Finanzen

„Schwarzer-Schwan“-Autor warnt Anleger vor Zeitbombe an den Kapitalmärkten

Lesezeit: 5 min
04.03.2023 00:51  Aktualisiert: 04.03.2023 00:51
Der bekannte Finanzexperte Nassim Taleb hält Aktien, Immobilien und Kryptowährungen für massiv überteuert. Die „tumorartigen“ Zustände an den Finanzmärkten seien eine tickende Zeitbombe.
„Schwarzer-Schwan“-Autor warnt Anleger vor Zeitbombe an den Kapitalmärkten
Nassim Taleb verwendet das Symbolbild des schwarzen Schwans als Metapher für äußerst seltene Ereignisse an den Finanzmärkten. (Foto: dpa)

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Der als Autor von „Der Schwarze Schwan“ bekannte Finanzmathematiker Nassim Taleb, der aktuell unter anderem als Berater für den Hedgefonds Universa Investments tätig ist, zeigte sich zuletzt besorgt über den Zustand der Märkte. Die Aussagen entstammen einem Interview mit Bloomberg, welches von Yahoo Finance neu aufbereitet wurde.

Nassim Taleb warnt Anleger vor tumorartigen Marktentwicklungen

Laut Taleb haben sich durch die jahrelange Niedrigzinspolitik der US-Notenbank Federal Reserve (Fed) an den Kapitalmärkten gewaltige Ungleichgewichte gebildet. Demnach habe das billige Geld der Währungshüter mehrere Vermögensblasen ausgelöst und ausgebaut, die dem Markt nun zum Verhängnis werden dürften. „All diese Jahre haben sich die Vermögenswerte wie verrückt aufgebläht", kritisiert Taleb. „Ich glaube, das ist wie ein Tumor, das ist die beste Erklärung.“

Die Niedrigzinsen hätten einen „illusionären Reichtum“ in der Höhe von hunderten Milliarden Dollar aufgebaut, so der Finanzexperte. Massiv überteuert seien nicht nur Aktien. Das tumorartige Wachstum betrifft laut Taleb auch den Immobiliensektor, wo das billige Geld der Notenbanken die Preise für Häuser und Eigentumswohnungen in irrationale Höhen getrieben habe.

Die teils spektakulären Kursentwicklungen von Bitcoin und sonstigen Kryptowährungen sind seiner Ansicht nach ein besonders auffälliges tumorartiges Gebilde. Taleb war früher ziemlich angetan von der Idee hinter Bitcoin. Mittlerweile hält er die älteste und nach Marktkapitalisierung gewichtet größte digitale Währung für ein reines Luftgebilde.

Sein Urteil über Bitcoin in aller Kürze zusammengefasst (besonders interessierte Leser können Talebs ganzen Aufsatz lesen): Als Wertaufbewahrungsmittel ungeeignet und auch als Inflationsschutz nicht zu gebrauchen. Der Wert des Bitcoin hänge nur an dem Interesse und Vertrauen der meist spekulativen Käufer, benötige ständig neue Finanzmittel, die in das System fließen, und sei aus diesem Grund zum Scheitern verurteilt. Der Vergleich mit Gold sei deshalb unangebracht. „Technologien kommen und gehen, aber Gold bleibt, zumindest physisch“, erklärt Taleb. „Sollte der Bitcoin jedoch jemals für kurze Zeit vernachlässigt werden, so wird er unweigerlich zusammenbrechen.“

Die Dezentralität der Blockchain könnte sich auch als Nachteil erweisen. Taleb meint, dass ein einziger Fehler im System einen verheerenden „Ripple-Effekt“ auslösen und den Bitcoin-Preis auf Null senken könnte. Das wäre zugleich eines dieser seltenen Schwarzer-Schwan-Ereignisse, die Taleb seit Jahrzehnten erforscht.

Die glorreichen Zeiten am Aktienmarkt sind vorbei

Die Aktienmärkte hält Taleb für völlig überteuert. „Wir haben die seltsamsten Bewertungen in der Geschichte“. Er meint, dass Alles damit begann, als gute Kursentwicklungen nicht mehr primär auf positiven Unternehmens-Erträgen, sondern auf einer rapide steigenden Geldmenge basierten. Der Schritt der Federal Reserve, die Zinssätze auf 0 % zu senken, hätte die Märkte so stark mit Liquidität überschwemmt, dass ein Punkt erreicht wurde, an dem es kein Zurück mehr gab und sich folglich ein finanzieller „Tumor“ bildete.

Die Zeiten billigen Geldes sind nun vorerst vorbei und das wird nach Einschätzung des Finanzexperten zu größeren Verwerfungen führen. Ein erstes Symptom hierfür sei die nach Meinung vieler Experten völlig überteuerte Übernahme Twitters durch Elon Musk, die sehr turbulent verlief und den Tesla-Chef in finanzielle Bedrängnis gebracht hat. „Es regnet kein Geld mehr“, bringt es der Finanzmathematiker auf den Punkt. Um bei den Wetter-Analogien zu bleiben: Jamie Dimon, Vorsitzender der Großbank J.P. Morgan, hatte die Öffentlichkeit bereits im Frühsommer 2022 vor einem kommenden „Finanzsturm“ gewarnt.

Die Goldlöckchen-Zeiten, als mehr oder weniger alles im Wert stieg, seien bis auf Weiteres vorüber. Anleger müssten sich im Angesicht der dramatisch höheren Zinsen nun auf ein neues Marktumfeld einstellen, warnt Taleb. So könnten die in den letzten Jahren stetig gewachsenen Bewertungen von Aktien nun in den Keller rauschen. „Disneyland ist vorbei“, lautet Talebs Fazit. „Es wird nicht mehr so glatt laufen wie in den letzten 15 Jahren.“ Wie lange es denn dauern würde, bis wieder rosige Zeiten kommen, spezifierte der Finanzmathematiker nicht.

Taleb ist insgesamt sehr negativ gestimmt, obwohl es bereits zu ersten größeren Kursrückgängen kam. Die durchschnittlichen US-Immobilienpreise waren im vierten Quartal 2022 zum ersten Mal seit langer Zeit leicht gesunken. Der breitgefasste Aktienindex SP500 hat seit den im Dezember 2021 erreichten Höchstständen 16 Prozent an Wert verloren, der Technologie-Index NASDAQ ist relativ zum Rekordhoch mehr als 20 Prozent im Minus.

Hedgefonds-Manager warnt vor „größter Zeitbombe in der Finanzgeschichte“

Mark Spitznagel, Investmentchef des von Taleb unterstützten Hedgefonds Universa Investments, hat zuletzt gegenüber seinen Kunden ähnlich warnende Worte gefunden. „Es handelt sich objektiv um die größte Zeitbombe in der Finanzgeschichte – größer als in den späten 1920er Jahren und wahrscheinlich mit ähnlichen Folgen für den Markt“, heißt es in einem Schreiben, auf das Bloomberg Bezug nimmt.

Spitznagel prognostiziert seit langem, dass sich der Aktienmarkt infolge der jahrelangen „Kreditblase“ auf einem gefährlichen Weg in den Zusammenbruch befinde. „Die Korrektur, die ursprünglich natürlich und gesund war, ist stattdessen zu einem ansteckenden Inferno geworden, das das System vollständig zerstören kann. Die Welt ist heute viel zu hoch verschuldet, das Schuldenkonstrukt ist einfach zu groß“, warnt der Hedgefondsmanager. Auf die Weltwirtschaft sieht er einen verheerenden Abschwung zukommen, ähnlich der großen Depression der 1930er-Jahre.

Universa ist ein sogenannter „Tail-Risk-Fonds“, der die Anleger in den widrigsten Marktumständen schützen soll. Einen ähnlichen Fonds hatte Nassim Taleb früher selbst verwaltet. Für diese Art von Fonds besteht dadurch ein Anreiz, eine schlechte Wirtschaftslage vorauszusehen und damit andere Marktteilnehmer von einer negativen Zukunft zu überzeugen, da diese Spezialfonds in Zeiten eines Marktabschwungs besonders erfolgreich sind.

Investoren nutzen Tail-Risk-Fonds nicht so sehr zur Spekulation auf starke Marktbewegungen und Crashs, sondern in erster Linie als Absicherung ihres restlichen Portfolios.

Universa hat laut Spitznagel in den letzten fünf Jahren eine jährliche Rendite von 10,4 Prozent erzielt. Die Schwankungen waren dabei teils enorm, wie es für einen Tail-Risk-Fonds üblich ist. Aktuell setzt Universa auf fallende Kurse im SP500-Index und würde laut Spitznagel eine Rendite von 402 Prozent erzielen, wenn der Index um 10 Prozent sinken sollte und eine astronomische Rendite von 10.000 Prozent, wenn der Index um 30 Prozent einbrechen sollte.

Möglich ist so etwas über komplizierte Strategien mit bestimmten Finanzinstrumenten, vor allem über Optionen. „Dieses Auszahlungsprofil ist die Kernkompetenz von Universa“, so Spitznagel. „Wir haben es über Jahrzehnte verfeinert.“

Taleb nutzt eine komplizierte Options-Strategie, um von Schwarzen Schwänen zu profitieren

Das 2007 veröffentliche Sachbuch „Der schwarze Schwan: Die Auswirkungen des hochgradig Unwahrscheinlichen“ wurde zum Bestseller. Als schwarzer Schwan bezeichnet Taleb seltene und unvorhergesehene Ereignisse mit extremen Folgen. Der Finanzmathematiker glaubt, dass besonders Banken und professionelle Aktienhändler (also eigentlich Experten im Finanzbereich) gegenüber diesen Ereignissen verwundbar sind.

Universas Strategie geht nicht zuletzt auf Talebs Ideen zurück. Dessen Aktien-Strategie beruht auf der Annahme, dass die Masse der Marktakteure die Wahrscheinlichkeit von seltenen extremen Kursbewegungen unterschätzt und zugleich die Wahrscheinlichkeit von moderaten Ausschlägen zu hoch einschätzt.

Taleb nutzt diese von ihm postulierte "systematische Anomalie" mittels einer Options-Strategie aus. Vereinfacht gesagt verkauft er Optionen (und macht damit Gewinn, wenn sich die Kurse nur minimal bewegen) und kauft Put-Optionen, die weit aus dem Geld notieren (diese bringen nur dann Gewinn, wenn die Kurse massiv einbrechen - dann aber ist die Rendite nach oben nahezu unbegrenzt).

Taleb denkt langfristig und bewertet Investment-Strategien nur nach 10-20 jährigem Zeithorizont. Teil seiner Strategie ist es, über viele Jahre lang Verluste aufzuhäufen, die dann in einem Crash von riesigen Gewinnen mehr als kompensiert werden.

Der Finanzmathematiker arbeitete als Spezialist für komplexe Finanzderivate in mehreren Wall-Street-Unternehmen, bevor er sich mit dem Hedgefonds "Empirica Capital" selbstständig machte. Der Fonds war in der Finanzkrise 2007/2008 bestens positioniert und Taleb zusammen mit "Mr. Big Short" Michael Burry einer der wenigen Profiteure des Marktkollaps. Heute ist er nur noch als Berater tätig und fokussiert sich auf die Risikoforschung, zu deren führenden Experten er gehört.


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