Politik

Waffen für die Ukraine: EU-Staaten sollen stärker zusammenarbeiten

Der EU gehen die Waffen aus. Das EU-Parlament stimmt für gemeinsame Beschaffung von Verteidigungsgütern. Die EU schafft ein neues Instrument, um die europäische Rüstungsindustrie und die Verteidigungskraft der Mitgliedsstaaten zu stärken. Denn die Depots leeren sich und die Ukraine soll weiter unterstützt werden.
15.09.2023 09:21
Aktualisiert: 15.09.2023 09:21
Lesezeit: 3 min

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat sich zu einer gigantischen Materialschlacht entwickelt, die die EU in ihrem Ausmaß überrascht und Defizite in der eigenen Verteidigungsfähigkeit deutlich gemacht hat. Substanzielle Kürzungen und Unter-Investition im Verteidigungsbereich sind die Gründe dafür, dass zu wenig Ausrüstung und Equipment vorhanden sind, die Munitionsbestände sich mit den Lieferungen an die Ukraine rasch leeren. Die Mitgliedsländer müssen ihre Depots wieder füllen und ihre Verteidigungsanstrengungen erhöhen. Dafür will die EU nun eine neue Form der Zusammenarbeit fördern.

Die EU-Kommission hat ein ganz neues Instrument geschaffen, dass den Mitgliedsstaaten helfen soll, gemeinsam Verteidigungsprodukte zu kaufen. Am Dienstag wurde das neue „Instrument“ vom EU-Parlament mit großer Mehrheit angenommen. Es ist das erste dieser Art in der Geschichte der EU und wie der Ko-Berichterstatter für den Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten, Michael Gahler (EVP, DE) es formuliert, „ein historischer Moment für die EU-Verteidigung“. Es werde den Mitgliedstaaten helfen, ihre Bestände wieder aufzufüllen, die Interoperabilität zwischen ihren Streitkräften zu erhöhen, ihre Industrie zu stärken und zur unerschütterlichen Unterstützung für die Ukraine beizutragen.

300 Millionen Euro für das kurzfristige Instrument

Die EU ist selbst nicht befugt, Waffen zu kaufen, das ist nationale Angelegenheit. Sie übernimmt hier eher koordinierende Aufgaben und soll Barrieren abbauen. Die neue Verordnung, die bereits mit den Mitgliedstaaten vereinbart wurde, schafft ein kurzfristiges „Instrument zur Stärkung der Europäischen Verteidigungsindustrie durch Gemeinsame Beschaffung“ (EDIRPA) bis 2025. Es ist vor allem dazu gedacht, mehr Unterstützung für die Ukraine und die Republik Moldau ermöglichen. Das Instrument soll den Mitgliedstaaten dabei helfen, die dringenden und kritischen Lücken zu schließen, besonders jene, die durch Lieferungen in die Ukraine verschärft wurden.

Die Kooperationen von mindestens drei Mitgliedsländern sollen auf freiwilliger Basis stattfinden. „Wir wollen Fragmentierung vermeiden. Die Industrie muss sich an die harsche Wirklichkeit anpassen“, sagte der lettische EU-Kommissar Sinkevičius Virginijus bei der Plenardebatte am Montagabend. Durch gemeinsame Einkäufe könne zudem das Risiko des Wettbewerbs unter den Staaten gesenkt und Preiserhöhungen vermieden werden. „Bisher werden 80 Prozent der Verteidigungsgüter nur auf nationaler Ebene beschafft“, sagte MdEP David McAllister (EVP/DE) im Parlament. „Auf europäischer Ebene können wir das besser und günstiger.“

Für die Finanzierung und Umsetzung haben sich Parlament und Rat auf ein Budget von 300 Millionen Euro geeinigt. Im ersten Entwurf hatte die Kommission noch 500 Millionen angesetzt. An den Käufen von mindestens drei EU-Mitgliedsländern sollen sich Mitglieder der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA), die Mitglieder des Europäischen Wirtschaftsraums (assoziierte Länder) sind, beteiligen können.

Das EDIRPA soll auch dazu beitragen, die Souveränität, die Wettbewerbsfähigkeit und Effizienz der technologischen und industriellen Basis der europäischen Verteidigung (EDTIB) zu fördern, indem es die Produktion ankurbelt und die Lieferketten für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit öffnet. Deshalb müssen Auftragnehmer und Unterauftragnehmer in der EU oder in einem mit der EU assoziierten Drittland ansässig sein. Sie dürfen nicht der Kontrolle eines Drittstaats oder eines außerhalb der Union ansässigen Rechtssubjekts unterliegen. Auch die Komponenten sollen größtenteils aus der EU oder assoziierten Ländern stammen und einen Wert von mindestens zu 65 Prozent des Endprodukts haben.

Förderung für kleine und mittlere Unternehmen

Der Beitrag der EU zu den einzelnen Käufen ist begrenzt. Sie darf höchstens 15 Prozent des geschätzten Werts des gemeinsamen Beschaffungsauftrags betragen. Dieses Limit wird auf 20 Prozent erhöht, wenn die Ukraine oder Moldau Empfänger zusätzlicher Stückzahlen des Verteidigungsguts sind oder mindestens 15 Prozent des geschätzten Wertes des gemeinsamen Beschaffungsvertrags an KMU oder Unternehmen mit mittlerer Kapitalisierung (sogenannte Midcaps) als Auftragnehmer oder Untersauftragnehmer vergeben werden.

„Wir haben einen vernünftigen Kompromiss erzielt, der EDIRPA zu einer Ergänzung einer anderen für den Verteidigungssektor wichtigen Verordnung macht: dem Gesetz zur Förderung der Munitionsproduktion“, sagte Zdzislaw Krasnodebski (EKR/Polen). „Es ist uns gelungen, die Prioritäten des Parlaments zu verteidigen, auch für Projekte, die die Ukraine oder die Republik Moldau unterstützen. Am wichtigsten ist, dass EDIRPA durch die Intensivierung der gemeinsamen Beschaffung von militärischer Ausrüstung dazu beitragen wird, die Verteidigungsfähigkeiten der Mitgliedstaaten zu stärken", so der Ko-Berichterstatter für den Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie weiter.

Breite Zustimmung im EU-Parlament

Die Entscheidung des EU-Parlaments fiel mit 530 Ja- zu 66 Nein-Stimmen deutlich aus. 32 Parlamentarier enthielten sich. Das Gesetz wurde von einer breiten Koalition aus EVP, S&D, Renew, Grünen und EKR mitgetragen. Nach einer förmlichen Zustimmung des Rats tritt es in Kraft. Dagegen sprachen sich besonders Mitglieder der Fraktionen von Linken und der rechtspopulistischen ID aus. Große Teile der Linken-Fraktion sind gegen eine weitere „Militarisierung“ und fordern stattdessen ein rasches Ende des Kriegs auf diplomatischem Weg. Generationen von Ukrainern würden gerade ausgelöscht, sagte etwa Mick Wallace (Linke/Irland) bei der Plenardebatte am Montag. „Der Tod ist ein gutes Geschäft, das muss aufhören.“

Mehr zum Thema
article:fokus_txt

 

X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.

E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung sowie die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Unternehmensporträt
Unternehmensporträt Start-up Etalytics: KI als digitaler Dirigent für die Industrieenergie
28.11.2025

In Deutschlands Fabriken verpuffen gewaltige Mengen Energie. Mit einer eigenen KI, die das System kontrolliert, gelingen Etalytics...

DWN
Finanzen
Finanzen Bullenmarkt im Blick: Steht der globale Aufwärtstrend vor einer Wende?
28.11.2025

Die globalen Aktienmärkte erleben nach Jahren starken Wachstums wieder mehr Unsicherheit und kritischere Kursbewegungen. Doch woran lässt...

DWN
Politik
Politik Milliarden-Etat für 2026: Bundestag stemmt Rekordhaushalt
28.11.2025

Der Bundestag hat den Haushalt für 2026 verabschiedet – mit Schulden auf einem Niveau, das zuletzt nur während der Corona-Pandemie...

DWN
Politik
Politik Zu wenige Fachkräfte, zu viele Arbeitslose: Deutschlands paradoxer Arbeitsmarkt
28.11.2025

Deutschland steuert auf fast drei Millionen Arbeitslose zu, doch das eigentliche Problem liegt laut Bundesagentur-Chefin Andrea Nahles...

DWN
Finanzen
Finanzen Inflation bleibt im November bei 2,3 Prozent stabil
28.11.2025

Auch im November hat sich die Teuerungsrate in Deutschland kaum bewegt: Die Verbraucherpreise lagen wie schon im Vormonat um 2,3 Prozent...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Koalition erzielt Kompromisse bei Rente, Autos und Wohnungsbau
28.11.2025

Nach langen Verhandlungen haben CDU, CSU und SPD in zentralen Streitfragen Einigungen erzielt. Die Koalitionsspitzen verständigten sich...

DWN
Politik
Politik Zeitnot, Lücken, Belastung: Schulleitungen schlagen Alarm
28.11.2025

Deutschlands Schulleiterinnen und Schulleiter stehen nach wie vor unter hohem Druck: Laut einer Umfrage der Bildungsgewerkschaft VBE sind...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Datenschutz oder Fortschritt? Der Balanceakt zwischen Sicherheit und Innovation
28.11.2025

Die DSGVO sollte Vertrauen schaffen – doch sie ist für viele Unternehmen zur Innovationsbremse geworden. Zwischen Bürokratie,...