Politik

Putin empfängt erstes EU-Staatsoberhaupt seit Beginn der Invasion

Lesezeit: 2 min
11.04.2022 09:00  Aktualisiert: 11.04.2022 09:49
Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer hat am Montag in Moskau den russischen Präsidenten getroffen.
Putin empfängt erstes EU-Staatsoberhaupt seit Beginn der Invasion
Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer. (Foto: dpa)
Foto: Hans Punz

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Österreichs Kanzler Karl Nehammer hat am Montag in Moskau den russischen Präsidenten Wladimir Putin getroffen. "Meine wichtigste Botschaft an Putin war aber, dass dieser Krieg endlich enden muss, denn in einem Krieg gibt es auf beiden Seiten nur Verlierer", betonte der Kanzler nach dem etwa einstündigen Treffen. Mit großer Aufmerksamkeit war die erste Visite eines EU-Regierungschefs in Moskau seit Ausbruch des Kriegs national und international verfolgt worden. Putin hatte vorher keine Signale der Einsicht ausgesendet - und eine Reaktion des Kremls auf das Gespräch blieb zunächst aus.

"Das Gespräch mit Präsident Putin war sehr direkt, offen und hart", bilanzierte Nehammer anschließend. Er habe die schweren Kriegsverbrechen in Butscha und anderen Orten angesprochen und deutlich gemacht, dass an der Sanktionsschraube gedreht werde, solange Menschen in der Ukraine sterben. Kiew wirft Russland chaotische und wahllose Bombardements vor. Die Militärführung in Moskau weist das zurück. Zumindest war Gelegenheit, die Sichtweise des jeweils anderen zu hören. "Es ist für mich alternativlos, auch mit Russland trotz aller Differenzen das direkte Gespräche zu suchen", meinte Nehammer. Die beiden Politiker trafen sich in Putins Moskauer Vorstadtresidenz in Nowo-Ogarjowo.

Noch am Samstag hatte Nehammer den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in Kiew getroffen - und ihn von seinem Plan informiert. Auch Berlin und Brüssel wussten laut Wiener Kanzleramt Bescheid. Bundeskanzler Olaf Scholz begrüßte die Reise Nehammers. Man befürworte "jegliche diplomatischen Bemühungen, die darauf abzielen, ein Ende der Kampfhandlungen in der Ukraine zu erreichen und Grundvoraussetzungen für Verhandlungen zu schaffen zwischen der Ukraine und Russland", ließ er in Berlin mitteilen. Er selbst habe im Moment "keinerlei Pläne" nach Moskau zu reisen.

Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg verteidigte im Vorfeld das Treffen in Moskau gegen Kritik. "Es geht einfach darum, dass wir (...) jede Chance ergreifen müssen, um die humanitäre Hölle in der Ukraine zu beenden", sagte er am Rande eines EU-Außenministertreffens in Luxemburg. "Jede Stimme, die dem Präsidenten Putin verdeutlicht, wie die Realität sich außerhalb der Mauern des Kremls wirklich darstellt, ist keine verlorene Stimme." Zu Befürchtungen, dass Putin Bilder vom Treffen für seine Zwecke nutzen könnte, sagte Schallenberg, der Besuch sei so besprochen, dass es ausschließlich ein Vieraugengespräch ohne Medien gebe. "

Neutralität als Chance

"Falle oder Coup?" Die "Kronen Zeitung" in Österreich stellte angesichts des Besuchs Nehammers eine naheliegende Frage. Und: Ausgerechnet das kleine Österreich will in einer der größten Krisen seit dem Zweiten Weltkrieg diplomatisch mitspielen?, fragten sich nicht wenige. Der diplomatische Schatz, den Wien in diesem Fall heben könnte, sind seine militärische Neutralität und seine traditionell guten Beziehungen zu Moskau. Wien sieht sich gern in der Rolle des Brückenbauers. Dieses Bild wollte Nehammer bemühen und den Dialog vorantreiben. Persönliche Diplomatie statt Telefongespräche ist sein Motto. Neben der Türkei und Israel könnte sich Österreich als weiteres mögliches Vermittlerland positionieren - so der Plan.

Jahrzehntelang hat Wien ein sehr enges Verhältnis zu Moskau gepflegt. Der österreichische Energiekonzern OMV hat schon vor mehr als 50 Jahren einen ersten Erdgasliefervertrag mit der damaligen Sowjetunion abgeschlossen. Heute kommen 80 Prozent des Gases aus Russland, was den Handlungsspielraum des Landes sehr einschränkt.

Immer wieder hofierten österreichische Spitzenpolitiker den Chef im Kreml. Die Ex-Kanzler Christian Kern (SPÖ) und Wolfgang Schüssel (ÖVP) bekamen Jobs in Aufsichtsräten russischer Top-Firmen - die sie angesichts des Ukraine-Krieges aufgegeben haben. Schlagzeilen machte der Privatbesuch Putins 2018 bei der Hochzeit der damaligen Außenministerin Karin Kneissl, die sich mit einem Knicks bedankte.

Aktuell hat Österreich zwar alle EU-Sanktionen mitgetragen, aber auf seine Weise nicht zusätzlich die Fronten verhärtet. So hat Wien erst nach einigem Zögern einige wenige russische Diplomaten ausgewiesen. Skeptisch sah Österreichs führender Russland-Experte Gerhard Mangott Nehammers Vorstoß. "Auch in Moskau weiß man, dass das kleine Österreich kein Gewicht hat, um auf die Meinungsbildung in der Europäischen Union zu Russland Einfluss zu nehmen", sagte Mangott am Sonntagabend im ORF-Fernsehen.


Mehr zum Thema:  

DWN
Unternehmen
Unternehmen Neue Verträge: Nach dem KaDeWe sind auch Oberpollinger und Alsterhaus gerettet
26.07.2024

Die berühmten Flaggschiffe der deutschen Warenhäuser scheinen nach der Pleite des Immobilien-Hasardeurs René Benko endlich gerettet zu...

DWN
Politik
Politik Ukraine-Hilfsgelder von Russland: EU gibt Erträge aus dem eingefrorenen Vermögen frei
26.07.2024

Die Europäische Union hat jetzt die ersten Zinserträge aus dem im Westen eingefrorenem russischen Staatsvermögen freigegeben. Die...

DWN
Politik
Politik Der Chefredakteur kommentiert: Islamisches Zentrum Hamburg - ein längst überfälliges Verbot, Frau Faeser!
26.07.2024

Liebe Leserinnen und Leser, jede Woche gibt es ein Thema, das uns in der DWN-Redaktion besonders beschäftigt und das wir oft auch...

DWN
Politik
Politik Bundeskanzler Scholz zu irregulärer Migration: „Die Zahlen müssen runter“
26.07.2024

Erwerbsmigration nach Deutschland sei erwünscht, meint der Kanzler. Problematisch findet er unerlaubte Einreisen. Eine Innenexpertin der...

DWN
Panorama
Panorama ADAC warnt: Es droht schlimmstes Stau-Wochenende der Saison
26.07.2024

Wer nun in den Urlaub fährt, sollte etwas mehr Zeit einplanen und mitunter starke Nerven haben. Der ADAC rechnet mit vielen Staus. Lassen...

DWN
Politik
Politik Außenministerin Baerbock: Seegerichtshof in Hamburg wird an Bedeutung gewinnen
26.07.2024

In Hamburg informiert sich die Außenministerin bei ihrer Sommerreise über die Arbeit des Internationalen Seegerichtshofs. Anschließend...

DWN
Finanzen
Finanzen EZB nach Stresstest: Banken haben Verbesserungsbedarf bei Cyber-Angriffen
26.07.2024

Seit der Finanzkrise 2008 wird genauer hingeschaut bei den Banken. Im Euroraum müssen sich die Institute nach Einschätzung der...

DWN
Politik
Politik Verfassungsschutz weist auf russische Sabotageversuche hin
26.07.2024

Der deutsche Inlandsgeheimdienst beobachtet schon länger verstärkte russische Geheimdienstaktivitäten. Neue Hinweise veranlassen ihn...