Politik

Nach Hamas-Großangriff: Palästinensern wird (großteils) Geldhahn abgedreht

Lesezeit: 3 min
09.10.2023 19:57  Aktualisiert: 09.10.2023 19:57
Der Großangriff auf Israel und die Tötung vieler Menschen soll Konsequenzen haben. Hilfsprojekte für Palästinenser werden gestoppt, auch um eine mögliche Zweckentfremdung durch militante Gruppen zu überprüfen.

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Deutschland und die EU setzen als Reaktion auf den Großangriff der islamistischen Hamas gegen Israel Hilfsprogramme für die Palästinensischen Gebiete aus. Die EU werde sämtliche Entwicklungshilfezahlungen an die Palästinenser vorerst einfrieren, kündigte der zuständige EU-Kommissar Olivér Várhelyi am Montag in Brüssel über den Kurznachrichtendienst X an. Es könne kein „Business as Usual“ geben.

Das deutsche Entwicklungsministerium setzte Finanzhilfen vorübergehend aus. Entwicklungsministerin Svenja Schulze sagte in Berlin: „Wir wollen das mit Israel besprechen, wie unsere Entwicklungsprojekte dem Frieden in der Region und der Sicherheit Israels am besten dienen können.“ Die sei „ein Ausdruck unserer unverbrüchlichen Solidarität mit Israel“.

Außenministerin Annalena Baerbock hält aber an humanitärer Hilfe fest. „Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe sind zwei verschiedene Dinge“, sagte die Grünen-Politikerin in der n-tv-Talkshow „Beisenherz“. Sie ergänzte: „Ich halte es für fatal, jetzt einfach zu sagen, man sollte zum Beispiel keine Lebensmittelhilfen mehr leisten.“ Dort seien 2,1 Millionen Menschen auf Lebensmittelhilfen über die Vereinten Nationen angewiesen.

Geld für Propaganda?

Kritik gab es in der Vergangenheit immer wieder aus Israel. Dabei ging es um die Finanzierung von Nichtregierungsorganisationen in den Palästinensergebieten oder auch um Streit wegen palästinensischer Schulbücher und Geld für diese. Es gab den Vorwurf, dass dort antijüdische Vorurteile und Gewaltverherrlichung verbreitet würden.

Schon heute sei sehr klar, dass die EU weder direkt noch indirekt die Aktivitäten der Hamas oder anderer Terrororganisationen finanziere, sagte eine Sprecherin der EU-Kommission in Brüssel aber. Die EU habe sehr strenge Regeln zur Überprüfung der Empfänger. Alle müssten versichern, dass diese weder direkt noch indirekt an Unternehmen, Organisationen oder Personen mit Verbindung zur Hamas gingen.

Die Orthodoxe Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD) forderte am Montag, die Terrorattacken der Hamas sollten eine Zäsur für jene Regierungen, Organisation, Initiativen, religiöse Gemeinden sowie Einzelpersonen sein, „die die vermeintlich friedliche palästinensische Sache finanziell oder ideologisch unterstützen, mit ihr sympathisieren oder ihre gewaltsamen Taten relativieren“. Sie sollten dringend reflektieren, ob sie auf der richtigen Seite der Geschichte stehen oder weiter von palästinensischen und islamistischen Terrororganisationen missbraucht werden wollten. „Deutschland und die EU sollten den Anfang machen, jegliche finanzielle Unterstützung für Gaza und die palästinensische Autonomiebehörde sofort zu beenden“, forderte die Rabbinerkonferenz.

Nach Angaben von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen aus dem vergangenen Jahr sind die EU und ihre Mitgliedstaaten mit einem Beitrag von rund 600 Millionen Euro pro Jahr der größte Geldgeber der Palästinenser. Allein aus dem EU-Haushalt waren für den Zeitraum 2021 bis 2024 Finanzhilfen in Höhe von 1,18 Milliarden Euro vorgesehen.

Deutsches Geld angeblich nicht an Terrororganisation

Das deutsche Entwicklungsministerium hat nach eigenen Angaben für dieses und nächstes Jahr rund 125 Millionen Euro an bilateraler Entwicklungszusammenarbeit zugesagt. Dabei geht es um längerfristige Programme. Eine Sprecherin nannte Wasserversorgung und -entsorgung, eine Entsalzungsanlage, berufliche Bildung, die Schaffung von Arbeitsplätzen für junge Leute und Ernährungssicherung als Beispiele.

„Sämtliche Vorhaben mit den palästinensischen Gebieten sind immer schon sehr, sehr gründlich überprüft worden“, sagte die BMZ-Sprecherin. „Wahrscheinlich ist es das am besten überprüfte Portfolio des gesamten BMZ.“ Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes sagte, bei den deutschen Projekte werde „in jedem Fall die außenpolitische Unbedenklichkeit von Projektpartnern“ geprüft. Er sagte: „Dabei wird selbstverständlich auch genau untersucht, ob es mögliche Terrorismus-Bezüge gibt.“

Finanzierungsstopps, die auch Auswirkungen auf die humanitäre Hilfe haben können, sind stets eine Gratwanderung. Vor allem in dem von der Hamas kontrollierten und dicht besiedelten Gazastreifen mit seinen mehr als zwei Millionen Menschen sind viele Zivilisten abhängig von internationalen Hilfslieferungen. Geld bekommt auch die Palästinensische Autonomiebehörde, die in Gegnerschaft zu der von der EU, den USA und Israel als Terrororganisation eingestuften Hamas steht. Sie bezahlt damit zum Beispiel Mitarbeiter und Sozialhilfeleistungen an bedürftige Familien.

Österreich mit sofortigem Stopp

Österreich setzt die Entwicklungszusammenarbeit mit den Palästinensern aus. „Wir werden alle Zahlungen der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit vorerst auf Eis legen“, sagte Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) am Montag im Radiosender Ö1. Es handle sich um rund 19 Millionen Euro.

„Das Ausmaß des Terrors ist so entsetzlich. Das ist ein derartiger Bruch, dass man nicht zur Tagesordnung übergehen kann“, sagte Schallenberg. Österreich werde daher alle Projekte mit den palästinensischen Gebieten „auf den Prüfstand stellen und evaluieren“. Über weitere Schritte werde mit den internationalen Partnern beraten. (dpa)


Mehr zum Thema:  

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Steigende Kaufkraft in Deutschland 2025: Studie sieht große regionale Unterschiede
15.01.2025

Trotz der wirtschaftlich schwierigen Lage soll die Kaufkraft der Deutsche laut einer Studie 2025 leicht steigen. Vor allem höhere Löhne...

DWN
Politik
Politik Kalifornien untersagt Immobilienspekulation in Brandgebieten
15.01.2025

Kalifornien verbietet Immobilienspekulation in Brandgebieten. Gouverneur Newsom will Angebote unter Marktwert für drei Monate untersagen,...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Unmotivierte Arbeitnehmer: Nur 48 Prozent der Deutschen geben am Arbeitsplatz ihr Bestes
15.01.2025

Nicht nur die Wirtschaft schwächelt in Deutschland, auch die Arbeitsmoral der Arbeitnehmer. Ein weltweiter Vergleich zeigt: Nicht einmal...

DWN
Politik
Politik EPA: Elektronische Patientenakte kommt - Lauterbach betont Sicherheit der E-Patientenakte
15.01.2025

Die EPA (Elektronische Patientenakte) wird in Arztpraxen eingeführt - zunächst nur in Testregionen, später bundesweit....

DWN
Finanzen
Finanzen Aktionäre in Deutschland: Weniger Deutsche investieren ihr Geld an der Börse
15.01.2025

Die Zahl der Aktionäre in Deutschland ist erneut rückläufig: Zum zweiten Mal in Folge sank die Anzahl, liegt aber weiterhin über der...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Rezession: Deutschlands Wirtschaft 2024 erneut geschrumpft
15.01.2025

Unsichere Konsumenten, schwächelnde Industrie und sinkende Exporte: Die Rezession setzt Deutschland weiter zu. Auch 2025 stehen die...

DWN
Politik
Politik Syrien: Übergangsregierung spricht sich gegen schnelle Rückkehr von Flüchtlingen aus
15.01.2025

Deutschland diskutiert über die Rückkehr syrischer Flüchtlinge. Seit dem Sturz von Baschar al-Assad fällt der Asylgrund für die...

DWN
Finanzen
Finanzen Ripple-XRP-Prognose 2025: Die aktuelle XRP-Kursentwicklung und was Anleger jetzt wissen sollten
15.01.2025

Der Ripple-Kurs, der lange Zeit von Unsicherheiten geprägt war, zeigt sich auch zu Beginn des Jahres 2025 relativ stabil - und legt...