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Sinkende Intelligenz: „Die Folgen könnten dramatisch sein“

Lesezeit: 6 min
24.06.2023 09:19  Aktualisiert: 24.06.2023 09:19
Die Intelligenz sinkt Forschern zufolge in den Industrieländern. Das könnte weitreichende Auswirkungen haben, warnen sie. 
Sinkende Intelligenz: „Die Folgen könnten dramatisch sein“
3-D-Illustration des menschlichen Gehirns. (Foto: iStock.com/PALMIHELP)
Foto: PALMIHELP

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Die Filmsatire „Idiocracy“ thematisierte bereits im Jahr 2006 den Niedergang einer Gesellschaft aufgrund eines Intelligenzrückgangs. Der Film beginnt mit einer Art Ursachenanalyse: Intelligente bekommen in der Welt von Idiocracy kaum mehr Kinder, während die weniger Schlauen sich rasant vermehren.

Die Folge: Die Zahl der Intelligenten wird von Generation zu Generation geringer und die Gesellschaft verdummt immer mehr. Etwa funktionieren grundlegendste Infrastrukturen wie die Müllabfuhr nicht mehr, Rechtsanwälte haben keine Ahnung vom Recht und der Präsident ist ein ehemaliger Wrestler und Pornostar. Die Menschen widmen sich vorwiegend dem Konsum und schauen stumpfsinnige TV-Sendungen.

Selbst einfachste Probleme können die Leute nicht mehr lösen: Etwa düngen sie Getreidepflanzen mit einem Softdrink, weshalb die Ernte ausbleibt. Keiner begreift mehr simple Fragen, die vom Protagonisten – einem Zeitreisenden aus der heutigen Gegenwart – gestellt werden.

Intelligenz sinkt Studien zufolge

Was sich im ersten Moment stark übertrieben anhört, hat durchaus Parallelen zur Realität. Etwa sorgte kürzlich eine US-Studie für Schlagzeilen, laut der die Intelligenz in den USA sinkt. Die Forscher untersuchten Testergebnisse von knapp 400.000 US-Amerikanern zwischen 2006 und 2018.

Der Intelligenzrückgang zeigte sich demnach über alle Altersklassen und Geschlechter hinweg. Besonders betroffen waren niedrige Bildungsschichten und 18- bis 22-Jährige. Eine Erklärung für den IQ-Rückgang lieferten die Forscher nicht.

Der Psychologe Heiner Rindermann berichtet in einem aktuellen Fachaufsatz von einer Studie, laut der die Intelligenz von deutschen Schülern um mehr als zwei IQ-Punkte zwischen 2010 und 2019 gesunken ist. Der Autor untersuchte dabei 43 Schulleistungstests, darunter auch die PISA-Tests.

Rechne man das auf weitere 80 Jahre hoch, läge der IQ im Jahr 2100 bei 82 Punkten – statt wie heute bei etwa 100. „Die Folgen könnten dramatisch sein“, heißt es in dem Fachaufsatz. Zwar dürften sie nicht so groß wie im Film Idiocracy sein, aber in der Summe dennoch negativ.

Der Mathematikprofessor Bernhard Krötz berichtete dementsprechend im DWN-Interview, dass die Anforderungen an deutschen Schulen deutlich sinken und weit unter denen aus vergangenen Jahrzehnten lägen. „Was man den jungen Leuten in Deutschland abverlangt, ist alberner Pipifax“, sagte er mit Blick auf die Anforderungen in Ländern wie Indien oder China.

Dabei schnitten die Menschen seit den Dreißiger Jahren bis in die Nullerjahre immer besser in IQ-Tests ab. Forscher sprechen vom sogenannten Flynn-Effekt, benannt nach dem US-Intelligenzforscher James Flynn.

In den entwickelten Ländern habe sich der Flynn-Effekt aber inzwischen stark verlangsamt oder sogar umgekehrt, erklärt Heiner Rindermann schriftlich gegenüber DWN. Mittlerweile sei „weitgehend anerkannt“, dass die Intelligenz in vielen Ländern sinke.

Ursachen des Intelligenzrückgangs sind umstritten

Die Ursachen für den Intelligenzrückgang sind aber umstritten. Kritische Forscher wie die Briten Edward Dutton und Michael Woodley of Menie vermuten genetische Faktoren als Hauptursache. Vor der Industriellen Revolution hätten in Nordeuropa die reicheren 50 Prozent mehr überlebenden Nachwuchs gehabt als die ärmere Hälfte der Gesellschaft, erklären sie im Buch „At our Wit’s End“.

Weil Reiche tendenziell eine höhere Intelligenz hätten und Intelligenz stark erblich sei – letzteres zeigten etwa Studien mit adoptierten Kindern und eineiigen Zwillingen –, sei die Gesellschaft von Generation zu Generation intelligenter geworden.

Mit der Industriellen Revolution kehrte sich der Trend um: Lag zuvor die Kindersterblichkeit bei über 40 Prozent – wobei vor allem die weniger intelligenten Kinder der Armen nicht überlebten –, sank sie nun sukzessive bis auf nahe null. Gleichzeitig seien Anfang des 19. Jahrhunderts sexuelle Verhütungsmethoden entdeckt worden, die vor allem von den Klugen genutzt wurden.

Daher vermuten Woodley und Dutton, dass die generelle Intelligenz bereits seit Beginn der Industriellen Revolution sinkt. Der Flynn-Effekt reflektiere nur umweltliche Verbesserungen in puncto Ernährung und Bildung. Etwa sei der moderne Mensch besser darin ausgebildet, abstrakt und wissenschaftlich zu denken. Es falle ihm leichter, bestimmte Aufgaben der IQ-Tests zu lösen.

Dementsprechend hätten sich die Testergebnisse bloß in ganz wenigen Aufgabenbereichen verbessert, die vor allem sehr spezielle, abstrakte Denkfähigkeiten messen würden. IQ-Tests taugen daher aus Sicht der beiden Briten nicht, um die Intelligenzentwicklung über lange Zeiträume zu messen.

Woodley und Dutton schlagen darum alternative Maße wie Reaktionszeiten vor. Diese hätten sich Studien zufolge seit dem Jahr 1885 deutlich verlangsamt. Umgerechnet entspreche die Verlangsamung einem Rückgang von einem IQ-Punkt pro Dekade. Außerdem könnten Menschen immer schlechter zwischen Farbtönen unterscheiden und die pro-Kopf-Rate bahnbrechender Innovationen sinke seit dem Jahr 1871.

Auch die Vokabulargröße sei rückläufig. Woodley analysierte dazu auf Google digitalisierte Bücher und Zeitungsartikel, von denen manche bereits im 16. Jahrhundert verfasst wurden. Das Ergebnis: Zu Beginn des 19. Jahrhunderts verwendeten die Autoren die meisten schwierigen und spezifischen Wörter, die in dem Wortschatztest „Wordsum“ gelistet sind und als gutes Maß für generelle Intelligenz gelten.

Mehrheit hält Genetik für relevant

Laut Heiner Rindermann ist die Frage nach den Ursachen des Intelligenzrückgangs „nach wie vor offen, da in der Wissenschaft selten ein absoluter Konsens zu einem Thema besteht“. Rindermann hat in den Jahren 2013 und 2014 insgesamt 72 Intelligenzforscher nach ihrer Meinung zum Flynn-Effekt befragt.

Dabei sollten die Forscher Fragen zum Intelligenzrückgang bloß beantworten, wenn sie an ein Ende des Flynn-Effekts oder sogar an einen Intelligenzrückgang glaubten. Von den 72 Forschern äußerte sich daraufhin eine klare Mehrheit von 59 Personen.

Die Ursachen des Intelligenzrückgangs sollten die Forscher auf einer Skala von 1 (nicht wichtig) bis 9 (wichtig) einordnen. Wichtigste Ursache waren Effekte von hohen Geburtenraten der Menschen mit geringer Intelligenz, die über die Vererbung wirken (im Schnitt 5,6 Punkte). Danach folgten Migration (4,7 Punkte), über die Sozialisation wirkende Effekte von hohen Geburtenraten der Menschen mit niedriger Intelligenz (4,7 Punkte) und der Verfall der Schulen und Bildungssysteme (4,6 Punkte).

Vergleichsweise wenig Zustimmung erhielten die Ursachen Medienkonsum (4,0 Punkte), geringe familiäre Bildung (3,9 Punkte), Verschlechterung der Ernährungslage (2,9 Punkte) und Verschlechterung der Gesundheitssituation (2,8 Punkte). Nach den Ergebnissen lasse sich also ausschließen, dass eine Mehrheit der Forscher genetische Erklärungen für den Intelligenzrückgang ablehne oder diese für irrelevant erachte, erklärt Rindermann.

Edward Dutton zufolge wird der Intelligenzrückgang drastische Folgen für das Leben des durchschnittlichen Bürgers haben. Der 43-Jährige erwartet von heute bis zum Jahr 2100 einen Rückgang von 100 auf 85 IQ-Punkte, wie er auf DWN-Anfrage erklärt. „Das ist der Unterschied zwischen einer durchschnittlichen Person (zum Beispiel einem Polizisten) und einem Gymnasiallehrer für Naturwissenschaften.“

IQ-Tests sind in der Regel auf einen Mittelwert von 100 und eine Standardabweichung von 15 IQ-Punkten genormt. Das bedeutet, dass eine Hälfte der Bevölkerung besser und die andere schlechter als 100 abschneidet. Dabei liegen etwa 68 Prozent zwischen 85 und 115 Punkten und circa 96 Prozent zwischen 70 und 130.

Lebensstandard wird sinken

Laut Dutton wird das Bevölkerungswachstum zunehmend schneller wachsen als die Produktion, sofern es keine großen technischen Durchbrüche gibt. Schließlich werde der Lebensstandard beginnen zu sinken.

Aufgrund des IQ-Niedergangs und den Folgen davon – etwa weniger soziales Vertrauen, Korruption und vieler dummer Fehler – werde man vieles nicht mehr tun können, was früher normal gewesen sei. „Schauen Sie sich an, was in Südafrika passiert ist – wo das Stromsystem zusammengebrochen ist – wenn Sie eine Vision dieser Zukunft haben möchten“, schreibt Dutton.

Rindermann schätzte im Jahr 2018 in seinem Buch „Cognitive Capitalism“, dass die Intelligenz in Mitteleuropa um sieben IQ-Punkte bis zum Jahr 2100 fallen wird. Dabei berücksichtigte er unter anderem mögliche Migrationsbewegungen, umweltliche Verbesserungen, die demografische Entwicklung, die unterschiedlich hohen Geburtenraten von intelligenten und weniger intelligenten Menschen und die vergangene Wirtschaftsentwicklung. In anderen Teilen der Welt, etwa Ostasien, soll sich die Intelligenz hingegen erhöhen.

Der Wohlstand pro Kopf soll laut der Schätzung weltweit steigen. Allerdings gibt es deutliche regionale Unterschiede. Ostasien soll im Jahr 2040 den Westen überholen. Osteuropa zieht im Jahr 2060 vorbei und ist im Jahr 2100 um ein Drittel reicher. Subsahara-Afrika wird zwar intelligenter und reicher, aber bleibt im Ländervergleich am ärmsten. Die Voraussage sei aber mit Unsicherheit behaftet, betont Rindermann.

Laut Edward Dutton lässt sich indes wenig gegen den Intelligenzrückgang tun. Menschen mit hohem IQ müssten mehr Kinder bekommen als Menschen mit geringer Intelligenz. „Das wird nicht passieren, weil intelligente Menschen empfindlicher auf die Umwelt reagieren“, erklärt der Brite. Die moderne Zivilisation sei keine evolutionär optimale Lebensumgebung für den Menschen.

Intelligente würden daher die Lust verlieren, Kinder zu bekommen. „Gegen Ende von Rom und Athen wurde bemerkt, dass die höheren Klassen sich nicht fortpflanzten“, fährt Dutton fort. „Augustus erlegte ihnen eine Kinderlosensteuer auf und sie zahlten die Steuer.“

Staatliche Geburtenpolitik und Embryoselektion

Im Buch „At our Wit’s End“ raten Dutton und Woodley dazu, Genies zu fördern und eine Art Langfrist-Wissensspeicher anzulegen, um die gegenwärtigen wissenschaftlichen und kulturellen Errungenschaften für künftige Zivilisationen zu bewahren. Andere Autoren schlagen Embryoselektion oder eine staatliche Geburtenpolitik vor.

Etwa gründete Lee Kuan Yew, Singapurs Premierminister von 1959 bis 1990, eine staatliche Datingagentur für Hochschulabsolventen und gewährte Steuernachlässe für Kinder. Das sollte die Geburtenrate von Akademikern erhöhen. Yew machte sich Sorgen, weil weibliche Hochschulabsolventen weniger Kinder hatten als geringer gebildete Frauen.

„Wenn wir uns weiter auf diese einseitige Weise reproduzieren, werden wir nicht in der Lage sein, unsere gegenwärtigen Standards aufrechtzuerhalten“, erklärte er in einer Rede im Jahr 1983. „Das Kompetenzniveau wird sinken, unsere Wirtschaft wird schwächeln, die Verwaltung wird leiden und die Gesellschaft wird verfallen.“

                                                                            ***

Elias Huber arbeitet als freier Journalist in Frankfurt am Main und schreibt vor allem über Konjunktur, Edelmetalle und ETFs sowie die ökonomische Lehre der Österreichischen Schule. 


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