Ein ukrainischer Versuch, die Krim zurückzuerobern, wäre für den russischen Präsidenten Wladimir Putin eine rote Linie, die zu einer umfassenderen russischen Reaktion führen könnte, sagte US-Außenminister Antony Blinken am Mittwoch in einer vertraulichen Videokonferenz mit einer Gruppe von Experten. Damit beantwortete der Minister die Frage, ob die USA bereit seien, der Ukraine bei Rückeroberung der Halbinsel von Russland zu unterstützen. Dies berichtet Politico unter Berufung auf vier Insider.
Dem Bericht zufolge sagte Blinken, dass die USA die Ukraine nicht aktiv zur Rückeroberung der Krim ermutigen und dass die Entscheidung allein bei Kiew liegt. Das Hauptaugenmerk der US-Regierung liege darauf, der Ukraine dort zu helfen, wo der Kampf stattfindet, vor allem im Osten. Diese Einschätzung deckt sich mit den Aussagen hochrangiger Pentagon-Beamter vor zwei Wochen im Ausschuss für Streitkräfte des Repräsentantenhauses, sie glaubten nicht, dass die Ukraine die Halbinsel in naher Zukunft zurückerobern könne.
Zwei der Insider sagen, dass Blinken den Eindruck vermittelte, die USA würden einen Vorstoß zur Rückeroberung der Krim zum jetzigen Zeitpunkt nicht für klug halten. Auch Außenstaatssekretärin Victoria Nuland nahm an der Videokonferenz teil. Am 20. Januar bei einem Treffen der Ukraine Defense Contact Group in Deutschland hatte US-Generalstabschefs Mark Milley bereits gesagt, "dass es in diesem Jahr sehr, sehr schwierig sein wird, die russischen Streitkräfte militärisch aus jedem Zentimeter der russisch besetzten Ukraine zu vertreiben".
Während Diplomaten und Militärs der USA und der Nato stets öffentlich erklären, dass die Krim Teil der Ukraine ist, haben sie seit 2014 anscheinend kaum etwas getan, um Russlands Eroberung der Halbinsel anzufechten. Eine Rückeroberung der Krim wäre extrem schwierig, weil die Halbinsel überLuftabwehrsysteme, Munitionsdepots und Zehntausenden von Truppen verfügt. Stattdessen könnte die Ukraine Experten zufolge aber versuchen, die Halbinsel von Russland abzutrennen.
"Es gibt drei kritische Punkte: die Landbrücke zu Russland, die Brücke über die Straße von Kertsch und den Marinestützpunkt in Sewastopol. Sie sollten alle drei ausschalten", zitiert Politico Kurt Volker, den ehemaligen US-Sonderbeauftragte für die Ukraine, der nicht an der Videokonferenz am Mittwoch teilnahm. "Dies würde viele russische Streitkräfte ohne angemessene Unterstützung zurücklassen, ohne dass die Ukraine tatsächlich versuchen würde, die Krim zu überrennen, und es wäre dennoch ein schwerer Schlag für Russlands militärische Bemühungen."
Viele der russischen Infanterietruppen auf der Krim haben sich in befestigten Stellungen verschanzt, die sich über Hunderte von Kilometern erstrecken und den ukrainischen Truppen entlang des Flusses Dnipro gegenüberstehen. Für die ukrainischen Truppen wäre es schwierig, diese russischen Linien zu durchbrechen. Daran würde auch der vom Westen versprochene Zustrom von Artillerie und gepanzerten Fahrzeugen nichts ändern - selbst wenn ausreichende Munition verfügbar wäre.
Die ukrainische Regierung fordert seit Monaten Langstreckenartillerie, um damit russische Stellungen hinter den Frontlinien anzugreifen - auch auf der Krim. Denn hierher haben die russischen Streitkräfte ihr Hauptquartier und wichtige Depots verlegt, damit die von den USA gelieferten Raketen mit einer Reichweite von 50 Meilen sie nicht erreichen können. Die US-Regierung weigert sich aber bisher, diese Systeme zur Verfügung zu stellen. US-Beamte haben kürzlich erklärt, dass die USA nicht genügend ATACMS hätten, um welche abgeben zu können.