Es ist inzwischen weithin anerkannt, dass die meisten Zentralbanken die Inflationsgefahr unterschätzt haben, als sie 2021 und bis ins Jahr 2022 hinein an extrem niedrigen Zinssätzen und massiven Wertpapierkäufen festhielten. Als sie schließlich ihren Kurs änderten, taten sie dies glücklicherweise mit bemerkenswerter Entschlossenheit: Die Europäische Zentralbank hob die Zinsen in weniger als einem Jahr um 375 Basispunkte an (und die US-Notenbank erhöhte ihren Leitzins um 500 Basispunkte).
Die Politik der massiven Anleihekäufe rückgängig zu machen, erweist sich jedoch als schwieriger. Ein Jahrzehnt der quantitativen Lockerung (QE) hat die Bilanz der EZB erheblich ausgeweitet und zu einer Liquiditätsschwemme geführt, wodurch die politischen Entscheidungsträger in einer Falle geraten sind, aus der sie sich nur schwer befreien können.
Der Umfang der EZB-Bilanz erreichte im Jahr 2022 mit fast 9 Billionen Euro (9,6 Billionen US-Dollar) einen Höchststand, als sich das Volumen der Anleihekäufe auf rund 56 % des BIP der Eurozone belief. Obwohl die EZB ihre Nettokäufe von Wertpapieren im Juli 2022 beendete und die Kürzungen der Subventionen, die Banken bei gezielten längerfristigen Refinanzierungsgeschäften (GLRGs) erhalten konnten, dazu führten, dass sie große Summen zurückzahlen mussten, beläuft sich die Überschussliquidität im Bankensystem immer noch auf rund 4 Billionen Euro.
Zwar hat die EZB im März damit begonnen, die Reinvestitionen aus fällig werdenden Wertpapieren um 15 Mrd. EUR pro Monat zu reduzieren. Nach der EZB-Ratssitzung vom 4. Mai erwartet die EZB, dass sie ihre Bilanz ab Juli 2023 monatlich um 25 Mrd. Euro reduziert.
Schwierige Straffung der Geldpolitik
Angesichts des Umfangs der Anleihebestände der EZB erscheint ihr Ansatz der quantitativen Straffung (QT) jedoch geradezu homöopathisch. Beim derzeitigen Tempo wird es etwa 15 Jahre dauern, bis das Ankaufprogramm von Vermögenswerten auf null zurückgefahren ist (und dabei ist noch nicht einmal berücksichtigt, dass die EZB weiterhin alle fällig werdenden Vermögenswerte, die im Rahmen des Pandemie-Notkaufprogramms erworben wurden, reinvestiert).
Diese Probleme werfen eine grundsätzliche Frage nach dem Verhältnis zwischen der Zinspolitik der EZB und ihren Wertpapiergeschäften auf. Wenn es darum geht, die Zinssätze zu senken, um die Gesamtnachfrage zu stimulieren, wirkt die Nullgrenze wie eine Untergrenze.
Fallen die Zinsen in den negativen Bereich, wird es wirtschaftlich attraktiv, Bankeinlagen abzuziehen und in Bargeld zu tauschen. Im Gegensatz dazu gibt es keine Grenze, bis zu der die Zinsen angehoben werden können, und wie das vergangene Jahr der Geldpolitik gezeigt hat, ist der Leitzins wieder zum wichtigsten Instrument der Zentralbanken geworden.
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Die Rolle der Anleihen
Doch welche Rolle spielen Anleihekäufe und -verkäufe in diesem neuen Kontext? Während zusätzliche Nettokäufe von Wertpapieren im Kampf gegen die Inflation kontraproduktiv wären, würden Nettoverkäufe von Wertpapieren die Überschussliquidität der Geschäftsbanken verringern. Gleiches gilt für die Reduzierung von Sondermaßnahmen wie den GLRGs. Der damit verbundene Anstieg der Refinanzierungskosten einer Bank wird die inflationshemmende Wirkung der Zinserhöhung verstärken.
Aufgrund der direkten Auswirkungen der QT auf die Bankenliquidität müssen Zeitpunkt und Umfang der Bemühungen der EZB, ihre Bilanz zu liquidieren, den Bedingungen an den Finanzmärkten Rechnung tragen. Es besteht eine gewisse Asymmetrie zwischen QE und QT, da sich die Banken nach einem längeren Zeitraum, in dem sie große Mengen an Wertpapieren an die Zentralbank verkauft haben, an eine hohe Liquiditätsposition gewöhnt haben könnten. Außerdem muss die EZB bei ihren Überlegungen, in welchem Umfang sie die Überschussliquidität abbauen will, etwaige Änderungen im regulatorischen Umfeld berücksichtigen.
Solche Überlegungen sind jedoch kein Argument gegen einen raschen Abbau der Nettowertpapierbestände, wenn die QT von einer extrem hohen Überschussliquidität aus eingesetzt wird, denn auch die Finanzpolitik muss berücksichtigt werden.
Das Zaudern der EZB
Die massiven fiskalischen Anreize, die zur Stabilisierung der Wirtschaft der Eurozone während der Pandemie und dann während der Energiekrise im vergangenen Jahr eingesetzt wurden, stützten sich in hohem Maße auf Anleihekäufe der Zentralbanken. Durch die QE wurde das Risiko, dass die Finanzierung hoher öffentlicher Defizite zu einem erheblichen Anstieg der Zinssätze führen würde, weitgehend ausgeschaltet.
Das Zögern der EZB, eine energische QT-Politik zu verfolgen, nährt somit die Erwartung, dass die Finanzpolitik weiterhin expansiv sein wird, was letztlich die Dauer der zu hohen Inflation verlängern wird. Wir erleben einen Fall von fiskalischer Dominanz.
Hält die EZB jedoch an ihren massiven Anleihebeständen fest, wird sich ihr geldpolitischer Spielraum in der nächsten Krise verringern. Wie würde sich eine weitere große Welle von Anleihekäufen auswirken, wenn die Notenbank von ihrer jetzigen aufgeblähten Position ausgeht? Das würde sicherlich kein gutes Bild abgeben.
Die Zentralbanken müssen sich um ihrer eigenen Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit willen aus dieser Situation befreien. Im Fall der EZB wird das Problem dadurch verschärft, dass ihre massiven Anleihekäufe die Zinssätze für Anleihen hoch verschuldeter Mitgliedstaaten niedrig gehalten haben, wodurch der Druck auf diese Regierungen zur Konsolidierung ihrer öffentlichen Haushalte verringert wurde.
Es wird nicht einfach sein, das richtige Gleichgewicht zwischen Zinspolitik und quantitativer Lockerung zu finden. Als Richtschnur für ihre Entscheidungen sollten sich die Zentralbanken jedoch auf ihr Kernmandat, die Gewährleistung von Preisstabilität, konzentrieren. Dies ist der beste Weg, um die wachsende Bedrohung ihrer Unabhängigkeit abzuwehren.
Übersetzung: Andreas Hubig
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