Politik

Europa gerät in Afrika in die Defensive

Lesezeit: 8 min
07.05.2023 10:00
Russland weitet seinen Einfluss in Westafrika auf Kosten der Europäer aus. Deren Hoffnungen in der Region ruhen jetzt auf einem Land.
Europa gerät in Afrika in die Defensive
Verteidigungsminister Boris Pistorius in Mali. Die EU steht in Westafrika unter Druck. (Foto: dpa)
Foto: Michael Kappeler

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Die Länder der Europäischen Union - insbesondere die Führungsmächte Frankreich und Deutschland - sind im Machtkampf mit Russland in Westafrika in die Defensive geraten. So haben nicht nur Mali und Burkina Faso zuletzt westliche Truppen des Landes verwiesen, sondern auch in der Zentralafrikanischen Republik und im Tschad stoßen die Europäer auf wachsenden Druck.

Niger – „Anker“ des Westens

Die Hoffnungen, die eigene Präsenz in der Sahelzone zu untermauern und den russischen Einfluss in der Region zurückzudrängen, ruhen nun auf dem Niger.

Der Bundestag hatte deshalb am vergangenen Freitag grünes Licht für die Beteiligung deutscher Soldaten an einer neuen „Partnerschaftsmission“ der EU im Niger (EUMPM Niger) gegeben. Die Bundeswehr kann damit bis zu 60 Männer und Frauen entsenden, um in dem westafrikanischen Land einen Beitrag zum weiteren Aufbau der nigrischen Streitkräfte zu leisten, die im Kampf gegen islamistische Terroristen und bewaffnete Banden stehen, berichtete die Nachrichtenagentur dpa.

Für den Einsatz votierten am Freitag in Berlin 531 Abgeordnete (Nein: 102, Enthaltungen 5). Das Mandat wurde bis zum 31. Mai 2024 erteilt.

Die EU setzt offenbar darauf, im Niger einen „Stabilitätsanker“ zu schaffen, der als Plattform für eine Machtprojektion in die umliegenden Länder genutzt werden kann. Die Voraussetzungen dafür erscheinen vorteilhaft: die Führung des Landes gilt als pro-westlich und hatte in der Vergangenheit bereits Truppen aus Europa und den USA ins Land gelassen.

Beispielsweise unterhält die Bundeswehr einen Lufttransportstützpunkt am Flughafen der Hauptstadt und bildet seit 2017 nigrische Soldaten in Deutschland aus. Auch ein deutscher Militärberater ist in Niamey aktiv.

Die US-Armee hat im Norden des Landes eine Basis eingerichtet, die unter anderem der Drohnenkriegsführung dient. Die französische Armee hat ebenfalls Truppen in ihrer ehemaligen Kolonie stationiert, welche eng mit den nigrischen Streitkräften bei der Bekämpfung von islamistischen Milizen zusammenarbeitet. Militante Rebellen breiten sich ausgehend vom Norden Malis seit 2012 in der Region aus. Das Dreiländereck zwischen Mali, Niger und Burkina Faso ist zu einer der gefährlichsten Regionen der Welt geworden.

Wie German Foreign Policy berichtet, hilft die Regierung Mohamed Bazoum den Europäern darüber hinaus, indem sie Flüchtlingsströme nach Norden unterbindet und sie soll im Gegenzug in den vergangenen Jahren aus Deutschland Militärhilfe in der Größenordnung von rund 100 Millionen Euro erhalten haben.

EUMPM Niger wurde beauftragt, die nigrischen Streitkräfte bei einem Kapazitätsaufbau zu unterstützen. Drei Projekte sollen den Kern bilden: der Aufbau einer technischen Schule, eine spezialisierte Ergänzungsausbildung für bestehende Verbände sowie der Aufbau eines Führungsunterstützungsbataillons. Eine Beteiligung an Kampfeinsätzen ist ausdrücklich ausgeschlossen.

Die Sicherheitslage in der Sahelregion habe sich trotz erheblicher internationaler Unterstützung weiter verschlechtert, erklärt die Bundesregierung zu dem Mandat. „Terroristische Gruppen konnten ihre Operationsräume auf weite Teile von Mali, Burkina Faso und teilweise auch Niger ausweiten. Infolge hat auch die Bedrohung in den Grenzregionen der Sahelstaaten mit den Küstenstaaten spürbar zugenommen“, heißt es in dem nun beschlossenen Antrag. Sich gegenseitig verschärfende Krisen schwächten Stabilität und Entwicklungschancen der Region „und berühren außen- und sicherheitspolitische Interessen Deutschlands und Europas unmittelbar.“

Das Beispiel Niger verweist auf einen weiteren Aspekt, der zum Verständnis der Aktivitäten fremder Mächte in Afrika (und überall auf der Welt) wichtig ist: Rohstoffe. So ist Niger der wichtigste Uranlieferant für die europäischen Länder und kritisch bedeutsam für das Funktionieren der französischen Atomkraftwerke, mithilfe derer das Land rund zwei Drittel seiner Elektrizität generiert.

Wagner-Söldner in Mali

Problematisch aus Sicht der Europäer und der Amerikaner ist der Umstand, dass Russland seinen Einfluss im Sahel in den vergangenen Jahren deutlich ausbauen konnte.

So setzt die Regierung Malis inzwischen bei der Bekämpfung der Milizen offenbar auf Kräfte der russischen Söldnergruppe „Wagner“. Russlands Außenminister Sergej Lawrow bestätigte im September 2021, dass die malische Regierung Kontakt zu Wagner aufgenommen hatte.

Im Vorfeld hatte Russland seine Beziehungen zu den westafrikanischen Ländern auszubauen versucht. German Foreign Policy berichtet: „Die Regierung in Bamako hat bereits im Juni 2019 ein Abkommen mit Moskau geschlossen, das ein gewisses Maß an Militärkooperation vorsieht. Auf russischer Seite ist die Kooperation mit Mali eingebunden in Bestrebungen, die Beziehungen zu den Staaten Afrikas insgesamt zu intensivieren; einen ersten Höhepunkt stellte dabei der Russia-Africa Summit and Economic Forum am 23./24. Oktober 2019 in Sotschi dar. Auf dem Treffen zog der Exekutivsekretär des Zusammenschlusses G5 Sahel (Mauretanien, Mali, Burkina Faso, Niger, Tschad), Maman Sambo Sidikou, erstmals öffentlich in Betracht, Russland könne zu gegebener Zeit eine Rolle bei der Stabilisierung des Sahel spielen. Der russische Präsident Wladimir Putin wiederum kündigte an, Moskau wolle künftig enger mit afrikanischen Staaten kooperieren - unter anderem im Anti-Terror-Kampf. Putin fügte damals, anspielend auf die neokoloniale Einflussnahme der westlichen Mächte, hinzu, Russland könne den Staaten Afrikas damit zugleich helfen, "ihre Unabhängigkeit und Souveränität zu schützen.“

Parallel zur Annäherung an Russland hat Bamako die europäischen Truppen aktiv aus dem Land gedrängt. Bereits im August vergangenen Jahres musste die Bundeswehr 60 Mann vom internationalen Flughafen in Bamako abziehen, nachdem die malische Regierung ein Aufenthaltsverbot für ausländische Truppen in einem Logistikbereich des Flughafens ausgesprochen hatte.

Zuvor hatte Malis Militärregierung den europäischen und westlichen Streitkräften, welche seit rund zehn Jahren im Rahmen einer UN-Mission („Minusma“), zweier französischer Missionen („Barkhane“ und „Takuba“) und einer EU-Ausbildungsmission („EUTM“) im Land aktiv waren, die Überflugrechte für Transportmaschinen des Typs A400 M und damit eine wichtige logistische Grundlage des Einsatzes entzogen.

Neben Minusma und EUTM gab es noch einen Einsatz namens „EUCAP Sahel Mali“, der europäische Hilfe für die nationale Polizei, die nationale Gendarmerie und die Nationalgarde bei der Umsetzung einer Sicherheitsreform vorsah.

Die Bundeswehr wird ihre letzten Einheiten angesichts der erschwerten Bedingungen im Mai 2024 aus Mali abziehen. Die Bundesregierung hatte zuletzt rund 1.300 Mann in Mali stationiert – etwa 1.000 im Rahmen der Minusma-Mission und rund 300 unter dem Dach von EUTM. Frankreich hat sein Kontingent von mehr als 5.000 Soldaten bereits aufgelöst – ebenso wie Kanada.

Rückzug aus Burkina Faso

Auch Malis südöstlicher Nachbar Burkina Faso hat seine Gangart gegenüber dem Westen verschärft. Im Januar hatte die Regierung die im Land befindlichen französischen Truppen zur Ausreise aufgefordert. Paris zog daraufhin rund 400 Soldaten ab, welche bis dato die Regierungstruppen im Kampf gegen Milizen unterstützt hatten.

Unklar ist, ob die Regierung des westafrikanischen Staates auf Wagner-Söldner zurückgreifen wird, um die durch den Abzug der Franzosen entstandene qualitative Lücke zu schließen.

Nach der Machtübernahme im Zuge eines Putsches im September vergangenen Jahres hatte die neue Regierung Burkina Fasos Gesprächskanäle nach Moskau gesucht. Der Premierminister, Apollinaire Kyélem de Tambèla, war im Dezember zu einem Treffen mit dem Kreml nach Russland gereist. „Wir wollen, dass Russland ein Verbündeter in unserem Kampf gegen den Terrorismus ist, wie alle unsere Partner. „Wir verstehen, dass Russland eine Großmacht ist und wenn Russland will, dann kann es uns in diesem Bereich wirklich helfen“, zitiert das Wall Street Journal Kyélem de Tambèla.

Bislang existieren keine Verlautbarungen oder Beweise, dass Wagner-Söldner in Burkina Faso aktiv sind. Ghanas Präsident behauptet jedoch, dass ein entsprechender Vertrag bereits abgeschlossen wurde. Bezahlt würden die Wagner-Kämpfer in Form einer Mine, deren Produktion sie einziehen könnten. Burkina Faso dementierte die Behauptungen der ghanaischen Regierung.

Bemerkenswert ist zudem, dass die US-Regierung Burkina Faso im Januar aus einem Freihandelsabkommen ausschloss, welches mehrere westafrikanische Staaten und die USA verbindet. Begründet wurde die Strafmaßnahme mit dem Putsch im vorangegangenen September.

Rückzug aus Zentralafrika

Im Dezember 2021 hatte die EU zudem hat ihr militärisches Ausbildungsprogramm in der Zentralafrikanischen Republik abrupt beendet. Dutzende entsandte Militärberater seien nach Europa zurückgekehrt, berichtete der EU Observer. Begründet wurde der Schritt auch in diesem Fall mit dem wachsenden Einfluss, den Wagner-Söldner in dem Land ausüben sollen.

„Die vorübergehende Aussetzung unserer Operationen zielt darauf ab, jegliche Überlappungen mit diesen Söldnern zu vermeiden und sicherzustellen, dass sie nicht die von uns trainierten Soldaten der Zentralafrikanischen Republik benützen“, sagte der Kommandeur der EU-Mission, Jacques Langlade de Montgros.

Die EU hatte am 13. Dezember desselben Jahres Sanktionen gegen Wagner und mit der Organisation verbundene Unternehmen und Personen verhängt. Grund für den Schritt waren insbesondere die Aktivitäten von Wagner in Syrien, Libyen und der Ukraine – darunter angeblich „Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe, außergerichtliche, summarische oder willkürliche Hinrichtungen und Tötungen“, wie aus einem in Brüssel gefassten Beschluss der Außenminister hervorgeht, aus dem die dpa zitiert.

Wie Voice of America berichtet, sind russische Paramilitärs seit dem Jahr 2018 im Land aktiv und sollen sogar der Regierung dabei geholfen haben, einen Angriff von Rebellen auf die Hauptstadt abzuwehren.

Foreign Policy zufolge versteht es Russland in der Zentralafrikanischen Republik genauso wie anderswo in Afrika, sein Engagement geschickt als Hilfe gegen die angeblich ausbeuterischen ehemaligen Kolonialherren zu vermarkten. In der Bevölkerung bestehe ein gewisser Rückhalt für die Russen: „Einige Aspekte von Wagners rosiger Selbstbeschreibung seiner Tätigkeiten in Afrika sind wahr. Die Bereitschaft, zusammen mit den Militärjuntas von Mali und Burkina Faso gefährliche Operationen (gegen Rebellen - der Autor) durchzuführen, generiert unter der lokalen Bevölkerung Unterstützung“, schreibt Foreign Policy.

Wie stark ist Russlands Einfluss in Afrika?

Angesichts der Entwicklungen in Mali, Burkina Faso, Niger und der Zentralafrikanischen Republik stellt sich die Frage, welche Ziele die großen Mächte in der Region verfolgen und – aus europäischer Perspektive – wie stark Moskau seinen Einfluss zwischen Atlantik und Rotem Meer in der jüngeren Vergangenheit auf Kosten der EU ausbauen konnte.

Auch wenn konkrete Motive des Engagements im Einzelfall voneinander abweichen, geht es den USA, Russland, China, der EU und einzelnen wichtigen Akteuren wie der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich darum, ihren politischen Einfluss mit dem Ziel auszubauen, wirtschaftliche Vorteile (etwa Konzessionen zum Abbau von Bodenschätzen) zu erlangen oder militärische Stützpunkte aufzubauen.

Moskau hat seine Anstrengungen in dieser Richtung in den vergangenen Jahren offenbar deutlich verstärkt. Im Sommer 2020 berichtete die Bild-Zeitung unter Berufung auf einen bekanntgewordenen internen Bericht des deutschen Außenministeriums, dass Russland seit dem Jahr 2015 mit 21 afrikanischen Staaten militärische Abkommen geschlossen habe. Zuvor habe Moskau nur über vier solcher Vereinbarungen verfügt.

In sechs dieser Staaten dürfe Moskau Militärbasen errichten, so der Bericht. Dabei handele es sich um die Zentralafrikanische Republik, Ägypten, Eritrea, Madagaskar, Mosambik und den Sudan.

Am Rande sei angemerkt: der gegenwärtig im Sudan tobende Machtkampf scheint eine primär sudanesische Angelegenheit und kein Stellvertreterkrieg zwischen den Großmächten wie beispielsweise in Syrien oder im Jemen sein.

Die Wagner-Gruppe diene dem Kreml dabei als „hybrides Instrument zur Ausübung von politischem, wirtschaftlichem und militärischem Einfluss“, zitiert das Militärjournal SOFREP aus dem Bericht.

Ein weiteres wichtiges machtpolitisches Standbein Russlands in Afrika sind Waffenverkäufe. Etwa ein Drittel aller auf den afrikanischen Kontinent gelieferten Waffen sollen aus russischer Produktion stammen, schätzen Beobachter. Dahinter folgen amerikanische Hersteller sowie Franzosen und Chinesen.

Bemerkenswert ist, dass Russland seine Position in Westafrika vornehmlich auf Kosten Frankreichs stärkt. Nahezu alle Länder des Sahelgürtels von Mauretanien im Westen bis zum Tschad im Osten standen bis Mitte des vorigen Jahrhunderts unter der kolonialen Herrschaft Frankreichs und Paris übt bis heute einen großen politischen und wirtschaftlichen Einfluss auf das französischsprachige Afrika aus.

Den Russen scheint es gelungen zu sein, Frankreich in Mali und in der Zentralafrikanischen Republik zu verdrängen. In Mauretanien – besonders aber in Niger und im Tschad verfügt Paris nach wie vor über eine dominante Stellung. German Foreign Policy skizziert diese wie folgt: „Der Tschad gilt als typisches Land der Françafrique, der ehemaligen französischen Kolonien in Afrika. Die fortgesetzte neokoloniale Abhängigkeit auch nach der offiziellen Unabhängigkeit wird getragen, wie es in einer Untersuchung über die Region heißt, von „hochpersonalisierten Netzwerken, die einen französischen Zugang zu Ressourcen und Märkten in Afrika garantieren“. Dabei ist die Rede von einer Art „Hinterhof“ („pré carré“), der es durch „klientelistische und korrupte Aktivitäten“ erlaubt, eine „politische und ökonomische Kontrolle aufrechtzuerhalten“, die einer „Kolonialbeziehung“ ähnelt.“

Russland wird – wie alle regionalen Akteure – wahrscheinlich versuchen, seinen Einfluss im westlichen Afrika auszubauen. Angesichts der zunehmenden geopolitischen Konfrontation mit den USA und der EU ist nicht ausgeschlossen, dass neue Stellvertreterkriege entstehen werden – gerade auch auf dem ressourcenreichen afrikanischen Kontinent. Die Ressourcen bilden eine Finanzierungsquelle, auf die Russland wegen des sich in die Länge ziehenden Krieges gegen die Ukraine zunehmend angewiesen sein könnte.

Das Ron Paul Institute fasst die Lage folgendermaßen zusammen: „Es ist sicher, anzunehmen, dass Russlands Interessen in Afrika jenen der USA und Chinas ähneln. Auf der einen Seite versuchen sie, den westlichen Einfluss in der Region zu kontern, indem sie jenen Ländern Partnerschaften anbieten, die bereit sind, ihre Abhängigkeit von westlicher Unterstützung zu reduzieren. (…) Der wachsende Einfluss Moskaus in der Region wird von der großen Zahl natürlicher Ressourcen und wachsender Volkswirtschaften angetrieben. (…) Russlands Engagement in Afrika kann als opportunistisch eingestuft werden, weil man die Fehler des Westens oft ausnutzt. Alles in allem erreicht Russlands Einfluss noch nicht jenes Niveau der Vereinigten Staaten, Chinas oder einiger europäischer Länder, aber er wächst und Moskau wird wahrscheinlich auch in den kommenden Jahren nach Wegen suchen, seine Präsenz in der Region auszubauen.“


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