Die Wahrscheinlichkeit, dass die amerikanische Volkswirtschaft in den kommenden Monaten in einen Abschwung gerät, ist Kommentatoren zufolge wieder deutlich gestiegen. Eine Rezession in den USA hätte weitreichende Auswirkungen auf den Rest der Welt. Derweil hat sich der ohnehin negative Ausblick für Deutschland zuletzt noch einmal eingetrübt.
Rezession in den USA?
In den vergangenen Monaten prognostizierten viele Beobachter ein solides Wirtschaftswachstum für die Vereinigten Staaten. Der Konsens am Markt belief sich auf etwa 2 Prozent Ausweitung im laufenden Jahr, wohingegen China und insbesondere die Europäische Union medial als „Sorgenkinder“ identifiziert wurden.
Doch jetzt stehen die Zeichen auch in Amerika auf Abschwung. Ein markanter Anstieg der Zinsen für amerikanische Staatsanleihen wird von Analysten als Ausdruck zunehmender Skepsis der Großinvestoren hinsichtlich der wirtschaftlichen Verfassung der USA und künftigen Ungemachs interpretiert.
In der Financial Times skizziert Mohamed El Erian, der frühere Vorstandsvorsitzende des Vermögensverwalters PIMCO, einige Gründe für den Meinungsumschwung, der auch die Stimmung an den US-Börsen in den vergangenen Tagen trübte.
„Mehr als ein Jahr nun argumentiere ich schon, dass die USA im laufenden Jahr einer Rezession entgehen können, die viele erwarten. Mit Blick auf 2024 bin ich nun weitaus weniger optimistisch, weil der Zinsanstieg die Erosion finanzieller, menschlicher und institutioneller Resilienz verstärkt“, schreibt El Erian.
Der Hauptgrund laut El Erian: An den Finanzmärkten setze sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass die Zinsen in den westlichen Märkten angesichts einer hartnäckigen Geldentwertung dauerhaft hoch bleiben werden, was vielfältige belastende Auswirkungen auf die Wirtschaft und auf die Haushalte nach sich ziehen werde.
„Allein in den vergangenen beiden Wochen ist die Rendite der 10-jährigen US-Anleihen im Zuge einer umfassenden Verschiebung des gesamten Zinsgefüges um rund 0,5 Prozentpunkte auf etwa 4,8 Prozent gestiegen. Das führte dazu, dass sich die Renditen seit Ende Juni um einen atemberaubenden ganzen Prozentpunkt veränderten, was zu höheren Kreditzinsen für Unternehmen, belastenderen Auto-Krediten für Haushalte und ausgeprägteren sowie ungleichmäßigeren Einlagenabflüssen aus dem Bankensystem im Zuge der Umschichtung der Anleger hin zu Geldmarktkonten führte. Und bemerkenswerterweise belaufen sich die Kosten für eine 30-jährige Hypothek auf über 8 Prozent, was die bereits jetzt schon teuren Immobilien noch weniger erschwinglich macht.“
Hohe Schulden verbieten hohe Zinsen
Mit dem Verweis auf steigende Zinsen und deren Auswirkungen spricht El Erian die systemische Natur der Probleme nicht an, sondern schildert oberflächliche Phänomene.
Das Grundproblem stellt sich folgendermaßen dar: Die im Rahmen des Fiat-Geldsystems aufgetürmten Schulden und ihr rasantes, beinahe schon exponentielles, Wachstum vertragen keine hohen (Re-)Finanzierungskosten als Folge eines hohen Zinsniveaus, wie sie die US-Staatsanleihen weltweit für den Dollarraum vorgeben.
Anders ausgedrückt: In den vergangenen Jahrzehnten und insbesondere in den vergangenen Jahren während der Pandemie, als viele Staaten die „Lockdowns“ mit neuen Schulden finanzierten, generierten Zentralbanken Billionen aus dem Nichts, die sukzessive in die Realwirtschaft flossen und zur anhaltend starken Inflation geführt haben.
Das Gegenmittel, nämlich hohe Zinsen, muss unweigerlich zum Zusammenbruch der infolge der Geldschwemme entstandenen Preisblasen an Aktien-, Immobilien und sonstigen Märkten führen, weil hohe Zinsen dazu führen, dass der Wirtschaft die nötige Liquidität entzogen wird und weil die mit extremen Hebeln spekulierenden Großinvestoren Gefahr laufen, Margin Calls zu erleben.
Geldmenge in der Eurozone sinkt
In der Eurozone macht sich dieser Liquiditätsentzug inzwischen markant bemerkbar. So verzeichnete die Geldmenge M3 per Berichtsmonat August einen historisch einmaligen Rückgang um 1,3 Prozent, nachdem sie im Vormonat 0,4 Prozent geschrumpft war (vorheriger historischer Negativrekord).
Die Kreditvergabe an private Haushalte legte um nur noch einen Prozentpunkt zu, was den tiefsten Wert seit Juli 2015 repräsentiert. Die Kreditvergabe an Unternehmen nahm nur noch um 0,6 Prozent zu (tiefster Wert seit Januar 2016), nachdem es im Juli noch zu 2,2 Prozent gereicht hatte.
„Geldmengenentwicklungen sind Spiegel der Realität, auch bei strukturellen Entwicklungen. Die Mahnungen können nicht viel lauter werden. Es bedarf erheblicher Neuausrichtungen, es bedarf keiner Beschwichtigungen. Gestern redete der Kanzler und konstatierte, in der Wirtschaft liefe es nicht grundlegend falsch. Hätte er das auch so vor 12 Monaten bewertet, wenn man ihn mit den aktuellen Daten konfrontiert hätte. Nur Argentinien liegt bei dem BIP hinter uns. Nie war das Vertrauen zwischen Politik und Wirtschaft zerrütteter, weil die Rahmendaten unseres Standorts keine internationale Konkurrenzfähigkeit erlauben. In einem von Energie abhängigen Zeitalter keine nachhaltige Versorgungssicherheit und preisliche Konkurrenzfähigkeit als energieintensivster Standort des Westens zu besitzen, ist prekär. Handlungsmaximen zur Erhaltung unserer tragenden Wirtschaftsstrukturen sind geboten“, kommentierte Folker Hellmeyer die Zahlen im Hellmeyer Report.
Dazu gesellen sich weitere Faktoren wie hohe Preise für Energie, geostrategische Konfrontationen, die von großen Ölmächten veranlasste Förderverknappung und ein starker Dollar.
Geschwächt nach der Pandemie
Tatsächlich stehen viele Länder nach der Corona-Pandemie geschwächt da und können einer Rezession fiskalisch und finanziell nur noch wenig entgegensetzen.
Die gegenwärtig in den USA stattfindenden Auseinandersetzungen um einen neuen Haushalt und die auf nur 45 Tage begrenzte Abwendung eines neuen „Shutdowns“ sind Vorboten jener bevorstehenden Probleme, die hohe Zinsen in einer überschuldeten Welt entfachen.
Am Anleihemarkt stiegen derweil die Zinsen von Staatsanleihen auf neue Mehrjahres-Höchststände, weil Investoren mit langfristig höheren Leitzinsen und infolge dessen restriktiveren Finanzierungsbedingungen rechnen.
Am Dienstag markierten amerikanische Anleihen mit 30 Jahren Laufzeit mit 5 Prozent den höchsten Wert seit 2007, britische Papiere mit derselben Duration verzinsten sich ebenfalls mit mehr als 5 Prozent und damit so hoch wie seit mehr als 20 Jahren nicht mehr.
Die Rendite deutscher zehnjähriger Bundesanleihen liegt derzeit so hoch wie zuletzt im Jahr 2011, kurz bevor die Eurokrise die Finanzmärkte erschütterte, gleiches gilt für Italien.
Die expliziten Verbindlichkeiten der amerikanischen Bundesregierung stiegen alleine zwischen Juni und Anfang Oktober von rund 31,5 Billionen Dollar auf nun etwa 33,5 Billionen Dollar. Dem auf die Schulden der USA spezialisierten Portal US Debt Clock zufolge muss der amerikanische Staat derzeit pro Jahr mehr als 700 Milliarden Dollar an Zinsen bezahlen – ein Wert, der sich deutlich erhöhen wird, je länger die Hochzinsphase andauert.
Beobachter schätzen, dass sich diese 700 Milliarden Dollar auf bis zu drei Billionen Dollar innerhalb der nächsten zehn Jahre ausweiten könnten, wenn die Leitzinsen auf einem ähnlich hohen Niveau wie derzeit verharren.
Der Befund einer zunehmend aus dem Ruder laufender Verschuldung gilt ebenso für Deutschland und fast alle entwickelten Industriestaaten. Zentrale Bedeutung kommt dabei dem Verhältnis zwischen Staatsschulden und jährlicher Wirtschaftsleistung bei, welche in vielen Fällen die Marke von 100 Prozent überschritten hat.
Ausblick für Deutschland ist düster
Auch Deutschlands Staatsfinanzen sind im Zuge ungehemmter Schuldenaufnahme in den vergangenen Jahrzehnten und insbesondere während der Corona-Pandemie längst in einen prekären Bereich geraten.
Wichtig zum Verständnis der Problematik ist es, nicht nur die explizite Staatsverschuldung zu beachten, sondern auch die impliziten Verbindlichkeiten, welche künftige Auszahlungsansprüche an den Staat beinhalten. So klaffen große Finanzierungslücken beispielsweise im staatlichen Rentensystem, dessen anschwellende zukünftige Auszahlungen von immer weniger jungen Berufstätigen erwirtschaftet werden sollen.
Besonders bedrohlich – und dies ist ein vergleichsweise neues Phänomen – ist der schleichende Verlust der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. Eine ganze Reihe von Faktoren treibt diese Entwicklung an: von der Politik der „Energiewende“ ausgelöste Preisexplosionen bei Energie, ein schwächelndes Bildungssystem, die Überalterung der Gesellschaft sowie viel zu starre und zahlreiche bürokratische Vorschriften gehören neben den hohen Steuern und Abgaben zu den wichtigsten Faktoren.
Die Lage im deutschen Mittelstand ist derzeit so schlecht wie seit dem Höhepunkt der Corona-Krise nicht mehr. „Die Unternehmen sind in den Abwärtssog aus Inflation und Rezession geraten“, teilte die Wirtschaftsauskunftei Creditreform am Donnerstag zur Umfrage unter 1.200 Firmen mit. Dies habe die gesamte Breite der Wirtschaft erfasst.
„Massive Kostensteigerungen, hohe Zinsen und eine schwache Nachfrage belasten auch die kleinen und mittleren Unternehmen immer mehr“, sagte Creditreform-Chefökonom Patrik-Ludwig Hantzsch der Nachrichtenagentur Reuters. Der Creditreform Geschäftsklimaindex sei erstmals seit 2020 wieder in den Minusbereich gerutscht und signalisiere ein Schrumpfen der Wirtschaftskraft.
Wegen stark gestiegener Finanzierungskosten und der eingetrübten Geschäftslage sei die Investitionsbereitschaft eingebrochen. Der Anteil der Mittelständler, die Investitionen planen, ist laut Creditreform von 46,2 auf 38,4 Prozent gesunken und damit auf den niedrigsten Wert seit fast 20 Jahren. „Die Unternehmensfinanzierung - das ist unser Sorgenkind“, betonte Hantzsch. Hier hätten sich die Kreditzinsen infolge der Normalisierung der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank spürbar erhöht.
Die deutsche Wirtschaft ist seit Sommer 2022 nicht mehr gewachsen. Beobachter erwarten, dass das Bruttoinlandsprodukt dieses Jahr rund ein halbes Prozent schrumpft.