Gewerkschaften und Großindustrie begrüßen sie; Mittelstand und sachverständige Ökonomen warnen hingegen eindringlich vor ihrer Einführung: Die Pläne von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck mit einem günstigen Industriestrompreis unter die Arme helfen, stoßen vielerorts auf größte Bedenken. Denn was auf den ersten Blick so einleuchtend aussieht, entpuppt sich beim näheren Hinsehen als ein gefährlicher Weg mit nicht wenigen Fallstricken.
Industrie-Strompreis soll bis 2030 gedeckelt werden
Das sechsseitige Arbeitspapier aus dem Hause Habeck beschreibt den Druck, unter dem die energieintensive Industrie in Deutschland stehe und warnt davor, dass wichtige Industriezweige Deutschland den Rücken kehren könnten. Zwar zeigt man sich im Ministerium zuversichtlich, dass es ab 2030 gelingen werde, Unternehmen zu günstigen Konditionen mit Strom aus erneuerbaren Energien zu versorgen. Doch bis 2030 müsse der Industrie mit einem „Brückenstrompreis“ geholfen werden, damit sie gegenüber der ausländischen Konkurrenz wettbewerbsfähig bleibe.
Um die „Zwischenphase“ bis 2030 überbrücken zu können sei, so das Papier aus dem Habeck-Ministerium, ein gedeckelter Preis von sechs Cent pro Kilowattstunde für „einen klar definierten Empfängerkreis“ nötig. Dieser Preis müsse „aus öffentlichen Mitteln“ finanziert werden. Laut EU-Statistik lag der Preis in Deutschland im Schnitt bei über 19 Cent, in den USA hingegen ist Strom auch für weniger als fünf Cent zu haben.
Konkret will Habeck den Kreis der Empfänger auf „energieintensive Industrieunternehmen“ einschränken. Der „Brückenstrompreis“ solle, so die Habeck-Ministerialen, bis 2030 befristet sein und dann automatisch auslaufen. Die Kosten schätzt das Ministerium auf 25 bis 30 Milliarden Euro. Bezahlt werden soll die Summer aus den Mitteln des 2020 eingerichteten Wirtschaftsstabilisierungsfonds, also aus Steuermitteln.
Industrie begünstigt, Mittelstand bleibt außen vor
Doch Habecks Ansinnen, stößt besonders beim Mittelstand auf entschiedene Ablehnung. Der Vorsitzende des Bundesverbands der Mittelständischen Wirtschaft (BVMW), Markus Jerger, befürchtet eine Benachteiligung der mittelständischen Wirtschaft. Das Bundeswirtschaftsministerium solle „zur Kenntnis nehmen, dass durch Zulieferbeziehungen der gesamte Mittelstand im internationalen Wettbewerb“ stehe. Eine Begrenzung des Empfängerkreises sei deshalb nicht nur falsch, sondern für Teile des Mittelstands geradezu „existenzbedrohend“.
Schärfer noch geht die Unternehmerin Marie-Christine Ostermann mit den Habeck-Plänen ins Gericht. Ostermann, die auch Präsidentin des Verbands der Familienunternehmer ist, verweist darauf, dass es der Bundeswirtschaftsminister und die Grünen gewesen seien, die für die hohen Strompreise verantwortlich seien, indem sie „absichtlich die Stromproduktion in Deutschland verkappt“ hätten. Würden beispielsweise die Kernkraftwerke weiterlaufen, so hätte allein dies den Strompreis um zwölf Prozent reduziert, und zwar für alle Bürger und Unternehmer.
„Das wäre die richtige Brücke bis zum Ausbau der erneuerbaren Energien gewesen“, erklärte Ostermann. Die Vorschläge Habecks aber bedeuteten nun, dass dann „Mittelstand und Arbeitnehmer einige wenige große Stromverbraucher subventionieren“. Die Unternehmerin wirft dem Habeck-Ministerium eine „Fixiertheit auf die Großindustrie“ vor. Die Familienunternehmer erwarteten, dass „die Grünen ihren Wirtschaftsminister endlich dazu bringen, nicht nur ideologische Klimapolitik zu betreiben und nicht nur an Subventionen zu denken“.
Auch Ökonomen kritisieren die Pläne Habecks
Mit dieser Kritik steht der Mittelstand nicht allein; Schützenhilfe bekommt er auch aus der Wissenschaft. Der Präsident des RWI-Leibnitz Institutes und Professor für Ökonomie an der Universität Bochum, Christoph Schmidt, hält Habecks Plan für „keine gute Idee“. Für den früheren Vorsitzenden des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, im Volksmund auch die „Wirtschaftsweisen“ genannt, gibt es „eine Reihe gewichtiger Gründe, dieses Drehen an der Interventionsspirale abzulehnen.“
Schmidt fürchtet eine dauerhafte Subvention, denn ein Auslaufen der Deckelung des Strompreises im Jahre 2030, wie es das Wirtschaftsministerium verspricht, hält er für unrealistisch. Denn, so Schmidt: Mit dem Einstieg in eine Subvention beginne stets das Lobbyieren für ihre Verstetigung. Zudem, so der frühere Wirtschaftsweise, drohten erhebliche Abgrenzungs- und Umsetzungsprobleme und damit große Bürokratiekosten.
Ganz ähnlich sieht es auch der Ökonom Marcel Fratscher. Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung könne in dem Vorschlag des Wirtschaftsministers „nur Nachteile erkennen“. Zum einen halte er das Vorhaben für unsozial. Denn große Unternehmen sollten dem Vorschlag zufolge massiv unterstützt werden, „Bürgerinnen und Bürger vor allem mit geringem Einkommen gehen leer aus, obwohl sie in dieser Krise massive Reallohnverluste und Einschränkung ihres Wohlstands“ erfahren hätten. Das Argument, dass noch genug Geld im Wirtschaftsstabilisierungsfonds sei, aus dem heraus die Subvention finanziert werden könne, hält der Ökonom Fratscher für „unsinnig, denn das Geld fehlt dann anderswo.“
Darüber hinaus hält Fratzscher eine solche Subvention auch in ökologischer Hinsicht für fragwürdig. Denn die Einführung eines staatlich gedeckelten Industriestrompreises konterkariere dringend notwendige Einsparungen und Investitionen in Energie-Effizienz. Am Ende wären Nachteile für den Mittelstand dramatisch. Denn einerseits käme er nicht in den Genuss der Subventionen und hätte daher gegenüber großen Unternehmen einen dauerhaften Wettbewerbsnachteil.
Gleichzeitig müsste der Mittelstand obendrein für die Subvention mitaufkommen – also seinen eigenen Wettbewerbsnachteil finanzieren. Der Ökonom sieht den wahren Grund für die Einführung eines Industriestrompreises denn auch ganz woanders, nämlich in einer Art von Bequemlichkeit in Teilen der Politik: Es sei eben leichter, so Fratscher, eine Subvention einzuführen, als Bürokratie abzubauen und Prioritäten bei der Transformation zu setzen.