Die UN-Vollversammlung hat am Freitag mit überwältigender Mehrheit einen sofortigen humanitären Waffenstillstand zwischen Israel und der radikal-islamischen Hamas gefordert. Der Zugang von Hilfsgütern in den Gazastreifen müsse ermöglicht und der Schutz der Zivilbevölkerung sichergestellt werden, heißt es in der von arabischen Staaten verfassten Resolution.
Als Resolution der Vollversammlung ist sie nicht bindend, zeigt aber ein deutliches Meinungsbild in der Welt zu dem Nahost-Konflikt. Die EU-Staaten stimmten nicht einheitlich ab: Während Frankreich die Resolution unterstützte, enthielt sich Deutschland, Österreich stimmte dagegen.
Die Resolution wurde mit 120 Ja-Stimmen angenommen, 45 Regierungen enthielten sich und 14 stimmten mit Nein. Dies waren neben Israel nur die USA, Österreich, Kroatien, Tschechien, Guatemala, Ungarn, die Fiji-Inseln, Nauru, die Marshall-Inseln, Mikronesien, Papua-Neuguinea, Paraguay und Tonga.
Für die Verabschiedung der Resolution war eine Zweidrittelmehrheit erforderlich, wobei Stimmenthaltungen nicht mitgezählt werden. Ein von Kanada eingebrachter Antrag, die Resolution dahingehend zu ändern, dass die "terroristischen Angriffe der Hamas ... und die Geiselnahme" abgelehnt und verurteilt werden, erhielt mit 88 Ja-Stimmen, 55 Nein-Stimmen und 23 Enthaltungen nicht die erforderliche Zweidrittelmehrheit.
Außenministerin Annalena Baerbock rechtfertigte die deutsche Enthaltung damit, dass die Resolution den Hamas-Terror nicht klar beim Namen nenne. Zudem sei die Freilassung aller Geiseln nicht deutlich genug gefordert und das Selbstverteidigungsrecht Israels nicht bekräftigt worden. Immerhin habe man in den Verhandlungen zu der von Jordanien eingebrachten Resolution erreicht, dass die Terrorakte überhaupt verurteilt worden seien und zumindest ein Ruf nach Freilassung der Geiseln enthalten sei, teilte sie mit.
Israels UN-Botschafter Gilad Erdan sagte nach der Abstimmung, dass die UN ihre Legitimität und Bedeutung verloren hätten. Israels Siedlungspolitik in den besetzten Gebieten ist in den vergangenen Jahrzehnten mehrfach vom UN-Sicherheitsrat als völkerrechtswidrig kritisiert worden.
The West against the Rest?
Die Resolution ist zwar völkerrechtlich nicht bindend. Aber ähnlich wie die Abstimmungen zum russischen Überfall auf die Ukraine hat sie eine erhebliche politische Signalwirkung. Und das Abstimmungsverhalten zeigt erhebliche Probleme für den Westen insgesamt und insbesondere für Israel und die Führungsmacht USA.
Dass die Resolution auf so breite Zustimmung stieß, muss auch die israelische Regierung 75 Jahre nach Staatsgründung beunruhigen, schreibt die Nachrichtenagentur Reuters. Seit Jahrzehnten versucht auch Deutschland eine von einigen arabischen Ländern immer wieder angestrebte Isolation des jüdischen Staates in den UN zu verhindern.
Nun zeigt sich, dass die durchaus vorhandene Sympathie nach dem brutalen Überfall der Hamas aber mit jedem Tag der schweren israelischen Angriffe auf die Hamas im Gazastreifen abzunehmen scheint. Die Resolution zielt vor allem darauf, dass Israel seine Angriffe einstellt.
"Israels Rücktrittsforderung gegen UN-Generalsekretär Antonio Guterres hat sicher nicht geholfen", sagt ein EU-Diplomat. Dass der israelische UN-Botschafter Gilad Erdan der UN nach der Abstimmung gleich "Legitimität und Bedeutung" absprach, auch nicht.
Kanzler Olaf Scholz hatte die rechts-nationale Regierung in Israel im Streit um die umstrittene Justizreform schon vor Monaten gewarnt, dass die Solidarität im Westen bröckeln könnte, weil sie eben auch der einzig funktionierenden Demokratie in der Region galt.
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Gespaltene EU, gespaltene G7
Im Ukraine-Krieg haben die Europäer und westliche Industriestaaten eine für sie selbst überraschende Geschlossenheit gegenüber Russland gezeigt. Am Freitag aber zerbröselte die Einheit der EU nur wenige Stunden nach dem auf dem EU-Gipfel mühsam erreichten Formelkompromiss, in dem "humanitäre Korridore" und "Feuerpausen für humanitäre Zwecke" gefordert werden.
Noch in Brüssel kritisierte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron eine israelische Bodenoffensive. Kanzler Scholz sprach der israelischen Armee dagegen das Vertrauen aus, sie werde sich schon an das humanitäre Völkerrecht halten.
In New York gehörte Frankreich dann zu den wenigen EU-Staaten, die - auch mit Blick auf den ohnehin schwindenden Einfluss in der islamischen Welt - für die Resolution stimmte. Deutschland enthielt sich wie die Mehrzahl der EU-Staaten. Die Schlagkraft der EU ist damit geschwächt. Dasselbe gilt für die G7-Staaten, bei denen Japan ohnehin schon aus der anfangs klar pro-israelischen Haltung ausgeschert war.
Berlin in der Zwickmühle
Gerade Deutschland ist durch die Abstimmung in eine sehr schwierige Lage geraten. Denn Scholz und Außenministerin Annalena Baerbock brüsteten sich auf ihren Nahosttouren noch damit, dass Berlin anders als viele andere mit allen Seiten reden könne.
Dass Israels Sicherheit zur deutschen "Staatsräson" gehört, haben arabische Nachbarn tatsächlich mit Blick auf die deutsche Verantwortung für den Holocaust und wegen der deutschen Entwicklungshilfe stets hingenommen. Nun aber steckt die Regierung in einer Zwickmühle.
Aus Solidarität zu Israel hätte sie eigentlich mit "Nein" stimmen müssen. Doch Baerbock argumentiert nun, dass man die Resolution immerhin etwas verbessert und sich deshalb enthalten habe. Der eigentliche Grund: Hätte Deutschland mit Israel und den USA gegen die Resolution gestimmt, hätte die Bundesregierung ihre Bewerbung für einen nichtständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat 2027 gleich vergessen können. Dafür braucht es nämlich eine klare Mehrheit in der UN-Vollversammlung.
Aber die Stimmung auch bei demokratischen Regierungen auf der Südhalbkugel war eindeutig, dass man nun stärker auf die Bedürfnisse der Palästinenser schauen müsse. Damit erleidet auch der Versuch von Scholz einen Rückschlag, die großen Schwellenländer des Südens stärker an sich zu binden. Nigeria und Ghana - also die Länder, in die der Kanzler in den nächsten Tagen reist - haben für die Resolution gestimmt.
Israels Botschafter in Deutschland, Ron Prosor, hat die deutsche Enthaltung bei der Abstimmung in der UN-Vollversammlung kritisiert. Man brauche Deutschlands Unterstützung in den Vereinten Nationen, sagt er auf dem Landesparteitag der nordrhein-westfälischen CDU in Hürth. "Ein Abstimmungsverhalten, sich zu enthalten, weil man nicht direkt sagen kann, dass Hamas für diese grausame Massaker verantwortlich ist, ist nicht genug."