Weltwirtschaft

Währungskrise in Afrika verschärft sich: Ägypten in der Lira-Spirale

Lesezeit: 5 min
14.10.2022 11:00
Der starke Dollar hat Schattenseiten für viele Länder Afrikas, die nun mit erheblichen Zahlungsbilanz-Problemen zu kämpfen haben. Der neueste Brennpunkt: Ägypten.
Währungskrise in Afrika verschärft sich: Ägypten in der Lira-Spirale
Die Bürger Ägyptens leiden unter einer akuten Dollar-Knappheit. (Foto: dpa)

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Afrikas Währungskrise spitzt sich zu. In Ägypten sind die Marktpreise von Weizen und Mehl in die Höhe geschossen, weil Importeure nicht genügend Dollar haben, um die in den Häfen lagernde Ware zu bezahlen, wie Händler und die Getreidekammer des Landes letzte Woche bekanntgaben. Der Welthandel mit Agrarrohstoffen wird vorwiegend in Dollar denominiert. Ein starker Dollar verteuert somit die Importe von Nahrungsmitteln.

Lesen sie dazu: Starker Dollar bringt Probleme für große Teile der Welt

„Am Zoll stapeln sich die Waren“, so Ahmed Shiha von der Import-Abteilung der Handelskammer Kairo. „Einige Ladungen könnten drei oder vier Monate lang (in den Häfen) festsitzen.“ Rund 700.000 Tonnen Weizen wurden vom Zoll nicht freigegeben, was dazu führte, dass etwa 80 % der Mühlen, die Brot, Nudeln und andere Waren für den Handel herstellen, ihre Tätigkeit „vollständig einstellen“ mussten, heißt es in einem Schreiben der Getreidekammer des ägyptischen Industrieverbands.

Akute Weizenknappheit sorgt für astronomische hohe Preise

Infolge schwindender Lagerbestände der Zwischenhändler sind die Weizenpreise in Ägypten diesen Monat um über 10 Prozent auf 9.000 Ägyptische Pfund (umgerechnet 460 Dollar) pro Tonne gestiegen – während zugleich die Weltmarktpreise um das Niveau von 24 Dollar je Tonne oszillierten. Das bedeutet, dass Firmen und Bürger im nordafrikanischen Land aktuell fast das 20-fache der fairen Preise bezahlen. Logischerweise schossen die Mehlpreise mit nach oben, um durchschnittlich 18 Prozent auf 11.500 (585 Dollar) pro Tonne und folglich waren in einigen Bäckereien sprunghaft steigende Brotpreise zu verzeichnen, wie lokale Händler gegenüber Reuters berichten.

„Größere Mühlen lagerten früher für anderthalb oder zwei Monate, aber heute haben einige Mühlen nur Vorräte für fünf bis sieben Tage“, sagte Walid Diab, Geschäftsführer der Egyptian Millers Company und fügte hinzu, dass sich die Bestände „im roten Bereich“ befinden würden.

Der enorme Preisaufschlag für den wichtigsten Agrarrohstoff trifft die ohnehin schwächelnde Wirtschaft mitten ins Mark. Zu den gegenwärtigen Preisen dürften viele Einwohner den Großteil ihres Einkommens alleine für Brot und andere Lebensmittel ausgeben. Es ist schwer vorstellbar, dass die Regierung diese Zustände lange aushalten wird, bevor es zu sozialen Unruhen kommt. Man werde sich mit dem Problem der sinkenden Weizenvorräte des Privatsektors befassen, heißt es aus dem ägyptischen Versorgungsministerium. Die gegenwärtigen Weizen-Vorräte sollen noch für sechseinhalb Monate ausreichen.

Systematisch sinkende Dollarreserven

Ägypten leidet unter einer akuten Dollar-Knappheit. Das liegt einerseits an sinkenden Tourismus-Einnahmen, andererseits an einer schwachen Landeswährung. Investoren verlieren zunehmend ihr Vertrauen in das ägyptische Pfund, während zugleich der US-Dollar so stark ist wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Folgender Chart zeigt die Entwicklung des Wechselkurs in den letzten Jahren.

Über die meiste Zeit der Coronakrise konnte der Wechselkurs noch stabil gehalten werden. Bis im Frühjahr 2022 die hohen Preise für (Agrar-)Rohstoffe auf die Inflation durchschlugen, die innerhalb der letzten Monate um etwa 50 Prozent zugenommen hat. Das Währungsband musste aufgegeben werden und nun hat die Zentralbank nicht mehr genügend Dollar-Reserven, um die heimische Währung auf das damalige Niveau zu stabilisieren.

Im März, noch bevor das ägyptische Pfund schlagartig um 20 Prozent abwertete, führten die Behörden Regeln ein, die den Zugang zu US-Dollar für Importe beschränkten – Weizen und andere strategische Güter waren von diesen Einschränkungen ausgenommen. Die Kapitalkontrollen konnten offensichtlich die Währung nicht stabilisieren und trugen stattdessen indirekt zur Nahrungsmittel-Knappheit bei. Die Ankündigung der Kapital-Maßnahmen hat Importwirtschaft und Bürger wohl in Panik versetzt und Hamsterkäufe ausgelöst, wodurch sich die Abwertung beschleunigte.

Die Kapitalkontrollen wurden jüngst gelockert. Jetzt - wo die Weizen-Vorräte nahezu aufgebraucht sind und niemand mehr Dollar hat - zeigt sich, dass man besser ganz darauf verzichtet hätte. Das letzte, was in einer Versorgungskrise hilft, sind Maßnahmen, die den Privatsektor einschränken.

Laut privaten Händlern sind die Zahlungen für Weizenimporte seit September fast zum Erliegen gekommen und keine neuen Verträge mehr unterzeichnet worden. Auch die Einfuhren von Mais, Geflügel und Sojabohnen seien betroffen. „Die Lieferanten verstehen, dass es ein Problem mit Ägypten gibt, aber jetzt wollen sie keine neuen Geschäfte abschließen, bis die alten Bestände freigegeben sind“, wird ein lokaler Händler zitiert.

Seit Anfang September wurden nur 2.000 bis 3.000 Tonnen Weizen durch den Zoll gebracht, heißt es in dem Schreiben der Handelskammer. Der monatliche Bedarf des Privatsektors wird auf rund 450.000 Tonnen geschätzt und nach Angaben der Kammer würde es 300.000 Tonnen Weizen erfordern, damit die Mühlen-Firmen wieder ihren Normalbetrieb aufnehmen können.

Ägypten droht die Lira-Spirale

Ägypten mit seinen 104 Millionen Einwohnern ist einer der größten Weizenimporteure der Welt und steht somit exemplarisch für zahlreiche afrikanisch Länder, die ähnliche Probleme haben (unter anderem Kenia, Nigeria und Ghana). Die Einfuhren des privaten Sektors haben vor kurzem die staatlichen Einfuhren überholt.

Auf Platz drei der größten Weizenkäufer der Welt steht die Türkei. Wenn die Entwicklung der türkischen Wirtschaft und ihrer Währung Lira ein Anhaltspunkt für die Zukunft Ägyptens sind, dann sieht es alles andere als gut aus. Die 25-Jahrescharts der Wechselkurse zum Dollar weisen bedenkliche Übereinstimmungen auf.

Daten der Zentralbank zufolge fiel das Netto-Auslandsvermögen des ägyptischen Bankensystems zwischen Juli 2021 und Juli 2022 von plus 248 Milliarden auf minus 369 Milliarden. Die Zentralbank kaufte den heimischen Banken wie verrückt Dollar ab und zugleich verschuldeten sich Unternehmen und Bürger massiv in ausländischen Währungen, um die Importen von Nahrungsmitteln und anderen Gütern bezahlen zu können. Die Bedienung der Dollar-Schulden wird jetzt im Abwertungstrend immer teurer und mit der schwachen Währung importiert man sich die US-Inflation gleich noch mit.

Im Gegensatz zu den türkischen Kollegen, welche seit Ende 2021 die Zinsen herabsetzen, verfolgt Ägyptens Zentralbank eine kontinuierliche Zinserhöhungs-Politik; aktuell steht der Leitzins bei 11,25 Prozent. Trotzdem droht dieselbe Abwertungs- und Inflations-Spirale, die in der Türkei Anfang 2020 so richtig begann und 2022 noch einmal kräftig an Fahrt aufnahm. Noch hat die ägyptische Zentralbank Währungsreserven im Wert von 24 Milliarden Dollar. Das ist deutlich weniger im Vergleich zu den Hochzeiten 2019, als es fast 40 Milliarden waren. Aber es gab auch schon schlimmere Zeiten: 2013 lagen die Reserven bei weniger als 10 Milliarden Dollar.

Ein Lira-Szenario würde bedeuten, dass die Währungsreserven wieder in den einstelligen Milliardenbereich sinken und gleichzeitig die Inflationsrate von derzeit 15 Prozent in türkische Gefilde (83 Prozent) eskaliert.

Die Ausgangslage ist jedenfalls denkbar schlecht: Schwache Wirtschaft, schwache Währung, hohe (importierte) Inflation, illiquider Devisenmarkt. Dazu eine Nahrungsmittel-Knappheit und chronische instabile politische Verhältnisse.

Die große Rolle des Staates in der Wirtschaft und im Bankensystem, was auch der Türkei zum Verhängnis wurde, lässt indes Böses erahnen. Staaten sind keine guten Krisenmanager. Die ersten konkreten Maßnahmen sind bereits auf dem Weg: Eine saftige Erhöhung der „Weizenbeschaffungspreis-Garantie“ für die Weizenerntesaison 2023 soll ägyptische Landwirte ermutigen, mehr Getreide anzubauen und dieses dann zum subventionierten Preis an den Staat zu liefern.

Maßnahmen wie Preis-Subventionen, Preisbremsen, Kapitalkontrollen und Devisenmarkt-Interventionen haben langfristig noch nie funktioniert, sind aber das bewährte Mittel, das (insbesondere autokratische) Staaten in solchen Krisen einsetzen. An den Finanzmärkten werden solche verzweifelten Aktionen als ein Zeichen von wirtschaftlicher Schwäche ausgelegt, was die Abwärtsspiralen tendenziell verstärkt und damit genau das Gegenteil von dem erreicht, was die Regierung wollte. Der Einbruch des britischen Pfunds ist aktuell das beste Beispiel.

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Jakob Schmidt ist studierter Volkswirt und schreibt vor allem über Wirtschaft, Finanzen, Geldanlage und Edelmetalle.


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