Politik

„Mieter zahlen für die Dividenden der Aktionäre“

Ist die Wohnungsfrage die soziale Frage unserer Zeit? Für Caren Lay, Sprecherin für Mieten-, Bau- und Wohnungspolitik der Fraktion die LINKE im Bundestag, ist dies der Fall. Verschärft werde die Lage durch die aktuelle Energiekrise, die für viele Wohnen unbezahlbar zu machen droht.
18.09.2022 11:00
Lesezeit: 4 min
„Mieter zahlen für die Dividenden der Aktionäre“
In Deutschland existieren große Probleme auf dem Wohnungsmarkt. Die Energie-Krise wird diese verschlimmern. (Foto: dpa)

Ist die Wohnungsfrage die soziale Frage unserer Zeit? Für Caren Lay, Mitglied des Deutschen Bundestages und Sprecherin für Mieten-, Bau- und Wohnungspolitik der Fraktion die LINKE und Autorin des Buches „Wohnopoly“ ist dies der Fall. Verschärft wird die Lage durch die aktuelle Energiekrise, die für viele Wohnen unbezahlbar zu machen droht. Die Deutschen Wirtschaftsnachrichten sprachen mit ihr über Spekulation auf dem Wohnungsmarkt, die Rolle internationaler Rentenfonds und Wege aus der Wohnungskrise.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wie hat sich der Wohnungsmarkt in den letzten Jahrzehnten entwickelt?

Caren Lay: Wohnen wird für immer mehr Menschen unbezahlbar. In meinem Buch habe ich dazu viele Daten zusammengetragen, von denen ich hier einige exemplarisch herausgreifen möchte: in den letzten sechs Jahren sind die Mieten in Berlin und Heidelberg um mehr als 40% gestiegen. Die Bruttolöhne bundesweit jedoch nur um ca. 11%. Hier findet eine schleichende Enteignung der Mieterinnen und Mieter statt. Eine Umverteilung von unten nach oben. Im Ergebnis ändert sich das Bild unserer Städte rasant. Hier die armen, dort die reichen Viertel. Auch das Gewerbe ist betroffen: Wo Helgas Eckkneipe war, zieht Starbucks ein. Wenn wir nicht bald handeln, sehen unsere Städte bald aus wie London oder Paris.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Was sind die Gründe für diese Entwicklung?

Caren Lay: Die zentrale These meines Buches lautet: hinter der Mietenkrise steht das Kapital und die Spekulation mit Immobilien. Die Politik hat dies zugelassen, ja sogar befördert. Unter Adenauer wurde das Mietrecht geschliffen, unter Kohl die steuerliche Begünstigung der gemeinnützigen Wohnungsunternehmen gestrichen. Schröder hat schließlich Fonds und Konzerne auf den Wohnungsmarkt losgelassen. Unter keiner Regierung wurden so viele Wohnungen privatisiert wie unter rot-grün. Im Ergebnis explodierten die Mieten, Konzerne konnten sich breit machen. Deutschland wurde, auch durch fehlende Transparenz der Eigentumsverhältnisse von Immobilien, ein Eldorado für Geldwäsche und internationale Immobilienspekulation. Das spaltet das Land.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: In Deutschland ist die Eigenheimquote deutlich niedriger als in vielen anderen europäischen Ländern. Woran liegt das?

Caren Lay: Sowohl nach dem ersten als auch nach dem zweiten Weltkrieg mussten die Städte schnell wieder aufgebaut werden, um die Wohnungsnot zu lindern. Dies gelang am besten durch kommunale Wohnungsunternehmen und Genossenschaften. Daraus resultiert der hohe Anteil von Mietern in den Städten. Konservative wollen dies jedoch seit den 1960ern ändern und haben Milliarden Euro in die Förderung von Eigenheimen gesteckt, am Ende ohne Erfolg. Heute können sich gerade in den Städten viele kein Eigenheim oder keine Eigentumswohnung mehr leisten. In meinem Buch habe ich ein Kapitel über den Mythos des Eigenheims geschrieben und dort dargelegt, dass der Traum vom Eigenheim für die meisten zwar unerreichbar ist, aber von Seiten der konservativen Politik dafür genutzt wurde, um beispielsweise Menschen in Stadt und Land gegeneinander auszuspielen und ein Mitte-Unten-Bündnis für bezahlbares Wohnen zu verhindern.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wie wird sich die aktuelle Gaskrise auf die Wohnsituation in Deutschland auswirken?

Caren Lay: Die Gaskrise wird die Mietenkrise weiter verschärfen. Das hat enorme soziale Sprengkraft. Für Millionen Menschen wird das eine nicht zu stemmende Belastung sein. Umso mehr ist die Bundesregierung gefordert, hier für ordentlich Entlastung zu sorgen. Für mich ist völlig klar: ohne einen Gas- und Strompreisdeckel steuern wir in diesem Winter in eine soziale Katastrophe zu.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Mit was für Auswirkungen rechnen Sie - gerade für sozial orientierte - Wohnungsgesellschaften, sollten Mieter die gestiegenen Nebenkosten nicht mehr tragen können?

Caren Lay: Zunächst ist klar, dass es ein Kündigungsmoratorium geben muss, wenn Mieterinnen und Mieter ihre Betriebskosten akut nicht tragen können. Wohnungsgesellschaften, insbesondere kommunale, gemeinnützige und genossenschaftliche, die durch eventuelle Zahlungsausfälle finanzielle Probleme bekommen, sollten durch einen Hilfsfonds unterstützt werden. Wir brauchen zudem eine öffentliche Eigentumsstruktur auf den Energiemärkten.

Karen Lay. (Foto: Anja Müller)

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Vermögensverwalter wie Black Rock suchen ständig nach neuen Anlagemöglichkeiten und streben - in Zeiten niedriger Zinsen - auch auf die Immobilienmärkte. Müssen Mieter draufzahlen, um private Altersvorsorgen abzusichern? Lässt sich das Wohnungsproblem isoliert betrachten oder ist es auch generell bedingt durch das aktuelle Finanzsystem?

Caren Lay: Die Mietenkrise ist ohne die Finanzmärkte nicht zu verstehen. Vereinfacht ausgedrückt zahlen die Mieter und Mieterinnen des größten deutschen Wohnungskonzerns Vonovia pro Wohnung und Monat durchschnittlich 190 Euro nur für die Dividende der Aktionäre. Hinzu kommen große internationale Rentenfonds, die ihr Geld ebenfalls auf dem deutschen Immobilienmarkt vermehren wollen. Wir wollen das ändern. Den Konzernen sollten durch einen bundesweiten Mietendeckel und die Abschaffung ihrer Steuervorteile das Geschäftsmodell genommen werden. Im Grunde haben sie nichts auf den Wohnungsmärkten verloren. Konzernen und Fonds sollte mithilfe eines Fair-Mietergesetzes die Zulassung entzogen werden.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: In letzter Zeit beobachten wir einen noch stärkeren Ankauf von Immobilien durch Vermögensverwalter. Gehen sie auch in Sachwerte, weil uns möglicherweise ein Finanzcrash bevorsteht?

Caren Lay: Es wird vor allen Dingen in Immobilien investiert, weil diese eine relativ sichere Rendite liefern. In Zeiten niedriger Zinsen ist das für viele Anlegerinnen und Anleger attraktiv. Auch die Angst vor Inflation lässt viele in Sachwerte und damit auch in Immobilien investieren. Andere Länder setzen in dieser Situation einen Mietenstopp ein, wie zum Beispiel Spanien, doch die Bundesregierung handelt nicht.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Was kann Ihrer Ansicht nach getan werden, damit für die Bürger angemessener Wohnraum wieder erschwinglich wird?

Caren Lay: Es braucht ein ganzes Maßnahmenbündel, damit Wohnen wieder bezahlbar wird. In meinem Buch mache ich neun konkrete Vorschläge. Dazu gehört ein bundesweiter Mietendeckel, die Schaffung eines nicht-profitorientiertem Sektors auf dem Wohnungsmarkt nach dem Vorbild Wiens, die Abschaffung der Steuervorteile für Immobilienspekulation sowie das Verbot von Fonds und Konzernen auf dem Wohnungsmarkt.

Zur Person: Caren Lay, geboren 1972, ist Diplom-Soziologin und studierte Soziologie, Politik und Frauenforschung in Marburg, Frankfurt am Main, Penn State und Berlin. Seit Anfang der 2000er Jahre ist sie in der Politik aktiv. Schon lange setzt sie sich für Mietenstopp und soziales Wohnen ein. Seit 2009 ist Lay Mitglied des Deutschen Bundestags und seit 2016 Sprecherin für Mieten-, Bau- und Wohnungspolitik der Fraktion DIE LINKE. Kürzlich ist ihr Buch „Wohnopoly“ im Westend Verlag erschienen.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Politik
Politik Ministerposten der Union: Alle Namen und Überraschungen im Überblick
28.04.2025

Acht Tage vor der geplanten Kanzlerwahl von Friedrich Merz steht die Aufstellung der Ministerposten der Union fest. Die SPD wird ihre...

DWN
Politik
Politik Neue Bundesregierung: Union stellt Personal für Ministerposten vor – Kabinettsliste mit Manager für Digitalisierung
28.04.2025

Rund eine Woche vor der geplanten Wahl von Friedrich Merz zum Kanzler der neuen Bundesregierung haben CDU und CSU ihre Besetzung der...

DWN
Technologie
Technologie Profi für Sicherheitslösungen: Bedrohungen sind alltäglich - so erhöhen Unternehmen die Cybersicherheit
28.04.2025

Cybersicherheitsabteilungen in Unternehmen ähneln zunehmend Notaufnahmen – jedoch mit einem entscheidenden Unterschied: Die Bedrohungen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft E-Mobilität in China: Warum der Westen zurückfällt
28.04.2025

Chinas Autobauer überrollen die E-Mobilitätswelt – effizient, günstig, selbstbewusst. Während westliche Marken im Reich der Mitte an...

DWN
Politik
Politik Nato-Beitritt Deutschlands: 70 Jahre Bündnistreue im Wandel der Sicherheitspolitik
28.04.2025

Mit einem feierlichen Festakt wird heute in Brüssel an den Nato-Beitritt Deutschlands vor fast 70 Jahren erinnert. Für den Festakt im...

DWN
Politik
Politik Ukraine-Krieg: Trump glaubt an Selenskyjs Verzicht auf Krim
28.04.2025

Bislang hat Selenskyj eine Abtretung von Territorium an Russland ausgeschlossen. Trump glaubt nach einem Treffen in Rom, dass sich diese...

DWN
Finanzen
Finanzen DAX-Ausblick: Deutscher Aktienmarkt weiterhin im Zoll-Chaos – Berichtssaison nimmt Fahrt auf
28.04.2025

Der weltweite Zollstreit dürfte auch in der kommenden Woche das Geschehen am deutschen Aktienmarkt prägen. "Aktuell ist alles an der...

DWN
Politik
Politik Friedensforschungsinstitut Sipri: Weltweite Militärausgaben erreichen neues Rekordhoch
28.04.2025

Die weltweiten Militärausgaben haben 2024 erneut ein Rekordhoch erreicht. Laut dem Friedensforschungsinstitut Sipri summierten sich die...