Politik

Mitgliedsstaaten ignorieren EU-Beschluss zum ukrainischen Getreide

Die EU hebt ihr Embargo gegen Getreide aus der Ukraine auf und verärgert damit mehrere Mitgliedsländer. Drei von ihnen wollen ihre Märkte nun auf eigene Faust schützen.
16.09.2023 15:13
Aktualisiert: 16.09.2023 15:13
Lesezeit: 3 min
Mitgliedsstaaten ignorieren EU-Beschluss zum ukrainischen Getreide
Der EU-Streit um ukrainisches Getreide droht zu eskalieren. (Foto: dpa) Foto: Efrem Lukatsky

Die EU-Kommission hat ihre Entscheidung für ein Ende der Importbeschränkungen für ukrainische Getreideprodukte verteidigt und gleichzeitig Gesprächsbedarf mit osteuropäischen Mitgliedsstaaten eingeräumt. «Wir brauchen außergewöhnliche Umstände, um diese Art von Beschränkungen zu rechtfertigen, und derzeit sehen wir, dass es keine Störung oder Verzerrung auf dem Markt dieser fünf Mitgliedstaaten gibt», sagte EU-Kommissionsvize Valdis Dombrovskis am Samstag am Rande eines Treffens der EU-Finanzminister im spanischen Santiago de Compostela. Die Europäische Kommission werde die Situation weiter beobachten und bereit sein, auch wieder Beschränkungen einzuführen, «wenn die Marktsituation dies rechtfertigt».

Die Brüsseler Behörde hatte am Freitagabend mitgeteilt, das Getreideembargo werde beendet. Die bisherigen Einschränkungen hatten es den östlichen EU-Mitgliedern Ungarn, Polen, Slowakei, Rumänien und Bulgarien erlaubt, den Handel mit Produkten wie Weizen, Mais, Raps oder Sonnenblumen aus der Ukraine auf ihren Märkten zu beschränken.

Polen, Ungarn und die Slowakei gaben nach der Entscheidung bekannt, dass sie auch ohne die Zustimmung Brüssels an Importbeschränkungen für bestimmte ukrainische Agrarprodukte festhalten wollen. Ungarn betonte, der Transit ukrainischen Getreides bleibe aber erlaubt. Deutschland und andere EU-Länder hatten dieses Verhalten zuvor als unsolidarisch kritisiert. Bulgarien hatte eine Aufhebung der Importbeschränkungen bereits am Donnerstag beschlossen.

Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir betonte, die Aufhebung des Importstopps auf ukrainisches Getreide sei richtig. «Die Ukraine braucht weiter unsere Hilfe - und das so lange, wie es eben nötig ist. Das bedeutet auch, dass wir Herausforderungen solidarisch angehen und Krisen nicht gegeneinander ausspielen», sagte der Grünen-Politiker am Samstag in Berlin. Es dürfe keine nationalen Alleingänge geben, sondern ein geeintes Vorgehen von Kommission und allen 27 Mitgliedstaaten. «Alles andere spielt nur Putin in die Hände - und stellt die Grundprinzipien unseres Binnenmarktes in Frage.»

Özdemir forderte, der langfristige Ausbau alternativer Exportrouten in der EU müsse Priorität haben. Die Ukraine sei auf die Einnahmen aus dem Getreidehandel angewiesen, und ihre Produkte würden vor allem im globalen Süden benötigt. «Wir werden sicherlich bereits am Montag den nächsten Agrarrat in Brüssel für weitere Diskussionen nutzen.»

Dombrovskis betonte, die Ukraine habe einem System zugestimmt, das einen Anstieg der Exporte in die betreffenden fünf Mitgliedstaaten verhindere. «Es gibt auch Elemente, die den Mitgliedsstaaten versichern, dass es nicht zu einem Anstieg der Importe aus der Ukraine kommen wird.» Wichtig sei jetzt, dass alle konstruktiv zusammenarbeiten. Als erster Schritt müssten weitere Gespräche geführt werden: «Denn leider haben wir erst gestern eine Einigung über das Ausfuhrlizenzsystem für die Ukraine erzielt, also praktisch an dem Tag, an dem die Maßnahmen auslaufen sollten.»

Die Reaktion aus Polen kam prompt: Regierungschef Mateusz Morawiecki sagte, man wolle auch ohne Zustimmung Brüssels an den Beschränkungen festhalten. «Wir werden es tun, weil es im Interesse der polnischen Landwirte ist.» Obwohl die EU-Kommission zuvor immer wieder betont hatte, dass sie für Handelspolitik in der EU zuständig ist, hatte Polen bereits seit Wochen damit gedroht, Maßnahmen eigenständig aufrechtzuerhalten. In Polen ist der Streit auch zum Wahlkampfthema geworden. Dort wird am 15. Oktober ein neues Parlament gewählt.

Dem Beispiel Polens schlossen sich Ungarn und die Slowakei an. Ungarn «nimmt seine Angelegenheiten in die eigenen Hände, um die eigenen Bauern zu schützen», wurde Landwirtschaftsminister Istvan Nagy zitiert. Das slowakische Verbot gilt nach Angaben des kommissarisch amtierenden Regierungschefs Ludovit Odor bis zum Jahresende für Weizen, Mais, Raps und Sonnenblumensamen. «Wir müssen einen übermäßigen Druck auf den slowakischen Markt verhindern, um auch gegenüber den einheimischen Landwirten fair zu bleiben», sagte er.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj begrüßte auf Telegram die Aussetzung der Handelsbeschränkungen. Sollten Entscheidungen der Nachbarn gegen EU-Recht verstoßen, werde die Ukraine in zivilisierter Weise darauf reagieren.

Wegen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine konnten zeitweise keine Getreideexporte mehr über das Schwarze Meer aus der Ukraine auf den Weltmarkt gelangen. Auch derzeit sind Lieferungen über das Schwarze Meer riskant. Mitte Juli hatte Russland ein Abkommen über Getreidelieferungen ausgesetzt, obwohl es aus Sicht der Vereinten Nationen wichtig für die Versorgung der Welt mit Lebensmitteln ist.

Angesichts der Schwierigkeiten hatte die EU Handelswege etwa per Straße und Schiene zwischen der Ukraine und den Staaten der Europäischen Union ausgebaut. Landwirte aus östlichen EU-Ländern sahen sich infolgedessen jedoch großer Konkurrenz durch die stark gestiegenen Einfuhren ausgesetzt. (dpa)

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.

E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung sowie die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Politik
Politik EU plant Ukraine-Hilfe: Kann Russlands eingefrorenes Vermögen helfen?
13.11.2025

Die Europäische Union steht vor einer heiklen Entscheidung: Sie will die Ukraine weiterhin finanziell unterstützen, sucht jedoch nach...

DWN
Politik
Politik Zollfreigrenze in der EU: Billigwaren künftig ab dem ersten Euro zollpflichtig
13.11.2025

Billige Online-Waren aus Asien könnten bald teurer werden. Die EU plant, die 150-Euro-Freigrenze für Sendungen aus Drittländern...

DWN
Politik
Politik EU-Politik: Fall der Brandmauer öffnet Tür für Konzernentlastungen
13.11.2025

Das EU-Parlament hat das Lieferkettengesetz deutlich abgeschwächt. Künftig sollen nur noch sehr große Unternehmen verpflichtet sein,...

DWN
Politik
Politik Wehrdienst-Reform: Union und SPD einigen sich auf Kompromiss
13.11.2025

Union und SPD haben ihren Streit über den Wehrdienst beigelegt – und ein Modell beschlossen, das auf Freiwilligkeit setzt, aber eine...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Google: Milliardenstreits um Marktmissbrauch
13.11.2025

Google steht erneut unter Druck: Die Preissuchmaschine Idealo verlangt Milliarden, weil der US-Konzern angeblich seit Jahren seine...

DWN
Finanzen
Finanzen Bitcoin-Kurs aktuell: Stabilisierungsversuch nach Kursverlusten
13.11.2025

Nach der kräftigen Korrektur in den vergangenen Tagen zeigt sich der Bitcoin-Kurs aktuell moderat erholt – was steckt hinter dieser...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Gender Pay Gap in der EU: Was die neue Richtlinie wirklich fordert
13.11.2025

Die EU hat mit der Richtlinie 2023/970 zur Gehaltstransparenz die Gender Pay Gap im Fokus. Unternehmen stehen vor neuen Pflichten bei...

DWN
Finanzen
Finanzen Telekom-Aktie: US-Geschäft treibt Umsatz trotz schwachem Heimatmarkt
13.11.2025

Die Telekom-Aktie profitiert weiter vom starken US-Geschäft und einer angehobenen Jahresprognose. Während T-Mobile US kräftig wächst,...