Politik

Italien und Portugal sind sauer auf die EZB

Nachdem die EZB die Zinsen in der Eurozone auf einen neuen Rekordwert angehoben hat, kommt die starke Kritik aus Italien und Portugal. Der Nord-Süd-Konflikt reißt wieder auf.
Autor
15.09.2023 12:39
Aktualisiert: 15.09.2023 12:39
Lesezeit: 3 min

Die Entscheidung der Europäischen Zentralbank vom Donnerstag, den Einlagensatz in der Eurozone um einen weiteren Viertelpunkt auf den Rekordwert von nunmehr 4 Prozent zu erhöhen, hat in Italien und Portugal umgehend heftige Gegenreaktionen hervorgerufen. Auch Spanien macht Druck, dass die Straffung der Geldpolitik nun beendet sein sollte.

"Die EZB kümmert sich nicht um die wirtschaftlichen Schwierigkeiten von Familien und Unternehmen und erhöht die Kosten des Geldes", sagte Matteo Salvini, der stellvertretende italienische Ministerpräsident und Parteichef der Lega, am Donnerstagabend im italienischen Fernsehsender Rete 4, wie Ansa berichtet. Die EZB-Chefin Christine Lagarde lebe "auf dem Mars".

Vor Salvini hatte bereits der italienische Wirtschaftsminister Adolfo Urso, ein Mitglied der Partei "Brüder Italiens" von Giorgia Meloni, gesagt, dass der Schritt seiner Meinung nach "nicht zur wirtschaftlichen Erholung Europas beitragen wird". Hohe Zinsen bremsen in der Regel die Inflation, allerdings auch Investitionen und damit das Wirtschaftswachstum.

Der Vorsitzende der Forza Italia, Antonio Tajani, ein weiterer stellvertretender Ministerpräsident und Außenminister Italiens, äußerte sich ebenfalls kritisch. "Ich bin entmutigt, weil ich seit Monaten sage, dass es ein schwerer Fehler ist, die Inflation in Italien und Europa durch eine Anhebung der Zinssätze zu bekämpfen", sagte er im selben Sender wie Salvini und fügte hinzu, dass das Preiswachstum von den Rohstoffen angetrieben wurde.

"Die Verteuerung des Geldes bedeutet, dass Investitionen und Unternehmen behindert werden - dann kommt die Wirtschaft zum Stillstand und es gibt keine Arbeitsplätze", sagte Außenminister Tajani. Die Politik der Europäischen Zentralbank sei "sicherlich nicht gut für Italiens Wirtschaft", auch wenn sie den nordeuropäischen Ländern gefallen mag.

"Die Inflation ist unverändert zu hoch", sagte Bundesfinanzminister Christian Lindner am Freitag im nordspanischen Santiago de Compostela zu Beginn eines zweitägigen Treffens mit seinen Amtskollegen aus der EU. Die Bundesregierung sei wegen der hohen Teuerungsrate besorgt, sie sei eine Gefahr für das wirtschaftliche Fundament. "Deswegen ist die Entscheidung der Europäischen Zentralbank nachvollziehbar."

Kritik an der EZB auch aus Portugal

"Diese Entscheidung der EZB stellt das Wirtschaftswachstum im nächsten Jahr vor große Herausforderungen, und es ist mit einer Verlangsamung des Wachstums zu rechnen", sagte der portugiesische Finanzminister Fernando Medina bei seiner Ankunft zu dem Treffen der EU-Finanzminister. "Ich habe mehr als einmal gesagt, dass ich eine Erhöhung der Zinssätze zum jetzigen Zeitpunkt für ein größeres Risiko für den Fortschritt der Wirtschaft halte."

Die spanische Vizepremierministerin und Wirtschaftsministerin Nadia Calvino drückte sich in ihrer Reaktion diplomatisch aus, signalisierte aber gleichzeitig ihre Erwartung, dass nun Schluss ist. "Wir werden sicherlich den Erklärungen der EZB zu ihrer gestrigen Entscheidung große Aufmerksamkeit schenken, die anscheinend - und ich nehme an, sie wird dies bestätigen - dem sehr schnellen Zinsanstieg ein Ende setzt, den wir in den letzten zwölf Monaten erlebt haben."

Anleger und Ökonomen sagen, dass die Beamten in Frankfurt nun mit den Zinserhöhungen am Ende angekommen sind. Zwei typischerweise restriktivere EZB-Beamte sagten am Freitag, dass die Beibehaltung der Zinssätze bei den derzeitigen 4 Prozent für einen längeren Zeitraum ausreichen könnte, um die Inflation in der Eurozone zu zügeln.

"Wir glauben, dass die jüngste Erhöhung des Zinsniveaus, wenn es für einige Zeit beibehalten wird, ausreichen könnte, um die Inflation dem Zwei-Prozent-Ziel anzunähern", sagte EZB-Vizepräsident Luis de Guindos am Freitag dem spanischen Radiosender Cope. Die Inflation in der Eurozone werde in den kommenden Monaten weiter sinken.

Und noch etwas deutlicher als der Spanier wurde sein Kollege, der Notenbankchef Estlands, Madis Müller. Der Zentralbankrat habe am Donnerstag klargestellt, "dass nach unserem besten Wissen in den kommenden Monaten keine weiteren Zinserhöhungen zu erwarten sind", schrieb Müller ebenfalls am Freitag in einem Blogbeitrag.

Die Bemerkungen sind deutlicher als die Worte, die EZB-Präsidentin Christine Lagarde am Donnerstag gewählt hat. Nach der zehnten Zinsanhebung der EZB in Folge hatte die Französin gesagt, man könne nicht sagen, ob der Zinsgipfel nun erreicht sei. Sie räumte jedoch ein, dass sich der geldpolitische Fokus jetzt wohl auf die Frage richte, wie lange die Leitzinsen auf dem aktuellen Niveau bleiben sollen.

Am Freitag in Santiago de Compostela sagte Lagarde: "Wir wollen zu unserem mittelfristigen Ziel von 2 Prozent zurückkehren, wir werden zu diesem Ziel zurückkehren und dies rechtzeitig. Unser Kampf gegen die Inflation hält an." Die EZB werde die Zinsen so lange wie nötig auf ein hinreichend restriktives Niveau setzen, um ihr Inflationsziel von 2 Prozent zu erreichen. Im August lag die Inflation in der Eurozone bei 5,3 Prozent.

EZB-Ratsmitglied Francois Villeroy de Galhau warnte die Regierungen in Europa am Freitag vor einer zu lockeren Finanzpolitik, die die Inflation nur noch weiter anheize. Es brauche eine abgestimmte Finanzpolitik.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Gold als globale Reservewährung auf dem Vormarsch

Strategische Relevanz nimmt zu und Zentralbanken priorisieren Gold. Der Goldpreis hat in den vergangenen Monaten neue Höchststände...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Misserfolg bei Putins Wirtschaftsforum in St. Petersburg: Die marode Kriegswirtschaft interessiert kaum jemanden
23.06.2025

Das Wirtschaftsforum in St. Petersburg sollte Russlands wirtschaftliche Stärke demonstrieren. Stattdessen offenbarte es die dramatische...

DWN
Politik
Politik Zwangslizenzen: EU hebelt den Patentschutz im Namen der Sicherheit aus
23.06.2025

Die EU will künftig zentral über die Vergabe von Zwangslizenzen entscheiden – ein tiefer Eingriff in das Patentrecht, der die...

DWN
Technologie
Technologie Umfrage: Zwei Drittel für europäischen Atom-Schutzschirm
23.06.2025

Eine Forsa-Umfrage zeigt, dass eine deutliche Mehrheit der Deutschen den Aufbau eines europäischen nuklearen Schutzschildes befürworten....

DWN
Finanzen
Finanzen US-Börsen: Internationale Anleger kehren der Wall Street den Rücken
23.06.2025

Ölpreise steigen, geopolitische Risiken nehmen zu – und Europas Aktienmärkte wirken plötzlich attraktiv. Während die US-Börsen ins...

DWN
Politik
Politik Personalmangel im öffentlichen Dienst - DGB fordert mehr Personal
23.06.2025

Milliardeninvestitionen sollen in Deutschland die Konjunktur ankurbeln. Doch Personalmangel in Behörden könnte den ehrgeizigen Plänen...

DWN
Politik
Politik Iran-Israel-Krieg: Internet überflutet mit Desinformation
23.06.2025

Falsche Videos, manipulierte Bilder, inszenierte Explosionen: Der Konflikt zwischen Iran und Israel spielt sich längst auch im Netz ab –...

DWN
Politik
Politik Aus Angst vor Trump: China lässt den Iran im Stich
23.06.2025

Chinas harsche Kritik an den US-Angriffen auf Iran täuscht über Pekings wahres Kalkül hinweg. Im Hintergrund geht es um knallharte...

DWN
Politik
Politik US-Angriff auf den Iran: Die Märkte bleiben erstaunlich ruhig
23.06.2025

Trotz der Angriffe auf iranische Atomanlagen bleiben die globalen Märkte ruhig. Doch die Straße von Hormus bleibt ein geopolitischer...