Der Erlass des umstrittenen Lieferkettengesetz traf auf weitreichende Kritik bei Wirtschaftsverbänden. Einer Stellungnahme des Wirtschaftsverbandes der deutschen Kautschukindustrie e. V. hätte der 2021 vorgelegte Gesetzesentwurf „über das Ziel hinaus geschossen”. Aufgrund mangelnder Ressourcen in KMU bat man um die Überarbeitung des Lieferkettengesetzes in Anlehnung an das französische Recht. Der durch das Monitoring entstehende Kostenaufwand könne viele Unternehmen dazu zwingen, ihre Lieferketten zu reduzieren, argumentierte der Gesamtmetall e. V. Daraus würden erhöhte Risiken für Lieferengpässe und stärkere Abhängigkeiten resultieren. Finanzielle Belastung durch Verlegungen ins Inland und die Benachteiligung der Entwicklungsländer wären nur einige der Sorgen. Die deutsche Wirtschaft könne vom Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz wegen der implizit erhöhten Handelskosten von Handelshemmnissen betroffen sein.
LkSG: Verantwortung für Menschenrechte und Umweltschutz in der Lieferkette
Anlass für die Diskussion der Sorgfalt gab u. a. der Einsturz einer Textilfabrik Rana-Plaza in Dhaka, Bangladesch am 24. April 2013. Die Textilfabrik war Zulieferer namhafter Modeunternehmen, darunter auch deutscher Konzerne. Am Tag vor der Katastrophe weigerten sich viele Arbeitnehmenden das Gebäude zu betreten, da sie Risse in den Wänden bemerkt hätten. Daraufhin hätte das Management mit Verlust des Arbeitsplatzes gedroht, hieß es in einem Bericht der Hans-Böckler-Stiftung. Der Fabrikunfall kostete 1134 Menschen das Leben, 2438 Menschen wurden verletzt.
Bisher ermöglichte die Globalisierung zahlreichen Unternehmen durch kostengünstigen Bedingungen im Ausland, Umsätze zu stärken. Nach Angaben des BMUV würden weltweit 1,4 Milliarden Menschen unter menschenunwürdigen Bedingungen arbeiten. Brandkatastrophen, Umweltzerstörung, Verfolgung von Gewerkschaftlern sind nur ein Bruchteil der Verletzungen, die Oxfam Deutschland in einer Liste von Menschenrechtsverletzungen durch deutsche Konzerne festhielt.
Mit dem Beschluss des umstrittenen LkSG sei nach Meinung der Oxfam-Expertin Franziska Humbert eine „Minimallösung” geschaffen. „Bis zuletzt hat die Wirtschaftslobby Hand in Hand mit Minister Altmaier beim Verwässern ganze Arbeit geleistet. Daher hat das Gesetz große Lücken”, so die Oxfam-Expertin. Dies bestätigen auch aktuellere Studien der Hamburger Initiative Lieferkettengesetz und die Menschenrechtsorganisation FIAN Deutschland im Falle der Vertreibung von rund 4000 Menschen in Uganda für die Kaweri Kaffeeplantage der Neumann Kaffee Gruppe (NKG). Nach Meinung Dr. Thomas Dürmeier, Volkswirt bei Goliathwatch könne das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz „nur ein Startpunkt sein, weil es durch zu viele menschenrechtliche Lücken unzählige Opfer allein lässt.”.
KMU belastet: Energiekrise, Inflation und bürokratischer Aufwand
Das Inkrafttreten des Lieferkettengesetzes kommt für KMU zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Neben finanziellen Belastungen durch die Energiekrise sowie der anhaltenden Inflation sind die erschwerten Arbeitsmarktbedingungen für viele Mittelständler zur existenziellen Bestandsprobe geworden. Dies erkannte auch die CDU/CSU-Fraktion und bemühte sich in einem Antrag an die Bundesregierung, Unternehmen in Krisenzeiten zu entlasten und das Lieferkettengesetz zum 1. Januar 2023 aussetzen zu lassen. Im Antrag der CDU/CSU hieß es: „In einer Zeit, in der diese Verwerfungen schon jetzt zu tiefgreifenden Lieferkettenstörungen führen, bedarf es umso mehr eines regulatorischen Innehaltens und einer Aussetzung der Anwendung des LkSG“.
Die Komplexität der Sorgfaltspflicht ist für Unternehmen überwältigend. So wüssten 25 Prozent der befragten Unternehmen einer Coupa-Umfrage zufolge nicht mal, mit wie vielen Lieferanten ihre Lieferanten zusammenarbeiten. Markus Hornburg, VP Global Product Compliance Coupa, sagte dazu: „Bei unserer ersten Umfrage im Februar 2022 standen die meisten Unternehmen noch am Anfang ihrer Vorbereitungen für das Lieferkettengesetz. Jetzt ist es da und den Unternehmen wird endlich – und wahrscheinlich schockierend – bewusst, was es wirklich bedeutet. Die schlechteren Werte in unserer jetzigen Befragung zeigen, dass sie sich – nachdem sie sich eingehend mit den Anforderungen befasst haben – Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten, das neue Gesetz einzuhalten, verloren haben“.
Befürchtungen vor dem unverhältnismäßigen, administrativen Aufwand verursachten bei Mittelständlern Verunsicherung. Der Aufwand der Berichterstattung schwankt je nach Unternehmensgröße. Für kleine und mittelständische Unternehmen ergeben sich laut IfM-Berechnungen im Bereich Compliance Werte von 0,004 bis ein Prozent. Die Lieferkettenberichterstattung stellt allerdings nur einen Bruchteil der bürokratischen Pflichten dar. Für ein kleines Unternehmen errechnete die Studie einen bürokratischen Aufwand von 3,2 Prozent des Umsatzes.
Darüber hinaus sind Anforderungen an den gesamten Katalog der Nachhaltigkeitsberichterstattung immens. Die EU-Kommission verlange einer Analyse des Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände zufolge die Erhebung von 1144 Datenpunkten. Zudem werden für die Berichterstattung klar definierte Standards durch das 400-Seiten lange Dokument „European Sustainability Reporting Standards” vorgegeben. BDA-Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter kommentierte gegenüber der WELT AM SONNTAG: „Die Politik muss den Weg für nachhaltiges Wirtschaften ebnen, aber keine bürokratischen Stolpersteine streuen.“ Der Mittelstandsverbund schlug konkrete Maßnahmen zur Entlastung vor. „Es braucht einen begleitenden Mentalitätswandel in der Verwaltung hin zu einem konstruktiven Ansatz im Verwaltungshandeln – selbstverständlich unparteiisch und im Einklang mit der Rechtslage.“, kommentierte Hauptgeschäftsführer Dr. Ludwig Veltmann.
Dabei erhält die Digitalisierung eine Schlüsselbedeutung – sowohl bei der bürokratischen Entlastung als auch bei der Stärkung der Lieferkette. Das Gewinnen wertvoller Daten und deren Analyse mittels bspw. Künstlicher Intelligenz kann dabei helfen, Risiken zu senken, Umwelt- und Sozialstandards einzuhalten und den Informationsaustausch weitreichend zu fördern. Zusätzlich bilden moderne Technologien wie Kollaborationsplattformen, Internet of Things, Predictive Analytics, die Blockchain Technologie oder die Additive Fertigung in der Lieferkette einen Wettbewerbsvorteil.
Netto-Null-Industriegesetz: bürokratische Entlastung, Diversifikation und Förderung der Wettbewerbsfähigkeit
Die Befürchtungen vieler Wirtschaftsverbände, das LkSG werde zum Abbruch bestehender Geschäftsbeziehungen führen, bestätigten sich laut aktueller DIHK-Umfragen jedoch nicht. Denn in vielen Unternehmen plane man bei der Sicherung ihrer Lieferketten eine Diversifikationsstrategie und beweise Widerstandsfähigkeit in Krisenzeiten: „Von Schockstarre der Wirtschaft keine Spur! Mit Hochdruck suchen die Unternehmen neue Lieferanten beziehungsweise versuchen die bestehenden zunehmend zu diversifizieren.“, sagte der DIHK-Außenwirtschaftschef Volker Treier zuversichtlich.
Die EU-Kommission zeigt Bemühungen, um die Transformation der deutschen Wirtschaft zu beschleunigen. Mit dem Netto-Null-Industriegesetz möchte die Europäische Kommission Bürokratieabbau und Subventionen in saubere Technologien beschleunigen.
Außerdem stehe die Unabhängigkeit der Lieferkette genauso im Mittelpunkt: „Wir verstärken unsere Zusammenarbeit mit zuverlässigen Handelspartnern auf der ganzen Welt, um die derzeitige Abhängigkeit der EU von nur einem oder wenigen Ländern zu verringern. Es liegt in unserem gemeinsamen Interesse, die Produktion auf nachhaltige Weise hochzufahren und gleichzeitig ein Höchstmaß an Diversifizierung der Lieferketten für unsere europäischen Unternehmen zu gewährleisten“, sicherte die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen zu.