Bereits kurz nach dem Einmarsch in die benachbarte Ukraine brach Europa für Russland als Energieabnehmer weitestgehend weg. So machen die Erdgaslieferungen über russische Pipelines heute weniger als 10% der EU-Gasversorgung aus. Vor dem Krieg und den Ölembargos flossen fast 40% der russischen Rohöl- und Erdgasexporte samt Raffinerieerzeugnissen gen Westen. Derzeit importiert die EU, mit Ausnahme von Bulgarien, das noch eine in Kürze auslaufende Sonderregelung nutzt, kein russisches Rohöl mehr. Russland ist seitdem auf China und Indien angewiesen, um sein Rohöl zu verkaufen.
Dies sah zunächst auch nach einer für Moskau lukrativen Alternative aus, denn mit China als weltgrößtem und Indien als drittgrößtem Rohölimporteur kann Russland auf riesige Märkte zurückgreifen. Allerdings dürfte zumindest Indiens Fähigkeit, mehr russisches Öl zu importieren, Analysten zufolge nun an seine Grenzen stoßen.
Indien wird Kaufrausch nicht aufrechterhalten können
Vor allem infrastrukturelle und politische Zwänge sind es, die diesen russischen Absatzweg zunehmend beschwerlich werden lassen. Zwar ist russisches Erdgas weder sanktioniert noch mit einem Embargo belegt, dennoch dürften einige asiatische Abnehmer darauf bedacht sein, nicht zu sehr von russischem LNG abhängig zu werden. Zudem besteht auch für Indien die Notwendigkeit, gute Handelsbeziehungen mit anderen Rohöllieferanten zu unterhalten. In der ersten Hälfte dieses Jahres stiegen Indiens Ölimporte aus Russland massiv an, aufgrund dieses im Vergleich mit anderen Herkunftsländern wesentlich billigeren Rohstoffs. Indische Raffinerien, die sich nicht an die Preisobergrenze der G7-Staaten halten müssen und selbstverständlich auf der Suche nach günstigen Einkaufsmöglichkeiten sind, haben viele der russischen Urals-Ladungen erworben, die, bevor das EU-Embargo in Kraft trat, nach Nordwesteuropa gingen. Im Zuge dessen hat sich das Land seit Kriegsbeginn von einem marginalen Abnehmer russischen Rohöls zum, neben China, wichtigsten Markt für Moskaus Öl entwickelt.
Laut den Daten des Analyseunternehmens Kpler erreichte die indische Importmenge im Mai diesen Jahres ihren bisherigen Höchststand. 46% der indischen Ölimporte entfielen dabei auf Russland – ein deutlicher Anstieg im Vergleich zu weniger als 2% vor dem Einmarsch in die Ukraine. Zwar verzeichnete auch China im letzten Jahr einen deutlichen Anstieg der russischen Rohöleinfuhren und markierte Rekordimportmengen. Allerdings handelt es sich bei China auch nicht um einen strategischen Partner der USA. Und dieser spielt nun eine wichtige Rolle bei der Unterstützung der russischen Wirtschaft. Auch vor diesem Hintergrund dürfte die Kaufneigung Indiens zurückgehen, denn diese Entwicklung wird man in Washington eher unerfreut zur Kenntnis genommen haben und nachdrücklich darauf hinwirken, an dieser Stelle den ein oder anderen Gang herunterzuschalten. Das Weiße Haus dürfte sehr darauf bedacht sein, dass Indien billig einkauft.
Darüber hinaus werden die Rabatte für Indien geringer. Der Kaufrausch des südasiatischen Riesenstaats trug sein Scherflein in nicht unerheblichem Maße dazu bei, die einst große Preisdifferenz russischer Ölsorten zu denen anderer Erzeuger deutlich zu verengen. Des Weiteren ist die indische Infrastruktur hinsichtlich der Beschickung der dortigen Raffinerien nicht auf die russischen Rohöl-Qualitäten ausgelegt. Viele der indischen Raffinerien haben nicht nur die Ölsorten durch russische ersetzt, die den bisher verarbeiteten in ihren Eigenschaften hinsichtlich Schwefelgehalt und Dichte entsprechen. Will man die Anlagen nicht umrüsten, was mit drei bis vier Jahren Dauer sehr zeit- und auch kostenintensiv ist, würden viele der erforderlichen Produkte, wie leichtes Heizöl, Benzin oder Kerosin, mit Sorten wie beispielsweise Urals nicht mehr zu gewinnen sein. Die Konfiguration der Raffinerien ist für Indien ein großer limitierender Faktor, folglich dürfte der Bedarf nach den russischen Hauptexportölen zunächst gedeckt sein und die Nachfrage danach, trotz immer noch bestehendem Preisvorteil, aus „natürlichen Gründen“ zurück gehen. Nicht zu vernachlässigen ist jedoch auch die Angst, zu stark von einer Lieferquelle abhängig zu sein, die im Falle einer Verschärfung der bisherigen Sanktionen unterbrochen werden könnte. Es ist zudem davon auszugehen, dass Indien ohnehin nicht plante, seine Lieferbeziehungen langfristig umzustellen, vielmehr dürfte die Ausnutzung einer unerwartet eingetretenen Gelegenheit im Vordergrund gestanden haben. Es kann nicht im Interesse Indiens liegen, seine langjährigen, und guten, Beziehungen zu bestehenden Partnern, insbesondere zu Produzenten im Nahen Osten, zu beeinträchtigen.
All dies wird Vladimir Putin für ihn unerfreulicherweise zu spüren bekommen. Ausgerechnet zu einer Zeit, wo der Krieg die Finanzlage Russlands zunehmend strapaziert und die Position des Staatschefs nicht mehr unumstößlich gesichert scheint.
Russland verliert Energiekrieg mit dem Westen – USA ist Nutznießer
Schon im März 2023, ein Jahr nach Kriegsausbruch, erklärte die Internationale Energieagentur IEA Moskau offiziell zum Verlierer im Kampf um den europäischen Energiemarkt. Denn Europa ist es gelungen, einen Großteil des Erdgases, welches zuvor über Pipelines geliefert wurde – und für Russland eine verlässliche Einnahmequelle war – durch LNG-Importe anderer Produzenten zu ersetzen. Darüber hinaus erschwert das Verbot der Einfuhr russischen Erdöls und Erdölerzeugnissen dem Land die Einnahmesituation. Die Lücke, die durch den plötzlichen Wegfall russischer Energielieferungen entstand, wurde zügig gefüllt. Zum einen durch Exporteure aus dem Nahen Osten, vor allem aber waren es US-Ölproduzenten und -Gasexporteure, die die Gunst der Stunde zu nutzen wussten und mittels langfristiger Lieferverträge den Fuß weit in die Tür zum europäischen Energiemarkt gesetzt haben.
Die Daten der US-amerikanischen Energy Information Administration (EIA) zeigen, dass Europa im vergangenen Jahr hinsichtlich der Rohölimporte aus den USA gegenüber Asien kräftig aufgeholt hat. 2022 flossen 43% der US-Exporte nach Fernost, mit im Durchschnitt 1,51 Mio. Barrel pro Tag (bpd), oder 42%, war der europäische Anteil jedoch nur noch unwesentlich geringer. Dieser Trend wird sich nach Einschätzung der Behörde fortsetzen. Analysten erwarten eine weitere Exportsteigerung der USA um insgesamt gut 30% in diesem Jahr – nachdem die letztjährige Menge schon 10% über der von 2021 lag. Damit würden die USA zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg mehr Erdöl ausführen als importieren. Und ebenfalls erstmals dürfte der größte Teil davon nach Europa fließen. Darüber hinaus gelang es den USA, bedingt durch die sich aus der Russland-Situation ergebende Energieunsicherheit, zahlreiche langfristige LNG-Lieferverträge mit Europa abzuschließen – was aus amerikanischer Perspektive angesichts einer an vor allem hierzulande an strengen Klimazielen ausgerichteten radikalen Energiepolitik als großer Erfolg gewertet werden kann.