Politik

Spanien: Retten Kataloniens Separatisten die Regierung Sánchez?

Nach der Wahlschlappe im Juli schien das Ende der Regierung Sánchez gekommen. Doch nun geht der Premier eine Kooperation mit Kataloniens Unabhängigkeitsbewegung ein. Dies könnte massive Folgen für Spanien haben.
17.08.2023 15:51
Aktualisiert: 17.08.2023 15:51
Lesezeit: 3 min
Spanien: Retten Kataloniens Separatisten die Regierung Sánchez?
Die Unabhängigkeitsbewegung von Katalonien kann sich wieder Hoffnungen machen. (Foto: dpa) Foto: Matthias Oesterle

Pedro Sánchez macht seinem Ruf als politisches «Stehaufmännchen» in Spanien wieder einmal alle Ehre. Dreieinhalb Wochen nach der Niederlage seiner Sozialisten (PSOE) bei der Parlamentswahl wurde seine Kandidatin, Francina Armengol, am Donnerstag überraschend mit absoluter Mehrheit zur neuen Parlamentspräsidentin gewählt. Damit werden die Aussichten des aktuell geschäftsführenden Ministerpräsidenten, längerfristig im Madrider Regierungssitz Palacio de la Moncloa bleiben zu dürfen, trotz der Wahlpleite vom 23. Juli plötzlich um einiges besser.

Unerwarteter Etappenerfolg für Sánchez

«Dieser überraschende Etappenerfolg ebnet Sánchez den Weg für eine weitere Amtszeit», meinte Politologin Paola Cannata in einer Sondersendung des TV-Senders RTVE. In der Talkrunde stimmten alle zu. Warum? Ganz einfach: Zur Fortführung seiner Regierung braucht Sánchez neben der Unterstützung mehrerer anderer Parteien auch und vor allem einen Schulterschluss mit den radikalsten unter den katalanischen Unabhängigkeitsbefürwortern: der Partei Junts des in Brüssel im Exil lebenden Separatisten-Chefs Carles Puigdemont. Hier galt ein Abkommen bisher als unwahrscheinlich. Aber die sieben Junts-Abgeordneten votierten am Donnerstag alle für Armengol.

Das zeigt, dass es trotz aller Differenzen einen funktionierenden Kommunikationskanal zwischen PSOE und Junts gibt. Am Donnerstag gab es nach einer Junts-Mitteilung zunächst ein Abkommen einzig und allein zur Wahl Armengols. Der genaue Inhalt blieb vorerst unbekannt. Vor allem konservative Medien spekulierten darüber, was Sánchez den «Verbrechern» und «Feinden Spaniens» wohl alles versprochen habe. Und inwieweit sich die linke Regierung erpressbar mache.

Welche Zugeständnisse wurden den Katalanen gemacht?

Was es auch war, als sicher gilt, dass Puigdemont & Co. für eine Wiederwahl von Sánchez zum Ministerpräsidenten noch mehr verlangen dürften. Der Separatisten-Boss, in Spanien immer noch ein Justizflüchtling, hatte in den vergangenen Wochen unter anderem ein Unabhängigkeitsreferendum gefordert, das Sánchez allerdings unter keinen Umständen zusagen dürfte. Aber in jüngsten Mitteilungen schaltete der Katalane einen Gang herunter und meinte, er wolle von Sánchez «nachweisbare» Zugeständnisse. Das könnten etwa Amnestien oder mehr Selbstverwaltung sein.

Nach den konstituierenden Sitzungen des Unterhauses und des Senats werden die Gespräche zwischen den Parteien zur Regierungsbildung nächste Woche in die entscheidende Phase treten. Die Gefahr einer monatelangen politischen Hängepartie mit negativen Konsequenzen für die viertgrößte Volkswirtschaft der EU, die zudem derzeit den EU-Ratsvorsitz innehat, sei immer noch nicht gebannt, hieß es unisono in der TV-Talkrunde. Sánchez werde in den kommenden Wochen nicht nur wegen der hohen Sommertemperaturen «viel schwitzen», hieß es.

Der smarte Sozialist, der schon oft politisch totgesagt wurde und immer wieder Widerstände innerhalb und außerhalb der eigenen Partei überwinden konnte, braucht nämlich nicht nur die Unterstützung von Junts und des linken Wahlbündnisses Sumar, sondern auch von mehreren Regionalparteien aus Katalonien, dem Baskenland, Galicien und den Kanaren, die alle vorwiegend nationalistisch ausgerichtet sind und alle auch lange Wunschlisten haben.

Parallel zu den schwierigen Gesprächen zwischen den Parteien wird König Felipe VI. wohl schon nächste Woche Konsultationen mit allen im Parlament vertretenen Parteien durchführen. Der Monarch ist es, der einen Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten ernennen muss. Er hat dabei überhaupt keine Vorgaben, auch keine zeitlichen. Aber das heißt nicht, dass er sich Zeit lassen wird. Denn auch er weiß um die Risiken eines «Bloqueo», einer monatelangen politischen Blockade, wie sie Spanien schon 2015/2016 und wieder 2019 erlebte.

Lange Blockade oder mächtige Separatisten?

Damit der vom König ernannte Kandidat im Unterhaus zum Ministerpräsidenten gewählt wird, ist in einer ersten Abstimmungsrunde eine absolute Mehrheit von mindestens 176 Stimmen nötig. In einer zweiten Runde reicht zwar eine einfache Mehrheit, doch nach aktuellem Stand haben weder Sánchez noch Oppositionsführer Alberto Núñez Feijóo ausreichend Unterstützung. Eine Art «große Koalition» gilt als völlig ausgeschlossen.

Die konservative Volkspartei PP von Feijóo hatte die Wahl zwar klar als gewonnen, war mit 137 Sitzen aber hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Der mögliche Partner, die rechtspopulistische Vox, hatte zudem 19 Sitze eingebüßt und kommt nur noch auf 33.

Trotzdem könnte Feijóo von Felipe als Wahlsieger zum ersten Kandidaten ernannt werden. Das Problem: Nach einer ersten vom Unterhaus abgelehnten Kandidatur beginnt die Uhr zu ticken. Hat das Land nach zwei Monaten immer noch keine Regierung, muss eine Neuwahl ausgerufen werden, die innerhalb der nächsten 47 Tage stattfinden müsste. Um die Jahreswende also. Viele fragen sich nun, was das kleinere Übel wäre: Eine lange Blockade oder mächtige Separatisten? (dpa)

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Der XRP-ETF-Markt steht vor einem bedeutenden Wandel: Bereitet er den Weg für ein herausragendes Jahr 2026?

Der Kryptowährungsmarkt steht erneut vor einem potenziellen Wendepunkt. Während Bitcoin und Ethereum im Fokus institutioneller Anleger...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Deutsche Bank bringt den Wero-Bezahldienst zu Millionen Kunden
17.12.2025

Der Wero-Bezahldienst erreicht jetzt Millionen Bankkunden: Deutsche Bank und Postbank schalten den vollen Funktionsumfang frei. Europa...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Eurozone: Inflation im November bei 2,1 Prozent
17.12.2025

Die Eurozone-Inflation wirkt auf den ersten Blick stabil – doch eine neue Eurostat-Schätzung verändert den Blick auf den November. Auch...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Steve Jobs und die Zukunft der Führung: Warum Chefs jetzt umdenken müssen
17.12.2025

Der Mittelstand arbeitet noch nach Regeln von gestern – doch die Herausforderungen von heute lassen sich damit kaum lösen. Der...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Deutschland: Ifo-Index schwach – Jahr endet ohne Aufbruchsstimmung
17.12.2025

Der Ifo-Index sendet zum Jahresende ein klares Warnsignal für Deutschlands Wirtschaft. Sinkende Erwartungen, enttäuschte Hoffnungen und...

DWN
Panorama
Panorama DHL-Betrugsmasche: Wie Kriminelle die Vorweihnachtszeit und das Paketchaos ausnutzen
17.12.2025

In der Vorweihnachtszeit nutzen Kriminelle das Paketchaos aus, um sich mit der sogenannten DHL-Betrugsmasche zu bereichern. Gefälschte...

DWN
Finanzen
Finanzen KNDS-IPO: Börsengang des deutsch-französischen Panzerherstellers rückt wohl näher
17.12.2025

Der KNDS-IPO nimmt konkrete Formen an: Doppelnotierung, Milliardenbewertung und klare Abgrenzung zu Rheinmetall prägen die Debatte....

DWN
Finanzen
Finanzen Goldpreis nähert sich Rekord, Silberpreis mit Allzeithoch: Was die Edelmetallpreise treibt – und was das für Anleger heißt
17.12.2025

Der Goldpreis zieht am Mittwoch an und rückt wieder an sein Rekordniveau heran, während der Silberpreis bereits neue Höchststände...

DWN
Finanzen
Finanzen DAX-Kurs aktuell: Konsolidierung und Notenbanken im Fokus
17.12.2025

Der DAX-Kurs startet freundlich in den Börsenhandel am Mittwoch, doch echte Dynamik bleibt aus. Während wichtige Marken halten, sorgt...