Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 20. Dezember in Erfurt bedeutet für die Arbeitgeberseite viel Umstellung. Das Gericht entschied, dass ein Urlaub nicht automatisch nach drei Jahren verjährt. Es gilt, wenn Arbeitgeber ihren Beschäftigten nicht rechtzeitig auffordern, den Urlaub zu nehmen, sie vor einer drohenden Verjährung zu warnen (9 AZR 266/20). Was für Arbeitnehmer, die über offene Urlaubsansprüche streiten, ein Segen ist, wird für Arbeitgeber nun zum Problem.
Urteil bringt mehr Informationspflichten und Bürokratie für Arbeitgeber
Der Deutsche Mittelstands-Bund betrachtet das Urteil mit gemischten Gefühlen und sieht es nicht nur positiv, wie Steffen Kawohl, Experte für Arbeit und Bildung beim Deutschen Mittelstand-Bund (DMB) gegenüber den DWN verdeutlicht: „Bislang wurde das Bundesurlaubsgesetz eher arbeitgeberfreundlich ausgelegt. Dies ändert sich nun. Das Urteil bringt zusätzliche Informationspflichten für Arbeitgeber mit sich, die mit mehr Bürokratie einhergehen. Von daher kann der DMB das Urteil nicht nur positiv bewerten. Grundsätzlich ist es wichtig, dass Arbeitgeber darauf achten, transparent mit Urlaubsansprüchen ihrer Mitarbeiter umzugehen.“
Wie hoch die Kosten für Arbeitgeber werden können, zeigt der Fall der Steuerfachangestellten, wie Kawohl erklärt. Die klagende Steuerfachangestellte habe dabei 101 Resturlaubstage im Gegenwert von rund 23.000 Euro geltend gemacht. Damit werde klar, dass Aufklärungsversäumnisse der Arbeitgeber zukünftig auch kostspielig werden könnten, wenn Urlaubsansprüche im wahrsten Sinne „gehortet“ und letztendlich auch ausbezahlt werden müssten. Laut DMB ist es wichtig zu beachten, dass es sich um den gesetzlichen Mindesturlaubsanspruch (bei einer 5-Tage-Woche sind das 24 Urlaubstage) handelt und nicht um ggf. freiwillig gewährte, zusätzliche Urlaubstage.
Neben der klagenden Steuerfachangestellten entschied das BAG auch über den Fall einer Krankenhausangestellten. Die Angestellte war selbst lange krank und konnte in dem Jahr wegen, in welchem sie klagte, nur einen Teil ihres Urlaubs nehmen. Auch in diesem Fall entschied das Gericht für die Klägerin. Für die Unternehmen bedeutet das Urteil vor allem viel Eigeninitiative, die Kawohl schildert: „Das Grundsatzurteil des Bundesarbeitsgerichts zu Urlaubsansprüchen von Mitarbeitern bedeutet für Arbeitgeber, dass sie in der Pflicht stehen, selbst aktiv zu werden und ihre Mitarbeiter dazu aufzufordern, ihre Urlaubstage im laufenden Jahr auch zu nehmen und Arbeitgeber auf die entsprechenden Verjährungsfristen hinweisen müssen. Andernfalls verjähren diese Urlaubsansprüche nicht.“
BAG setzt Urteil des EuGH vom September um
Vor dem am 20. Dezember gefällten Urteil war noch offen, wie im Falle einer Krankheit (wie im Falle der Krankenhausangestellten) und bei einer drohenden Verjährung vorzugehen ist. Dennoch gibt es bereits ein Grundsatzurteil des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahr 2019, welches dazu verpflichtet, die Mitarbeiter über den Urlaubsanspruch zu informieren und auf die mögliche Verjährung hinzuweisen. Dem DMB zufolge sollen sich Arbeitgeber immer an die geltende Rechtsprechung halten, ihre Arbeitsverträge jährlich prüfen und wenn notwendig auch die Betriebsregelungen anpassen.
Wichtig bezüglich des Urteils findet der Deutsche Mittelstands-Bund, dass der Jahresurlaub im selben Kalenderjahr genommen werden kann und auch sollte, da er zur Erholung des Arbeitnehmers im laufenden Jahr gedacht ist. Es kann mal zu Ausnahmesituationen wie beispielsweise einer langen Krankheit oder Personalengpässen im Unternehmen kommen, die zu gut gemeinten Urlaubsverschiebungen führen. Eine Regelmäßigkeit der Verschiebung des Urlaubs auf das nächste Jahr würde aber für die Unternehmen Planungs- und Organisationsprobleme mit sich bringen.
Mit der Urteilsentscheidung setzt das BAG das bereits am 22. September vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) gefällte Urteil um. Das Bundesarbeitsgericht hatte die beiden Fälle dem europäischen Gerichtshof vorgelegt. Der Gerichtshof hatte die Aufgabe zu prüfen ob europäisches Recht eine Verjährung des Urlaubsanspruchs zulässt, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht durch Aufforderungen und Hinweise in die Lage versetzt habe, seinen Urlaubsanspruch auszuüben. Die Antwort des Gerichtshofs lautete nein. An diesem Urteil orientierte sich schlussendlich auch das BAG.
DMB rät KMU’s zu digitalen Lösungen bei der Urlaubsverwaltung
Eine Überraschung dürfte das Urteil in den Augen von Kawohl für wenige Arbeitgeber sein. Da die meisten Arbeitgeber die Urlaubsansprüche ihrer Beschäftigten stets im Auge behalten würden und die Beschäftigten in der Regel auch ihren Jahresurlaub nehmen würden, sollte das neue EuGH-Urteil nur wenige Unternehmen überraschen und zusätzlich belasten. Unterstrichen würde jedoch ganz klar, dass Arbeitgeber eine Aufklärungs- und Informationspflicht gegenüber ihren Beschäftigten haben und diese auch rechtssicher dokumentieren müssten.
Kleinen und mittleren Unternehmen empfiehlt Kawohl neben Hinweisen an Arbeitnehmer auf digitale Lösungen zu setzen: „Die Digitalisierung im Personalwesen ist in den Unternehmen schon weit fortgeschritten und wird aufgrund von stetig zunehmenden Dokumentationspflichten immer wichtiger werden. Der DMB kann kleine und mittelständische Unternehmen nur dazu aufrufen, ganz gezielt digitale Lösungen bei der Urlaubsverwaltung einzusetzen. Das macht das Dokumentieren wesentlich einfacher und hilft auch den Beschäftigten ihren eigenen Urlaubsanspruch besser im Blick zu behalten.“
Unklar ist laut Prof. Dr. Michael Fuhlrott, Fachanwalt für Arbeitsrecht in einem Gastbeitrag bei der Seite Legal Tribune Online, ob es zu einer Klagewelle kommt. Ob so eine Welle eintritt, hängt insbesondere davon ab, wie das BAG die Kriterien bezüglich der Geltendmachung alter Ansprüche aufstellt und ob ein Urlaubsanspruch oder ein Urlaubsabgeltungsanspruch auf die gleiche Weise zu beurteilen sind. Aus der Pressemitteilung des BAG ist nicht erkennbar, wie die Anforderungen gehandhabt werden. Vor der Entscheidung der EuGH hatte das Gericht klar gesagt, dass Abgeltungsansprüche, Verjährungs- und Verfallfristen ablaufen.