager sitzen angesichts der höchsten Kassenhaltung seit dem Corona-Crash auf massiven Cash-Beständen, die an der Seitenlinie auf geopolitische Entspannung warten, um an die Aktienmärkte kraftvoll zurückzukehren.

Tatsächlich, sobald die Flut an Negativnachrichten abebbt, sich z.B. ein Waffenstillstand abzeichnet, werden sich Anleger wieder zurück an die ausverkauften Aktienmärkte tasten. An diesem Punkt sind wir aber nicht. Ein nicht auszuschließendes Ende der russischen Gaslieferungen könnte die Lage weiter verschärfen. Auch zeigt der Brand im größten europäischen Atomkraftwerk in der Ukraine, dass der Krieg unberechenbare Konsequenzen haben kann.

Immerhin könnte sich die chinesische Karte als Trumpf erweisen. China hat ein großes Interesse daran, mäßigend auf Russland einzuwirken. Denn die westlichen Sanktionen gegen Russland erschweren auch chinesische Importe von russischem Gas und Öl. China ist immerhin einer der weltweit größten Importeure von Energie. Daneben besitzt das Land umfangreiche Agraranbaugebiete in der Ukraine. Da jedoch die ukrainischen Seehäfen geschlossen sind, ist ein Import von z.B. Weizen kaum möglich. Und Alternativen haben sich dramatisch verteuert. Überhaupt gefällt es Peking nicht, dass Amerika und Europa anlässlich des Ukraine-Kriegs wieder zusammenfinden. Man hatte gehofft, den Westen weiter auseinanderdividieren zu können. Jetzt droht eine Schwächung der geostrategischen Position Chinas.

Genau diesen wiedergefundenen Zusammenhalt des Westens betrachten die Aktienmärkte als willkommene Stabilisierung der politischen Rahmenbedingungen. Auch der neue verteidigungs-, wirtschafts- und ökologische Realismus vor allem in Deutschland trifft an der Börse auf Zustimmung.

Charttechnisch liegen im DAX auf dem Weg nach unten die nächsten Unterstützungen bei 13.492, 13.171 und 13.036 Punkten. Auf der Oberseite trifft der Index bei 13.600, 13.674 und 13.785 auf erste Widerstände. Darüber liegen die nächsten Barrieren bei 14.335, 14.426 und 14.815 Punkten.

                                                                            ***

Robert Halver ist Leiter der Kapitalmarktanalyse-Abteilung der Baader Bank. Er ist einer der bekanntesten Finanzanalysten im DACH-Raum.


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