Politik

Die Causa Graichen: Habeck ist schwer angezählt

Der Abgang seines Staatssekretärs bringt Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck in höchste Bedrängnis. Denn als Minister ist er für das System wechselseitiger Beziehungen zwischen Ministerium, Verbänden und Öko-Think-Tanks verantwortlich. Und nun droht auch noch eine neue Affäre im Habeck-Ministerium.
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17.05.2023 16:00
Aktualisiert: 17.05.2023 16:47
Lesezeit: 3 min
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Die Causa Graichen: Habeck ist schwer angezählt
Robert Habeck bei der Pressekonferenz am 17. Mai. (Foto: dpa) Foto: Christophe Gateau

Es war, wie Bundeswirtschaftsminister Habeck in einer eilends einberufenen Pressekonferenz sagte, der „eine Fehler zu viel“, den Staatssekretär Patrick Graichen gemacht habe und der zu seiner Entlassung führte. Im Nachgang der sogenannten „Trauzeugen-Affäre“ um Graichen, seien bei ministeriumsinternen Überprüfungen neue Ungereimtheiten aufgetreten.

Dabei ging es um einen Vorgang aus dem vergangenen Jahr. Graichen soll am 30. November 2022 drei Projektskizzen für die nationale Klimaschutzinitiative gebilligt haben. Ein Projekt kam dabei vom Berliner Landesverband des BUND, bei dem Graichens Schwester Mitglied des Vorstands ist.

Mit der Unterschrift des Staatssekretärs wurde das Projekt als förderwürdig eingestuft, eine finale Entscheidung über die Förderung des Projektes mit Steuermittel in Höhe von 600.000 Euro wäre demnach nur noch eine Formsache gewesen. Nachdem dies bekannt wurde, sei Habeck am Dienstagabend im Gespräch mit Graichen zu dem Schluss gekommen, die Zusammenarbeit zu beenden.

Tatsächlich illustriert der neue Fall schlaglichtartig die Probleme eines Systems wechselseitiger familiärer Beziehungen und beruflicher Abhängigkeiten zwischen der Spitze des Ministeriums und einem System von Verbänden und Öko-Think-Tanks, die zu einem nicht geringen Teil von Aufträgen der öffentlichen Hand abhängig sind.

Das Geflecht um Staatssekretär Graichen mitsamt dem verschwägerten zweiten Staatssekretär Michael Kellner und dessen Frau Verena Graichen, die wiederum als „Senior Researcher“ beim Öko-Institut und beim Umweltverband BUND tätig ist, lud zu Interessenskollisionen geradezu ein. Hinzu kam noch, dass Jakob Graichen auch als „Senior Researcher“ beim Öko-Institut arbeitet. Der ist der Bruder von Verena Graichen, so dass diese Schwester und Ehefrau der beiden Staatssekretäre ist.

Und als ob das Geflecht gegenseitiger beruflicher und familiärer Beziehungen nicht sowieso schon längst zu eng gewesen wäre, kam dann noch ein Trauzeuge von Patrick Graichen hinzu, der von demselben auf den hochbezahlten Posten eines Chefs der Deutschen Netzagentur gehievt werden sollte

Noch bis zum Vortag hatte Habeck versucht, die Affäre auszusitzen. Graichen, so die Sprachregelung Habecks und der Grünen, habe einen Fehler gemacht, als er seinen Platz in der Findungskommission nicht räumte als es um die Besetzung des Chefpostens für die Deutsche Energieagentur ging; eine Lässlichkeit, die längst behoben worden sei.

Jedoch legen die Protokolle zu der nicht-öffentlichen Anhörung von Habeck und Graichen zu der „Trauzeugen-Affäre“ den Schluss nahe, dass Graichen eine viel aktivere Rolle eingenommen habe als bisher eingeräumt wurde. So soll er den Namen seines Trauzeugens auf eine Empfehlungsliste für die mit der Suche beauftragten Personalberatung aufgeschrieben haben. Zudem habe er sich in der Findungskommission nachdrücklich für seinen Trauzeugen ausgesprochen, was in einer nur dreiköpfigen Kommission besonderes Gewicht hatte.

Dabei ist die Geschichte des engen Beziehungsgeflechts zwischen grünen Politikern, Umweltaktivisten und Öko-Think-Tanks wohlbekannt. Sie nahm ihren Anfang im Jahre 1977 als das Öko-Institut von 27 Aktivisten gegründet wurde, mit dem Auftrag, für die Anliegen der Öko-Bewegung Gutachten und Sachverständige zu vermitteln.

Als dann 1985 in Hessen Joschka Fischer erster grüner Umweltminister in Deutschland wurde, war dies der Beginn einer langen Zusammenarbeit. Einige Jahre später wurde ein gewisser Rainer Baake Staatssekretär bei Fischer in Hessen und später unter Jürgen Trittin im Bundesumweltministerium. Im Jahr 2001 fing bei Baake ein gerade 29 Jahre alter Referent an, sein Name: Patrick Graichen. Baake gründete später die private Stiftung „Agora Energiewende“.

Dorthin folgte ihm auch Patrick Graichen, der dann auch Geschäftsführer der Stiftung wurde. Es war beinahe zwangsläufig, dass aus solch langjährigen Beziehungen - bestehend aus der grünen Partei, aus Klimaaktivisten, Thinktanks und Verbänden - ein Geflecht gegenseitiger Abhängigkeiten entstand, zu dem auch noch eine Reihe familiärer Beziehungen dazu kamen.

All das hätte Habeck bekannt sein können, ja bekannt sein müssen. Es war absehbar, das bei etlichen Entscheidungen im Ministerium – gerade wenn es um Energiepolitik ging - Interessenskollisionen geradezu dutzendfach lauerten. Dies entweder hingenommen zu haben oder nicht hinreichend bedacht zu haben, geht immer auf das Konto des Ministers selbst.

Und so beginnt folgerichtig die Union, sich auf Habeck einzuschießen. Die Mittelstandspolitikerin der CDU, Gitta Connemann, sagt, dass der Abgang Graichens nur der Anfang sein könne, es gehe dabei nicht um den Fehler eines Staatssekretärs, sondern „um ein System“.

Dabei, so Connemann, sei Habecks Rolle noch nicht geklärt: „Was wusste der Minister? Oder wo hat er wieso weggesehen? Die Möglichkeiten reichen von schlimmstenfalls Beteiligung bis bestenfalls Überforderung.“ Doch auch der Koalitionspartner FDP hat noch Fragen. So mahnte Wolfgang Kubicki an, dass der Rückzug Graichens nicht das Ministerium von seiner Pflicht entbinde, „die dahinterstehenden Vorgänge aufzuklären“.

Und der Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, forderte Habeck nach dem Abgang seines Staatssekretärs auf, die „Arbeitsfähigkeit seines Ministeriums sicherzustellen“; es gebe nicht zuletzt aus der Wirtschaft „hinreichend viele Hinweise, dass da Optimierungsbedarf besteht“.

Für Habeck selbst kommt die Trennung von seinem für Energiefragen zuständigen Staatssekretär kurz vor den anstehenden Beratungen im Bundestag über die Novelle zum Gebäudeenergie-Gesetz zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt.

Und für den Minister könnte es noch schlimmer kommen, denn auch bei einem weiteren Staatssekretär des Hauses Habeck gibt es Klärungsbedarf. Der Staatssekretär Udo Philipp, zuständig im Wirtschaftsministerium für die Bereiche Digitalpolitik, Künstliche Intelligenz, Innovationspolitik und für die deutschen Start-up-Unternehmen hatte mit den Beamten seines Hauses die erste Startup-Startegie der Bundesregierung entworfen.

Philipp aber war zuvor auch Deutschlandchef von EQT, einem der größten Private Equitiy Fonds in Europa, und hatte, so Berichte, privates Geld in mehrere Startup-Unternehmen investiert. Damit könnte der Staatssekretär zum Profiteur der Politik geworden sein, die er als Beamter selbst konzipiert hatte. Träfe dies zu, läge ein klarer Interessenskonflikt vor. Dann allerdings dürfte das politische Überleben des Ministers selbst höchst fraglich sein.

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