Jamie Dimon, Vorstandsvorsitzender der größten US-Bank J.P. Morgan Chase, hat sich mit einer deutlichen Warnung an die Wall Street gewandt. Die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) könnte mit ihrem aggressiven Zinserhöhungsregime im Kampf gegen die Inflation noch lange nicht am Ende sein. Dimon sagte gegenüber Bloomberg, dass die Zentralbank die Zinsen möglicherweise um weitere 1,5 Prozentpunkte und damit auf 7 Prozent anheben könnte. Das wäre der höchste US-Leitzins seit 1990. Im März 2022, als der Zinserhöhungs-Zyklus begann, lagen die US-Zinsen noch zwischen 0,25 und 0,50 Prozent.
Aktuell gehen die meisten Analysten davon aus, dass die Fed die Zinssätze nur noch ein weiteres Mal anheben wird, und zwar im November um 0,25 Prozentpunkte von der derzeitigen Spanne von 5,25 bis 5,50 Prozent. Prognosen der Zentralbank und Aussagen der Fed-Banker deuten auf erste Zinssenkungen für 2024 hin.
Es wäre allerdings nicht das erste Mal, dass sich der Markt irrt. Noch vor einem Jahr etwa war die Finanzszene davon überzeugt, dass die Zinsen vorerst nicht auf 5 Prozent steigen könnten, weil es den wackeligen US-Staatshaushalt zu sehr belasten würde. Zudem gingen viele davon aus, dass es schon 2023 zu den ersten Zinssenkungen kommen würde (auch der Autor dieser Zeilen). Und jüngst war eine kommende Zinspause die Konsensmeinung unter Finanzexperten, was inzwischen schon wieder als eher unwahrscheinlich gilt.
Jamie Dimon meint, dass Amerikaner auf einen weiteren Anstieg der Zinssätze vorbereitet sein müssten. Wenn Mitglieder seines Vorstands ihn fragen, ob die Zinssätze wirklich Richtung 7 Prozent steigen könnten, würde er das immer bejahen.
Das Hauptargument der Fed für die Zinserhöhungen ist das Ziel, die Inflation einzufangen. Die Preissteigerungsrate war längere Zeit konstant rückläufig, ist aber im letzten Berichtsmonat wieder von 3,2 auf 3,7 Prozent zum Vorjahr angestiegen. Mit diesem Ziel einhergehend wäre eine Abkühlung der US-Wirtschaft, die sich jedoch bisher als sehr widerstandsfähig erwiesen hat. Unterdessen setzt die US-Notenbank ihren Bilanzabbau weiter konsequent fort. In diesem Monat sank die Bilanzsumme der Fed erstmals unter die Marke von 8 Billionen (Tausend Milliarden) Dollar.
Die Zinskurve ist zwar weiter invers (langfristige Papiere sind niedriger verzinst als kurzfristige), aber zuletzt deutlich steiler geworden, weil in den letzten Monaten die Langläufer abverkauft wurden. Die wichtigen Benchmark-Treasuries mit Restlaufzeiten von 10 (Rendite: 4,8 Prozent) respektive 30 Jahren (Rendite: 4,95 Prozent) rentieren derzeit so hoch wie seit 2007 nicht mehr. Experten mahnen, dass dieser Abverkauf nicht nur die Erwartung des Marktes an eine längere Phase höherer Zinsen widerspiegelt, sondern auch Rezessionsängste der Investoren ausdrückt.
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Dimon glaubt, dass Weltwirtschaft und Finanzmärkte nicht auf US-Zinsen von 7 Prozent gewappnet sind, wie er in einem Gespräch mit der „Times of India“ ausführt. „Von null auf zwei Prozent zu gehen, war fast keine Erhöhung. Der Anstieg von null auf fünf Prozent hat einige Leute überrascht, aber niemand hätte fünf Prozent für unmöglich gehalten. Ich bin mir nicht sicher, ob die Welt auf sieben Prozent vorbereitet ist.“
Noch seien die Verbraucher in guter Verfassung. „Sie geben immer noch Geld aus, und sie haben immer noch mehr Geld als vor Covid.“ Auch den Unternehmen geht es noch gut, zuletzt wurden gar Rekord-Profite vermeldet. Aber ein Schritt von 5 auf 7 Prozent könnte laut Dimon für die Wirtschaft schmerzhafter sein als der Anstieg von 3 auf 5 Prozent.
Wirtschafts-Gewitter am Horizont
Dimon fügte im Bloomberg-Interview hinzu, dass er die Auswirkungen eines 7-prozentigen Zinsniveaus auf die Wirtschaft nicht genau vorhersagen könne: „Wir können eine weiche Landung haben, wir können eine leichte Rezession haben, wir können eine härtere Rezession haben“, sagte er.
Es gebe viele „mögliche schlechte Ereignisse“, erklärt der Banker, aber das schlimmste wirtschaftliche Szenario wäre eine Stagflation mit geringem Wachstum und hohen Zinsen. In diesem Fall „werden viele Menschen in Not geraten“. Eine geringeres Kredit-Volumen und noch höhere Zinsen würden seiner Ansicht nach für „Stress im System“ sorgen.
Der Chef von J.P. Morgan sieht derzeit zwei potenzielle wirtschaftliche Stürme am Horizont. Das erste sind die horrenden Staatsausgaben der US-Regierung. Das Haushaltsdefizit befindet sich mit 8 Prozent vom BIP am Anschlag, der Schuldenberg ist inzwischen 33 Billionen Dollar schwer. Die hohen Staatsausgaben sind laut Dimon auch inflationär, was weiter zu steigenden Zinsen beitragen könnte. Der zweite Faktor sind zunehmende geopolitische Spannungen – eine prekäre Entwicklung, die vielen Menschen große Sorge bereitet.
Jamie Dimon ist nicht irgendwer, sondern der womöglich mächtigste Banker an der Wall Street. Wenn der Vorsitzende des größten und profitabelsten Finanzhauses in den USA mahnende Worte an die Allgemeinheit richtet, sollte man gut zuhören.
Einer von Dimons Angestellten, der Kapitalmarkt-Stratege David Lebovitz, schlägt in eine ähnliche Kerbe. Er warnt davor, dass steigende Anleiherenditen ein finanzielles Chaos auslösen könnten. Der Analyst sagte gegenüber Bloomberg, dass der anhaltende Ausverkauf von festverzinslichen Wertpapieren Marktturbulenzen auslösen könnte und dass eine Art „Unfall“ notwendig sein wird, um die US-Notenbank dazu zu bewegen, die Zinssätze schon im Jahr 2024 zu senken.
„Aber es scheint so, als ob der Markt immer noch die Vorstellung hat, dass die Fed 2024 eine Lockerung um der Lockerung willen vornimmt, und das kann ich einfach nicht nachvollziehen“, fügte Lebovitz hinzu und bezog sich dabei auf die Erwartung vieler Händler, dass die Kreditkosten im nächsten Jahr wieder sinken dürften.
Welche Auswirkungen hätten 7 Prozent Zinsen?
Jamie Dimon erwartet infolge der aktuellen Gemengelage „zumindest volatile Märkte“. In welche Richtung, das kann eigentlich niemand vorhersagen.
Steigende Zinsen gelten zwar laut Lehrmeinung als Bremse für den Aktienmarkt, weil kurzlaufende „sicherere“ Staatsanleihen wieder attraktiver werden. Aber die Jahresanfangs-Rally 2023 widerspricht dem komplett. Als Aktien-Anleger tut man generell gut daran, wenn man keine binären Wetten auf steigende oder fallende Märkte eingeht.
Am Anleihemarkt sind solche Prognosen sinnvoller. Sollten die Leitzinsen tatsächlich Richtung 7 Prozent steigen und die Fed das auch zeitnah ankündigen, dann ist mit einem weiteren Ausverkauf bei den Langläufern zu rechnen. Anleihe-Besitzer müssten empfindliche Kursverluste hinnehmen, besonders bei längerfristigen Zinspapieren. Profitieren würden Leerverkäufer wie Bill Ackman, der sich im Sommer öffentlich zu seiner Wette auf fallende Kurse von 30-jährigen US-Staatpapieren bekannte – bislang war dieser Trade ein großer Erfolg. Außerdem würde der ohnehin strauchelnde Schrottanleihe-Markt noch mehr ins Wanken kommen und vermehrt Insolvenzen verzeichnen.
Die Auswirkungen auf die Realwirtschaft könnten sehr negativ sein. Bei kurzfristigen Zinsen von 7 Prozent würden Hypotheken, Verbraucher- und Unternehmenskredite perspektivisch noch teurer werden. Das dürfte Verbraucherausgaben und Unternehmensinvestitionen dämpfen und damit zu einer Verringerung des Wirtschaftswachstums oder sogar einer schweren Rezession führen.
Dieses Szenario würde analog auch Deutschland und Europa betreffen. Die EZB muss sich an der Geldpolitik der Fed orientieren und deren Zinsschritte bis zu einem gewissen Grad mitgehen. Ansonsten wird der Euro zu schwach, weil zu viel Kapital in den attraktiveren Dollarraum abfließt. Als die EZB im Frühjahr 2022 zunächst nicht mitzog, sank der Euro sogar unter Parität zum US-Dollar. Interessanterweise nähert sich der Wechselkurs aktuell wieder der Parität, was aber eher andere Gründe als die Zinsdifferenz haben dürfte, allen voran die sehr schwache Konjunktur im Euroraum. Zuletzt sind die Renditen der zehnjärigen Bundesanleihen mit 2,9 Prozent auf den höchsten Wert seit 2011 gestiegen.
Besonders Menschen, die Immobilien finanzieren möchten, sollten ganz genau auf die Zinsentwicklung achten. Je höher das allgemeine Zinsniveau, umso unattraktiver werden Hypotheken mit langfristig festgeschriebenen Zinssätzen. In den USA ist der 30-jährige Festzins für Immobilien-Kredite bei 7,5 Prozent angelangt. Im aktuellen Umfeld könnte es sich lohnen, mit dem Vorhaben zu warten. Die Gefahr dabei ist natürlich, dass die Zinsen noch viele Jahre so hoch bleiben.