Unternehmen

Lieferkettengesetz im Mittelstand: Handelshemmnis für die deutsche Wirtschaft?

Das Lieferkettengesetz stellt kleine und mittelständische Unternehmen vor Herausforderungen. Mit dem Inkrafttreten ab 1. Januar 2023 sind auch KMU mittelbar davon berührt. Während es für rund 700 Unternehmen in Deutschland zum Umbau der Lieferkette kommt, sind KMU vor allem durch den administrativen Aufwand belastet.
10.04.2023 10:00
Lesezeit: 4 min
Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..

Der Erlass des umstrittenen Lieferkettengesetz traf auf weitreichende Kritik bei Wirtschaftsverbänden. Einer Stellungnahme des Wirtschaftsverbandes der deutschen Kautschukindustrie e. V. hätte der 2021 vorgelegte Gesetzesentwurf „über das Ziel hinaus geschossen”. Aufgrund mangelnder Ressourcen in KMU bat man um die Überarbeitung des Lieferkettengesetzes in Anlehnung an das französische Recht. Der durch das Monitoring entstehende Kostenaufwand könne viele Unternehmen dazu zwingen, ihre Lieferketten zu reduzieren, argumentierte der Gesamtmetall e. V. Daraus würden erhöhte Risiken für Lieferengpässe und stärkere Abhängigkeiten resultieren. Finanzielle Belastung durch Verlegungen ins Inland und die Benachteiligung der Entwicklungsländer wären nur einige der Sorgen. Die deutsche Wirtschaft könne vom Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz wegen der implizit erhöhten Handelskosten von Handelshemmnissen betroffen sein.

LkSG: Verantwortung für Menschenrechte und Umweltschutz in der Lieferkette

Anlass für die Diskussion der Sorgfalt gab u. a. der Einsturz einer Textilfabrik Rana-Plaza in Dhaka, Bangladesch am 24. April 2013. Die Textilfabrik war Zulieferer namhafter Modeunternehmen, darunter auch deutscher Konzerne. Am Tag vor der Katastrophe weigerten sich viele Arbeitnehmenden das Gebäude zu betreten, da sie Risse in den Wänden bemerkt hätten. Daraufhin hätte das Management mit Verlust des Arbeitsplatzes gedroht, hieß es in einem Bericht der Hans-Böckler-Stiftung. Der Fabrikunfall kostete 1134 Menschen das Leben, 2438 Menschen wurden verletzt.

Bisher ermöglichte die Globalisierung zahlreichen Unternehmen durch kostengünstigen Bedingungen im Ausland, Umsätze zu stärken. Nach Angaben des BMUV würden weltweit 1,4 Milliarden Menschen unter menschenunwürdigen Bedingungen arbeiten. Brandkatastrophen, Umweltzerstörung, Verfolgung von Gewerkschaftlern sind nur ein Bruchteil der Verletzungen, die Oxfam Deutschland in einer Liste von Menschenrechtsverletzungen durch deutsche Konzerne festhielt.

Mit dem Beschluss des umstrittenen LkSG sei nach Meinung der Oxfam-Expertin Franziska Humbert eine „Minimallösung” geschaffen. „Bis zuletzt hat die Wirtschaftslobby Hand in Hand mit Minister Altmaier beim Verwässern ganze Arbeit geleistet. Daher hat das Gesetz große Lücken”, so die Oxfam-Expertin. Dies bestätigen auch aktuellere Studien der Hamburger Initiative Lieferkettengesetz und die Menschenrechtsorganisation FIAN Deutschland im Falle der Vertreibung von rund 4000 Menschen in Uganda für die Kaweri Kaffeeplantage der Neumann Kaffee Gruppe (NKG). Nach Meinung Dr. Thomas Dürmeier, Volkswirt bei Goliathwatch könne das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz „nur ein Startpunkt sein, weil es durch zu viele menschenrechtliche Lücken unzählige Opfer allein lässt.”.

KMU belastet: Energiekrise, Inflation und bürokratischer Aufwand

Das Inkrafttreten des Lieferkettengesetzes kommt für KMU zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Neben finanziellen Belastungen durch die Energiekrise sowie der anhaltenden Inflation sind die erschwerten Arbeitsmarktbedingungen für viele Mittelständler zur existenziellen Bestandsprobe geworden. Dies erkannte auch die CDU/CSU-Fraktion und bemühte sich in einem Antrag an die Bundesregierung, Unternehmen in Krisenzeiten zu entlasten und das Lieferkettengesetz zum 1. Januar 2023 aussetzen zu lassen. Im Antrag der CDU/CSU hieß es: „In einer Zeit, in der diese Verwerfungen schon jetzt zu tiefgreifenden Lieferkettenstörungen führen, bedarf es umso mehr eines regulatorischen Innehaltens und einer Aussetzung der Anwendung des LkSG“.

Die Komplexität der Sorgfaltspflicht ist für Unternehmen überwältigend. So wüssten 25 Prozent der befragten Unternehmen einer Coupa-Umfrage zufolge nicht mal, mit wie vielen Lieferanten ihre Lieferanten zusammenarbeiten. Markus Hornburg, VP Global Product Compliance Coupa, sagte dazu: „Bei unserer ersten Umfrage im Februar 2022 standen die meisten Unternehmen noch am Anfang ihrer Vorbereitungen für das Lieferkettengesetz. Jetzt ist es da und den Unternehmen wird endlich – und wahrscheinlich schockierend – bewusst, was es wirklich bedeutet. Die schlechteren Werte in unserer jetzigen Befragung zeigen, dass sie sich – nachdem sie sich eingehend mit den Anforderungen befasst haben – Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten, das neue Gesetz einzuhalten, verloren haben“.

Befürchtungen vor dem unverhältnismäßigen, administrativen Aufwand verursachten bei Mittelständlern Verunsicherung. Der Aufwand der Berichterstattung schwankt je nach Unternehmensgröße. Für kleine und mittelständische Unternehmen ergeben sich laut IfM-Berechnungen im Bereich Compliance Werte von 0,004 bis ein Prozent. Die Lieferkettenberichterstattung stellt allerdings nur einen Bruchteil der bürokratischen Pflichten dar. Für ein kleines Unternehmen errechnete die Studie einen bürokratischen Aufwand von 3,2 Prozent des Umsatzes.

Darüber hinaus sind Anforderungen an den gesamten Katalog der Nachhaltigkeitsberichterstattung immens. Die EU-Kommission verlange einer Analyse des Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände zufolge die Erhebung von 1144 Datenpunkten. Zudem werden für die Berichterstattung klar definierte Standards durch das 400-Seiten lange Dokument „European Sustainability Reporting Standards” vorgegeben. BDA-Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter kommentierte gegenüber der WELT AM SONNTAG: „Die Politik muss den Weg für nachhaltiges Wirtschaften ebnen, aber keine bürokratischen Stolpersteine streuen.“ Der Mittelstandsverbund schlug konkrete Maßnahmen zur Entlastung vor. „Es braucht einen begleitenden Mentalitätswandel in der Verwaltung hin zu einem konstruktiven Ansatz im Verwaltungshandeln – selbstverständlich unparteiisch und im Einklang mit der Rechtslage.“, kommentierte Hauptgeschäftsführer Dr. Ludwig Veltmann.

Dabei erhält die Digitalisierung eine Schlüsselbedeutung – sowohl bei der bürokratischen Entlastung als auch bei der Stärkung der Lieferkette. Das Gewinnen wertvoller Daten und deren Analyse mittels bspw. Künstlicher Intelligenz kann dabei helfen, Risiken zu senken, Umwelt- und Sozialstandards einzuhalten und den Informationsaustausch weitreichend zu fördern. Zusätzlich bilden moderne Technologien wie Kollaborationsplattformen, Internet of Things, Predictive Analytics, die Blockchain Technologie oder die Additive Fertigung in der Lieferkette einen Wettbewerbsvorteil.

Netto-Null-Industriegesetz: bürokratische Entlastung, Diversifikation und Förderung der Wettbewerbsfähigkeit

Die Befürchtungen vieler Wirtschaftsverbände, das LkSG werde zum Abbruch bestehender Geschäftsbeziehungen führen, bestätigten sich laut aktueller DIHK-Umfragen jedoch nicht. Denn in vielen Unternehmen plane man bei der Sicherung ihrer Lieferketten eine Diversifikationsstrategie und beweise Widerstandsfähigkeit in Krisenzeiten: „Von Schockstarre der Wirtschaft keine Spur! Mit Hochdruck suchen die Unternehmen neue Lieferanten beziehungsweise versuchen die bestehenden zunehmend zu diversifizieren.“, sagte der DIHK-Außenwirtschaftschef Volker Treier zuversichtlich.

Die EU-Kommission zeigt Bemühungen, um die Transformation der deutschen Wirtschaft zu beschleunigen. Mit dem Netto-Null-Industriegesetz möchte die Europäische Kommission Bürokratieabbau und Subventionen in saubere Technologien beschleunigen.

Außerdem stehe die Unabhängigkeit der Lieferkette genauso im Mittelpunkt: „Wir verstärken unsere Zusammenarbeit mit zuverlässigen Handelspartnern auf der ganzen Welt, um die derzeitige Abhängigkeit der EU von nur einem oder wenigen Ländern zu verringern. Es liegt in unserem gemeinsamen Interesse, die Produktion auf nachhaltige Weise hochzufahren und gleichzeitig ein Höchstmaß an Diversifizierung der Lieferketten für unsere europäischen Unternehmen zu gewährleisten“, sicherte die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen zu.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt

 

 

X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

Oliwia Kowalak

Oliwia Kowalak ist frei Journalistin mit den Schwerpunkten Wirtschaft und Finanzen. Sie schreibt unter anderem über den deutschen Mittelstand, Executive Search, Digitalisierung/IT und Nachhaltigkeit 
DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Abwanderung von Fachkräften: Immer mehr deutsche Arbeitnehmer verlassen ihr Heimatland
21.08.2025

Immer mehr Deutsche sagen Adieu und wandern aus: 2024 waren es 270.000 Ausreisewillige, 2025 wird ein neuer Rekordwert erwartet. Doch wer...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Freiwillige vor: Neuer Bahnchef gesucht
21.08.2025

Die Deutsche Bahn steckt in ihrer tiefsten Krise, doch der Verkehrsminister drängt auf schnellen Wechsel an der Spitze. Während geeignete...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Stellenanzeigen: Firmen verschenken Potenzial mit fehlender Familienfreundlichkeit
21.08.2025

Deutsche Unternehmen reden gern über Familienfreundlichkeit, doch in den Stellenanzeigen bleibt davon wenig übrig. Eine neue Analyse...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft US-Importzoll auf Autos aus EU soll rückwirkend sinken
21.08.2025

Washington senkt seine Importzölle auf Autos aus der EU – rückwirkend und überraschend deutlich. Für Europas Autobauer ist das zwar...

DWN
Panorama
Panorama Nord-Stream-Anschlag: Carabinieri verhaften Ukrainer wegen Sprengstoff-Operation
21.08.2025

Seit zwei Jahren ermittelt die Bundesanwaltschaft im Fall der gesprengten Nord-Stream-Pipelines. Nun gerät ein Ukrainer ins Visier, den...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Homeoffice auf Rezept? Ärztliches Attest bedeutet keinen Anspruch aufs Homeoffice – was zu beachten ist
21.08.2025

Ärztliche Homeoffice-Atteste liefern Hinweise, sind aber kein automatischer Freifahrtschein. Fehlen verbindliche Regeln und ein...

DWN
Politik
Politik Russland erklärt, in die Sicherheitsgarantien für die Ukraine „einbezogen“ werden zu wollen
21.08.2025

Russland will bei den Sicherheitsgarantien für die Ukraine mitreden – und verlangt ein Vetorecht. Experten warnen: Damit droht Moskau,...

DWN
Finanzen
Finanzen Millionen PayPal-Zugangsdaten im Umlauf – das sollten Nutzer jetzt tun
21.08.2025

Millionen PayPal-Zugangsdaten sollen im Darknet zum Verkauf stehen – zu einem erstaunlich niedrigen Preis. Ob es sich um aktuelle Daten...