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Emissionshandel bedroht die Landwirtschaft der EU

Lesezeit: 4 min
15.10.2023 14:19  Aktualisiert: 15.10.2023 14:19
In Brüssel gibt es eine breite politische Unterstützung für einen Emissionshandel in der Landwirtschaft, um das Klima vor einer Reihe von Gasen zu schützen. Als besonders schädlich betrachten die EU-Abgeordneten die Tierzucht.

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Die EU sucht nach neuen Möglichkeiten, den Gasausstoß der Landwirtschaft einzudämmen. Denn die entsprechenden Bestimmungen im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) haben in dieser Hinsicht kaum etwas bewirkt. Diskutiert wird derzeit die Einführung eines System zum Emissionshandel speziell für die Landwirtschaft. Dabei sollen die landwirtschaftlichen Betriebe ein Kontingent an Emissionsgutschriften erhalten, das sie untereinander handeln können. Damit würden sich Maßnahmen zur Reduzierung der Emissionen lohnen, etwa eine Reduzierung der Viehzucht.

Das ursprüngliche EU-Emissionshandelssystem, das im Jahr 2005 eingeführt wurde, hat dazu beigetragen, den CO2-Ausstoß bei der Stromerzeugung, im verarbeitenden Gewerbe und im innereuropäischen Flugverkehr zu senken. In diesem Jahr wurde ein zweites Emissionshandelssystem für Gebäude, den Straßenverkehr und andere Sektoren beschlossen, das 2027 in Kraft treten wird.

Und nun soll ein drittes entsprechendes System zum Emissionshandel auch für die Landwirtschaft eingeführt werden. Doch es gibt Schwierigkeiten. Denn in der Landwirtschaft will die EU nicht nur den Ausstoß von CO2 regulieren, sondern auch von Methan und Stickstoffoxid, denen ebenfalls eine schädliche Wirkung auf das Klima nachgesagt wird. Zudem macht der dezentrale Charakter des Sektors die Kontrolle und Überwachung schwieriger.

EU-Kommissar: "Es gibt kein Entkommen für die Landwirtschaft"

Die Gemeinsame Agrarpolitik, die etwa ein Drittel des EU-Haushalts ausmacht, stellt mehr als ein Viertel ihrer Ausgaben für klimarelevante Initiativen bereit, erreicht damit jedoch nur wenig. Im Jahr 2021 stellte der Europäische Rechnungshof fest, dass die 100 Milliarden Euro, welche die GAP von 2014 bis 2020 für Klimaprojekte bereitstellte, nur geringe Auswirkungen auf die landwirtschaftlichen Emissionen hatten, die sich seit 2010 nicht wesentlich verändert haben.

Es würden hauptsächlich Maßnahmen mit geringem Potenzial zur Abschwächung des Klimawandels finanziert, heißt es in der Studie. Es werde nicht versucht, die Viehzucht zu begrenzen oder zu reduzieren, die für die Hälfte der landwirtschaftlichen Emissionen verantwortlich ist. Zugleich würden Landwirte belohnt, die entwässerte Torfgebiete kultivieren, was dazu führe, dass eine erhöhte Menge an CO2 in die Atmosphäre abgegeben werde.

Der neue EU-Klimakommissar Wopke Hoekstra sagte letzte Woche, dass sich die landwirtschaftlichen Praktiken ändern müssen. "Es gibt für keinen der Sektoren ein Entkommen - sie müssen sicherstellen, dass sie diesen Wandel mitmachen", zitiert ihn Politico. Das gelte für die Industrie, für die Bürger, für die Schifffahrt, für die Luftfahrt und auch für die Landwirtschaft. "Die Art und Weise, wie wir heute Landwirtschaft betreiben, wird sich ändern müssen", so Hoekstra.

Die offensichtliche Lösung wäre eine Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP). Doch Pascal Canfin, der Vorsitzende des Umweltausschusses im EU-Parlament, warnt davor, eine "Schlacht zu beginnen, um die GAP radikal umzugestalten, um sie mit dem Pariser Abkommen kompatibel zu machen". Dies sei "sehr unwahrscheinlich", sagte er zu Politico. Ein Emissionshandelssystem für die Landwirtschaft könnte dagegen ein "hilfreiches Instrument für den Übergang" sein.

Auch nach Ansicht von Milan Elkerbout vom Centre for European Policy Studies sollte der Emissionshandel von der Gemeinsamen Agrarpolitik getrennt werden. Denn während Emissionshandel explizit dem Klima helfen soll, bestehe die Daseinsberechtigung der GAP darin, das Einkommen der Landwirte zu sichern - etwas, das manchmal direkt mit der Notwendigkeit kollidieren könne, die Emissionen zu senken.

Umsetzung dürfte schwierig werden

In Brüssel ist man sich der Schwierigkeiten bewusst, ein Emissionshandelssystem für die Landwirtschaft in die EU-Gesetzgebung festzuschreiben. Denn der Widerstand in der Bevölkerung gegen die Klimapolitik nimmt zu. Das gilt ganz besonders für die Landwirte, die im Kampf für das Überleben ihrer Höfe nicht nur bereit sind, auf die Straße zu gehen, sondern die auch Einfluss auf die EU-Politik haben.

In den Niederlanden ereignete sich im März ein politisches Erdbeben, als die Bürger dem Establishment - und seiner Klima-Agenda - einen schweren Denkzettel verpassten. Die Partei BoerBurgerBeweging (Bauer-Bürger-Bewegung, BBB) war der überragende Wahlsieger. Hauptthema bei diesen Wahlen waren die angekündigten einschneidenden EU-Umweltauflagen für die Landwirtschaft.

Laut Pascal Canfin, dem Vorsitzenden des Umweltausschusses im EU-Parlament, haben die Landwirte nichts zu befürchten und viel zu gewinnen. Das neue Emissionshandelssystem solle auf große Emittenten wie Lebensmittelunternehmen und Einzelhändler abzielen und nicht auf Landwirte, die stattdessen in der Lage wären, die Gutschriften zu verkaufen, die sie für die Reduzierung ihrer Emissionen erhalten.

"Wenn ich mir [Lebensmittel-]Unternehmen wie Unilever oder Nestlé anschaue, sehe ich nicht ein, warum sie nicht denselben Regeln unterliegen wie [der Stahlhersteller] ArcelorMittal oder Siemens, die vom ETS erfasst werden", so Canfin. Der französische Lebensmittelkonzern Danone hat den Plan zum Emissionshandel für die Landwirtschaft bereits befürwortet.

Jean Thévenot, ein junger Landwirt im französischen Baskenland, der nur ein paar Hektar Land besitzt, ist nicht überzeugt. "Carbon Farming Systeme werden zu einem großen Ansturm auf das Land führen", zitiert ihn Politico. "Der Zugang zu Land ist in Europa bereits ein großes Problem, wenn dann noch finanzielle Interessen für Kohlenstoffgutschriften hinzukommen, würde der Preis für Land noch weiter steigen."

Nach Ansicht von Wijnand Stoefs von der Nichtregierungsorganisation Carbon Market Watch würde der Emissionshandel in der Landwirtschaft einen relativ hohen CO2-Preis benötigen würde, um die Emissionen tatsächlich zu senken. "Ich glaube nicht, dass es einen politischen Willen gibt, einen Preis für die Emissionen von Landwirten zu erheben", zitiert ihn Politico.

Doch trotz aller Einwände und der fraglichen Wirkung genießt die Idee des Emissionshandels für Landwirte in Brüssel eine breite politische Unterstützung. Sie reicht von Canfin von der Renew-Gruppe, der die deutsche FDP angehört, bis zum Peter Liese von der Europäischen Volkspartei, der CDU und CSU angehören. Die Idee liege schon seit Jahren auf dem Tisch, sagte Liese, aber "es war immer die Frage, wie man sie in der Praxis umsetzen kann".


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