Politik

Privatarmeen der Mächtigen - eine Weltreise des Terrors

Lesezeit: 7 min
14.01.2023 09:07
DWN-Kolumnist Ronald Barazon taucht mit Ihnen in die Halbwelt der Privatarmeen und Söldnertruppen ein.
Privatarmeen der Mächtigen - eine Weltreise des Terrors
Viele autokratische Herrscher - aber auch westliche Staaten - halten sich Söldnertruppen und Privatarmeen. (Foto: dpa)

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Die Demokratie erweist sich als Illusion. Nach 1945 hatte man in Westeuropa und in den USA den Eindruck, dass sich die Demokratie auf Dauer durchgesetzt hätte und man über die Selbstverständlichkeit von Menschenrechten nicht mehr diskutieren müsste. 1990 wurde der Untergang des Terrorregimes der Sowjetunion als endgültiger Sieg der Demokratie gefeiert. Und auch in China rückte man vom Prinzip der kompromisslosen Diktatur der Kommunistischen Partei ab. All das klingt heute wie ein Märchen aus vergangenen Zeiten, die nie stattgefunden haben.

Marionetten der Herrscher

Heute verurteilen in vielen Ländern so genannte Gerichte Menschen, die eine kritische Meinung äußern, zu Haftstrafen oder sogar zum Tode. Man fragt sich, wozu diese peinlichen Farcen inszeniert werden, wozu man dem staatlichen Mord ein rechtsstaatliches Mäntelchen umhängt, wenn ohnehin nur die Befehle eines Diktators ausgeführt werden. Auch die anderen staatlichen Einrichtungen, die Polizei, die Armee, die Geheimdienste sind in Diktaturen nur Marionetten der Herrscher.

Der Missbrauch der staatlichen Einrichtungen genügt den Potentaten nicht, sie unterhalten auch Privatarmeen. Eine Reise um den Globus zeigt, dass der Raum, in dem echte Demokratie und Menschenrechte gelten, recht klein geworden ist.

Putins kriminelle Schergen

Heute wird über die Aussagen eines Massenmörders berichtet, als ob es sich um die Mitteilungen eines gewählten Staatsoberhaupts handelte: Ein gewisser Jewgeni Prigoschin, der Anführer einer Gruppe von Mördern, die derzeit im Auftrag des russischen Präsidenten, Wladimir Putin, in der Ukraine wüten, wird von allen Medien zitiert. Die Organisation hat sich den Namen des Komponisten Wagner ausgeborgt und wurde unter dieser Bezeichnung bekannt. Die „Wagner-Gruppe“ ist zu einer Institution geworden. Die Mitglieder rühmen sich ihrer Morde und sonstiger Grausamkeiten, bezeichnen sich aber als Söldner, als ob dies ein ehrenwerter Beruf wäre. Seit kurzem werden auch verurteilte Schwerverbrecher aus russischen Gefängnissen geholt und morden unter der Führung von Prigoschin. „Wagner-Gruppe“, „Söldner“ – die Sprache schützt die Mörder.

„Revolutionsgarden“ im Iran

Die Wagner-Gruppe ist die private, im rechtsfreien Raum agierende Kampftruppe des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Doch der Russe ist nicht allein mit dieser Praxis. Schon viel länger unterhält der iranische Machthaber eine Organisation, die den blumigen Titel „Iranische Revolutionsgarde“ trägt und brutal jede Opposition niederschlägt. Die Truppe wurde 1979 eingerichtet, umfasst etwa eine halbe Million Mitglieder, die gerade aktuell die Demonstrationen gegen das brutale Regime niederknüppeln. Auch hier im Auftrag des Präsidenten, Ali Chamenei, auch hier nur um die Ziele von Autokraten umzusetzen. Und wieder: Es sind keine Mörder, es sind „Revolutionsgarden“, es geht nicht um die krausen Wünsche eines Diktators, oh nein, es geht vermeintlich um „Religion“ und um „religiöse, göttliche“ Gesetze.

Erdogans Privatarmee

Aber auch im NATO-Mitgliedstaat Türkei agiert ganz publik eine Privatarmee von Präsident Recep Erdogan, der allerdings lieber ein diskreteres Auftreten der Truppe hätte. Unter der Bezeichnung „Sadat“ und als eingetragene Beratungsagentur wirbt die Organisation auch um Aufträge und bietet weltweit die Aufrüstung und Schulung von staatlichen und privaten, militärischen Einrichtungen an. Ein entsprechendes Werbe-Video ist in You-Tube abrufbar. Geführt wird Sadat von einem pensionierten General namens Adnan Tanrıverdi, der Sadat als Söldnermiliz vermietet. Erklärt wird, dass man Gotteskrieger im Dienste des Islam sei. Übrigens: Laut Statut dürften nur Demokratien NATO-Mitglieder sein.

Viele US-Amerikaner stört Trumps Angriff auf die Demokratie nicht

Szenenwechsel: Im Mutterland der Demokratie, in den USA, hat vor zwei Jahren eine Bande von Kriminellen den Sitz des amerikanischen Parlaments gestürmt und versucht, die Bestätigung der Präsidentenwahl durch die Abgeordneten zu verhindern. Dies im Auftrag des abgewählten Präsidenten Donald Trump. Die Demokratie in den USA ist intakt und so findet eine Verurteilung nach der anderen der Akteure statt. Bemerkenswert und erschreckend ist allerdings der Umstand, dass trotz des mittlerweile ausgiebig dokumentierten Fehlverhaltens des Ex-Präsidenten immer noch 31 Prozent aller Wähler sich in einer aktuellen Umfrage für Trump aussprechen. Unter den Anhängern der Republikanischen Partei äußern sich sogar 70 Prozent positiv über Trump. Und das im Land, das sich weltweit als Verteidiger der Demokratie, der Menschenrechte, des liberalen Verfassungsstaats profiliert.

Der Sturm auf das Kapitol hat bereits Nachahmer gefunden

Untaten finden Nachahmer: Vor wenigen Tagen inszenierten in Brasilien Anhänger des abgewählten Präsidenten Jair Bolsonaro eine ähnlich gestaltete Attacke und verwüsteten das Parlament, den Obersten Gerichtshof und den Präsidentenpalast. Brasilien ist nach einer wechselhaften Geschichte seit 1985 eine Demokratie, doch gelingt es nicht, die Grundsätze eines entwickelten Staates durchzusetzen. Eine hohe Kriminalität, wirtschaftliche Spannungen, in denen Wenige einen enormen Reichtum genießen und Millionen unter der Armutsgrenze leben, sind keine guten Rahmenbedingungen für eine demokratische Entwicklung. Brasilien zählt 220 Millionen Einwohner und umfasst beinahe die Hälfte der Fläche Südamerikas.

Es ist wie eine Weltreise des Horrors. Die Fahrt begann im Osten, in Russland, führte nach Vorderasien, in den Iran, in die Türkei, in den Westen, in die USA und nach Südamerika, nach Brasilien. Können die Bürgerinnen und Bürger in den demokratischen Staaten tatsächlich ruhig schlafen? Ist das alles weit weg und betrifft das die Menschen in Westeuropa nicht? Das ist zu bezweifeln. Vor allem die europäische Geschichte ist reich an Phasen, die keineswegs lange zurückliegen, in denen die Freiheit der Einzelnen vernichtet wurde. Ist einmal der Boden durch den in Europa weit verbreiteten Mangel an Einsatz für die Demokratie bereitet, dann finden sich auch Politiker mit den entsprechenden Gefolgsleuten, die für die Installierung eines autoritären Regimes sorgen.

Orbans Privatarmee hält sich bedeckt

In dieser Pause auf der Weltreise von einem staatlichen Terroristen zum nächsten ist ein Blick auf das EU-Land Ungarn angebracht. Premier Viktor Orban verfügt auch über eine Privatarmee, die allerdings weniger auffällt als die anderen, genannten Agenturen: Terrorelhárítási Központ, kurz TEK genannt, ist eine Spezialeinheit, die der Regierung untersteht, geschätzt 1600 Mitglieder hat, ein großzügig dotiertes Budget von vermutlich 100 Millionen Euro im Jahr bekommt und besser ausgerüstet ist als vergleichbare Armeeeinheiten. TEK ist, wie der Name sagt, als Organisation zur Bekämpfung des Terrors im Jahr 2010 gegründet worden, steht aber jetzt generell für Einsätze zur Verfügung, die die Regierung anfordert.

In China wurde der gesamte Staat in den Dienst Xis gestellt

Nach dieser Unterbrechung sei die Weltreise des Terrors fortgesetzt. Als nächste Destination bietet sich das kommunistische China an, das, wie einleitend betont, gegen Ende des vorigen Jahrhunderts einige Schritte auf dem Weg aus der kommunistischen Diktatur in Richtung einer Liberalisierung unternommen hat. Unter Deng Xiaoping, Jiang Zemin und Hu Jintao war ein gewisses Tauwetter zu beobachten, das allerdings unter dem seit 2013 regierenden Xi Jinping beseitigt wurde. Xi regiert als kommunistischer Diktator und hat die Armee der Partei und somit sich selbst unterstellt. Da braucht es keine Privatarmee. Das offen ausgesprochene, unmittelbare Ziel ist die Unterwerfung der Republik Taiwan und darüber hinaus die Festigung und der Ausbau der Position als politische, militärische und wirtschaftliche Weltmacht.

Dieser Weg soll durch die Lähmung der möglichen Gegner und insbesondere der USA, die Taiwan unterstützen, abgesichert werden. Diesem Zweck dienen die ständigen Hacker-Attacken auf entscheidende Einrichtungen der USA. Man kann nicht ausschließen, dass der Computerausfall, der in den vergangenen Tagen den Flugverkehr in den USA lahmgelegt hat, die Folge eines neuerlichen Angriffs aus China war. Die USA müssen auch befürchten, dass chinesische Computerviren militärische Flugzeuge von vornherein auf dem Boden halten oder in der Luft manövrierunfähig machen.

Die Übersicht zeigt, dass etwa zwei Drittel des Globus von Diktatoren beherrscht werden, die von Demokratie und Menschenrechten nichts halten und keine Scheu haben, Mörder für ihre Zwecke einzusetzen. Zudem ist zu beachten, dass nicht nur in den genannten Ländern autoritäre Regime herrschen. Zudem agieren neben den angesprochenen Organisationen verschiedene Privatarmeen, kaum behelligt von Gerichten. Beispielhaft erwähnt sei die große US-amerikanische Organisation Constellis Holdings, die aus der Fusion mehrerer paramilitärischer Vereine entstand, zu denen auch die in der Vergangenheit im Irak aktive Truppe Blackwater gehört.

Nicht zum hier angesprochenen staatlichen Terror gehören die vielen, vor allem in Großstädten agierenden Banden, auf die der Sammelbegriff Mafia passt. Auch diese Gruppierungen gefährden die Demokratie und die Menschenrechte.

Die Pleitenserie des Westens bei der Bekämpfung von Autokraten

Die Regierungen in den USA und in Westeuropa sind sich der Gefahr für die Demokratie bewusst und sind auch bereit, für die Verteidigung der Demokratie aktiv zu werden. Allerdings sind die Aktionen nicht überzeugend. Die Beseitigung des Diktators Muammar Gadaffi hat Libyen nicht zu einer Demokratie gemacht, sondern das Land ins Chaos gestürzt. Zu dem gleichen Ergebnis führte die Vernichtung von Saddam Hussein im Irak. Die vermeintliche Befreiung Afghanistans endete mit der Machtübernahme durch das Terrorregime der Taliban. Die Tötung eines Potentaten nützt nichts, wenn in der Bevölkerung eines Landes die Voraussetzungen für den Aufbau eines liberalen Verfassungsstaats nicht gegeben sind.

Ein besonderes Beispiel für die kläglichen Versuche, die Demokratie weltweit zu verteidigen, hat der Westen in der Ukraine geboten. 2004 endete das Regime des letzten sowjetischen Machthabers in Kiew. Die neue Regierung profilierte sich als pro-westlich und wollte in dem korrupten und wirtschaftlich ruinierten Land die Demokratie aufbauen. Da begann eine schier endlose Reihe von peinlichen Aktivitäten des Westens. Im Vordergrund stand die oft wiederholte Zusicherung, man sei als NATO an der Seite der Ukraine, ohne dass das Land tatsächlich in das Militärbündnis aufgenommen wurde. Dazu kam das immer wieder halbherzig gegebene und nie eingehaltene Versprechen, man werde die Ukraine in die EU aufnehmen. Begleitet wurden diese irreführenden Erklärungen von kleinen Geldgaben und guten Ratschlägen, man möge doch die Korruption bekämpfen.

Für den Aufbau der Ukraine gab es kein Geld, jetzt fließen Milliarden für Waffen

Das gesamte Paket war verzichtbar. Gebraucht hat die Ukraine ein umfassendes Aufbauprogramm, die Erneuerung der kaputten Infrastruktur, großzügige Investitionen in alle Wirtschaftsbereiche. Dafür war kein Geld da. Jetzt, da es um die Bekämpfung Russlands geht, fließen die Milliarden, allerdings nicht in die Wirtschaft, sondern in die Armee. Das Geld, das für die Waffen bezahlt wird, kassieren vor allem die Rüstungskonzerne und ihre Förderer im Westen, schießen und sterben müssen die ukrainischen Soldaten.

Der Gegenwart der bisherigen Waffenlieferungen entspricht 16 Prozent der ukrainischen Wirtschaftsleistung in Friedenszeiten, somit einer Quote, die in Industrieländern durchaus für Investitionen üblich ist. Es fließt also genau so viel Geld, wie ab 2004 hilfreich gewesen wäre, um die kaputte Ukraine aufzubauen. Allerdings im Umweg über das Schlachtfeld in die Taschen der Waffenfabrikanten und Waffenhändler weltweit und auch in der Ukraine. Nicht zu vergessen: Der Vorgänger von Präsident Wolodymyr Selenskyj, Petro Poroschenko, besitzt die größten ukrainischen Waffenfabriken, einige Oligarchen kassieren Provisionen in diesem lukrativen Markt.

Der Aufbau der Ukraine ab 2004 hätte nicht nur der Ukraine genützt, ein Einsatz wäre auch ein Signal an die Adresse Russlands gewesen, da die beiden Staaten eng verflochten sind. Die westliche Industrie hätte gigantische Aufträge lukriert. Ohne ständiges Gerede über eine Aufnahme der Ukraine in die NATO und die EU wäre auch nicht die Gefahr entstanden, dass die westliche Verteidigungsallianz in ihrem Osterweiterungsdrang bis an die russische Grenze vordringen würde, ein Faktor, der Moskau alarmieren musste.

All das wurde oft und rechtzeitig gesagt und geschrieben, doch ausnahmslos alle ukrainischen Regierungen wollten und wollen immer noch in die NATO und in die EU und ausnahmslos alle westlichen Regierungen versicherten den ukrainischen Politikern, dass sie an ihrer Seite stünden. Das Ergebnis ist der Ukraine-Krieg, der nicht unbedingt auf die Ukraine beschränkt bleiben wird.

                                                                            ***

Ronald Barazon war viele Jahre Chefredakteur der Salzburger Nachrichten. Er ist einer der angesehensten Wirtschaftsjournalisten in Europa und heute Chefredakteur der Zeitschrift „Der Volkswirt“ sowie Moderator beim ORF.


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