Die Entscheidung Österreichs gegen einen Schengen-Beitritt Rumäniens hat Anfang Dezember für unterschiedliche Reaktionen gesorgt. In Rumänien war man von einem positiven Votum ausgegangen und wurde vom Entschluss Österreichs kalt getroffen. Wie lukrativ ist aber der rumänische Markt für deutsche Unternehmen? Wie sinnvoll wäre eine Schengen-Mitgliedschaft Rumäniens für deutsche Unternehmen und welche Folgen hat die Schengen-Entscheidung für beide Länder? Darüber haben die DWN mit der Deutsch-Rumänischen Industrie- und Handelskammer (AHK Rumänien), dem Automobilzulieferer Dräxlmaier und dem rumänischen Journalisten Christian Binder von der ADZ (Allgemeine Deutsche Zeitung für Rumänien in Bukarest) gesprochen.
Wirtschaftsumfeld würde vertrauensvoller werden
Auch für die Deutsch-Rumänische Industrie- und Handelskammer war die Entscheidung Wiens im Dezember eine Überraschung und sorgte für Enttäuschung, wie Sebastian Metz, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied, schildert: „Die AHK Rumänien ist enttäuscht über das negative Votum bezüglich des Beitritts Rumäniens zum Schengen-Raum, zumal wir ein starker Befürworter des Beitritts sind und hoffen sehr, dass dies in naher Zukunft stattfinden wird. Der freie Warenverkehr bringt erhebliche wirtschaftliche Vorteile für die Spediteure und das Geschäftsumfeld im Allgemeinen, da die Notwendigkeit zusätzlicher Kontrollen an den EU-Binnengrenzen entfällt; er kommt aber auch ausländischen Investitionen zugute, weil dadurch ein stabiles und vertrauensvolles wirtschaftliches Umfeld geschaffen wird.“
Neben der Verbesserung für das Wirtschaftsumfeld würde eine Schengen-Mitgliedschaft auch zu einer Verringerung der Kosten, die durch Wartezeiten beim Zoll und Verzögerungen in den Logistikketten entstehen, führen. Zudem würde Metz zufolge nicht nur der grenzüberschreitende Handel erleichtert werden, sondern auch ein fairer Preis für die Waren geschaffen werden, die am Ende die europäischen Bürger erreichen. Aus diesen Gründen liege es im Interesse aller Mitgliedsstaaten, dass Rumänien dem Schengen-Raum in Zukunft angehöre. Es sei auch ein sehr wichtiges Signal für die Investoren. Die Vorteile seien vielfältig, nicht nur für Rumänien, sondern für ganz Europa und die deutschen Unternehmen in Rumänien könnten das Land in seinem Bestreben nur weiter unterstützen.
Schnellere Transporte und kürzere Lieferketten
Christian Binder arbeitet als Journalist in Bukarest bei der Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien. Er sieht zusätzlich vor allem die Vorteile für die rumänischen Bürger, die im Ausland arbeiten: „Ein wichtiger Grund, warum das Thema gesellschaftliches Gewicht trägt, ist auch, dass in westlichen EU-Ländern (Österreich, Deutschland, Italien, Spanien, Frankreich unter den wichtigsten) Millionen Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter aus Rumänien beschäftigt sind. Viele davon (oder deren Verwandte und Freunde) reisen besonders während den Feiertagen über die Grenze und würden weniger Kontrollen begrüßen.“
Der Automobilzulieferer Dräxlmaier aus dem niederbayerischen Vilsbiburg ist seit Jahren in Rumänien aktiv. Gegenüber DWN erklärt das Unternehmen, dass eine Mitgliedschaft Rumäniens im Schengen-Raum insbesondere bezüglich der Lieferketten von Vorteil wäre: „Grundsätzlich hat die Dräxlmaier Group schon heute weltweit effiziente und belastbare Lieferketten etabliert. Ein Beitritt Rumäniens zum Schengen-Raum würden die Abläufe weiter optimieren. Positive Folgen wären schnellere Transporte und insgesamt kürzere Lieferketten. Die Dräxlmaier Group müsste insgesamt weniger Bestände vorhalten und könnte zugleich innerhalb der EU noch schneller auf kurzfristige Kundenanforderungen reagieren.“
Weitere Informationen zum Schengen-Raum finden Sie hier.
Standort Rumänien eine wesentliche Säule für Dräxlmaier
Wie wichtig für die Dräxlmaier Group der Standort Rumänien ist, zeigt sich an den Fakten über das Unternehmen. So sind die rumänischen Standorte laut Dräxlmaier wesentliche Säulen des weltweiten Produktions- und Entwicklungsnetzwerks. Schon 1993 habe man in Pitesti den ersten Fertigungsstandort in Rumänien eingeweiht. In den darauffolgenden Jahren habe Dräxlmaier in Satu Mare, Timisoara, Hunedoara und Codlea vier weitere Werke eröffnet. Hinzu seien mittlerweile außerdem IT-Center sowie Zentren für Produktentwicklung gekommen. Die hochqualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Rumänien würden mit ihrem Engagement dazu beitragen, dass die Dräxlmaier Group die großen Trends der Automobilbranche, wie Elektrifizierung und Digitalisierung, erfolgreich gestalte.
Auch das Potential in Rumänien für die Zukunft sieht man beim Unternehmen positiv: „Die rumänischen Dräxlmaier Standorte sind gut für die Zukunft aufgestellt. Die Dräxlmaier Group setzt gezielt auch auf Wachstumsfelder der Automobilindustrie und hat in Rumänien beispielsweise erfolgreich mit der Produktion von komplexen E-Mobilitätskomponenten begonnen.“
Viele KMU’s in Rumänien mit deutschem Kapital aktiv
Der AHK Rumänien zufolge sind in Rumänien über 9500 Unternehmen mit deutschem Kapital aktiv, die meisten davon sind KMUs. Außerdem ist Deutschland Rumäniens größter Handelspartner. Das Handelsvolumen zwischen Deutschland und Rumänien in den ersten neun Monaten des Jahres 2022 habe über dem Volumen des Vorjahreszeitraums gelegen und erreiche ein neues Rekord-Volumen in Höhe von 28,8 Milliarden Euro. Der Anstieg betrage 17,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum (Jan.-Sept. 2021: 24,5 Milliarden Euro), so die Daten des Statistischen Bundesamtes.
So beliefen sich die Ausfuhren nach Rumänien auf 14,8 Milliarden Euro, was einem Anstieg von 8,8 Prozent gegenüber dem gleichen Zeitraum im Jahr 2021 entsprechen würde, während die Einfuhren aus Rumänien 13,1 Milliarden Euro erreicht hätten (+20,6 Prozent). Rumänien liege somit bei den Ausfuhren auf Platz 19 und bei den Einfuhren auf Platz 21 der deutschen Handelspartner. Diese Daten würden die anhaltend hohe Dynamik der bilateralen Wirtschaftsbeziehungen zeigen und seien ein Indikator dafür, dass deutsche Unternehmen in Rumänien weiter investieren würden.
Rumänien bietet breite Palette für KMU-Investitionen
Rumäniens Nähe zu Westeuropa, insbesondere im Zusammenhang mit der Neuausrichtung der internationalen Lieferketten und seine Mitgliedschaft in der EU und NATO sind laut der AHK Rumänien wichtige, zentrale Standortvorteile. Man hoffe sehr, dass Rumänien es schafft, auch seine Trümpfe hinsichtlich Energiesicherheit und -versorgung für die in Rumänien ansässige Wirtschaft zu materialisieren bzw. hierüber weitere Investitionen anzuziehen.
Darüber hinaus wünsche man sich, dass der Beitritt zum Schengen-Raum so schnell wie möglich vollzogen werden kann, denn neben zahlreichen, konkreten wirtschaftlichen Vorteilen, die das Geschäftsumfeld in einem schwierigen gesamtwirtschaftlichen Umfeld dringend benötigen würde, sende dies ein starkes politisches Signal, dass Rumänien ein vollwertiges Mitglied der EU sei und die positiven Entwicklungen Rumäniens hinsichtlich der Integration in die europäische Familie entsprechend Anerkennung fänden.
Sebastian Metz verdeutlicht als Repräsentant der AHK Rumänien, warum Investitionen insbesondere für KMU’s aus Deutschland lohnenswert sind: „Seit vielen Jahren investieren die deutschen Unternehmen hier in hochautomatisierte und leistungsstarke Produktionsstätten. Rumänien ist längst keine verlängerte Werkbank mehr, sondern entwickelt sich immer mehr zu einem Standort für Forschung und Entwicklung.
Rumänien ist aber noch kostengünstig im Vergleich zu den westeuropäischen Ländern. Viele deutsche Unternehmen profitieren von der Größe des Marktes, mit 19 Millionen Einwohnern ist Rumänien einer der größeren Märkte in der EU. In Bezug auf Investitionen in Produktionsstätten sind die Größe und die Nähe zu Westeuropa sehr wichtig. Das Land, das seit 2007 EU-Mitglied (und seit 2004 NATO-Mitglied) ist, bietet zahlreiche Standorte für eine breite Palette von Investitionsprojekten.“
Probleme für österreichische Konzerne durch das Votum
Wie es mit der Thematik rund um eine Mitgliedschaft Rumäniens im Schengen-Raum weitergeht, ist unklar. Rumänien will wie Bulgarien im März einen neuen Versuch starten, in der Hoffnung, die Entscheidung fällt dann anders aus. Österreich hatte sein negatives Votum mit dem Blick auf die steigenden Migrationszahlen begründet
Was für Folgen das negative Votum für österreichische Unternehmen, die in Rumänien aktiv sind haben kann, zeigt ein Artikel aus dem Standard von Anfang Dezember kurz nach dem Votum. So machten sich diese Unternehmen Sorgen um die Wirtschaftsbeziehungen beider Länder, wie der Voralberger Fruchtsafthersteller Pfanner begründet und von einer aufgebrachten Stimmung gegen Österreich in Rumänien spricht: „Viele Rumänen werten das Vorgehen Österreichs als persönlichen Angriff. Die Rumänen sind ein stolzes Volk. Sie sehen sich als Teil der europäischen Familie und nicht als Europäer zweiter Klasse.“
Problematisch ist das Votum Österreichs auch für das Öl- und Gasunternehmen OMV. Man ist mit den Behörden in Rumäniens Hauptstadt Bukarest in Gesprächen um die Bedingungen für das Projekt rund um das Gasfeld „Neptun Deep“ zu erhalten. „Neptun Deep“ gehört zu den größten Gasfeldern Europas, welches aber schwierig zu erschließen ist, weil es in einer großen Tiefe im Schwarzen Meer lokalisiert ist. Ein Entschluss, ob man gemeinsam mit dem größten Gasproduzenten Rumäniens Romgaz vier Milliarden Euro in das Projekt steckt, soll bis Mitte 2023 fallen. An OMV Petrom, dem rumänischen Tochterunternehmen der OMV, hält der rumänische Staat über das Energieministerium auch 20 Prozent der Anteile. Für Rumänien ein weiterer wichtiger Grund größere Projekte wegen der Schengen-Entscheidung nicht aufs Spiel zu setzen.
EU-Austritt Rumäniens wegen Votum unwahrscheinlich
Positiv für einen erneuten Versuch Rumäniens im März ist, dass dann die beiden wichtigen Landtagswahlen in Niederösterreich (29. Januar) und Kärnten (5. März) vorbei sind. Mit ein Grund warum sich Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) gegen das Votum für Rumänien und Bulgarien entschied, dürfte der innenpolitische Druck für die Regierungspartei vor den wichtigen Landtagswahlen sein. Die rumänische Zeitung Adevarul hatte den Druck betont unter dem die ÖVP als Regierungspartei in Österreich stehe.
Mit einem Migrationsthema könnte man Stimmen bei den Landtagswahlen gegenüber dem Konkurrent FPÖ gewinnen. Die Zeitung kritisierte auch die Doppelstandards der Österreicher für Kroatien zu stimmen und über Ungarn, welches ein Transitland der Balkanroute für Flüchtlinge ist, kein Wort zu verlieren. Adevarul zufolge erklärte die österreichische Kulturwissenschaftlerin Judith Kohlenberger, dass die Anzahl der Migranten, die über die rumänische Grenze gekommen wären, bei drei Prozent liegt. Es muss abgewartet werden in welche Richtung das Thema Schengen-Beitritt für Rumänien bewegt.
Einen EU-Austritt Rumäniens, oder eine Stimmung gegen die EU, hält Journalist Christian Binder gegenüber DWN für unwahrscheinlich: „Die Gefahr schätze ich als sehr niedrig ein, es wird viel mehr Österreich, vielleicht auch die Niederlande, als Problem aufgefasst, nicht Brüssel. Österreich wurde auch auf EU-Ebene für die Entscheidung kritisiert. Außerdem waren bisher Parteien oder Politiker mit „Brüssel-Kritik“ in Rumänien deutlich weniger erfolgreich als in Ungarn oder Polen, ob sich das bis zu den Wahlen 2024 (mehrere Wahltermine) ändert, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden, aber es würde gewissermaßen im Gegensatz zu dem stehen, was man sich im Land von der Schengen-Entscheidung erhofft: mehr Nähe zu Europa.“