Die US-Regierung wird in der kommenden Woche ein Diplomaten-Team auf die im Pazifik liegenden Marshallinseln entsenden. Das Team wird vom 14. bis zum 16. Juni die Inseln besuchen, die Gespräche sollen offenbar in einem US-Stützpunkt auf dem Kwajalein-Atoll stattfinden, sagten namentlich nicht genannte Insider der South China Morning Post.
Ein Grund für den Besuch stellt das Auslaufen eines Kooperationspaktes zwischen den USA und den Marshallinseln - des Compact of Free Association (COFA) - im kommenden Jahr und Verhandlungen um eine Weiterführung dar. Ähnliche Kooperationsvereinbarungen unterhalten die USA mit den Bundesstaaten von Mikronesien und mit Palau.
Die wichtigsten Themen der Verhandlungen für die Marshallinseln sind Fragen rund um die Präsenz der US-Armee sowie eine Wiedergutmachung für die durch Atomtests verursachten Langzeitschäden. Für die Amerikaner dürfte es vornehmlich um Einzelheiten und die Stabilität der wirtschaftlichen und diplomatischen Beziehungen beider Länder insgesamt gehen.
Insel-Hopping der Chinesen
In den geostrategischen Überlegungen des Pentagon kam den im Machtbereich der USA und des engen Partners Australien liegenden Inseln bislang keine besondere Dringlichkeit zu. Dies änderte sich jedoch in den vergangenen Wochen.
Zuerst schreckte der Abschluss eines Sicherheitsabkommens der Salomonen mit China die US-Verbündeten in der Region, namentlich Australien und Neuseeland, auf. Nachdem die Inselgruppe die diplomatische Anerkennung Taiwans aufgegeben und dafür Beziehungen mit Peking aufgenommen hatte, war es im vergangenen November zu schweren Ausschreitungen gekommen, die sich auch gegen die chinesische Minderheit im Land richteten. Australien entsandte daraufhin Soldaten und Polizisten auf die Salomonen.
Doch die Chinesen beließen es nicht bei ihrer Annäherung an die rund 2.000 Kilometer nordöstlich von Australien liegenden Salomonen, sondern verstärkten zuletzt ihr wirtschaftliches und politisches Engagement im gesamten pazifischen Raum. Im Zuge einer zehntägigen Reise in die Region versuchte Chinas Außenminister Wang Yi Ende Mai und Anfang Juni, einen Sicherheitsvertrag mit mehreren Inselstaaten abzuschließen - welcher allerdings abgelehnt wurde.
Im Bereich der Wirtschafts- und Katastrophenhilfe hingegen schlossen zehn Staaten (Salomonen, Papua-Neuguinea, Samoa, Kiribati, Tonga, Fidschi, Vanuatu, die Mikronesischen Inseln, Niue und die Cook-Inseln) insgesamt fünf Kooperationsabkommen mit China ab.
Der Sicherheitsvertrag mit den Salomonen (der Staat unterhält seit Jahren auch ein gleichwertiges Abkommen mit Australien und Canberra hatte in den 2000er Jahren sogar mehrere Jahre lang Soldaten auf den Salomonen stationiert) als auch das Engagement Pekings im weiteren Pazifik habe die Amerikaner aufgeschreckt, berichten Quellen.
Gegengewicht zur amerikanischen „Indo-Pazifik"-Doktrin
Peking versucht mit seinem verstärkten Engagement im westlichen Pazifik offenbar, die zahlreichen und explizit gegen China gerichteten Projekte und Militärbündnisse abzuschwächen, die Washington in den vergangenen Jahren unter der geografischen Doktrin eines „freien und offenen Indo-Pazifik“ lancierte.
Dazu gehört etwa der vergangenes Jahr gegründete Aukus-Militärpakt (mit Großbritannien und Australien), das Quad-Format (im Verbund mit Indien, Australien und Japan), das erst kürzlich lancierte Wirtschaftsformat „Indo-Pacific Economic Framework“, der Aufbau spezieller Militärbasen- und infrastrukturen sowie spezieller Finanzvehikel im westlichen Pazifik, die zunehmende militärische und diplomatische Unterstützung Taiwans sowie die militärische Aufrüstung Japans.
Testgelände im Paradies
Die Marshallinseln sind nicht irgendeine Inselgruppe, sondern spielten in der militärischen Expansion der USA in den Pazifik in der Vergangenheit eine wichtige Rolle: Ab 1947 und bis zur Unabhängigkeit im Jahr1986 waren die Inseln ein von Washington kontrolliertes UN-Treuhandgebiet. Bis heute ist der Kleinstaat mit den USA über ein Assoziierungsabkommen verbunden, welches auch die Übernahme der Verteidigungsmaßnahmen durch die Amerikaner beinhaltet.
Die US-Streitkräfte hatten zwischen 1946 und 1958 insgesamt 67 Atomtests auf den Marshallinseln durchgeführt, nachdem die Einwohner der beiden Atolle Bikini und Eniwetok zwangsumgesiedelt wurden. Zu diesen Atomwaffen-Tests gehörte auch die stärkste jemals von den USA gezündete Atombombe „Castle Bravo“ auf dem Bikini-Atoll im Jahr 1954. Die Sprengkraft der „Castle Bravo"-Bombe war rund 1.000 Mal stärker als die im August 1945 über Hiroschima abgeworfene Bombe.
Die Einwohner der Atolle und auch die Umwelt leiden bis heute unter den gesundheitsschädlichen Folgen der Tests. Möglicherweise können die Marshallinseln die verstärkten Annäherungsversuche der Chinesen als Hebel benutzen, um den Amerikanern in den anstehenden Verhandlungen größere Konzessionen abzutrotzen.