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Gesamtes niederländisches Heer deutschem Kommando unterstellt

Lesezeit: 4 min
27.04.2023 12:13  Aktualisiert: 27.04.2023 12:13
Berlin und Den Haag treiben die Integration ihrer Streitkräfte rapide voran. Ein Meilenstein auf dem Weg zu einer EU-Armee?
Gesamtes niederländisches Heer deutschem Kommando unterstellt
Die Bundeswehr hat das Kommando über das niederländische Heer übernommen: Kajsa Ollongren, Verteidigungsministerin der Niederlande mit Boris Pistorius, Verteidigungsminister von Deutschland. (Foto: dpa)
Foto: Heiko Becker

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Die Landstreitkräfte der Niederlande sind komplett deutschem Oberkommando unterstellt worden. Bereits in den vergangenen Jahren waren mehrfach einzelne Teile der Streitkräfte beider Länder unter einem Oberkommando zusammengeschlossen worden.

Wie der Nachrichtenblog German Foreign Policy berichtet, soll die Unterstellung des niederländischen Heeres unter Bundeswehr-Kommando im Rahmen der deutsch-niederländischen Regierungskonsultationen Ende März vereinbart worden sein.

„In diesem Zusammenhang steht auch der Beschluss, die 13. Leichte Brigade der Niederlande in die deutsche 10. Panzerdivision zu integrieren. (…) Zwar stehen einzelne Truppenstrukturen der Bundeswehr ihrerseits unter niederländischem Kommando. Mit der Eingliederung der 13. Leichten Brigade sind nun aber sämtliche Gefechtseinheiten des niederländischen Heeres deutschem Kommando unterstellt“, so German Foreign Policy.

Ziel „Tiefenintegration“

Anfang Dezember hatten der deutsche Heeresinspekteur Alfons Mais und sein niederländisches Pendant Martin Wijnen in Dresden eine verstärkte Kooperation beider Länder beschlossen, welche vorerst nun in der Unterstellung der niederländischen Landkräfte unter deutsche Kommandostrukturen gipfelte.

„Der völkerrechtswidrige Angriff Russlands auf die Ukraine“, teilte die Bundeswehr damals mit, „hat das Umdenken beschleunigt, die militärische Verteidigungsbereitschaft Europas als gemeinsame Aufgabe anzugehen“, berichtet der Tagesspiegel. Daher hätten sich beide Landstreitkräfte „zu einer Tiefenintegration entschlossen.“

Der Tagesspiegel schildert weitere Inhalte des Abkommens: „Konkret geht es um Vorhaben, die nicht sofort spektakulär wirken: Die Zahl an Austauschoffizieren wird erhöht. Vorschriften werden weiter angeglichen, damit der Mechaniker des einen auch am Gerät des anderen Landes herumschrauben darf. In der Ukraine zeigte sich, dass die gemeinsam gelieferten Panzerhaubitzen 2000 im eigenen Betrieb so angepasst worden waren, dass sie nicht miteinander kommunizieren konnten.“

Künftig sollen deshalb vermehrt identische oder kompatible Waffensysteme gekauft werden. Auch auf dem Feld der Doktrinen und Konzepte wolle man enger zusammenarbeiten. Dasselbe gilt auch für die Bereiche Cyber- und Weltraumkriegsführung.

Verstärkte Kooperation seit 2013

Deutschland und die Niederlande treiben seit einigen Jahren die Integration ihrer Streitkräfte schrittweise voran.

Bereits 1995 wurde mit dem I. Deutsch-Niederländischen Corps eine gemeinsam verwaltete Militäreinheit geschaffen. Dem Corps gehören Streitkräfte aus mehreren anderen Ländern an, das Kommando rotiert jedoch im Dreijahrestakt zwischen Berlin und Den Haag.

2013 nahm die Kooperation dann Fahrt auf, nachdem sich beide Regierungen auf einen Ausbau ihrer militärischen Zusammenarbeit verständigt hatten: seit 2014 hat die Bundeswehr das Kommando über einzelne niederländische Landstreitkräfte inne, im Jahr 2015 wurde ein gemeinsames Panzerbattaillon aufgestellt, im Jahr 2016 folgte die Unterstellung der niederländischen 43. Mechanisierten Brigade unter die 1. Panzerdivision der Bundeswehr.

Im Jahr 2018 wiederum wurde „die deutsche Flugabwehrraketengruppe 61 in das niederländische Kommando Bodengebundene Luftverteidigung und 2019 ein deutsches Seebataillon in das niederländische Korps Mariniers integriert“, berichtet German Foreign Policy weiter.

Im Gegenzug erhält Deutschland Zugriff auf niederländische Kapazitäten für den Seetransport von Ausrüstung und Truppen, wie das Verteidigungsministerium auf seiner Homepage schreibt: „Mit dem Ausbau der maritimen Zusammenarbeit erreichte die bilaterale Zusammenarbeit eine weitere Stufe: Deutschland und die Niederlande unterzeichneten eine Absichtserklärung zur schrittweisen Integration des Seebataillons der deutschen Marine in die niederländische Marine. Im Seebataillon sind die Marineschutzkräfte, die Minentaucher und Boarding-Soldaten zusammengefasst. Die Marinekräfte absolvieren gemeinsame Übungen und es findet ein regelmäßiger Austausch von Personal statt.Gleichzeitig wurde der Einstieg in den Fähigkeitsaufbau zum gesicherten und weitreichenden Seetransport der Bundeswehr mit den Niederlanden vereinbart. Die verstärkte maritime Kooperation sieht unter anderem vor, dass die deutsche Marine das Joint Support Ship der Niederländer zum Transport von Personal und Material mitnutzen kann.“

Auf dem Weg zur EU-Armee?

Beobachter sind sich darüber uneinig, ob die deutsch-niederländische Integration ein Testlauf für eine gesamteuropäische Armee ist.

Das niederländische Verteidigungsministerium erklärte, dass die Integration nicht zu einer europäischen Armee führen werde. Die Zusammenarbeit zwischen den Niederlanden und Deutschland werde aber weiter ausgebaut – alleine schon deshalb, weil beide Seiten vermehrt dieselben Waffensysteme nutzen (beispielsweise den Panzer Leopard II). Beide Regierungen entscheiden aber weiterhin separat, ob Truppen in einen Einsatz geschickt werden, berichtet der Tagesspiegel.

German Foreign Policy sieht in der Entwicklung hingegen auch den Versuch Berlins und Den Haags, innerhalb der NATO ein stärkeres europäisches Gegengewicht zur US-amerikanischen Dominanz aufzubauen. Bei den deutsch-niederländischen Regierungskonsultationen hätten sich beide Lager für eine „offene strategische Autonomie Europas“ ausgesprochen. Ähnlich hatte sich zuletzt auch Frankreichs Präsident Emanuel Macron geäußert.

Die amtierende EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte sich als deutsche Verteidigungsministerin mit Blick auf die deutsch-niederländische Kooperation im Militärbereich für den Aufbau einer EU-Armee ausgesprochen. „Das ist der Weg zu einer europäischen Verteidigungsunion“, sagte sie.


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